»Haben Sie je verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung genommen?«
»Ja.«
»War Epo eine?«
»Ja.«
»Haben Sie auch Eigenblutdoping oder Bluttransfusion genutzt?«
»Ja.«
»Haben Sie andere verbotene Substanzen wie Testosteron, Kortison oder Wachstumshormone genommen?«
»Ja.«
»Haben Sie bei allen sieben Tour-de-France-Siegen verbotene Substanzen und Eigenblut genommen?«
»Ja.«
»Ist es überhaupt möglich, die Tour siebenmal hintereinander ohne Doping zu gewinnen?«
»Ich glaube nicht.«
Als der erfolgreichste Radsportler aller Zeiten im Januar 2013 im Beichtstuhl der Entertainment-Mutter Amerikas, Oprah Winfrey, saß, wurde endgültig klar, wie verseucht eine Sportart sein kann.2 Die Zeit des Amerikaners, der den Krebs besiegte und anschließend die steilsten Anstiege europäischer Gebirgsketten so schnell hochfuhr, dass er in den Kurven bergauf bremsen musste, war vorbei. Nun kann man von Lance Armstrong vieles halten, aber Tatsache ist, dass niemand so gut gelogen und gleichzeitig so gut trainiert hat. Um die berühmteste Rundfahrt der Welt mehrfach zu gewinnen, gehört mehr dazu als die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln. Das gesamte US-Postal-Team war eine kompetente, auf Perfektion getrimmte und finanziell schlagkräftige Hochleistungsmaschine, die mit einem unbändigen Siegeswillen geölt wurde und bei der Vorbereitung eines Wettkampfs nichts dem Zufall überließ.
Der Schlüssel zum Erfolg im Profisport ist nicht die Wettkampfleistung, die viel Aufmerksamkeit genießt, sondern die Trainingsleistung, bei der niemand zuschaut. Auch im Radsport ist es für ein zielführendes Training und eine effektive Wettkampfvorbereitung Voraussetzung, das Verhältnis von Puls und Leistung zu kennen. Die individuellen Leistungsbereiche, die bei jedem Menschen anders sind, werden über einen Laktat-Stufentest identifiziert, bei dem die Herzfrequenz, die Wattleistung und die Laktatkonzentration im Blut von der Grundlagen- bis zur Spitzenleistung gemessen werden.
Wer die Ausgangslage seiner körperlichen Leistungsfähigkeit nicht kennt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch trainieren und am Wettkampftag durch die fehlende Fitness die Quittung bekommen. Dieser Zusammenhang lässt sich übertragen: Wer die Ausgangslage seiner persönlichen Lebenssituation nicht kennt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die falschen Entscheidungen treffen und keine positiven Veränderungen erleben. Deshalb widmet sich dieses Kapitel der Bestandsaufnahme deines Lebens – eine Vorgehensweise, mit der wir aus anderen Lebensbereichen vertraut sind: Der Arzt führt eine Anamnese durch, der Unternehmensberater beginnt das Projekt mit einer Ist-Analyse und beim TÜV wird der Pkw regelmäßig auf Herz und Nieren geprüft. Warum behandeln wir unser eigenes Leben eigentlich nicht mit derselben Sorgfalt wie unser Auto?
Strategischer »Sehtest« für dein Leben
Zur Durchführung eines strategischen »Sehtests« bietet sich das Tool der Sechs Säulen an. Es dient zur Vorbereitung von großen Veränderungsprozessen, strategischen Neuausrichtungen oder wenn Qualität und Ankerpunkte eines Unternehmens lange nicht mehr untersucht worden sind. Mithilfe eines standardisierten Fragenkatalogs wird eine umfangreiche qualitative und quantitative Organisationsdiagnose vorgenommen. Die Grundidee basiert auf dem Qualitätsmanagement-System des Total-Quality-Managements3, das in der japanischen Automobilindustrie von dem Amerikaner William Edwards Deming federführend entwickelt und schließlich als Erfolgsmodell etabliert wurde. Die Anzahl der zu untersuchenden Kriterien kann sich je nach Anwendungsfall unterscheiden, doch Sinn und Zweck bleiben immer gleich: Das Tool ermittelt auf Basis einer Selbstbewertung die Stärken und Verbesserungspotentiale einer Unternehmung.
Das Prinzip des Qualitätsmanagements lässt sich in Form des strategischen »Sehtests« auf unser Leben übertragen: Ein modifizierter Fragenkatalog hilft dabei, sich auf große Lebensveränderungen oder eine persönliche Neuorientierung vorzubereiten, und dient als Leitfaden, wenn Lebensqualität und Ankerpunkte eines Lebensentwurfes lange nicht mehr untersucht worden sind. Mit anderen Worten: Der strategische »Sehtest« ist das ideale Werkzeug, um sich als CEO einen groben Überblick über sein eigenes Leben zu verschaffen.
Grundgedanken verinnerlichen
Stellen wir uns für einen Augenblick vor, dass wir der Inhaber eines großen börsennotierten Familienunternehmens sind. Als Inhaber einer Aktiengesellschaft werden wir von einem Aufsichtsrat beraten und kontrolliert. Nun müssen wir in einer Sitzung die Aufsichtsratsmitglieder über den Flop eines neuen Produktes informieren, das wir vor zwei Monaten noch voller unternehmerischem Esprit als zukünftige »Cash Cow« angepriesen haben. Wie würden unsere Zuhörer reagieren, wenn wir den Kunden die Schuld für die Misere gäben? Was würden sie uns entgegnen, wenn wir den Grund beim zu geringen Budget für die Entwicklung des Produktes suchten? Wie würden sie sich verhalten, wenn wir den Schwarzen Peter den Unternehmensberatern zuschieben, die eine wettbewerbsfähige Preislage kalkuliert hatten? Die Mitglieder des Aufsichtsrates würden diese Ausreden nicht gelten lassen und uns daran erinnern, dass wir der Inhaber und Hauptverantwortliche des Unternehmens sind.
Jeder von uns kennt das: Wenn etwas in unserem Leben nicht so gelaufen ist, wie wir es uns ausgemalt haben, neigen wir dazu, die Schuld von uns zu schieben. Plötzlich sind andere Menschen, wie unsere Eltern, unser früherer Chef, eine Arbeitskollegin oder der Ex-Partner, »daran schuld«. Alternativ schieben wir den Schwarzen Peter den Umständen zu: Wir hatten zu wenig Zeit, zu wenig Geld oder zu wenig Kontakte. Das Tool der Sechs Säulen betont den Grundgedanken jeder persönlichen Weiterentwicklung: Sei dein eigener Aufsichtsrat und lasse deine Ausreden nicht gelten. Du bist der CEO deines Lebens. Übernimm die Verantwortung!
Persönliche Entwicklung beginnt damit, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen: Du bist der CEO deines Lebens.
Die inhaltliche Schnittmenge zwischen den sechs Säulen eines Unternehmens und den sechs Säulen unseres Lebens ist groß. Gleichwohl macht es Sinn, eine begriffliche Schärfung vorzunehmen. Die nächsten sechs Abschnitte erläutern die sechs Säulen, aus denen sich später die zu bewertenden Aussagen ableiten lassen.
Unternehmenssäule | Lebenssäule |
Strategie und Beruf(ung)
Der etymologische Ursprung von »Strategie« liegt im griechischen »stratēgía«, der Feldherrnkunst. Der chinesische Militärstratege und Philosoph Sun Tzu (544 – 496 v. Chr.) verfasste Die Kunst des Krieges, das als erstes Buch über Strategie gilt. Ein Standardwerk der Strategieliteratur ist Vom Kriege, ein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts posthum veröffentlichtes Werk des preußischen Offiziers Carl von Clausewitz.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der militärische Erfahrungsschatz auf wirtschaftliche Sachverhalte übertragen. Das kriegerische Vokabular wurde dabei gleich mitübernommen, was Ausdrücke wie »Preiskampf« oder »Übernahmeschlacht« zeigen. Als Strategie bezeichnet man hierbei die unter Berücksichtigung der Ressourcenbindung mittel- bis langfristig geplanten Verhaltensweisen eines Unternehmens zum Aufbau langfristiger Wettbewerbsvorteile und zur Sicherung der Überlebensfähigkeit.
Auch wenn für viele Menschen das Leben eher ein Kampf ist, bedeutet Strategie für uns als CEO nicht die Kunst des Krieges, sondern die Kunst der Lebensführung: Eine gute Lebensstrategie berücksichtigt unsere persönlichen Potentiale, um unser Alleinstellungsmerkmal finden und unsere private und berufliche Berufung ausleben zu können. Worauf basierte bislang die Strategie deines Lebens? Übst du einen Beruf aus oder bist du zu etwas...