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E-Book

Selbstbetrachtungen

AutorMarc Aurel
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843800136
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
'(...) notwendig unglücklich werden müssen diejenigen, welche den Bewegungen ihrer eigenen Seele nicht mit ihren Gedanken folgen.' Marc Aurel Marc Aurel ging nicht nur als angesehener römischer Kaiser in die Geschichte ein. Der Nachwelt erhalten bleibt er vor allem durch seine um 170 n.Chr. im Feldlager verfassten Selbstbetrachtungen. Als eines der ersten schriftlichen Zeugnisse überhaupt haben sie den eindringlichen 'Dialog' eines Ichs mit sich selbst zum Gegenstand. Seine Aphorismen stellen den Versuch dar, auf die 'ewigen Fragen' nach Vergänglichkeit, der Rolle des Individuums im Kosmos, den Möglichkeiten nach Selbstvervollkommnung und innerer Freiheit eine punktuelle Antwort zu finden. Ihre Verankerung haben sie im philosophischen Lehrgebäude der Stoa, die besagt, dass allen Lebenszusammenhängen ein universelles göttliches Prinzip - der Logos - zugrunde liegt.

Marcus Aurelius Antonius wurde am 26. April 121 n.Chr. in Rom geboren. 138 n.Chr. wurde er als Princeps eingesetzt. Das Denkmal als charismatischer römischer Kaiser und kluger Philosoph, das er sich noch zu Lebzeiten setzte, verdankt sich wesentlich der von ihm geleisteten Verknüpfung von politischer Philosophie und Herrschaftspraxis, die sich in seiner Leitvorstellung von der Gleichheit und Freiheit aller Menschen manifestiert. Marc Aurel starb 180 v. Chr. an den Folgen der Pest.

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Leseprobe

Erstes Buch


1.


Von meinem Großvater Verus habe ich gelernt, leutselig und sanftmütig zu sein.

2.


Vom ruhmvollen Andenken meines Vaters erhielt ich den Antrieb zu einem bescheidenen und zugleich männlichen Wesen.

3.


Meine Mutter flößte mir den Sinn ein für Frömmigkeit, Freigiebigkeit und Enthaltsamkeit nicht nur von bösen Taten, sondern auch von bösen Gedanken, überdies Liebe zu einer einfachen und mäßigen, von der Üppigkeit der Reichen abweichenden Lebensweise.

4.


Meinem Urgroßvater habe ich es zu verdanken, dass ich keine öffentliche Schule zu besuchen brauchte, vielmehr zu Hause den Unterricht guter Lehrer genießen durfte und daneben einsehen lernte, dass man in solchen Dingen keine Ausgaben sparen soll.

5.


Mein Erzieher ermahnte mich, weder für die Grünen noch für die Blauen im Zirkus Partei zu nehmen und ebensowenig für die Rundschilde, als für die Langschilde unter den Gladiatoren, dagegen an Ausdauer in Anstrengungen, Zufriedenheit mit Wenigem und an Selbsttätigkeit mich zu gewöhnen, mich nicht in fremde Angelegenheiten zu mischen und gegen Verleumdungen mein Ohr zu verschließen.

6.


Diognetus warnte mich vor dem Trachten nach eitlen Dingen und dem Glauben an das Gerede der Gaukler und Schwarzkünstler von Verschwörungen, Geisterbann und dergleichen Dingen, vor der Wachtelpflege und ähnlichen Liebhabereien und lehrte mich, Freimütigkeit zu ertragen und mit der Philosophie mich zu befreunden. Auf seinen Rat hörte ich den Bacchius, hierauf den Tandasis und Marcianus, verfasste als Knabe Dialoge und verlangte für mich bloß ein Feldbett und eine Tierhaut zum Nachtlager und was sonst noch zur Lebensweise griechischer Philosophen gehört.

7.


Von Rusticus stammt bei mir die Überzeugung, ich müsse an meiner Besserung und Charakterbildung arbeiten, dagegen den Ehrgeiz leidenschaftlicher Sophisten vermeiden, dürfe auch nicht leere Theorien abhandeln, noch mit der Miene eines Sittenpredigers Reden vortragen, noch in augenfälliger Weise den Büßer oder Menschenfreund spielen. Desgleichen sollte ich mich von rhetorischem und poetischem Wortgepränge und sonstiger Schönrednerei fernhalten, auch zu Hause nicht im Staatskleid einherschreiten, noch anderes derart treiben. Von ihm lernte ich auch einfache, kunstlose Briefe schreiben, wie er selbst einen von Sinuessa aus an meine Mutter schrieb, meinen Widersachern und Beleidigern bereitwillig und versöhnlich entgegenkommen, sobald sie selbst geneigt wären, wieder einzulenken, Schriften aufmerksam lesen, mich nie mit oberflächlicher Betrachtung zufrieden geben und Schwätzern nicht vorschnell beipflichten. Er hat mich auch mit Epiktets Abhandlungen bekannt gemacht, die er mir aus seiner Hausbibliothek weitergab.

8.


Von Apollonius habe ich die freie Denkart, die ohne Wanken doch bedachtsam ist und nicht im mindesten etwas anderes als die Vernunft sich zum Leitstern wählt, sowie den steten Gleichmut unter den heftigsten Schmerzen, beim Verlust eines Kindes, in langwierigen Krankheiten. Er war mir ein lebendiges Beispiel, wie man zugleich in hohem Grade eifrig und doch nachsichtig sein könne. Ich sah in ihm einen Mann, der bei seinem Unterricht sich nichts verdrießen ließ, und der dabei auf seine Geschicklichkeit und Gewandtheit im Lehrvortrag durchaus nicht eingebildet war. Er zeigte mir endlich auch, wie man sogenannte Gefälligkeiten von Freunden aufzunehmen habe, ohne dadurch in Abhängigkeit von ihnen zu geraten, aber auch ohne gefühllos darüber hinwegzugehen.

9.


Von Sextus lernte ich wohlwollend sein, an seinem Beispiel, meinem Hause als Vater wohl vorstehen; ihm verdanke ich den Vorsatz, der Natur gemäß zu leben, eine ungekünstelte Würde des Benehmens und das Bemühen, die Wünsche der Freunde zu erraten, die Geduld gegen Unwissende und gegen Leute, welche an bloßen Vorurteilen kleben, endlich die Kunst, mich in alle Menschen zu schicken. Daher lag im Umgang mit ihm selbst mehr entgegenkommende Freundlichkeit als in aller Schmeichelei, und doch stand er zu gleicher Zeit bei denselben Menschen in größter Achtung. Er befähigte mich, die zur Lebensweisheit erforderlichen Grundsätze auf eine überzeugende und regelrechte Art aufzufinden und zu ordnen, nie dem Zorn oder einer anderen Leidenschaft Raum zu geben, aber zugleich mit dieser völligen Leidenschaftslosigkeit die Regungen der zärtlichsten Liebe zu verbinden und mich eines guten Rufes, jedoch ohne viel Aufhebens, und eines reichen Wissens, aber ohne Prahlerei, zu befleißigen.

10.


Von Alexander, dem Grammatiker, lernte ich, mich des Tadels und verletzender Vorwürfe gegen Leute, welche einen fremdartigen und sprachwidrigen oder übelklingenden Ausdruck vorbrachten, zu enthalten, vielmehr durch die Wendung der Antwort oder der zustimmenden Bestätigung oder der gemeinschaftlichen Untersuchung über die Sache selbst, nicht über den Ausdruck, oder sonst durch eine derartige passende, beiläufige Erinnerung es ihnen nahe zu legen, wie sie sich hätten ausdrücken sollen.

11.


Phronto verhalf mir zur Einsicht, dass Missgunst, Verschlagenheit und Heuchelei die Folgen der Willkürherrschaft seien und dass im allgemeinen diejenigen, welche bei uns Adlige heißen, weniger Menschenliebe besitzen als andere.

12.


Alexander, der Platoniker, gab mir die Anweisung, nicht oft und nie ohne Not mündlich oder schriftlich jemand zu erklären, dass ich für ihn keine Zeit habe, und nicht auf solche Weise unter dem Vorwand dringender Geschäfte die Erfüllung der Pflichten beständig zurückzuweisen, welche die Verhältnisse zu unseren Mitmenschen uns auferlegen.

13.


Catulus ermahnte mich, Klagen eines Freundes, auch wenn er solche ohne Grund vorbringe, nie geringschätzig aufzunehmen, sondern vielmehr zu versuchen, sein altes Vertrauen zu gewinnen; desgleichen, wie das auch von Domitius und Athenodotus gerühmt wird, von meinen Lehrern mit Wärme Gutes zu reden und meine Kinder wahrhaft zu lieben.

14.


Mein Bruder Severus war mir ein Vorbild in der Liebe zu meinen Angehörigen sowie der Wahrheit und des Rechtes. Durch ihn wurde ich bekannt mit Thraseas, Helvidius, Cato, Dion und Brutus und gewann eine Vorstellung von einem Staat, der nach gleichen Gesetzen und nach dem Grundsatz der Bürger- und Rechtsgleichheit verwaltet, und von einem Reich, wo die Freiheit der Bürger höher denn alles geachtet wird. Von ihm wurde ich ferner angeleitet, in standhafter Achtung der Philosophie zu beharren, wohltätig und freigiebig zu sein, von meinen Freunden das Beste zu hoffen und auf ihre Liebe zu vertrauen, auch etwaige Missbilligung ohne Rückhalt gegen sie auszusprechen und ihnen offenherzig kund zu tun, was ich von ihnen erwarte und was nicht, ohne sie dies erst lange erraten zu lassen.

15.


Maximus überzeugte mich von der Pflicht der Menschen, sich selbst zu beherrschen, sich durch nichts vom rechten Wege abbringen zu lassen, unter allen Umständen und namentlich in Krankheiten guten Mutes zu bleiben, einen aus Milde und Würde gemischten Charakter sich anzueignen und ohne Murren die vorliegenden Geschäfte zu besorgen. Von ihm selbst glaubte jedermann, er rede, wie er denke, und tue nichts von dem, was er tue, in schlimmer Absicht. Nie ließ er sich von Bewunderung oder Staunen hinreißen, nirgends zeigte er Übereilung oder Saumseligkeit, nie war er ratlos, niedergeschlagen, ausgelassen freundlich oder zornig oder argwöhnisch. Wohltätig, versöhnlich, ein Feind der Lüge, gewährte er das Bild eines edlen Mannes, an dem nichts zu bessern ist. Nie glaubte jemand, von ihm verachtet zu sein, und nie wagte es jemand, sich über ihn zu erheben. Auch im Scherze war er auf Anmut bedacht.

16.


Das Leben meines Vaters war für mich eine Schule der Milde und doch zugleich auch der unerschütterlichen Beständigkeit in allem, wofür er sich einmal nach reiflicher Erwägung entschieden hatte. Er war unempfindlich gegen jede Eitelkeit auf anscheinende Ehrenbezeigungen, ein Freund der Tätigkeit und unverdrossen darin, hörte er gern gemeinnützige Vorschläge anderer an, ließ sich durch nichts abhalten, jeden nach Verdienst zu behandeln, wusste recht wohl, wo man die Zügel anziehen und wo nachlassen müsse. Von der Knabenliebe entwöhnt, hatte er nur noch Sinn fürs Gemeinwohl; seinen Freunden erließ er den Zwang, immer mit ihm zu speisen oder auf seinen Reisen ihn stets zu begleiten; diejenigen aber, welche dringender Umstände wegen hatten zurückbleiben müssen, fanden ihn bei seiner Rückkehr gleichgestimmt. In seinen Erwägungen prüfte er zuerst gründlich, bestand aber dann auch auf ihrer Ausführung; auch trat er nie vor der Zeit von der Untersuchung zurück, noch begnügte er sich mit den ersten besten Einfällen. Seine Freunde suchte er sich zu erhalten und wurde ihrer weder überdrüssig, noch war er unvernünftig für sie eingenommen. In jeder Lage zufrieden, war er stets heiter; auf die Zukunft nahm er von ferne schon Bedacht und traf ohne viel Aufhebens für die geringsten Dinge Vorkehrungen. Allen Beifall und jede Schmeichelei wies er zurück. Auf die Staatsbedürfnisse war er jederzeit wachsam und haushälterisch beim Ausgeben öffentlicher Gelder, und ließ den Tadel solcher Grundsätze willig über sich ergehen. Um die Gunst der Götter buhlte er ebensowenig auf abergläubische Weise, als um die Gunst der Menschen durch Künste der Gefallsucht oder durch Begünstigung des Pöbels; vielmehr war er in allem nüchtern und fest, nirgends unanständig, noch neuerungssüchtig. Die Güter, welche das Leben angenehm machen und die ihm das...

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