1. Das Heilungsprogramm:
Achtsamkeit
Das Wissen, dass diese Vernetzung des Universums besteht, dass wir alle miteinander verbunden sind, dass wir mit dem Universum auf fundamentaler Ebene verbunden sind, ist meiner Ansicht nach eine gute Erklärung für Spiritualität.
Stuart Hameroff
Seit undenklichen Zeiten spielt der Geist das Spiel des Lebens mit sich selbst. Dabei trägt der Geist, der sich als Bewusstsein manifestiert und als Mensch in Erscheinung tritt, alle Möglichkeiten in sich: von animalischer Unbewusstheit bis zu göttlicher Klarheit, von Angst, Krankheit und Leid bis hin zur Erleuchtung und Vollkommenheit. Jeder Teil des einen Bewusstseins hat in jedem Augenblick die Freiheit der Wahl, und diese Freiheit ist ständig präsent, ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Sie können in jedem Augenblick neu entscheiden, wie Ihr Leben verlaufen soll, in welchen Umständen Sie leben und was geschieht, zum Beispiel gesund zu sein. Das Bewusstsein kann in diesem Spiel jede beliebige Rolle spielen: vom Mörder bis zum Meister. Wichtig ist nur, dass es nie vergisst, dass es eine Rolle spielt, dass das Ganze ein Spiel ist.
Ein Bettler auf der Straße kann deprimiert sein, weil er ein Bettler ist. Der Schauspieler im Theater, der einen Bettler spielt, ist nicht deprimiert. Er leidet nicht unter dem Bettler-Sein, weil er weiß, dass er eine Rolle spielt. Seine einzige Absicht ist, diese Rolle des Bettlers so gut wie möglich zu spielen. Wenn wir uns also bewusst sind, eine Rolle zu spielen – ganz gleich welche –, dann sollten wir, solange wir diese Rolle spielen, die Rolle so gut wie möglich spielen. Wir sollten auch wissen: Sobald wir aufgehört haben, uns mit unserer Rolle zu identifizieren, hört alles mit der Rolle verbundene Leid auf. Täuschen wir uns aber in unserer Identifikation, verursachen wir damit automatisch eine schmerzhafte Enttäuschung.
Das Ziel in diesem Spiel ist, die Illusion des von allem getrennten Ich aufzulösen. Auf welchem Weg das geschieht, kann jeder Aspekt des einen Bewusstseins frei wählen. Aber alles, was wir erleben, will uns nur zu uns selber zurückführen. So lange erfahren wir uns selbst in immer neuen Aspekten.
Aber sollten wir uns immer wieder fragen: »Welche Rolle spiele ich derzeit im Spiel des Lebens?« Die Antwort wird natürlich bei jedem unterschiedlich ausfallen. Haben Sie überhaupt ein spielenswertes Lebens-Spiel gefunden?
Vielleicht helfen Ihnen folgende Fragen weiter: Als WER lesen Sie dieses Buch? Wer hält in diesem Augenblick das Buch in den Händen? Jetzt ganz konkret! Was ist Ihre Antwort? Wer liest das Buch? – Sie sagen wahrscheinlich: »Ich.« Das scheint eine klare Antwort zu sein, oder nicht? Aber was bedeutet »ich«? Wer ist »ich«? »Ich« ist ja nur ein Wort, ein Name, ein »Nomen«. Was repräsentiert das Wort »ich«? Vielleicht sagen Sie: »Das ist meine Persönlichkeit. Ich identifiziere mich mit meiner Persönlichkeit.« Vielleicht haben Sie noch andere Identifikationen: mit Ihrem Körper, mit Ihrem Verstand, mit Ihrer Seele, mit Ihrem Wollen.
Meine Frage »Wer ist ›ich‹?« war natürlich eine Fangfrage. Denn ganz gleich, was Sie geantwortet haben, jede Antwort ist falsch. Alles, womit Sie sich identifizieren, sind Sie nicht. Sie sind natürlich nicht der Körper; Sie haben einen Körper. Wenn Sie vor dem Spiegel stehen, sagen Sie: »Das ist mein Körper.« Also muss da jemand sein, der das sagen kann. Der Körper hat einen »Besitzer«, er kann die Aussage ja nicht selbst treffen.
Sie sind auch nicht Ihre Seele. Sie sind nicht Ihr Wollen. Sie haben eine Absicht, die Sie durch Ihren Willen in die Tat umzusetzen versuchen. Aber Sie sind der, der sie in die Tat umsetzt. Sie sind nicht Ihr Verstand; Sie sind der, der ihn benutzt, der denkt, der Denker. Sie sind natürlich auch nicht Ihr Gemüt; Sie haben ein Gemüt. Sie sind der, der fühlt, mit diesem Instrument Gemüt.
Wer sind Sie also? Die Antwort kann nur heißen: Bewusstsein! Diese Erkenntnis ist für unser Heilungsprogramm außerordentlich wichtig.
Wenn wir alles loslassen, was wir nicht sind, dann bleibt am Ende das ewige Bewusstsein mit der Kurzformel ICH BIN, also ein Bewusstsein ohne jede Identifikation mit irgendetwas Vergänglichem.
Der erste, unverzichtbare Schritt ist, zu Bewusstsein zu kommen und zu erkennen: Körper, Verstand, Wollen – das alles bin ich nicht. Ich bin Bewusstsein. Das andere sind meine Instrumente, meine Werkzeuge, meine Kleider, ganz gleich, wie Sie es nennen. Sie sagen ja auch nicht: »Ich bin mein Auto.« Sie benutzen Ihren Wagen, aber Sie sind es nicht. Sie können (aus Ihrem Auto oder aus Ihrem Körper) ein- und aussteigen. Sie sind Bewusstsein.
Wir müssen für den Weg der Heilung, den ich Ihnen in diesem Buch ans Herz lege, zu Bewusstsein kommen. Das Bewusstsein ist natürlich keine Person; es ist ohne Eigenschaften, leerer Raum. Wenn Sie sich Bewusstsein als jemanden vorstellen, sind Sie wieder in einer Sackgasse. Wir müssten also, damit wir gleich in die richtige Richtung gehen, miteinander sein, ohne jemand zu sein.
Probieren Sie es gleich einmal aus. Seien Sie doch einfach nur präsent. Machen Sie sich keinen Gedanken, wer da präsent ist. Sondern spüren Sie nur: ICH BIN da. Seien Sie ganz da. Seien Sie nicht jemand. Lösen Sie sich aus jeder Identifikation. Seien Sie nur da, ganz und vollkommen präsent.
Damit werden Sie immer wesentlicher, kommen immer mehr in den Bereich des SEINS, den heilsamen Kern in Ihnen. Ein Ergebnis dieses ICH-BIN-Bewusstseins ist Gewahrsein. Wenn Sie ganz präsent sind und sich aus jeder Identifikation gelöst haben, sind Sie im Gewahrsein; dann sind Sie reine Wahrnehmung ohne einen Wahrnehmenden. Es ist niemand da, der wahrnimmt, aber da ist die reine Wahrnehmung.
Jetzt können Sie etwas wahrnehmen, wie es ist – ohne vergangene Erfahrungen, zukünftige Erwartungen oder Befürchtungen. Jetzt können Sie auch einen Menschen ganz emotionsfrei wahrnehmen, ganz so, wie er ist.
Wenn Sie diesen Schritt vollziehen, sind Sie wirklich präsent. Dann brauchen Sie alle Identifikationen nicht mehr. Dann sind Sie da. Dann sind Sie auch Sie selbst. Dann haben Sie die erste und wichtigste Voraussetzung geschaffen für geistige Heilung. Denn Heilung vollzieht sich nur im Bewusstsein. Wir müssen also zunächst einmal BEWUSST sein, EINS mit allem sein – ohne Anhaftung an Konkretes, Zeitliches, Räumliches. Einen solchen Zustand nennt man eigentlich Erleuchtung, und wir können ihn auf dem Weg der Präsenz erreichen: frei jeglicher Identifikation sein, einfach nur präsent sein, reine Wahrnehmung sein, reiner Geist sein.
Ich lade Sie zu einer solchen Übung der Achtsamkeit und Präsenz ein:
Erlauben Sie sich einmal, ganz achtsam zu sein. Lassen Sie jedes Aufpassen los. Achtsamkeit ist nicht Aufpassen. Achtsamkeit ist einfach nur Offenheit, Wahrnehmen. Sie brauchen nichts zu tun. Sie müssen nicht achtsam sein. Achtsamkeit ist etwas, das ist. Sie öffnen sich einfach und sind bereit für Achtsamkeit.
Betrachten Sie eine Blume, zum Beispiel eine Rose, eine Orchidee. Anfänglich gehen Ihnen dabei viele Gedanken durch den Kopf: Woher habe ich sie, wer hat sie mir geschenkt, wann haben ich sie das letzte Mal gegossen…? Lassen Sie alle diese Gedanken kommen und gehen, aber bleiben Sie bei dem Anblick der Blume. Sie werden nach einiger Zeit (das können zwanzig Minuten sein!) feststellen: Je weniger Gedanken Sie sich zu dieser Blume machen, desto achtsamer sind Sie der Blume gegenüber, desto mehr nehmen Sie sie JETZT wahr, so wie sie IST, desto mehr werden Sie EINS mit der Blume.
Vielleicht sind Sie immer berauschter von der Schönheit der Blume, ihrer Ausstrahlung, ihrem Da-Sein, erfasst Sie ein Schauder des Wunders der Schöpfung. Dann sind Sie achtsam. In diesem Augenblick. Dieser Blume und sich selbst gegenüber.
Sie haben nicht wirklich etwas getan, sondern nur die Blume so lange betrachtet, bis sich jeder störende Gedanke wie ein Nebel verzogen hat und Ihre Achtsamkeit kristallklar geworden ist.
Es ist doch ganz einfach! Also setzen Sie diese Übung sofort um. Nehmen Sie einen Gegenstand, der Ihr Herz erfreut: eine schöne Blume, eine brennende Kerze, ein Foto einer geliebten Person (das können Sie selbst sein!), den Blick in die freie Natur. Es wird Ihnen das Passende einfallen. Und dann schenken Sie diesem Erleben Ihre ganze Achtsamkeit – eine halbe Stunde, eine Stunde – wie lange auch immer, bis der Betrachtende und das Betrachtete in Ihnen EINS werden und Sie diese Präsenz des Lebens in seiner Vollkommenheit erfahren. Es ist nur eine kurze Zeit der Übung, die Ihr Leben dramatisch verändern kann. Legen Sie das Buch zur Seite. Machen Sie es. Bitte. Jetzt.
Der Unterschied zwischen Aufpassen und Achtsamkeit ist der gleiche wie zwischen krampfhafter und entspannter Konzentration. Wir lernen in der Schule irgendein krampfhaftes Bemühen, das wir Konzentration nennen. Das heißt: aufpassen, was der...