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Wir hören niemals auf

Geschichte der Fanszene von Austria Salzburg

AutorMartin Hassler
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783746050751
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
In diesem Buch wird die Geschichte der violetten Anhängerschaft, ausgehend von den Anfängen einer organisierten Fanszene in den 1970er Jahren bis hin zur Beinahe-Pleite der Austria in der Saison 2015/16, ausführlich nachgezeichnet. Analysiert wird diese turbulente Entwicklung dabei anhand unterschiedlichster Kriterien, wie etwa Gewalttätigkeit & Ausschreitungen, Ausdrucksmittel & Anfeuerungsrituale oder Freundschaften & Rivalitäten.

Martin Hassler ist selbst Anhänger des SV Austria Salzburg. Im Rahmen seines Studiums setzte er sich auch auf wissenschaftlicher Ebene mit den Themen Fans und Fankultur auseinander. Das Thema "Geschichte der Fanszene von Austria Salzburg" war schließlich Gegenstand seiner Diplomarbeit.

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Leseprobe

3. Jugendliche & Identitätsfindung

3.1 Personale und Soziale Identität

Geht man davon aus, dass die Mitglieder von Fankurven und Fanszenen im Fußball vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene sind, dann ist anzunehmen, dass diese Aktivitäten enormen Einfluss auf die Persönlichkeit der Heranwachsenden haben und somit stark identitätsstiftend wirken. Es erscheint daher sinnvoll, sich zuallererst mit Konzepten der Identität auseinanderzusetzen. Die Frage nach ebendieser, woraus sie sich zusammensetzt und wie sie entsteht, beschäftigt die Menschheit seit Jahrhunderten.

Die Identität entwickelt sich bei Jugendlichen insbesondere über die Fragen „Wer bin ich?“, „Wozu bin ich da?“, „Wo ist mein Platz in der Gesellschaft?“ oder „Wie werde ich von anderen gesehen?“.13 In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Selbstkategorisierungstheorie (SCT) von Turner et al. (1987) von Bedeutung. In dieser wird zwischen der Personalen und der Sozialen Identität unterschieden.14 Beide beruhen auf Selbstkategorisierungen. Während erstere auf der Zuordnung der eigenen Person zu einer einzigartigen, individuellen Kategorie („ich“) basiert, definiert sich die Soziale Identität über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe („wir“), welche sich von anderen Kategorien und Gruppen bewusst abgrenzt.15 Eine Person gehört jedoch immer mehreren sozialen Gruppen an, sei es durch die Ausübung des Berufs, der Mitgliedschaft in einem Verein oder auch nur durch die Zugehörigkeit zu Geschlecht, Religion oder Nation. Die Soziale Identität besteht daher aus vielen verschiedenen, ineinander geschachtelten sozialen Identitäten, die nicht zwingend in einem System der logischen Über- und Unterordnung stehen müssen.16 Es stellt sich die Frage, welche Gruppenzugehörigkeiten tatsächlich die Soziale Identität und damit die Selbst-Definition einer Person beeinflussen. Gemäß der SCT sind dafür zwei Faktoren entscheidend: die Bereitschaft der betreffenden Person sowie die sozial-kontextuelle Passung. Die Bereitschaft, eine Identität anzunehmen, ist vor allem von Vorerfahrungen, allgemeinen Werten sowie aktuellen Zielen abhängig. Bei der sozial-kontextuellen Passung gilt das Meta-Kontrast-Prinzip: die Homogenität innerhalb der eigenen Gruppe sollte maximiert werden, während die Ähnlichkeit zu „gegnerischen“ Gruppen auf ein Minimum reduziert werden sollte.17 Gelingt dies nicht, ist der Austritt aus der eigenen Gruppe die logische Folge. Eine andere Möglichkeit wäre hingegen der Versuch die eigene Gruppe aufzuwerten.18 Ist dies der Fall, kann man davon ausgehen, dass die Gruppenzugehörigkeit der Person enorm gefestigt ist und sie somit bereits integraler Bestandteil der Sozialen Identität geworden ist.

Es ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass die Mitgliedschaft in sozialen Gruppen – welcher Art auch immer – einen bedeutsamen Einfluss auf Jugendliche ausübt und deren Identitätsbildung maßgeblich von Ideologie, Mentalität, Moral und Werten der jeweiligen Gruppe beeinflusst wird. Im Folgenden soll nun der konkrete Einfluss von Jugendkulturen und Fangruppierungen beleuchtet werden.

3.2 Die Rolle von Jugendkulturen

Die Gesellschaften in den westeuropäischen Staaten unterlagen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einem stetigen Wandel. Obgleich die soziale Ungleichheit weitgehend konstant war oder sich gar gesteigert hat, kam es zu tiefgreifenden Veränderungen der Lebensbedingungen der Menschen und in der Folge zur Auflösung der sozialen Klassen.19 Dies führte laut Ulrich Beck zu einem Zeitalter der Unsicherheit, wofür er den Begriff „Risikogesellschaft“ prägte. Hervorgerufen wurde diese Risikogesellschaft vor allem durch Individualisierungsschübe, welche durch drei Dimensionen gekennzeichnet sind:20

  • Freisetzung: die Menschen werden aus traditionellen gesellschaftlichen Bindungen und Erwartungen, wie sozialen Klassen oder Geschlechterrollen, herausgelöst.
  • Stabilitätsverlust: traditionelle Sicherheiten in Bezug auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen gehen verloren.
  • Wiedereinbindung: durch die Herauslösung aus traditionellen Sozialformen wird die Suche nach einer neuen Art der sozialen Einbindung notwendig.

Diese zunehmende Individualisierung barg Risiken und Unsicherheiten, brachte jedoch auch einige Vorteile mit sich. Jugendliche verfügten nun früh über eigene Wahlmöglichkeiten, eigenes Geld, eigene Zeit oder eigenen Wohnraum.21 Dem standen die „Schattenseiten“ resultierend aus den genannten drei Dimensionen der Individualisierung gegenüber. An sich positive Veränderungen wie zunehmende soziale Sicherheiten, mehr Bildungsmöglichkeiten, erhöhte Mobilitätsprozesse oder eine Ausweitung der Konkurrenzbeziehungen zogen negative Auswirkungen nach sich: die Jugendlichen fielen zunehmend in ein Vakuum, in dem sie auf sich alleine gestellt waren und sich nicht mehr an vorgefertigten, traditionellen Handlungsmustern orientieren konnten, die den Integrationsprozess in die Erwachsenenwelt erheblich erleichtert hatten.22 Hinzu kamen aufwändige Stadtteilsanierungen, wodurch alte, gewachsene Wohnquartiere von urbanen Großstadtsiedlungen verdrängt wurden, in denen die Nachbarschaftsverhältnisse weitaus weniger intensiv ausgeprägt waren.23 Dies war somit ein weiterer Punkt, in dem Jugendliche mit einem Verlust von Solidarität, sozialer Gemeinschaft und Wir-Gefühl konfrontiert waren.24

All diese Entwicklungen führten dazu, dass sich Jugendliche auf der Suche nach Identität und Selbstverwirklichung nach Alternativen umsehen mussten. Daher gewannen ab Mitte der 1960er Jahre Jugendkulturen und Gruppen von Gleichaltrigen zunehmend an Bedeutung. Diese waren gewissermaßen eine „jugendspezifische Antwort auf die Zerschmelzung der sozialen Milieus und die Veränderung der Integration, um die aufkommenden Vereinzelungsprozesse zumindest vorübergehend kollektiv ,abzufedern'“.25 Heute stellt die Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur zumeist einen wichtigen Bestandteil im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen dar, der vor allem durch einen chaotischen Suchprozess und das Ausprobieren verschiedenster Beschäftigungen, Kulturen und Trends gekennzeichnet ist.26 Doch was genau ist eigentlich eine Jugendkultur? Klaus Hurrelmann nennt vier Merkmale solcher Gruppierungen:27

  • Situationsabhängig: In vielen Fällen gründen sich Jugendkulturen zu bestimmten Anlässen und brechen wieder auseinander, sobald diese nicht mehr bestehen.
  • Spielregeln: Innerhalb der Gruppe existieren klare Verhaltensregeln, an die sich jedes Gruppenmitglied zu halten hat. Diese Regeln dienen vor allem dazu, Spannungen auszuhalten und Freundschaften zu festigen.
  • Abgrenzung: Durch gemeinsame Handlungsorientierungen erfolgt eine Abgrenzung zu anderen Gruppen, wodurch sich eine Gruppenidentität herausbildet.
  • Entwicklung von Handelskompetenzen: Die Jugendgruppen bieten einen Rahmen, in dem Erlebnisse und einzigartige Erfahrungen gesammelt werden können, wie dies in anderen Umgebungen nicht der Fall wäre.

Die Kernaufgabe von Jugendkulturen ist die Entwicklung einer eigenständigen, möglichst positiven Identität bei Jugendlichen.28 Durch die eben genannten Merkmale scheinen Gleichaltrigengruppen in der Tat einen geeigneten Rahmen zur Erreichung dieses Zieles zu bieten.

3.3 Die Fankurve als identitätsstiftender Raum

Dass auch die Zugehörigkeit zu einer Fankurve bzw. einem Fanclub solch eine identitätsstiftende Jugendkultur darstellt, steht außer Zweifel. Durch die sozialhistorische Entwicklung des Fußballs entstanden eigenständige Subkulturen, in denen Wertvorstellungen über Generationen hinweg vermittelt wurden und Jugendliche somit bis heute einen geeigneten Raum zur Entwicklung einer eigenständigen und selbstbewussten Identität vorfinden.29 Bei einer Mitgliedschaft in einem Fanclub geht der soziale Gehalt noch weit über das Spiel selbst hinaus. So trifft man sich beispielsweise auch zu selbst organisierten Fußballturnieren, Weihnachtsfeiern oder gemeinsamen Fernsehabenden.30 Das Spiel steht aber natürlich im Zentrum der Aktivitäten. So trifft man sich vor und nach den Spielen im Stammlokal oder reist gemeinsam zu Auswärtsspielen an. Im Stadion selbst sind es insbesondere die wiederkehrenden Rituale, die Jugendlichen in einer schnelllebigen Zeit, gekennzeichnet von Unsicherheiten in Berufs- und Privatleben, ein Gefühl von Konstanz und Sicherheit geben.31 In nahezu jeder Jugendkultur gibt es neben diesen ritualisierten Verhaltensformen auch spezielle Stile und Codes, wie etwa besondere Kleidung oder Symbole. In der Fankurve äußert sich dies zum Beispiel im Tragen von Fanschals oder Kleidung in den Vereinsfarben, jedoch gibt es auch innerhalb von...

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