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E-Book

Selbsthilfe für Messies (Fachratgeber Klett-Cotta, Bd.)

Ursachen verstehen - Änderungen wagen

AutorRainer Rehberger
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2013
ReiheFachratgeber Klett-Cotta 
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783608103717
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Beim Messie-Syndrom handelt es Rainer Rehberger zufolge sich um eine tiefgreifende Zwangsstörung, die meist mit anderen Problemen einhergeht: z. B. Depressionen oder Beziehungsschwierigkeiten. Das Buch enthält konkrete Hinweise zur Bewältigung der Störung. Zwanghaftes Sammeln und Kaufen, Vermüllen der Wohnung, grundsätzliches Nicht-aufräumen-Können: Messies und ihr Lebensraum sind beliebte Vorabend-Fernsehsujets. »Aufräumhelfer« weisen dann den Weg zurück ins geordnete Leben. Wie wenig hilfreich und zielführend diese nachgereichte »Erziehung zur Ordnung« ist, wird im Erklärungsansatz von Rainer Rehberger, DEM Experten für Messie-Fragen, schnell klar: Es handelt sich um eine tiefgreifende Zwangsstörung, die meist mit anderen Problemen einhergeht: z. B. Depressionen oder Beziehungsschwierigkeiten. Die Chance zur Überwindung der Störung liegt -  so der Messie-Experte - im Verstehen der seelischen Dimension. Das Buch - stellt die Ursachen der Störung allgemeinverständlich dar - ermöglicht Betroffenen die Einordnung ihrer ­Problematik - zeigt Ansätze zur Bewältigung auf, die jenseits von Aufräumhilfen funktionieren.

Rainer Rehberger, Dr. med. (1940-2019), war Facharzt für Psychotherapeutische und Innere Medizin, Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker in freier Praxis in Seefelden/Bodensee und in Berlin; Fachpublikationen zu den Themen: Trennungsangst, Trauerabwehr, Messie-Problematik.

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Leseprobe

• Wie Entwicklung verläuft

Nach heutigem Wissen entwickeln wir uns in enger Wechselwirkung zwischen angeborenen Anlagen und Umwelteinflüssen. Wir lernen in den ersten drei Jahren die physikalische und über unsere Familie die soziale Welt kennen und verinnerlichen unsere Erfahrungen mit beiden. Dies begründet unser Wissen von der Welt der Dinge und Geschehnisse und die Kenntnisse von den zwischenmenschlichen Beziehungen. Als Kinder werden wir so an die zeitliche und örtliche Strukturierung zahlreicher sozialer Einrichtungen, Begegnungen und Handlungen gewöhnt. Dabei werden uns die moralischen Werte und die sexuellen Normen in unserer Familie und unserem sozialen Umfeld vermittelt. So lernen wir die Grenzen kennen, mit denen wir in unserem Expansionsdrang und in unseren Bedürfnissen zugunsten anderer in der Gemeinschaft eingeschränkt werden. Wir werden mit unseren sozialen Gruppenzugehörigkeiten vertraut. Wir lernen vieles durch Vorbild und Gemeinsamkeit. Wir werden zusätzlich durch erzieherische Grenzsetzung, teils durch Unterwerfung, durch moralischen Druck und physischen Zwang an die bestehenden familiären und gesellschaftlichen Regeln angepasst.

• Bedeutung der Gefühle, ihre Abstimmung mit der Mutter und die Regulierung durch sie

Zentral für das Lernen im Baby-Alter ist die Gefühlsabstimmung (Affektsynchronisierung) zwischen uns und unseren Müttern. Wir üben mit unseren Müttern unsere Gefühlsregulierung ein, indem wir uns wechselseitig im Spiel, beim Füttern und Pflegen und im einfachen Beisammensein aufeinander beziehen. Auf unsere Hilferufe bei Hunger, Müdigkeit, Schmerz, Angst, kurz immer dann, wenn wir in Stress geraten und wenn wir nach der Mutter verlangen, geht die Mutter ausreichend feinfühlig auf uns ein. Die Mutter antwortet uns und versucht durch Füttern, Wiegen, Lindern, Beruhigen, Pflegen oder Spielen unseren Zustand wieder zu bessern. Sie erschließt uns so Möglichkeiten, unsere unangenehmen Gefühlszustände zu regulieren. Freudige und angenehme Zustände verstärkt sie, indem sie sich mit uns freut, uns ermuntert, anregt und anfeuert. So begegnen wir ihr und mehr und mehr auch anderen in wechselnden Gefühlszuständen. Wir können uns wechselseitig durch unser blitzschnelles, gegenseitiges Erkennen unserer Gefühle wahrnehmen und beeinflussen. Wir nehmen die Mutter unablässig an den Augen, der Mimik, der Stimme und an den Bewegungen und Berührungen wahr. Ist die Resonanz mit der Mutter stimmig, lässt sich z. B. Stress vom Kleinklind besser bewältigen. Diese enge Verbundenheit erlaubt uns als Kinder, die Art, mit den Gefühlen umzugehen, zu verinnerlichen. Wir schaffen so eine innerliche Orientierung, um selbstständig mit aktuellen Gefühlen umzugehen. So lernen wir in vielen Situationen, die wir immer wieder wiederholen, unseren Stil der Gefühlsregulierung. Mit diesem Stil begründen wir die Art unserer Bindungsmuster. Mithilfe der emotionalen Wechselbeziehung entwickeln wir als Kinder wichtige Gehirnstrukturen, mit denen wir sehr schnell das intuitive, unbewusste, intuitiv aktivierte Verhalten in wechselnden und vielfältigen sozialen Begegnungen steuern. Mit der Reifung dieser Gehirnstrukturen erreichen wir mit neun Monaten einen kritischen Punkt, von dem an wir feste Bindungsmuster haben.

• Verinnerlichungen als Schlüssel zum Verständnis von Störungen

Die Entwicklungsforscher finden, dass wir als Neugeborene bereits bestimmte physische und soziale Funktionen beherrschen. Einen großen Teil unserer Fähigkeiten aber, mit anderen umzugehen, lernen wir in der andauernden Begegnung mit Mutter, Eltern, Familie und mit der sozialen Umwelt. Unsere Gefühle verwenden wir wie einen inneren Kompass, mit dem wir uns bereits als Kinder in unseren Beziehungen zu orientieren lernen. Affekte weisen die Richtung, die wir als Kind verlässlich einschlagen können, wenn wir gut im sozialen Miteinander verbleiben.

Mit der »Affektabstimmung« und der »Affektregulierung« erklären die Entwicklungsforscher, wie wir gefühlsmäßig unterschiedlich unser Erleben und Handeln steuern. Wir werden vom Vorbild und vom Umgang mit den Personen in der mütterlichen Umwelt dabei bleibend geprägt.

• Bindung und das Verstehen anderer

Mit unserer Affektregulierung schaffen wir die entscheidende Grundlage in uns, uns in andere Menschen hineinzuversetzen. Da wir als Kind die Fähigkeit erwerben, die Gefühlszustände der Mutter und unsere eigenen einzuschätzen und zu beeinflussen, können wir die Reaktionen anderer vorhersehen und sie gegebenenfalls beeinflussen. Ein weiterer Aspekt gelingender Bindung ist das gemeinsame Spielen. Wir lernen so als Kinder, »wirklich« und »gespielt« zu unterscheiden und Symbole als solche zu erkennen. Dies erleichtert uns, wenn wir denken lernen, weniger magisch zu denken.

• Bindungsmuster

Als Babys verlangen wir immer dann nach der Mutter (nach dem Vater, nach der Betreuerin), wenn wir durch äußeres oder inneres Unbehagen verunsichert sind. Mit unserem Bindungsverhalten wollen wir Sicherheit erreichen. Bindung wird so zu einer Grundlage emotionaler Erfahrung. In dem Maße, in dem unsere Bindungspersonen in der frühen mütterlichen Umwelt auf unsere Unsicherheit, die wir rufend, weinend und anklammernd zeigen, reagieren und uns aufnehmen, halten und trösten, erwarten wir, in der Bindung Sicherheit zu erfahren. Werden wir nicht aufgenommen und getröstet, verunsichert uns das; dann erwarten wir im Augenblick unseres Bindungsverlangens noch größere Verunsicherung und Angst. Dabei steigern wir entweder unsere Angstreaktionen und schreien und klammern uns an, oder wir erwarten keine Hilfe mehr und unterdrücken unser Bindungsverlangen – und damit den Ausdruck unserer Angst und unseres Schmerzes, oft auch unseres Ärgers. Werden wir regelmäßig nicht getröstet, dann verschließen wir uns und unterdrücken teilweise Angst, Schmerz und Ärger aus unserem bewussten Erleben.

Die Bindungsmuster werden untersucht, indem Kinder bis eineinhalb Jahren mehrmals im Test für je eine Minute von der Mutter getrennt werden. Dabei erleiden sie Angst, Schmerz, Hilflosigkeit und Ärger. Sie drängen nach Verbindung mit der Mutter und suchen sie, wenn sie dazu die Möglichkeit haben.

Sind sie »sicher gebundene Kinder«, können sie ihre Gefühle bei der Trennung von der Mutter äußern. Sie schreien aus Angst, sie weinen aus Trennungsschmerz, sie zeigen Ärger und bewältigen aktiv, getrennt zu sein. Sie suchen die weggegangene Mutter und denken sichtlich über ihr Verschwinden nach. Sie spielen beispielsweise, dass ihre Puppe verlassen wäre, und trösten sie. Sie freuen sich, wenn die Mutter zurückkommt, sie laufen oder krabbeln auf sie zu, berühren sie kurz und wenden sich dann erneut ihrem unterbrochenen Spiel zu, oft spielt die Mutter mit. Sie zeigen ihre Trennungsangst, ihren Trennungsschmerz, auch ihren Trennungsärger. Ihre Gefühle werden von der Mutter anerkannt, die Mutter beruhigt, tröstet und beschwichtigt sie.

Als »unsicher-ambivalent gebundene« Kinder zeigen sie bei Trennung heftigen Schmerz, große Angst und lauten Protest. Sie klammern sich an die Mutter, sind untröstlich, wenn sie weggeht, und sie beruhigen sich während ihrer Abwesenheit nicht. Kommt sie zurück, lassen sie sich auf den Arm nehmen und weinen noch längere Zeit. Sie verstärken den Ausdruck ihrer Trennungsangst, ihres Trennungsschmerzes und Trennungsärgers. Die Mütter trösten dann oder reagieren genervt. Als »unsicher-vermeidend gebundene« Kinder scheinen sie vom Weggehen der Mütter aus dem Zimmer keine Notiz zu nehmen. Sie bleiben bei ihrem Spiel, manchmal unkonzentriert, und scheinen die weggehenden und wiederkehrenden Mütter zu ignorieren. Gelegentlich zeigen sie Ärger. Dass sie die Trennung trotz fehlendem Ausdruck von Angst und mit wenig Ärger »erleiden«, das wird an den starken Bereitstellungsreaktionen in ihrem Hormonsystem mit Anstieg des Cortisols und an ihrem starken Herzklopfen deutlich. Sie überspielen und unterdrücken Angst, Ärger, Schmerz und Hilflosigkeit in der Trennung. Ihre Mütter verhalten sich nach der Rückkehr oft wie unbeteiligt, gehen nicht auf sie zu, wenn sie nicht nach ihr rufen und nicht auf sie zukrabbeln, sie nehmen einfach wie eine Fremde wieder den vorher verlassenen Platz im Spielzimmer ein. Diese Kinder reagieren schließlich regelmäßig bei Trennungen, Schmerz und Angst so und zeigen, dass sie ihr Verhalten zu Verhaltensmustern machen. Gegenüber Mutter und Vater sind unterschiedliche Bindungsmuster möglich.

• Steuerung des eigenen Gefühlserlebens

Im sozialen Miteinander und bei der Lösung von Aufgaben jeglicher Art orientieren wir uns mithilfe unserer Gefühle. Als Babys vermitteln uns unsere Mütter die soziale Grammatik und den persönlichen Stil, mit uns und unseren Gefühlen und mit anderen umzugehen. Wir lernen erst einmal von ihnen, ob wir offen oder verschlossen, laut oder unhörbar miteinander in Freude, Neugier, Angst, Ärger und Schmerz umgehen. Gefühle unbewusst hochzuspielen, im Mittelmaß zu erleben oder zu überspielen, wird zu einem wichtigen Verhaltensmuster uns selbst und anderen gegenüber. Diese unterschiedlichen Gefühlsregulierungen werden Charakterzüge, und wir wenden sie an bei allen mitmenschlichen Begegnungen, die uns stärker in Angst, Ärger, Schmerz, Freude oder Ekel berühren, so wie oben beschrieben bei Trennungen.

• Der Ausdruck von Gefühlen in Gesten und Mimik

Unser Fühlen begleiten wir immer mit ganz typischen mimischen und gestischen Bewegungen. Sie sind uns oft unbewusst. Wir verstehen sie bei anderen sofort. Weniger sichtbar, aber teilweise...

Blick ins Buch

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