3. Krankheiten – Hintergründe und Verlauf
Neurodermitis – eine quälende Erscheinung
Es ist schon ein ganz besonderer Genuss, sich in der eigenen Haut wohl zu fühlen, denn Haut gibt Schutz und Geborgenheit. Die Haut grenzt ab, die Haut trennt, die Haut verbindet, die Haut ist sehr empfindlich und auch sehr robust. Die Haut ruft auch Gefühle hervor. Wenn zarte Haut vorsichtig gestreichelt wird, löst das wohlige Empfindungen aus und überträgt auch selber diesen angenehmen Reiz. Leises Frösteln führt dazu, dass sich die feinen Härchen aufstellen und die Haut noch sensibler für Berührungen werden kann.
Wenn Sonne auf die Haut scheint, spürt man, dass herrliche Wärme auch Nähe und Geborgenheit symbolisieren kann. Regentropfen prasseln auf die Haut und lösen dabei ein belebendes Prickeln aus. Das erweckt ein Gefühl von besonders intensivem Leben.
Warmer Wind kann am Strand die Haut liebevoll umschmeicheln wie ein sanftes Tuch, Sturmböen können dagegen fast wie Peitschenhiebe spürbar sein.
Klare und sehr frostige Luft beißt die Haut, und wenn man danach in ein warmes Zimmer kommt, scheint sie vor Hitze fast zu platzen.
Eine Haut, die friert, kann alle Muskeln zum Zittern bringen. Die Haut ist sehr verletzlich und kann sehr schmerzhaft reagieren, wenn sie einem Messer, dem Feuer oder bei einem Sturz harten Kanten zu nahe kommt.
Ein quälender und unablässiger Juckreiz der Haut kann einem das Leben zur Hölle machen.
Menschen, die an Neurodermitis erkrankt sind, wissen das aus täglicher leidvoller Erfahrung.
Ihre Haut ist an einigen Stellen des Körpers oder in großen Flächen stark gerötet, verdickt oder gequollen. Die Oberfläche ist oft eingerissen, Schuppen treten auf. Die Haut brennt und juckt in gleicher Weise intensiv und unaufhörlich. Wer den Juckreiz durch Kratzen mindern möchte, spürt für Sekunden Erleichterung. Aber kurz darauf wird das Brennen unerträglich, und auch der quälende Impuls zu kratzen kehrt ungeschwächt zurück. Die Haut entzündet sich oft zusätzlich, blutet dann und nässt. Das Wechseln von Kleidung und Bettwäsche wird fast täglich erforderlich. Manche Menschen wickeln sich großflächig zur Nacht in Verbände ein.
Neurodermitiker sind oft sehr verzweifelt und unglücklich in ihrer Haut.
BEISPIEL:
Beate S. wohnte in einem kleinen Ort im Norden von Schleswig-Holstein. Sie war 26 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei zauberhafte Kinder, die sie sehr fürsorglich betreute. Die Kinder waren zwei und vier Jahre alt und hatten noch nie Körperhautkontakt mit ihrer Mutter gehabt.
Denn Beate S. litt an einer sehr ausgeprägten Neurodermitis, die nahezu alle Partien ihres Körpers befallen hatte. Überall verteilt fanden sich die entzündlichen Bezirke, ihre Haut war stark verdickt, die Hände rissig und hart, das Gesicht war gerötet und verquollen wie nach einem viel zu langen Sonnenbad. Die Säuglinge konnten nicht gestillt werden, weil beide Brüste von einem stark nässenden Ekzem überzogen waren, die Brustwarzen zeigten sich entzündet. So war von Geburt an der direkte Hautkontakt zu den Kindern nahezu unmöglich.
Frau S. litt unter diesen Bedingungen noch mehr als unter dem ständigen Juckreiz, den nächtlichen Kratzverletzungen und den dicken Bandagen. Auch der Körperkontakt zum Ehemann war so stark beeinträchtigt, dass eine erotische Beziehung nicht mehr entstehen konnte. Die Klientin wollte niemandem den Anblick der entzündeten Hautareale zumuten und brach auch die Kontakte zum sozialen Umfeld ab.
Die medikamentösen Behandlungsversuche brachten kurzfristig Erfolg: Bäder in salzhaltigen Lösungen, Bestrahlungen mit UV-Licht, unzählige Diäten und Nahrungsergänzungsstoffe, Fischölkapseln, Nachtkerzenöle und alle erreichbaren Geheimrezepturen hatten jeweils Linderung für einige Wochen beschert. Aber immer dann, wenn ein Durchbruch geschafft schien, traten neue und heftigere Entzündungsschübe auf. Am Ende der Behandlungskette stand dann Cortison in Cremes und als Tabletten. Wegen der Nebenwirkungen nahm Frau S. diese Medikamente nur dann, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sah und die Beschwerden unerträglich wurden. Vor diesem Hintergrund suchte mich Frau S. in der Praxis auf, nachdem sie über eine Freundin von Hypnotherapie gehört hatte.
Hypnotherapie berücksichtigt in gleicher Weise seelische und körperliche Zusammenhänge bei der Behandlung von Neurodermitis.
Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass während einer Hypnose eine Vielzahl von körperlichen Funktionen positiv beeinflusst wird. Bei der Neurodermitis spielen allergische Reaktionen des Körpers ebenso eine große Rolle wie entzündliche Veränderungen. Von überragender Bedeutung für den Krankheitsverlauf sind bestimmte Botenstoffe im Körper, die zu Hautrötungen, Schwellungen und Juckreiz führen, und Zellen, die allergisch reagieren und diese Prozesse noch verstärken. Mit Hypnotherapie wird die Ausschüttung solcher Botenstoffe ins Blut vermindert und die Aktivität der allergisch tätigen Zellen gedämpft.
In der Folge laufen alle Hautreaktionen milder ab, die Entzündung geht zurück, wobei der Juckreiz sich abschwächt. Während der Hypnosesitzungen und noch einige Stunden danach sind diese Auswirkungen spürbar. Durch regelmäßige Behandlungen und durch den Einsatz von Selbsthypnose lassen sich die Effekte verstärken und die Wirkungsdauer verlängern.
Auf der seelischen Ebene zeigen sich bei Neurodermitispatienten häufig sehr typische Spannungsfelder und Verhaltensmuster. Ändert der Patient diese Spannungsfelder, ändert sich auch der Verlauf der Krankheit in beeindruckender Art und Weise: Die entzündete Haut heilt ab und regeneriert sich nach und nach bis hin zur Normalität.
Natürlich sind die Aufgaben und Veränderungen weder im Handumdrehen noch im Vorübergehen zu leisten. Es erfordert konsequente und zielstrebige Arbeit über einige Wochen und mitunter Monate hinweg, die gemeinsam mit dem Therapeuten und dann auch vom Klienten alleine zu leisten ist.
Als Frau S. hörte, dass auch mit Hypnose keine Wunder zu erwarten seien, reagierte sie zunächst enttäuscht. Die Aussicht allerdings, bei kontinuierlicher Arbeit vielleicht irgendwann einmal wieder in eine „normale“ Haut schlüpfen zu können, bewog sie dann schließlich doch, die Behandlung zu beginnen.
Nach der Eingewöhnungsphase, in der Frau S. sich mit der Hypnose vertraut machte, folgte die gemeinsame Suche nach Spannungsfeldern, die eine Rolle bei ihrer Erkrankung spielen konnten. Diese Spannungsfeldsuche wäre im wachbewussten Zustand so kaum möglich.
Wer wüsste schon eine Antwort auf die Frage: „Und welchen Hintergrund hat nun deine Erkrankung?“ Bei der Arbeit in Hypnose nimmt diese Phase der Behandlung meistens den zeitlich geringsten Teil in Anspruch. Denn ungleich schwieriger und hindernisreicher stellt sich die Frage nach Änderungen und danach, wie sich diese dann auch im Alltag umsetzen lassen.
Bei Frau S. fanden wir zusammen einen Hintergrund, wie man ihn häufig bei Menschen mit Neurodermitis findet: Es gab Probleme mit einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung. Auf der einen Seite erlebte sich die Klientin als eine sehr selbstständige und moderne junge Frau, die ihr Leben gerne in die Hand nehmen wollte und den Anspruch hatte, ihre Kinder nach eigenen Regeln und Werten aufzuziehen. Zum anderen aber stellte sich ihr stets die bange Frage, ob diese eigenen Maßstäbe und Richtlinien wirklich gut und richtig waren und ob sie der Verantwortung im Umgang mit den Kindern wirklich gewachsen war. Auf einer anderen Ebene hatte sich dieser Konflikt zwischen dem Wunsch nach Eigenständigkeit und der Angst vor der Übernahme von Verantwortung schon immer durch das Leben von Frau S. gezogen.
Wer es nicht für möglich hält, dass ein solches Spannungsfeld mit ursächlich für eine Erkrankung sein kann, unterschätzt die Schwierigkeiten, die sich mit einer Änderung einer solchen langjährigen inneren Überzeugung verbinden. Denn der wesentliche Grund für den Konflikt im Leben der Frau S. lag schließlich darin, dass sie im bisherigen Leben nicht genügend Selbstvertrauen entwickelt hatte, um wirklich eigenständig agieren zu können und nicht täglich von Zweifeln an der Richtigkeit des eigenen Handelns geplagt zu sein. Und für eine solche innere Überzeugung, den Anforderungen des Lebens eher nicht eigenverantwortlich gewachsen zu sein, gab es natürlich auch Gründe. Gründe, die in den vergangenen Lebensjahren zu suchen waren. Frau S. musste daher in der gemeinsamen Arbeit die „alten“ Überzeugungen, die ja auf Erfahrungen beruhten, ablegen und an deren Stelle neue, eigene Maßstäbe und Sicherheiten setzen.
Das war eine sehr umfangreiche Arbeit und Aufgabe, und Zeit wurde dafür auch benötigt.
Denn innere Überzeugungen, die zwanzig Jahre oder länger bestehen, ändert niemand so schnell und schon gar nicht so einfach.
Dieser Veränderungsprozess wurde durch eine Aufgabe eingeleitet, die Frau S. nach dem Übergang in einen wohltuenden Trancezustand für sich in aller Ruhe bearbeiten konnte.
Es ist unglaublich, welche überragende Rolle Maßstäbe in unserem Leben spielen: große, kleine, dicke, dünne, immer und überall wird man vermessen.
Das geht ja schon im Säuglingsalter los, ob denn die Zähne früher kommen als bei den Geschwistern, wann man endlich krabbeln kann, wo doch das Nachbarskind bald läuft. Dann geht es in der Schule weiter, wer zuerst und schneller lesen kann, ist man dumm oder schlau? Zuerst sind es die Eltern, die messen, dann die Nachbarn, bis der Lehrer kommt. Immer wird man nur...