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Selbstzerstörung

Bekenntnisse eines Kunsthändlers

AutorHelge Achenbach
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783745308136
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Kunstliebhaber und Romantiker, Narzisst und Machtmensch - der Kunstberater Helge Achenbach förderte die Karrieren von Größen wie Jeff Koons und Gerhard Richter und stattete das Quartier der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM in Brasilien mit Kunst aus. Eine berühmt-berüchtigte Figur im schillernden Kunstbetrieb, die sich im Streben nach Geld und Anerkennung verlor. Das bittere Ende: Achenbach betrog den Aldi-Erben und Milliardär Berthold Albrecht beim Vermitteln von Kunstwerken und Oldtimern mit verdeckten Preisaufschlägen und musste dafür vier Jahre in Haft. Seine schonungslos ehrlichen Memoiren geben Einblicke in den deutschen Kunstbetrieb, berichten von seiner ersten Galerie, dem Aufstieg als Kunstberater mit mehreren Firmen und Restaurants in Düsseldorf, großen Deals und Exzessen - und dem Absturz mit Verhaftung, Verurteilung und Gefängnis. Es sind die Bekenntnisse eines Filous.

Helge Achenbach, Jahrgang 1952, zählte zu den wichtigsten internationalen Kunsthändlern der Gegenwart. Mehr als 40 Jahre hat er Kunstwerke gekauft, verkauft und gesammelt, Konzerne mit Kunst ausgestattet und Ausstellungen in den bedeutendsten Museen organisiert. Achenbach befand sich auf dem Zenit seiner Karriere, als er im Juni 2014 verhaftet und wegen Betrugs in 18 Fällen angeklagt wurde.

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Leseprobe

1.

Erste Skizze

Kaarst, Sommer 2019. Als ich das Gefängnis nach zwei Jahren und drei Monaten im September 2016 zum ersten Mal wieder verlassen durfte und in den offenen Vollzug kam, sah ich auf dem Weg in die Stadt eine Aldi-Filiale. In dem einladenden Discounter kaufte ich mir einen Apfelkuchen und eine Flasche Wasser, setzte mich draußen auf eine Parkbank und aß mit großem Appetit. Der Kuchen schmeckte fast so gut wie vom Bäcker.

Bis heute kaufe ich regelmäßig bei der Supermarktkette ein. Weil ich Aldi ein paar Euro meiner Schuldenmillionen zurückzahlen will? Wohl kaum. Vor allem kaufe ich bei Aldi ein, weil die Zeit von Feinkosthäppchen und Sternerestaurants vorbei ist.

Ein paar Monate nach meiner Freilassung im Sommer 2018 hatte ich 100 Euro, um für die erste Vernissage des Vereins Culture without borders einzukaufen – Orangensaft, Sekt, Wein und Knabbereien. Der Einkaufswagen quoll über, ein paar Euro blieben sogar übrig. Ab und an werde ich bis heute in einer Filiale angesprochen. Ob ich nicht der Achenbach sei, der Aldi übers Ohr gehauen hat? Ich bin nicht stolz darauf, dann zu nicken. Und denke bis heute manchmal: »Ich habe dem damaligen Aldi-Chef Berthold Albrecht auch viel für sein Geld gegeben. Kunst und Oldtimer, die heute viel mehr wert sind als damals.«

Öfter aber denke ich: »Was ist da in dich gefahren? Wie konntest du nur?« Rechnungen nachträglich zu erhöhen war der größte Fehler meines Lebens. Auf dem Zenit meiner Laufbahn als Kunstberater habe ich mich strafbar gemacht, weil ich eingeknickt bin: Nur 5 Prozent Provision für Bilder zu verlangen war nicht kostendeckend. Das mangelnde Rückgrat beim Verhandeln wollte ich am Kopierer korrigieren. Die Einsicht, mich damit strafbar zu machen, kam erst später. Spätestens nach der Verurteilung, mit der ich fast alles verlor: Familie, Beruf, Vermögen, Reputation, Freiheit. Das Kainsmal des Betrügers trage ich nun, bis ich den Löffel abgebe.

Mit meinen Erinnerungen möchte ich aber auch die Farbschichten freilegen, die hinter dem Geständnis vor Gericht liegen, das mich zu sechs Jahren Haft verurteilte. Es sind Farben, die in keiner Verhandlung und keinem Zeitungsbericht zur Sprache kommen.

Es geht mir dabei um einen Akt der Selbstvergewisserung dessen, was ich in fast 40 Jahren auf dem Kunstmarkt gemacht habe. Was der Kunstmarkt mit mir gemacht hat. Über das, was ich geschafft und was ich zerstört habe, über die Art, wie ich zerstört wurde, über eine bigotte Szene und meine eigene Zerrissenheit. Den Lebemann, Menschenfänger, Macher, Romantiker und Narzissten kenne ich schon lange. Dahinter – das ist mir erst im Knast richtig klar geworden – stecken auch Ängste und Abgründe, in die ich vorher nie geschaut hatte. Wie wurde ich, wer ich war und heute bin? Um dem näherzukommen, habe ich in den Spiegel geschaut, nackt. Und mit Humor.

Denn meine Geschichte hat auch viele komische Elemente. Man brauchte sie gar nicht allzu sehr zu überzeichnen, um eine Satire daraus zu machen: Die Berliner Volksbühne hat das mit der Web-Serie Rheingold und Schauspielern wie Matthias Brandt, Bibiana Beglau und Joachim Król schon getan, ohne mein Zutun und auch ohne die Rechte einzuholen. Aber da es eher mehr als weniger gelungen ist, habe ich nichts dagegen.

Der Street-Art-Künstler Banksy hat im Auktionshaus Sotheby’s sein bekanntes Bild Girl with Balloon während einer Versteigerung schreddern lassen. Nach dem Streich verdoppelte sich der Preis für sein Werk. So irre geht es auf dem Kunstmarkt öfter zu: Ein mir bekannter Künstler kopierte seine eigenen Werke, wenn sie besonders gut liefen, Kuratoren belegten die Echtheit von Bildern, auch wenn sie sich nicht sicher sein konnten. Galeristen dealen bis heute mit zwielichtigen Oligarchen, Politiker und Unternehmer schmücken sich mit Kunst und der Freundschaft mit Künstlerfürsten, reiche Schnäppchenjäger wollen sich ein bisschen Kultur erkaufen – jeder will ein Stück von der Sahnetorte. Lecker ist sie nicht immer, sie schmeckt immer bitterer, nach Geld und fragwürdigem Lifestyle, ist aber groß und mächtig. Ich habe oft und viel davon gegessen.

Irgendwann habe ich nicht mehr gemerkt, wie sich Großzügigkeit in Größenwahn verwandelte, Leidenschaft in Manie. Schleichend und ohne groß darüber nachzudenken, wie ich mich veränderte, wurde ich zum Dealer-König, der die Regeln bestimmte und mit Sammlern an einer Autobahnraststätte oder auf einer gigantischen Jacht über Bilder im zweistelligen Millionenbereich verhandelte. Und das ganz normal fand.

Abertausende Kunstwerke sind durch meine Hände gegangen. Ich habe Ausstellungen und Projekte organisiert, Konzerne mit Kunst ausgestattet, Kooperationen von Unternehmen mit Museen vermittelt, Spendenaktionen organisiert, ständig Aufmerksamkeit und Anerkennung gesucht. Wofür habe ich das getan? Und: Hat mich das zu einem glücklichen Menschen gemacht? Unabhängig: Ja. Ich hatte Geld, Kunst, schicke Autos, schöne Frauen, flog Privatjet. Ein pralles Leben mit Tausenden Begegnungen und unglaublichen Geschichten.

Aber bei den Verhandlungen und Projekten ging es mir irgendwann wie einem Junkie, der den nächsten Schuss braucht. Noch eine Sammlung, noch eine Firma, noch ein Edelrestaurant. Bis ich zu viel nahm – im wahrsten Sinne.

In der Zelle habe ich auf einem Minifernseher gesehen, wie Schriftsteller und Journalisten aus der Türkei ins Gefängnis mussten, nur weil sie Präsident Erdoğan kritisierten. Ich habe mich dafür geschämt, meine Integrität aus so niederen Beweggründen verloren zu haben – und aus der Ohnmacht heraus den Gedanken gefasst: »Heute ist kein guter Tag zu sterben. Wenn du rauskommst, hilfst du Künstlern, die verfolgt wurden, im Gefängnis landeten, fliehen mussten, nur weil sie anders dachten, als in ihrem Land gewünscht. Du hilfst den Richtigen!«

Menschen zu unterstützen, die alles verloren haben, schafft mir eine andere Form von Zufriedenheit als die Vermittlung eines 6-Millionen-Picassos. Wenn ich Yahia, der die Cartoons für dieses Buch gezeichnet hat, helfe, seine Bilder auszustellen, habe ich heute das Gefühl: Das ist gut, das lohnt sich.

Um klarer zu sehen, habe ich oftmals das Gespräch gesucht. Angefangen mit einem Gefängnispfarrer, der in wöchentlichen Gesprächen in der JVA Essen mein Korrektiv war und mir einige Tage nach der Inhaftierung klar gemacht hat, dass es mehr als nur ein Missverständnis ist, dass man mich verhaftet hat; eine ähnliche Wirkung hatte die Künstlerin Anne Berlit, die mir im Gefängnis das Malen beigebracht hat. Die Kunst hat mich nicht nur vor dem Spießerleben meiner Eltern gerettet, sondern auch im Knast. Und sie tut es heute wieder.

Geholfen hat mir auch Günter Wallraff, der mir nach der Freilassung (und bis heute) seine Dachgeschosswohnung kostenlos zur Verfügung gestellt hat und ebenfalls immer wieder als Korrektiv dient – Süchtige brauchen solche Menschen, um nicht rückfällig zu werden. Gespräche und Briefe mit meiner Frau Dorothee, von der ich inzwischen geschieden bin, haben mich weitergebracht. Und Diskussionen mit meinen Kindern. Ihre Kritik und Enttäuschung haben gewirkt.

Nicht zu vergessen: der Zuspruch von Freunden. Menschen wie Dirk Niebergall und Dr. Bruno Albrecht, ohne die es den Verein Culture without borders nicht gäbe. Sogar meine allererste Freundin Ingeborg hat mich mehrfach in der JVA besucht. Nach der Inhaftierung habe ich gemerkt, wer ein Freund ist – und wer nicht.

Bis heute treffe ich mich regelmäßig mit zwei kunstbegeisterten Psychotherapeuten, mit denen ich familiäre Zusammenhänge ergründe: Welche Rolle meine Mutter gespielt hat, die ich als herzlos und irrational erlebt habe, welche mein Vater, von dem mir Verwandte sagten, dass er nicht mein leiblicher Vater sei. Warum fiel es mir schwer, in Beziehungen treu zu bleiben? Woher kam der Drang, immer helfen zu wollen? Und nur schwer Nein! sagen zu können? Was heißt es eigentlich, Narzisst zu sein – und welche Rolle spielte das für meine kriminellen Manipulationen? Im Knast war ich nicht umsonst umgeben von Narzissten. Dass Narzissten überdurchschnittlich oft straffällig werden, wusste ich schon als Student der Sozialpädagogik und Jahrespraktikant in der JVA Siegburg. Warum das so ist, habe ich 40 Jahre später am eigenen Leibe erfahren.

Als Kunstberater ging es mir in vielen Situationen wie Gerhard Richter mit seinen Bildern: »Verstehen kann ich meine Bilder fast nie«, hat er mal gesagt. Bloß wusste Gerhard bei Bildern immer, ob sie gut sind oder schlecht. Ich habe diese Klarheit für meine Entscheidungen irgendwann verloren.

Das Leben in der glitzernden Kunstszene habe ich trotzdem genossen. Die Kunst an sich, die Freundschaften mit Künstlern und Sammlern, die Partys, die Projekte, den Eros von Kreativität, Einfluss und Geld. Natürlich auch den Umgang mit Berthold und Babette Albrecht, dem reichsten Ehepaar des Landes. Berthold...

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