2.1 Po-Evolution:
Warum haben wir einen großen, starken Hintern?
Als unsere affenartigen Vorfahren von den Bäumen Afrikas kletterten und ihre Reise auf zwei Beinen auf dem Boden fortsetzten, wählten sie unbewusst einen ganz anderen evolutionären Pfad als unsere nächsten Verwandten – die Schimpansen. Der menschliche Po ist im Vergleich zum Hinterteil der Schimpansen ungefähr anderthalbmal größer in Relation zur Körpergröße. Früher wurde angenommen, dass das Wachstum des menschlichen Hinterns eine Voraussetzung für die Evolution des aufrechten Gangs war. Jedoch wurde diese Theorie später infrage gestellt. Heute weiß man, dass der Po nur verhältnismäßig wenig aktiviert ist, um den menschlichen Körper während des Gehens und Stehens stabil zu halten. Nicht falsch verstehen: Ohne Pomuskeln würden wir weder Stehen noch Gehen können. Allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Evolution eines großen, starken Hinterns ausschließlich mit der notwendigen Voraussetzung für die Zweifüßigkeit erklärt werden kann.
Studien haben vielmehr gezeigt, dass die Pomuskeln besonders während des Kletterns, Grabens, Werfens und Rennens aktiv sind sowie bei anderen Aktivitäten, die eine erhöhte Rumpfstabilität erfordern. Diese Erkenntnisse dienen als mögliche Erklärungen, warum wir ein vergleichsweise großes Hinterteil entwickelt haben.
Der Mensch ist ein mieser Sprinter verglichen mit vielen Säugetieren auf vier Beinen. Usain Bolt erreichte eine Geschwindigkeit von 44,6 km/h – Weltrekord für einen Menschen. Viele Tiere sind bei weitem schneller. Das gilt nicht nur für Sprintspezialisten wie Geparden (113 km/h) oder Gabelböcke (88 km/h). Auch ein Feldhase und ein Pferd (beide 70 km/h), ein Bär (50 km/h) und selbst ein Flusspferd (48 km/h) würden Bolt locker abhängen.
Dafür aber ist der Mensch ein besserer Ausdauerläufer als die meisten Säugetiere. Dürften bei Marathonrennen Pferde starten, hätten sie kaum Chancen. Nicht einmal Gnus legen bei ihren Massenwanderungen durch die Serengeti mehr als 20 km pro Tag zurück. Nur der Mensch ist so verrückt. Wir könnten andere Säuger totrennen. Die Evolution hat den Menschen zum Distanzathleten gemacht. Wichtige Hinweise geben Füße, Gesäß und Muskulatur: Die Zehen des Menschen sind im Vergleich zu denen anderer Primaten kurz. Schon eine Verlängerung um 20 % würde die mechanische Arbeit des Fußes beim Laufen verdoppeln. Auch der große Zeh, der beim Menschen parallel zu den anderen Zehen steht, weist darauf hin, dass der menschliche Fuß zum Laufen gemacht ist.
Verglichen mit Menschenaffen haben Menschen einen sehr großen Gesäßmuskel. Beim normalen Gehen wird er wie oben erwähnt kaum gebraucht. Wozu also ist er da? Der „Gluteus maximus“ hält beim Rennen den Rücken gerade. Die menschliche (Po-)Muskulatur ist außerdem ein guter Speicher. Sie kann genügend Zucker in Form von Glykogen für eine Strecke von mehr als 30 km aufnehmen. In der Evolution bot die menschliche Veranlagung zum Dauerlauf Vorteile. Als Jäger hielt der Mensch länger durch als seine nahen Verwandten, die Menschenaffen.
Nicht nur unsere überlegenen Fähigkeiten, mit unserem hoch entwickelten Gehirn zu denken und zu kommunizieren, sorgten also dafür, das Abendessen auf den Tisch zu bekommen – zumindest nicht in der natürlichen Umgebung unserer Vorfahren, wo Autos, moderne Waffen und Fast Food-Läden keine Rolle spielten. Die Entwicklung eines kräftigen Pos verbesserte unsere Fähigkeit zu jagen und unsere Beute zu Tode zu hetzen. Unser Hintern gab uns einen Überlebensvorteil. Große, starke Hintern entkamen der natürlichen Auslese. Über Hunderte Generationen entwickelten unsere Vorfahren größere, stärkere Gesäße, die bei Alltagstätigkeiten wie Jagen, Graben nach Wurzelknollen und Ergattern von Fleisch von Vorteil waren.
Als effektive Jagdmethode entpuppte sich die Hetz- bzw. Ausdauerjagd – eine Kombination aus Laufen, Gehen und Beobachten, bis die Beute erschöpft aufgibt. Auch heute noch wenden diese Jagdstrategie die Buschmänner in der Kalahari-Wüste im südlichen Afrika an. Von Sonnenaufgang an beobachten sie ein bestimmtes Tier über mehrere Stunden. Bewegt es sich in der starken Hitze auf ein Wasserloch zu, treiben es die Jäger davon weg. Die Buschmänner haben natürlich Trinkvorräte für sich dabei und regulieren ihre Körpertemperatur durchs Schwitzen. Die Beute kann sich durch ständige Bewegung in der Hitze jedoch nicht abkühlen und bleibt irgendwann völlig entkräftet stehen, kann nicht mehr fliehen und wird getötet.
Die Steinzeit-Frau nahm natürlich auch an der Nahrungsbeschaffung teil. Sie jagte aber eher Früchte, Wurzeln, Nüsse und Pilze statt Mammuts und Säbelzahntiger. Da Pilze auch früher nicht wegrennen konnten, sondern nur blöd herumstanden, waren sie einfacher zu fangen. Also verbrachten Frauen viel Zeit in der Hockposition, um Pilze abzuernten. Da wäre ein knochiger Hintern beim Fersensitz auf Dauer sehr unbequem geworden. Die Evolution entschied sich wohl auch aus praktischen Gründen für die Einlagerung von überschüssigen Kalorien im unteren Körperbereich – so entwickelte sich der weibliche Po. Er diente also auch als bequeme Sitzfläche.
| Warum bevorzugen Männer schöne Frauenhintern? |
Die männliche Vorliebe für den weiblichen Po ist keine neue Erkenntnis. Was Männer jedoch wirklich anzieht, ist nicht die Größe des Hinterns, sondern die Form – konkret: die S-Kurve. Diese bildet das leichte Hohlkreuz der Lendenwirbelsäule und die Po-Form in Kombination. Das belegen wissenschaftliche Studien, bei denen Probanden die Attraktivität von Frauenhintern auf Fotos beurteilen mussten. Männer bevorzugten ganz besonders die Frauen, bei denen sich, in der Silhouette betrachtet, die Lendenwirbelsäule im 45°-Winkel zum Po befand. Nicht die Größe des Frauenhinterns ist für Männer also das Ideal, sondern die Form, die sich aus dem Winkel vom Rücken zum Po ergibt. Der Grund für diese Präferenz ist wiederum prähistorischen Einflüssen geschuldet. Während einer Schwangerschaft ist die Schwerkraft nach vorne verlagert und eine überstreckte, untere Wirbelsäule erlaubt es schwangeren Frauen, ihr Gewicht über den Hüften zu balancieren. Diese Frauen waren während der Schwangerschaft effektiver bei der Nahrungssuche und weniger anfällig für Wirbelsäulenverletzungen. Männer, die sich für solche Frauen entschieden, hatten also Partner, die den Fötus und den Nachwuchs besser versorgen und mehrere Schwangerschaften ohne Verletzungen austragen konnten. Unterm Strich: Die richtige Kurve machte es für Frauen nicht nur leichter, Babys im Bauch zu tragen, sondern auch den Nachwuchs mit ausreichend Nahrung zu beköstigen. Ein evolutionärer Vorteil!
Moderne Zeiten
Über Millionen von Jahren als Jäger und Sammler im Steinzeitalter verschwanden durch die natürliche Auslese schwache und kleine Pos aus der Population. Nur die größten und stärksten Hintern pflanzten sich fort. Die landwirtschaftliche Revolution brachte neue Herausforderungen, die unsere Pomuskeln mindestens ebenso stark aktivierten: ackern auf Feldern statt Mammutjagen. Seit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts ging’s für unseren Po jedoch drastisch bergab. Und spätestens seit dem digitalen Zeitalter, in dem wir uns heute befinden, ist Schreibtischarbeit die Norm, die unsere Pomuskeln verkümmern lässt. Der Stuhl ist unser Feind und bringt unseren Körper Stück für Stück um.
Der Mensch und seine Vorfahren entwickelten über Jahrmillionen einen großen Gluteus, weil es die Fähigkeit verbesserte, in einer Umwelt zurechtzukommen, in der Rennen, Laufen auf unebenem Terrain, Klettern und Graben zur Notwendigkeit des täglichen Lebens gehörten. Wenn wir nun diesen Lebensstil komplett einstellen und stattdessen einen neuen annehmen, für den unser Körper – inklusive unserer Pomuskeln – nicht geschaffen ist, entstehen Probleme.
Die Gene unserer Physiologie und Anatomie sind seit dem Steinzeitalter fast unverändert. Obwohl wir heute Anzüge tragen, schicke Autos fahren und in Modeboutiquen shoppen gehen, ist unser Steinzeiterbe noch tief in uns verwurzelt. Es ist zu wenig Zeit vergangen, dass unser Körper in Harmonie mit unseren neuen Lebensgewohnheiten ist. Die Transformation von einer affenartigen Kreatur hin zum intelligenten Zweibeiner in Bluejeans dauerte Millionen von Jahre. Während der Wandel des täglichen Lebens von viel Bewegung hin zu viel Sitzen erst kürzlich erfolgte. In anderen Worten: Wir hatten zu wenig evolutionäre Zeit, um uns an den modernen Lifestyle anzupassen. Eine Unstimmigkeit zwischen Genen und Umwelt ist die Folge: Bühne frei für eine...