4 Sichere Maschinen in Europa
Ein konspiratives Treffen in einem abgedunkelten Raum:
Anführer: Sie haben uns ausbluten lassen, diese Schweine, sie haben uns alles genommen, was wir hatten. Und nicht nur von uns, sondern auch von unseren Vätern und von unserer Väter Väter. Was haben sie dafür als Gegenleistung erbracht, frage ich euch!?
Langes Schweigen und Nachdenken.
Erster Zuhörer mit erhobenem Zeigefinger: Den Aquädukt!
Anführer: Was?
Erster Zuhörer: Den Aquädukt!
Anführer: Oh, ja, ja, ja, den haben sie uns gegeben, das ist wahr.
Zweiter Zuhörer: Und die sanitären Einrichtungen!
Erster Berater des Anführers: Oh ja, die sanitären Einrichtungen. Weißt du noch, wie es früher in der Stadt stank?
Anführer: Also gut, ich gebe zu: den Aquädukt und die sanitären Einrichtungen, das haben die Römer für uns getan.
Dritter Zuhörer: Und die schönen Straßen.
Anführer, schon etwas genervt: Ach ja, selbstverständlich, die Straßen, das mit den Straßen versteht sich ja von selbst, oder! Abgesehen von den sanitären Einrichtungen, dem Aquädukt und den Straßen …
Weitere Zuhörer: Medizinische Versorgung.
Weitere Zuhörer: Schulwesen.
Anführer: Na ja, gut, dass sollte man erwähnen.
Weitere Zuhörer: Und der Wein.
Alle: Oh, ja, der Wein.
Zweiter Berater des Anführers: Das ist wirklich etwas, das wir vermissen würden, wenn die Römer weggehen.
Weitere Zuhörer: Die öffentlichen Bäder.
Erster Berater des Anführers: Und jede Frau kann es wagen, nachts die Straße zu überqueren.
Zweiter Berater des Anführers: Ja, die können Ordnung schaffen, denn wie es da vorher ausgesehen hat, darüber wollen wir gar nicht reden!
Anführer, noch genervter: Also gut, einmal abgesehen von den sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkasse – was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?
Schweigen und Nachdenken.
Erster Zuhörer: Den Frieden gebracht!
Anführer, komplett entnervt: Ach, Frieden – halt die Klappe!
Ich musste wirklich lachen, als genau dieser Dialog aus dem Monty-Python-Film Das Leben des Brian30 im EU-Wahlkampf 2014 als Werbespot31 herhielt. Es wurde nur das Wort „Römer“ durch „EU“ ersetzt und die Errungenschaften entsprechend ausgetauscht (z.B. Roaminggebühren gesenkt, einheitliche Umweltstandards geschaffen, Förderungsprogramme usw.). Die beiden letzten Sätze waren aber dieselben.32
Aus Sichtweise der Maschinensicherheit sind zwei dieser Errungenschaften der EU mit Sicherheit die entsprechenden europäischen Richtlinien und die europäische Normung.
Kein Land kann der EU beitreten, wenn es nicht eine nationale Normungsorganisation hat und damit auch EU-Normen national umsetzt. Aber warum ist das so? Normen sind ja nicht verpflichtend, sondern „nur“ freiwillig umzusetzen und außerdem behindern sie den Produktentstehungsprozess und kosten nur Geld, so die gängigen Vorurteile.
Zunächst trifft die Freiwilligkeit nicht immer zu, denn es gibt auch noch die sogenannten EU-Richtlinien Diese Richtlinien sind in allen Mitgliedstaaten gesetzlich umzusetzen. Der Ausdruck „Richtlinie“ ist aus meiner Sicht leider sehr unglücklich gewählt, denn man muss sich nach den EU-Richtlinien nicht nur richten, wie das Wort vermuten lässt, sondern man muss sie zwingend erfüllen, da sie von jedem Mitgliedstaat der EU in den Gesetzesrang zu heben sind.
Einige dieser Gesetze zitieren Normen, die dann ebenso zwingend und nicht mehr freiwillig umzusetzen sind. Doch was ist mit den anderen Normen, die muss doch keiner einhalten, weil sie eben freiwillig sind, oder? Hier kommen wieder die EU-Richtlinien, also die Gesetze ins Spiel.
Harmonisierte Normen sollen helfen, Richtlinien europaweit umzusetzen. Werden diese Normen eingehalten, dann gilt die Konformitätsvermutung. Konformitätsvermutung bedeutet, dass die Behörden bei der Einhaltung von harmonisierten EN-Normen vermuten, dass auch die zugehörige EU-Richtlinie eingehalten wird. Das ist einer der unschlagbaren Vorteile der Normung.
Wende harmonisierten Normen an, dann setzt du auch Richtlinien und damit Gesetze um.
Warum Normen nicht von Brüssel vorgegeben werden, nicht nur Geld kosten und die Kreativität nicht einschränken, soll in diesem Kapitel noch genauer erörtert werden.
4.1 Die EU-Richtlinien
EU-Richtlinien sind Rechtsakte der Europäischen Union und müssen, im Gegensatz zu Verordnungen, welche unmittelbare Rechtswirkung entfalten, in jedem Mitgliedsland in die nationale Gesetzgebung übernommen werden.
Nach Richtlinien darf man sich nicht nur richten, sie sind in jedem Land Gesetz und damit europaweit zwingend einzuhalten.
Es gibt eine Reihe von Produktrichtlinien, welche den freien Handel innerhalb der EU ermöglichen sollen. So darf beispielsweise die Umsetzung einer Produktrichtlinie im jeweiligen Mitgliedsland nicht schärfer ausfallen als in einem anderen, da dies den freien Warenverkehr behindern würde. Daher werden diese Richtlinien auch als Herstellerrichtlinien bezeichnet. Die Maschinenrichtlinie ist also eine Herstellerrichtlinie für das Produkt Maschine (die Beschreibung ihres Aufbaus und ihrer wichtigsten Inhalte finden Sie in Kapitel 10.2).
Herstellerrichtlinien sind in jedem Mitgliedsland der EU ohne Veränderung umzusetzen.
Die Umsetzung von Betreiberrichtlinien kann dagegen in den Mitgliedsländern schärfer ausfallen, da diese den freien Warenverkehr nicht behindern. Diese Richtlinien müssen vom Betreiber eingehalten werden und treffen daher den Hersteller in der Regel nicht. Beispielsweise wird die Arbeitsmittelrichtlinie in Österreich teilweise schärfer umgesetzt als in Deutschland, da in Österreich für gewisse Maschinen Prüfungen von Behörden vorgeschrieben sind, welche z.B. in Deutschland eine fachkundige Person durchführen darf.
Tabelle 3: Beispiele für Hersteller- und Betreiberrichtlinien
Die erste Maschinenrichtlinie war die 89/392/EWG, welche nach einer zweijährigen Übergangsfrist am 01.01.1995 erstmals rechtsverbindlich in allen damals teilnehmenden Staaten in Kraft trat. Diese Richtlinie wurde in der Folge durch die 98/37/EG und am 29.12.2009 durch die aktuell gültige Fassung 2006/42/EG abgelöst.
Derzeit gilt die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), bestehend aus den EFTA- und den EU-Mitgliedstaaten, sowie in der Schweiz und der Türkei. Sie wurde in allen teilnehmenden Staaten in nationale Gesetze umgesetzt. Beispiele dafür sind:
In den Richtlinien zu den diversen Produkten wurden zu Beginn auch technische Details definiert, was allerdings einige Nachteile mit sich brachte. Seit der Einführung des neuen Konzeptes, dem „new approach“33, werden in den Richtlinien daher nur noch die sogenannten Grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (GSA) definiert, welche verbindlich einzuhalten sind. Wie diese Ziele erreicht werden, bleibt grundsätzlich dem Hersteller überlassen. Das neue Konzept sieht aber ein Hilfsmittel für die Erreichung der GSA vor und das sind die sicherheitstechnischen Normen.34
4.1.1 Die Konformitätsbewertung und das Qualitätsmanagementsystem
Viele Richtlinien verlangen vom Hersteller die Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens35 für das Produkt....