Montag
Auf dem Weg der Hoffnung
In der katholischen Liturgie trifft am Montag in der Karwoche das Evangelium von der Salbung Jesu in Betanien. Jesus ist im Haus seines Freundes Lazarus, den er von den Toten auferweckt hatte. Seine beiden Schwestern Maria und Marta sind auch da und bereiten ihm ein Gastmahl. »Marta sorgte für den Tisch, und Lazarus war einer von denen, die mit Jesus zu Tisch lagen. Maria aber nahm ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl, salbte die Füße Jesu und trocknete sie mit ihren Haaren; das Haus wurde vom Duft des Öles erfüllt« (Joh 12,2f). Für Johannes ist das eine symbolische Handlung, die auf den Tod Jesu vorausweist. Es ist sechs Tage vor dem Paschafest. Sechs ist die Zahl der Unvollkommenheit und des Selbstgemachten. Das Unvollkommene wird durch den Tod und die Auferstehung Jesu vollkommen und ganz. Die Sechs verweist wieder auf die Sieben, die Zahl der Verwandlung und Vollendung. In der Auferstehung wird der Mensch neu geschaffen. Da ist wahres Pascha: Hinübergang in die Welt Gottes, Verwandlung und Vergöttlichung des Menschen. Da ist Sabbat: Neuschöpfung durch Gott.
Maria, Marta und Lazarus geben sechs Tage vor dem Pascha, also am Sonntagabend, für Jesus ein Abendessen. Vielleicht ist das Mahl hier ein Bild für die Eucharistie, die die Christen ja am Sonntagabend feierten. Maria nimmt ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl und salbt damit Jesus die Füße. Es ist eine verschwenderisch große Menge Öl. Nardenöl galt in der Antike als eines der kostbarsten Öle. Judas schätzt den Wert auf dreihundert Denare. Das ist mehr als das Jahreseinkommen eines Tagelöhners. Die überschwängliche Fülle des Öls erinnert an die Fülle des Weines, den Jesus bei der Hochzeit zu Kana schenkt. Bei der Hochzeit zu Kana ist vom neuen Geschmack des Lebens die Rede. Hier ist es der köstliche Duft, der in die Nase steigt. Gottes Liebe, die im Tod Jesu zur Vollendung kommt, verbreitet einen angenehmen Duft. Das ganze Haus, die ganze Kirche, die ganze Welt wird davon erfüllt und verwandelt. Die Kirchenväter deuten diese Szene so, dass der Wohlgeruch der Erkenntnis (der Gnosis) seit Jesu Tod und Auferstehung die ganze Welt erfüllt. Gegenüber dem üblen Geruch, den der tote Lazarus verbreitet, bedeutet Auferstehung, angenehm zu riechen. Johannes zeigt in diesen Bildern, dass die Wirklichkeit Gottes mit allen Sinnen wahrzunehmen ist. Sie kann geschaut und gehört werden, geschmeckt und gerochen und betastet werden. Die mystische Tradition hat diese Sicht des Johannes weitergeführt in ihrer Theologie der »dulcedo dei = Süßigkeit Gottes«. Gott lässt sich erfahren und spüren. Gottes Spur in der menschlichen Seele ist der Wohlgeruch, der neue Geschmack, die Süßigkeit und Freude. Diese mystische Tradition hat Gott einen Geschmack zugeschrieben. Gott wird mit allen Sinnen erfahren. Er ist nicht nur Geist, sondern er verbreitet in der Seele und im Leib des Menschen einen süßen und angenehmen Geschmack, nicht den bitteren Geschmack von Eiferern oder Rigoristen, sondern den Geschmack der Liebe.
Im Johannesevangelium zeigen alle Szenen, in denen eine Frau vorkommt, dass es um die Liebe geht. Die erste Szene, in der die Mutter Jesu vorkommt, ist die Hochzeit zu Kana. Gott feiert mit uns Hochzeit. Seine Liebe verwandelt unser schal gewordenes Wasser in den Wein der Liebe. Das Gespräch mit der Samariterin dreht sich nicht nur um das Wasser, das unseren Durst für immer löscht, sondern auch um die sechs Männer, die die Sehnsucht der Frau nach Liebe nicht zu erfüllen vermögen. In Jesus begegnet sie dem siebten Mann, der am Kreuz sein Herz öffnen wird, damit seine Liebe auf uns ausströmt. Die dritte Frauenszene ist die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin, die Jesus nicht verurteilt. Bei der Auferweckung des Lazarus spielen Maria und Marta eine wichtige Rolle. Auch hier geht es um die Liebe der Freundschaft, die den Toten lebendig macht. Die Salbungsszene ist die fünfte Frauengeschichte. Auch hier geht es um die Liebe. Die Salbung mit köstlichem Öl ist Bild für die Liebe. Die sechste Szene ist das Stehen der Mutter Jesu unter dem Kreuz und das Wort Jesu zu seiner Mutter. Maria ist die Pforte, durch die die Liebe Gottes in Jesus eintritt in die Welt. Sie bezeugt unter dem Kreuz die Vollendung der Liebe. Jesus lädt seinen Jünger ein, sie in sein Haus aufzunehmen. Wir sollen Maria in uns aufnehmen, damit wir in dieser Welt die Pforte sind, durch die die Liebe Jesu in diese Welt einströmt. Die siebte Frauenszene ist die Begegnung von Maria Magdalena mit dem Auferstandenen. Sie hat Johannes bewusst als Liebesszene auf dem Hintergrund des Hoheliedes der Liebe (Hld 3,1–6) geschildert. Johannes liebt die Zahl Sieben. Es gibt sieben Zeichen des Heils, die Jesus wirkt. Und es gibt sieben Frauenszenen, die uns sagen wollen, dass unser ganzes Leben in Liebe verwandelt werden wird, wenn wir Christus in uns aufnehmen.
Am Beginn der Passion steht die Liebe einer Frau. Maria zeigt mit ihrer Salbung nicht nur, dass ihre Liebe verschwenderisch ist, sondern auch, dass Jesus in seiner Passion seine Liebe ohne Maß für uns lebt. Johannes beginnt die Passionsgeschichte ja mit dem Satz: »Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung« (Joh 13,1). In der Passion kommt Jesu Liebe zu uns zur Vollendung. Da wird er selbst den Jüngern die Füße waschen, allerdings nicht mit Öl, sondern mit Wasser. Während bei Markus und Matthäus die Frau den Kopf Jesu salbt, spricht Johannes bewusst von der Salbung der Füße. Die Füße zu salben, ist etwas sehr Persönliches und Erotisches, etwas Intimes und Zärtliches. Es ist nur der eigenen Ehefrau oder der Tochter erlaubt. Was Maria tut, hat ihre Parallele im Tun Jesu. Beim letzten Mahl wird Jesus die Füße der Jünger waschen. Da wird er nicht nur den männlichen Dienst des Sklaven, sondern auch den fraulichen Dienst der Ehefrau und Tochter an den Jüngern vollziehen. Am Kreuz wird Jesus diese Liebe vollenden, in der er sich selbst für uns gibt. Da wird sich das kostbare Gefäß seines Herzens öffnen und seine Liebe wird auf uns ausgegossen.
Judas versteht die verschwenderische Liebe Marias nicht. Er hat auch kein Gespür für das Geheimnis der Liebe Jesu, der sich für uns im Tod hingibt. Er sieht alles unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit. Das ist menschlich. Gottes Liebe ist etwas anderes. Jesu Offenbarung ist nicht zu vereinnahmen, auch nicht als soziales Programm. In Wirklichkeit stecken – so sagt Johannes im Blick auf Judas – hinter dem sozialen Programm manchmal selbst Neid und Habgier. Hier geht es um das Geheimnis der Liebe, die sich verströmt. Hier ist es die Liebe einer Frau. Sie steht am Anfang der Passion und am Ende, als Maria von Magdala den sucht, den ihre Seele liebt. Die Mitte der Passion, der Tod Jesu am Kreuz, ist Vollendung der Liebe. Mit dem Bild von der Salbung Jesu drückt Johannes aus, dass sich die Liebe, die in Jesu Passion und Auferstehung zur Vollendung kommt, nicht berechnen lässt. Sie ist verschwenderisch und unvernünftig. Sie kennt kein Maß. Sie lässt sich von nüchternen Verstandesmenschen nicht begreifen. Sie ist nur zugänglich für den, der selbst zu lieben versteht.
Anregungen für den Tag
Auch für den Montag möchte ich dir zwei Möglichkeiten der Meditation anbieten:
Beachte in der Meditation einmal nur deinen Atem. Rumi, ein persischer Dichter aus dem 13. Jahrhundert, spricht vom Atem als dem Liebesduft Gottes. Stelle dir also vor, wie im Atem die Liebe Gottes in deinen Leib einströmt und dich im ganzen Leib erfüllt. Du kannst dir vorstellen, wie du selbst mit deinem Atem dich gleichsam liebevoll streicheln kannst. Gott selbst streichelt dich mit seiner Liebe. Und dann stelle dir vor, dass der Atem dich in den Grund deiner Seele hinunterführt, in dem eine unversiegbare Quelle der Liebe in dir strömt. Es ist die göttliche Liebe, die in dir strömt. Sie ist verschwenderisch, ohne Maß. Sie hört nicht auf, weil sie göttlich ist. Du musst dich also gar nicht anstrengen, zu lieben. Versuche, einfach die Quelle der Liebe in dir zu spüren und dir vorzustellen, dass sie durch dich hinströmt auch zu den anderen Menschen.
Wenn es für dich und deine Familie oder deine Freunde möglich ist, dann halte zu Beginn der Karwoche Fußwaschung. Es wäre eine gute Einführung in das Geheimnis der Passion. Jeder wäscht dem andern die Füße. Das heißt:Wir lassen alles los, was unser Miteinander beschmutzt hat. Und vielleicht kannst du spüren, dass es eine zärtliche Geste ist, dem andern die Füße zu waschen, die wir sonst nicht so gerne berühren. Manchmal sind die Füße schmutzig. Manchmal riechen sie nicht so gut. Wir berühren den andern an seiner Achillesferse, an seiner verwundbaren Stelle. Indem wir sie liebevoll berühren, heilen wir die Wunden des andern. Wir erweisen einander den Dienst der Liebe, den Maria Jesus erwiesen hat und den Jesus an uns vollzogen hat. In der Fußwaschung wirst du mehr vom Geheimnis dieser Liebe spüren als durch gelehrte Worte. So möchte ich dich herzlich einladen zu diesem gemeinsamen Ritual. Es braucht allerdings eine große Offenheit und eine Atmosphäre der Liebe und der Achtsamkeit. Es wäre gut, wenn du dazu eine meditative Musik auflegst, die das gemeinsame Tun prägt.
Das zweite Wort Jesu am Kreuz – die Quelle der Hoffnung
Auch das zweite Wort, das Jesus am Kreuz sagt, steht im Lukasevangelium. Es ist ein tröstliches Wort. Jesus spricht es in unsere Angst vor dem Tod hinein. Jeder Mensch kennt die Todesangst. Beim einen ist es die Angst vor den Schmerzen, die mit dem...