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Siebenundneunzig "Seetage"

Erlebnisbericht über eine abenteuerliche Praktikumsreise mit dem Ausbildungs- und Frachtschiff "J.G.Fichte"

AutorWolfgang Martin
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783749490622
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Anhand von Tagebuchaufzeichnungen aus den 1970er Jahren erzählt der Verfasser die Geschichte einer Praktikumsreise angehender Seefunk-Offiziere und nautischer Offiziere mit dem Lehr- und Frachtschiff "J.G. Fichte" nach Mittelamerika über einen Zeitraum von 97 Tagen. Das Tagebuch beschreibt im Wesentlichen den Tagesablauf und die Lebensverhältnisse während dieser Reise, die Enge auf dem mit knapp 11.000 BRT relativ kleinen Schiff mit etwa 300 Besatzungsmitgliedern und gibt Einblicke in die manchmal erstaunlichen, aber auch kuriosen Lebensverhältnisse und -umstände in der Mitte der 1970er Jahre. Es zeigt jedoch auch viele Absurditäten auf und beschreibt mehrfach gefährliche Situationen an Bord und an Land. Das Tagebuch beginnt mit dem 4. November 1974 und endet am 8. Februar 1975. Für die Studenten beziehungsweise Praktikanten, die nach dieser Reise kurz vor ihrem Studienabschluss standen, war eine derartige Reise ein vorzeitiger Ausflug in die "große Freiheit", trotz der einfachen und äußerst beengten Verhältnisse. Auf MS "J.G. Fichte" wurde von 1974 bis 1976 die danach sehr beliebt gewordene neunteilige Serie "Zur See" im Auftrag des Deutschen Fernsehfunks der DDR gedreht. Die DDR hatte gerade 25 Jahre ihres Bestehens hinter sich und sollte noch 14 Jahre vor sich haben, was damals noch niemand ahnen konnte. Die meisten der späteren nautischen Offiziere und Funkoffiziere sind nach Beendigung des Studiums kurz nach dieser "Fichte-Reise" viele Jahre, wohl zumeist erfolgreich, auf den Schiffen der Handelsmarine oder auf den Schiffen der Hochseefischerei der DDR und später auf den Schiffen der Bundesrepublik Deutschland oder auch unter anderen Flaggen zur See gefahren.

Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Karl Hermann Martin [WM], geb. 31.08.1950 im Ostseebad Binz/ Rügen verheiratet, drei Kinder. Seefahrt als Funkoffizier auf Handelsschiffen der DDR Bis 2016 tätig im Bundesministerium für Wirtschaft.

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Leseprobe

Vorwort


Wozu der Zustand des so genannten Ruhestandes – ich bin inzwischen Rentner und Pensionär – doch führen, bewegen und animieren kann!

Dreiundvierzig Jahre lang hat mein Tagebuch wohl verstaut in einer Kiste oder in einem Koffer gelegen, diverse Umzüge miterlebt und die letzten elf Jahre, selbstverständlich auch wohl verwahrt, auf unserem Dachboden zugebracht…….

Nun habe ich das Tagebuch hervorgeholt, noch einmal gelesen, und die Erinnerung an diese Reise war sofort wieder lebendig. Und so wird es wohl auch denjenigen gehen, die diese Reise persönlich miterlebt haben.

Vielleicht möchten mich ja einige Leserinnen und Leser, aber insbesondere auch meine ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen auf dieser interessanten Reise nach Mittelamerika und zurück noch einmal begleiten.

Im September 1971 begann ich mein Studium an der Ingenieurhochschule für Seefahrt, Warnemünde/Wustrow, Sektion Schiffsführung (IHS). Voraussetzung für dieses Studium war das erfolgreich abgeschlossene Abitur (Reifeprüfung). Und das hatte ich am Gymnasium in Bergen auf Rügen (damals Erweiterte Oberschule – EOS) im Sommer 1969 erworben. Gleichzeitig hatte ich auch mein Facharbeiterzeugnis als Maurer in der Tasche. Es gab zu der Zeit allerdings auch eine andere Möglichkeit, die erforderliche Qualifikation für ein Hochschulstudium zu erwerben, die jedoch ein Jahr länger dauerte: Ab der zehnten Klasse drei Jahre Berufslehre und Abitur zu gleicher Zeit.

Das eineinhalb Jahre währende Grundlagenstudium fand in Wustrow auf der Halbinsel Fischland/Darß in einem Teil der IHS mit besonderer Tradition, statt, und die restlichen Studienjahre absolvierten meine Kommilitonen und ich in Rostock-Warnemünde an der dortigen Seefahrtschule.

Die so genannte "Großherzögliche Mecklenburgische Navigationsschule" mit Standort Wustrow wurde im Jahre 1846 gegründet. 1916 wurde sie in "Seefahrtschule Wustrow" umbenannt. Nach den Kriegswirren wurde die Einrichtung 1949 als "Seefahrtschule Wustrow" wiedereröffnet.

Nach vielen weiteren Entwicklungsschritten wurde die Seefahrtschule Wustrow 1969 in "Ingenieurhochschule für Seefahrt" (IHS) umbenannt und mit der "Ingenieurschule für Schiffbautechnik" vereint. Die schrittweise Ausgestaltung erfolgte ab 1972 mit dem Erhalt des Diplomrechts. Es folgten der Erhalt des Promotionsrechts 1980 und des Habilitationsrechts 1989. Die IHS war in die Sektionen Schiffsführung, Schiffbautechnologie, Schiffsbetriebstechnik und Grundlagenausbildung unterteilt. Im Jahr 1986 gründete man noch die Sektion Seewirtschaft.

Im Jahr 1989 wurde die Einrichtung in "Hochschule für Seefahrt" umbenannt. Die Universität Rostock übernahm 1992 die Ausbildung als Rechtsnachfolger der Ingenieurhochschule.

Seitdem standen die Gebäude der ehemaligen Seefahrtschule als Ruine da und verfielen mehr und mehr. Ab dem Jahre 2018 erfolgen jetzt der Umbau und die Erweiterung der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude zu einer attraktiven Ferienapartmentanlage.

Gegen Ende unseres Studiums war für die angehenden nautischen Offiziere, aber auch für uns als angehende Funkoffiziere eine Praktikumsreise mit einem der Lehr-, Ausbildungs- und Frachtschiffe der Deutschen Seereederei obligatorisch.

Als wir unsere Praktikumsreise antraten, lagen also bereits mehr als drei Studienjahre hinter uns, und wir freuten uns sehr darauf, an unserem künftigen Beruf schon mal etwas „schnuppern“ zu dürfen.

Die DDR hatte damals eine der weltweit größten Handelsflotten, und wir sollten auf einem dieser Schiffe unseren Dienst versehen und beweisen, dass wir die während des Studiums erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse in die Praxis umsetzen konnten. Wir sahen es als großes Privileg an (und das war es wohl auch), die weltweiten Meere bereisen zu dürfen; die Familienangehörigen mussten allerdings meistens zu Hause bleiben.

Bild 2: Gebäude der Seefahrtschule in Wustrow/Darß (Grundlagenstudium)

Bild 3: Gebäude der Ingenieurhochschule für Seefahrt in Warnemünde

Unser Fracht- und Ausbildungsschiff sollte MS „J. G. Fichte“ (MS – Motorschiff) werden, ein Schiff des VEB Deutsche Seereederei Rostock (DSR) [WM: Die Abkürzung „VEB“ steht für „Volkseigener Betrieb“]. Es wurde nach dem deutschen Philosophen „Johann Gottlieb Fichte“ benannt. Das Schiff lief am 31. Oktober 1948 in Saint Nazaire/Frankreich vom Stapel. Zwischen 1950 und 1962 wurde es durch eine französische Reederei im Liniendienst nach Südamerika, zeitweise auch nach Afrika, eingesetzt. Am 7. August 1962 wurde die „Claude Bernard“, wie das Schiff damals noch hieß, von der DSR übernommen. Umbenannt in „J. G. Fichte“ wurde das Schiff als drittes Ausbildungsschiff der DSR, nach der „Theodor Körner“ und der „Heinrich Heine“, in Dienst gestellt. Zu diesem Zweck wurde das Schiff nach der Übernahme mit Einrichtungen zur Ausbildung von etwa 180 Matrosenlehrlingen und 48 Praktikanten ausgestattet. Zum Vorteil der Reederei und der Ausbildung war zudem auch dieses Schiff, ähnlich wie die vorher genannten, für den Transport von Stück- und Schüttgütern geeignet. Das Schiff war außerdem mit Möglichkeiten zum Transport von so genanntem Gefriergut ausgestattet. Es wurde zumeist auf der Linie DDR – Kuba – Mexiko eingesetzt.

Als Ausbildungsschiff der DSR war die „Fichte“ mit 11.942 BRT vermessen und hatte Unterbringungsmöglichkeiten für 289 Auszubildende und Ausbilder an Bord.

Technische Daten:

Länge:163,4 Meter (Länge über Alles)
Breite:19,6 Meter
Vermessung:11.942 BRT
Maschine:2 x 8 Zylinder-Dieselmotoren
Maschinenleistung:11.200 PS
Höchstgeschwindigkeit:21 Knoten (Seemeilen pro Stunde)
Reisegeschwindigkeit:16 – 17 Knoten
Propeller:2
Zugelassene Anzahl Besatzungsmitglieder:324

Die rund 300 Besatzungsmitglieder schlüsseln sich in etwa wie folgt auf:

80Mann Stammbesatzung
50Praktikanten (angehende Nautische Offiziere und Funkoffiziere)
180Matrosenlehrlinge.

Kurz vor dem Beginn unserer Reise im November 1974 hatte ich irgendwie und irgendwann den Entschluss gefasst, diese für uns so große Besonderheit in irgendeiner Weise zu dokumentieren. Da ich damals keine Kamera besaß, sondern hinsichtlich von Fotos auf die Freundlichkeit von Kommilitonen angewiesen war, hatte ich die Idee, ein Tagebuch zu schreiben. Aus heutiger Sicht ist es für mich, und vielleicht auch für andere deshalb besonders wertvoll, weil ich, damals unbewusst, viele Dinge aufgegriffen und erzählt habe, an die sich mancher nicht mehr erinnern kann. Gleichzeitig wird aber auch die Einfachheit bestimmter Belange und Geschehnisse sehr deutlich. Doch auch der technische Fortschritt und die gesellschaftliche Weiterentwicklung sind aus heutiger Sicht erkennbar. Die Erinnerung daran ist sehr wichtig. Einige Beispiele (stichwortartig): Satelliten gab es nur wenige, und die wurden zumeist weltweit durch die Militärs entwickelt und genutzt. Das heißt, von hoher See aus in irgendeiner Form eine Verbindung zur Heimat herzustellen, war äußerst kompliziert und teuer. Meistens war das nur über Grenz- oder Kurzwellen-Sprechfunk oder mithilfe der Morsetelegrafie (Funktelegramme) u.a. auf Kurzwellenfrequenzen möglich. Aus oben genannten Gründen war es auch nicht einfach, Wettermeldungen über Satelliten zu erhalten. Es gab fast regelmäßig einen Kampf darum.

Beim Lesen wird sicherlich auffallen, dass MS „J. G. Fichte“ auf unserer Reise sehr viele Leerzeiten hatte. Damit meine ich Liegezeiten, in denen hinsichtlich der Ladung nichts oder nicht viel geschah. Die Reederei-Oberen und die Schiffsführung selber, so hatte ich häufig den Eindruck, hatten damit so gut wie kein Problem, weil sie immer davon ausgingen, dass unabhängig von der Wirtschaftlichkeit des Schiffes die Ausbildung, gleichgültig, ob für Studenten oder für Matrosenlehrlinge, dennoch funktionierte, was ja auch grundsätzlich der Fall war. Andererseits ging es oft um so genannte Solidaritätsfracht, in welche Richtung auch immer (meistens in Richtung Kuba), und dabei spielte dann Wirtschaftlichkeit nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem hatte die „Fichte“ ja ohnehin keine wirklich großen Ladekapazitäten! Aus dieser Erkenntnis heraus ergab sich auch, dass wir fast 14 lange Tage in Rostock an der Pier lagen, bis die Reise endlich begonnen werden konnte. Und auch diese Zeit, aber auch lange Liegezeiten in Kuba, möchte ich schon wegen der Authentizität der Ereignisse in meinem Tagebuch erwähnen. Das ergibt allerdings, zumindest am Beginn des Tagebuches, ein etwas zähes Vorankommen der...

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