Komplexe Projekte managen
Komplexe Projekte managen oder „Die Steuerung einer Mondstation“

Die Projektaufgabe
Als Projektmanager nahm ich an einem Seminar mit dem Titel „Komplexe Projekte managen” teil. Komplexe Projekte hatte ich in meinem Berufsleben zur genüge und die meisten wurden auch erfolgreich abgeschlossen. Ich war auf das Seminar gespannt und zweifelte, ob ich da noch etwas „Neues“ lernen konnte. Der Projektmanager denkt und handelt in Prozessen:
Aufgabe -> Zieldefinition -> Ausgangssituation analysieren -> Ressourcen/Einsatzmittel planen-> Projektstrukturplan erstellen -> Arbeitspakete festlegen -> Netz/Terminplan erstellen und das Projekt starten.
Mit dieser Grundeinstellung bin ich in das Seminar gestartet. Kurz nach der allgemeinen Vorstellung der Teilnehmer wurde der Gruppe die Aufgabe erteilt, eine Mondstation für die nächsten 36 Monate zu managen. Wir befanden uns virtuell im Jahre 2150 und der Weltraum-Tourismus, speziell Urlaubsflüge auf den Mond, waren der letzte Renner. Für uns in der Gegenwart handelte es sich um eine Computersimulation. Das Programm simulierte alle Aktionen (= Eingaben), Reaktionen und die Auswirkungen/Ergebnisse in „Echtzeit”. Ein Monat wurde im Zeitraffer von einer Stunde simuliert. Der Zeitstrahl lief gerade aus - so wie im Leben und eine einmal getroffene Entscheidung konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Eine Entscheidung entfaltete ihre Wirkung nach dem Prinzip: „Ursache -> Wirkung“. War die Wirkung wie erwartet, musste nicht gegengesteuert werden. Wir hatten während der Seminar-Woche 36 Stunden Zeit die Mondstation zu managen. 36 Stunden Simulation entsprachen 36 Monate = 3 Jahre. Die Simulation lief pro Tag maximal acht Stunden und wurde dann „zwangsabgeschaltet”.
Die Projektaufgabe war, eine seit Jahren betriebene Mondstation für die nächsten 36 Monate zu managen, instand zu halten und den Cashflow von jährlich 10 Mio. Euro um 10% (p.a.) durch erhöhte Besucherzahlen zu steigern. Die bisherige Crew übergab uns die Mondstation in einer mehr oder weniger stabilen Ausgangslage. Die Crew der Bodenstation auf der Erde war etwas unprofessionell und musste öfters von der Mondstation aus „ferngesteuert“ werden. Für die nächsten 2 Monate waren alle „Zeiger im grünen Bereich”, wir mussten uns jedoch schnell einen Überblick verschaffen. Es gab zwei Raumschiffe die als Transporter für Ersatzteile, Lebensmittel und lebenserhaltende Güter (Sauerstoff, Medizin etc.) oder als Shuttle für Mondbesucher von der Erde eingesetzt werden konnten. Wurden die Raumschiffe als Transporter genutzt, dann hatten wir nur Kosten (= Ausgaben) und keine Einnahmen. Wurden die Raumschiffe als Shuttle genutzt, dann konnten Einnahmen generiert werden. Die Nutzung eines Raumschiffs als Shuttle und gleichzeitig als Transporter war technisch nicht möglich.
Die Schwierigkeiten, es wird komplex!
Für einen Verbindungsflug Erde-Mond-Erde benötigte das Raumschiff zwei Wochen. Die Vorräte reichten noch für die nächsten 2 Monate. Es musste also schnell gehandelt werden. Die nächsten Verbindungsflüge wurden für dringende Ersatzteile und „lebenserhaltenden” Ressourcen geplant.
Der Cashflow schmolz dahin - aus € 10 Mio. wurden € 7 Mio. in sehr kurzer Zeit. Danach wurde gegengesteuert und zahlenden Mondbesucher transportiert. Gesagt, getan und der Cashflow erholte sich.
Plötzlich und unerwartet fiel ein Raumschiff aus und einige Besucher erkrankten. Der Zeit- und Kostenplan geriet außer Kontrolle. Die Situation verschlimmerte sich noch, als die Erdstation wegen Unwetter eine Zeitlang nicht angeflogen werden konnte. Außerdem traten einige technische Probleme auf, Filter für die Frischluft fielen aus, der Zentralcomputer streikte und die Mondstation schien in einen chaotischen Zustand zu fallen.
Beschafften wir die „Lebenserhaltenden Grundstoffe” (Luft, Wasser, Versorgung, Technik) schmolz der Cashflow dahin, holten wir vermehrt Besucher auf die Mondstation, dann überforderte dies- mit Verzögerung- die „lebenserhaltenden” Systeme und wir mussten hier wieder handeln - also weniger Besucher und die nächsten Flüge als Transporter planen.
Wir lernten, dass sich kleinste ungelöste Probleme oder marginale Fehlentscheidungen nach ein paar Wochen zu echten Katastrophen entwickeln konnten.
Der Regelkreis arbeitete mit einer Zeitverzögerung. Entscheidungen die wir jetzt trafen zeigten erst in einigen Monaten ihre volle Wirkung. Man bezeichnet dies als „Fernwirkung”. Unsere Entscheidungen zeigten oft zeitnahe positive Wirkungen und spätere negative Wirkungen. Unsere Planungen und Handlungen waren anfangs nur auf die nächsten Monate ausgerichtet. Damit hatten wir auch kurzfristigen Erfolg - aber die Fernwirkung und die Nebenwirkungen folgten…
Nach 12 Stunden oder einem Jahr in der Simulation rasten wir in eine Katastrophe - unser Cashflow schmolz dahin und die Mondstation war auf dem besten Weg, ein Mondfriedhof zu werden. Um unser Ziel zu erreichen, mussten wir alle bisherigen Strategien und Handlungen überdenken, analysieren und auf eine neue Grundlage stellen. Der alte Plan war gescheitert!
Der Lösungsweg
Ein Sprichwort sagt: „Not macht erfinderisch.“ Wir besannen uns auf Kreativ-Methoden, die wir in unseren Projekten oft angewandt haben.
Zu Hilfe kam uns die „Mind-Mapping Methode“. Mind-Mapping kommt aus dem englischen und heißt auf deutsch „Gedanken-Landkarte”. Die Methode ist einfach, übersichtlich und praktikabel in der Anwendung. Alle Ideen (Brainstorming) werden grafisch gelistet und nach Gruppen/Untergruppen strukturiert. Die Abhängigkeiten der Gruppen lassen sich recht übersichtlich darstellen und nach Funktionen sortieren. Man erhält dadurch eine „optische Landkarte” des dargestellten Problems (Projekts) aus der Vogelperspektive. Zum Thema Mind-Mapping findet der interessierte Leser umfangreiche Literatur im Internet. (Siehe auch Bibliographie)
Die Mondstation funktionierte wie ein komplexer Regelkreis, regelten wir ein System, dann hatte das Auswirkungen auf Nachbarsysteme. Manche Änderungen zeigten erst viel später Wirkung und wir mussten darauf achten, nicht zu große Änderungen durchzuführen.
Änderungen in einem System waren „positiv” mit anderen Teilsystemen gekoppelt, z.B. mehr Besucher brachten höhere Einnahmen. Dies war aber wieder negativ mit den Ressourcen gekoppelt - der Verbrauch stieg und wir mussten mehr Ressourcen anfordern. Auch die Zieldefinition musste überdacht werden: Den Cashflow steigern oder eine technisch perfekte Mondstation? Das erste Ziel vertrug sich nicht mit dem zweiten Ziel. Wenn Besucher auf der Mondstation waren, dann konnte nicht an technischen Anlagen gearbeitet werden. Eine eingehende Analyse zeigte, welchen Konflikten wir ausgesetzt waren:
1.) Zieldefinition, Teilziele und Gesamtziel, 2.) Nebenwirkungen, 3.) Nah- und Fernwirkungen, 4.) Positive und negative Rückkopplungen, 5.) Informationsflut und 6.) Rationale oder emotionale Entscheidungen?
Das Gesamtziel war klar - die Mondstation sollte 36 Monate in einem technisch stabilen Zustand gemanagt und der Cashflow auf 13,3 Mio. € gesteigert werden.
Wir erkannten, dass das Gesamtziel nicht so einfach zu erreichen war. Bei genauerem Hinsehen bestand das Gesamtziel aus vielen kleinen Teilzielen: Die elektrischen und mechanischen Systeme mussten instand gehalten werden, der Mondtourismus musste gemanagt werden, hier gab es wieder Teilziele wie das „Mondmarketing”, ein attraktives Besucherprogramm, Versorgung etc. Aus der Ferne betrachtet sah das Gesamtziel klar und deutlich aus, je intensiver wir uns jedoch damit beschäftigten, umso komplexer wurde es die Teilziele exakt zu definieren.
Die meisten Teilziele, Entscheidungen und Aktionen hatten Wechselwirkungen mit anderen Teilsystemen. Diese Wechselwirkungen traten manchmal direkt und oftmals erst viel später ein. Sie hatten positive oder negative Auswirkungen auf andere Teilsysteme, verstärkten oder schwächten diese.
Die technische Informationsflut zwang uns oft einige Schritte zurück zu treten, damit wir das „Gesamtbild” der aktuellen Situation klarer sehen konnten. Die meisten unserer Entscheidungen fällten wir anfangs emotional aus dem „Bauch” heraus. Der Grund dafür war die Informationsflut (welche Informationen waren wichtig und welche unwichtig), die Intransparenz der Situation und die Unvorhersehbarkeit von positiven (eher selten) und negativen (eher öfter) Ereignissen. Wir hatten kein klares Gesamtbild von den Nach- und Fernwirkungen und von den positiven und negativen Rückkopplungen der Teilsysteme. Wir hatten auch keine Strategie für „plötzliche und unerwartete Ereignisse” wie Krankheit, technische Defekte oder das schlechte Wetter auf der Erdstation.
Was hat dies alles mit Projekten zu tun? Eine Mondstation zu managen ist ein “Komplexes Projekt”.
Komplexe Projekte haben:
- Ein Gesamtziel mit Teilzielen
- Wechselwirkungen
- Zeitliche Nah- und Fernwirkungen
- Positive und negative Rückkopplungen
- Die ständige Informationsflut ist schwer zu bewältigen
- Plötzliche und unerwartete Ereignisse sind wahrscheinlich
- Die Handlungen basieren oft auf emotionalen Entscheidungen
Die Informationsflut:
- Zu viele Informationen können zur Unentschlossenheit führen
- Zu viele Informationen können wichtige Informationen verdecken
- Zu viele Informationen können zur Verwirrung führen
- Zu wenig Informationen können zur Unentschlossenheit führen
- Zu wenig Informationen können zu Falschannahmen...