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E-Book

Simsons Planken

Eine Schiffergeschichte

AutorBodo Krüger
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783752844177
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Der Verfasser, Jahrgang 1945, stammt aus einer Schifferfamilie und befuhr bis zum 14. Lebensjahr auf dem Schiff seiner Eltern die Wasserstraßen Deutschlands und den Niederlanden. Rückblickend setzt er mit kleinen Geschichten diese vergangene Welt mosaikartig wieder zusammen.Er erinnert sich, wie sehr er vieles vermisste: die Schule, das selbstverständliche Leben an Land, den Umgang mit anderen Kindern. Eigentlich einen großen Teil der unbeschwerten Kindheit. Auch werden die psychischen Veränderungen der Mutter und der Alkoholismus des Vaters für den Jungen immer mehr zum Problem. So muss er sich damit abfinden, dass die tragende Basis seines Lebens auf schwankenden Planken gegründet ist. Bis plötzlich ein Mann der Behörde als Vertreter des Staates auftaucht.

Der Verfasser Bodo Krüger (Jahrgang 1945) lebte bis zum 14. Lebensjahr auf einem Binnenschiff. Nach einer kaufmännischen Lehre studierte er Theologie und Philosophie und arbeitete bis zu seinem Ruhestand als Pastor. Er setzt in seinen Erinnerungen die problematische Welt seiner Kindheit mosaikartig in thematisch unterschiedlichen Episoden zusammen. Hier zeichnet er das Bild seiner Eltern und der Binnenschiffer in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

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Leseprobe

Der Umbau des Dampfers


Nahe der Hammerbrookschleuse, wo Bahngleise das Hafengebiet wie Adern durchziehen, steht ein gewaltiger Kran. Dort soll der erste Teil der Verwandlung des Dampfers Bodo in ein modernes Motorschiff erfolgen: Das Herausnehmen des Dampfkessels. Das Schiff muss dazu ein paar Tage an der Kaimauer liegen. Über ihm wie ein Ungeheuer der Riesenkran. Die Stimmung wie vor einer Geburt, wie die Ruhe vor dem Sturm, wie das Warten auf ein Naturereignis.

Der Dampfkessel soll herausgenommen werden. Dieses Herzstück unseres Dampfers, mit dem das Bodo-Schiff drei Jahre über Flüsse und Kanäle gefahren ist. Eine lange Zeit für ein Kind. Vater kommt in seinem guten, aber schon ziemlich abgetragenen Anzug aus der Stadt und verkündet Mutter und mir feierlich: „Heute geht es los.“ Arbeiter haben mit ihren Brenngeräten schon den Kessel freigelegt. Auch der Schornstein mit dem wappenartigen K liegt jetzt unbrauchbar auf dem Deck. Dann hört man den Kran heranfahren. Mutter und ich sollen vorsorglich in der Kajüte bleiben. Es können Eisenteile auf das Deck fallen. Das Schiff erzittert, als empfände es Schmerz bei der Trennung von dem, das seit vierzig Jahren zu ihm gehört. Ein letzter Ruck, dann hebt sich der Schiffsrumpf um ein großes Stück mehr aus dem Wasser. „Jetzt könnt ihr rauskommen“, ruft Vater. Der riesige Kessel hängt einige Meter über uns an stählernen Trossen. Das ist er also. Als er noch im Bauch des Bodo-Schiffes war, konnte man ihn nie so richtig sehen. Er erstreckte sich über mehrere Schotten. Im Maschinenraum sah man nur das Ende mit der Ofenklappe, die der Heizer auf der Fahrt wie ein unersättliches Maul mit Kohlen füttern musste. Das alles ist nun Vergangenheit.

Wie auch Schorsch, unser alter Heizer, den Vater vor Beginn der Ausbauarbeiten entlassen musste. Er war ein etwas kauziger alter Mann. Immer schwarz angezogen wie ein Schornsteinfeger. Allerdings trug er keinen Zylinder, sondern eine ziemlich schmutzige Schiffermütze mit einer Kokarde drauf. Er war zart, eher dürr, fast ausgemergelt. Während der Fahrt saß er, wenn der Kessel und die Dampfmaschine versorgt waren, auf der Treppe zum Maschinenraum. Den rechten Arm lässig abgestützt und rauchte mit Öl verschmierten Fingern eine Zigarette nach der anderen. Überhaupt war er wie der Leibhaftige mit Ruß bedeckt. Ich glaube, er hat sich selten gewaschen. Waschwasser ist knapp auf dem Schiff und Fluss- und Kanalwasser nicht für das Gesicht geeignet. Fast in jedem Hafen hatte Schorsch eine Nichte sitzen. Die jungen Frauen besuchten ihn. Er machte sich ein bisschen landfein und ging mit der einen oder anderen auch schon mal in die Stadt. Wenn er gute Laune hatte, kramte er mühsam einen eingewickelten Bonbon aus seiner vor alter Schmiere starren Hose, den er mir verschmitzt lächelnd reichte. Ich nahm ihn und machte mich rasch aus dem Staube. Später warf ich ihn dann ins Wasser. In den Mund stecken wollte ich ihn nicht. Er roch auch mehr nach Öl als nach Bonbon.

Erste sinnliche Erinnerungen verbinde ich mit dem Geruch von Dampf. Dem stetigen Vorbeiziehen der Landschaft. Sträucher, Bäume, Felder, Wiesen, Dörfer und Städte. Im Sommer sitze ich mit kurzer Hose auf den Eisenplanken, die sich durch intensive Sonnenbestrahlung erwärmen. Zufrieden und stolz blicke ich zu Vater hinauf. Er steht an sehr warmen Tagen im Unterhemd auf der Kommandobrücke. Auf dem Kopf eine früher wohl weiße, nun aber schon reichlich vergilbte Mütze. Mit seinen nicht großen, aber kräftigen Händen, deren Finger von der Arbeit aufgeplatzt und zerfurcht sind, hält er das Steuerrad und herrscht wie ein König über das Schiff. Der Dampfer hat besonders in den schmäleren Flussläufen der Havel eine ziemliche Wasserverdrängung. Damit lenkt er die Aufmerksamkeit kleinerer Schiffe oder Angelboote auf sich, die auf einmal anfangen, stark zu schaukeln. Auf die mir ziemlich winzig vorkommenden Sportboote blicken wir herab, und ihre Besitzer mit ängstlichen, manchmal auch bösen Blicken auf uns, wenn wir mit schäumender Bugwelle an ihnen vorbeiziehen und ihre Boote zum Schwanken bringen. Beim Durchfahren von niedrigen Brücken ziehen wir den Schornstein mit dem großen K ein. Dampf breitet sich unter dem Brückenbogen aus. Die auf uns Herunterschauenden ziehen schnell den Kopf zurück oder halten die Hände schützend vor Nase und Mund. Das alles hat nun ein Ende.

Nachdem unser Dampfer jetzt ohne Fortbewegungsorgane und Schornstein schon gar nicht mehr dampferähnlich aussieht, wird er nach Travemünde geschleppt. Dort soll er auf der Schiffswerft Schlichting ein neues Steuerhaus, einen anderen Kajütenaufbau und vor allem einen Motor bekommen. Darauf freuen wir uns, trotz aller Wehmut.

Der Umbau dauert Monate. Ich habe die Zeit auf der Werft als Ende eines Lebensabschnitts in Erinnerung. Meine kurze unbeschwerte Kinderzeit ist mit dem Umbau zu Ende. Danach ist plötzlich alles schwerer, düsterer, hektischer und nicht mehr glücklich. Das hängt auch damit zusammen, dass Vater nun größere Belastungen durch Kredite hat und zusehen muss, möglichst jede angebotene Ladung anzunehmen. Ob sie ihm passt oder nicht.

Um die Kosten geringer zu halten, führt er kleinere Arbeiten, wie Streichen und Ausbesserungen am Schiff in Eigenregie aus. Dazu heuert er einen Hilfsmann aus Travemünde an, der mit ihm abrostet und den Schiffsrumpf an schadhaften Stellen mit Mennige vorstreicht, damit später der endgültige Anstrich aufgetragen werden kann. Es ist Pech, dass dieser Bursche nicht zuverlässig ist. Mal kommt er zur Arbeit, mal kommt er nicht. Er bekommt seinen Lohn täglich und kehrt dann gleich in einer Kneipe zu Bier und Korn ein. Plötzlich erscheint er mehrere Tage gar nicht mehr, was uns dann schließlich doch beunruhigt. Vater kennt die einschlägigen Kneipen und sucht seinen Hilfsmann persönlich, was Mutter und mich ebenfalls unruhig macht, da er ja auch selbst nicht vor dem Versacken gefeit ist.

Tage später dann – Vater hat schon einige Zechtouren hinter sich – fischt man eine männliche Leiche aus der Trave. Es ist unser Hilfsmann. Er ist nachts im Rausch am Traveufer abgerutscht und fand in der Strömung des Flusses den Tod. „Die Leute, die man für solche Arbeiten kriegt, sind alle nichts“, stellt Vater fest. „Wir machen den Rest allein.“ So bindet sich Mutter ein Kopftuch um. Ich bekomme eine Mütze auf und springe im Laderaum herum. Oder ich versuche mich auch beim Streichen. Das wird aber eher ein Spiel, während die Eltern richtig arbeiten.

Um nach Travemünde zu gelangen, müssen wir mit einem Fährprahm über die Trave. Die Fähre fährt sehr langsam. Sie wird nur durch ein Drahtseil in Bewegung gesetzt, das unter Wasser durch den Fluss verläuft und von einer Motorwinde auf dem Schiff aufgewickelt wird. Dieses Schneckentempo der Fähre ist wohl auch der Grund, warum die große Bootshalle nicht vor den Flammen gerettet werden kann. Wir liegen erst einige Tage am Anleger, als wir durch Schreie und helle Flammen aus dem Schlaf gerissen werden. Immer wieder hören wir Martinshörner. Auf der Fähre stehen Feuerwehren und lassen, wenn sie schon nicht schnell zum Verrichten ihrer Arbeit hinüber kommen, wenigsten ihre Warnsignale häufiger ertönen. Vater macht sich an den Trossen zu schaffen, um das Bodo-Schiff weiter vom Brandherd weg in den Fluss hinein zu manövrieren, was ohne Maschine nur durch Staken möglich ist. Jedenfalls sage ich in dieser Situation zu meiner Mutter den filmreifen Satz: „Mama, ich habe dich so geliebt und nun müssen wir sterben!“

Sie nimmt mich in die Arme und tröstet mich. Nach einigen Stunden ist das Feuer gelöscht. Die Luft riecht noch lange nach dem Brand, und man kann schlecht atmen.

In dieser Umbauzeit sehen wir in Travemünde auch einen Film und ein Weihnachtsmärchen. Zu beiden gehe ich das erste Mal. Die Leinwand des Kinos erscheint mir riesig und macht großen Eindruck auf mich. Es ist ein Film mit Maria Schell. Die spielt eine junge hübsche Frau, die bei der Heuernte einen ebenfalls jüngeren kernigen Mann lange küsst. Wir sitzen ziemlich weit in der Mitte der Reihe, die fast ganz besetzt ist. Ich muss plötzlich dringend zur Toilette. Dahin gehe ich allein sehr ungern. Besonders in fremder Umgebung. Ich habe die fixe Idee, dass ich plötzlich die Klotür nicht mehr aufbekomme. In diesem Kino aber quetsche ich mich doch ohne Mama an den Sitzenden vorbei, denn die stellt sich stur und will den Film ohne Unterbrechung genießen. Hurra, ich habe ein Erfolgserlebnis und schaffe alles auch ohne mütterliche Hilfe! Allerdings verlassen wir das Kino dann doch vor Schluss, weil ich das lange Sitzen nicht mehr aushalte. Diesen Film finde ich doch ziemlich langweilig, womit ich mich sehr von der Einschätzung meiner Mutter unterscheide.

Als Weihnachtsmärchen gibt es Hänsel und Gretel. Es wird mir von Mutter als Theaterstück angepriesen. Sie sagt, dass ich neben dem Kino, in dem man gewiss ohne Frage viel lernen kann, auch in meinem späteren Leben häufig ins Theater gehen müsse, denn das sei noch wichtiger...

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