3 Psychometrische Untersuchungen zur deutschen Form der Skalen Psychischer Kompetenzen (SPK)
Das Forschungsfeld, in dem der Bedarf nach einem Messinstrument zur Erfassung struktureller Veränderung entstand und in dem auch der überwiegende Teil der psychometrischen Teilstudien stattfand, war die Münchner Psychotherapie Studie (MPS). Die Untersuchungen zu den Hauptgütekriterien der SPK basieren auf der Datengrundlage der MPS, einer randomisierten Psychotherapievergleichsstudie an einer homogenen Stichprobe von depressiven Patienten. Es werden Outcome und Therapieprozess von Psychoanalyse, psychodynamischer Psychotherapie und Verhaltenstherapie miteinander verglichen. Diese Studie wird seit 1996 an der Poliklinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und medizinische Psychologie des Klinikums rechts der Isar durchgeführt und war der Anlass, nach einem Instrument zu suchen, das die spezifischen Therapieeffekte erfasst. Die im Folgenden dargestellten SPK-Werte von depressiven Patienten stammen immer aus dieser Psychotherapiestudie. Genaueres zum Design dieser Studie, Beschreibung der Ein- und Ausschlusskriterien sowie der eingesetzten internationalen Testbatterie, findet sich bei Huber et al., 1997, 2001, 2002; Huber & Klug, 2002a,b, 2005b.
3.1 Überblick über die einzelnen psychometrischen Teilstudien2
Zur psychometrischen Absicherung eines Messinstrumentes müssen nach der klassischen Testtheorie die drei Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität erfüllt sein (Amelang & Zielinski, 1994; Lienert & Raatz, 1998). Lienert und Raatz (1998) definieren Objektivität eines Tests als den Grad, in dem Ergebnisse eines Tests unabhängig vom Untersucher sind. Der Begriff der Objektivität wird in der angloamerikanischen und deutschen Literatur recht unterschiedlich gefasst. Im Spezialfall eines Interviews mit anschließendem Expertenrating, mit dem wir es in der vorliegenden Untersuchung zu tun haben, entspricht die Auswertungsobjektivität der Interrater-Reliabilität. Lienert und Raatz (1998) bezeichnen die verschiedenen Arten der Objektivität als Sonderfälle der Reliabilität. Im Folgenden wird daher die Objektivität in Form der Interrater-Reliabilität unter Reliabilität abgehandelt.
Unter Reliabilität oder Zuverlässigkeit eines Tests versteht man den Grad der Genauigkeit, mit dem er ein bestimmtes Merkmal misst, gleichgültig, ob er dieses Merkmal auch zu messen beansprucht. Neben der Interrater-Reliabilität ist für ein Messinstrument, das auf einem Interview basiert, insbesondere die Bestimmung der Retest-Reliabilität wesentlich. Sie beruht auf der Testwiederholungsmethode: Man führt den gleichen Test an der gleichen Stichprobe zweimal durch und ermittelt die Korrelation der beiden Ergebnisreihen. Da dieser Korrelationskoeffizient bei klinisch unverändertem Status der Population ein Maß für die Stabilität des Messinstrumentes darstellt, wird er in der angloamerikanischen Literatur als Stabilitätskoeffizient bezeichnet. Dies hat sich zunehmend auch in der deutschen Literatur durchgesetzt; daher wird der Ausdruck Stabilitätskoeffizient im Folgenden übernommen.
Die Validität oder Gültigkeit eines Tests gibt den Grad der Genauigkeit an, mit dem dieser Test dasjenige Merkmal, das er messen soll, tatsächlich auch misst. Auch bei der Validität können verschiedene Aspekte unterschieden werden. Da es in der folgenden Untersuchung um das Konstrukt der strukturellen Veränderung geht, spielt nur die Konstruktvalidierung eine Rolle. Dabei wird aufgrund theoretischer Erwägungen und anhand sich daran anschließender empirischer Untersuchungen entschieden, ob ein Test ein bestimmtes Konstrukt zu erfassen vermag.
Wird ein Test zur Veränderungsmessung, wie es in der Psychotherapieforschung häufig der Fall ist, eingesetzt, muss auch seine Änderungssensitivität nachgewiesen werden. In den meisten Standardwerken zur klassischen Testtheorie zählt sie nicht zu den Hauptgütekriterien; im Kriterienkatalog des Testkuratoriums (1986) werden aber Angaben zur Änderungssensitivität gefordert. Schuck (2000) versteht unter Änderungssensitivität, dass ein nach den Kriterien der klassischen Testtheorie konstruiertes Instrument Interventionseffekte abzubilden vermag.
Einen Überblick über die einzelnen durchgeführten Teilstudien gibt Tabelle 1 mit Verweis auf das betreffende Kapitel, einer Kurzbeschreibung des Designs und Hinweis zu der verwendeten Teilstichprobe.
Erläuterung zu den Stichproben:
Insgesamt werden in den SPK-Teilstudien 226 Patienten untersucht: 133 depressive, 33 Borderline-Patientinnen und 60 psychisch gesunde Kontrollen. Die depressiven Patienten entstammen alle der MPS-Gesamtstichprobe. 20 Patienten haben an der Test-Retest-Messung ca. 10 Wochen nach der Prae-Messung teilgenommen. 42 depressive Patienten, die ihre Therapie beendet haben, haben zum Zeitpunkt Post ein Katamnesegespräch und ein zweites SPK-Interview erhalten. Insgesamt wurden 284 SPK-Interviews durchgeführt.
Tab. 1: Überblick über die psychometrischen Teilstudien (Abkürzungen für die Tests siehe Text)
Teilstudie | Design | Stichprobe (N = 226) |
Interrater-Reliabilität (Auswertungsobjektivität) | Im Anschluss an ein Ratertraining schätzen 3 Rater die gleichen Patienten anhand von Audioaufnahmen der klinischen und der halbstandardisierten SPK-Interviews ein | 38 depressive MPS-Patienten |
Retest-Reliabilität (Stabilität) | Nach ca. 10 Wochen wird mit den Patienten das SPK-Interview ein zweites Mal von einem zweiten Untersucher durchgeführt und zusätzlich durch einen dritten Untersucher eingeschätzt | 20 depressive MPS-Patienten, die bereit waren, das SPK-Interview ein zweites Mal durchzuführen |
Konstruktvalidität I (Gruppentrennung) | Vergleich der empirisch gefundenen SPK-Profile von Depressiven, Borderline-Patienten und gesunden Personen | 36 weibl. jüngere depress. MPS-Pat., 33 weibl. Borderline-Pat. und 36 weibl. gesunde Kontrollpersonen |
Konstruktvalidität II (diskriminante und konvergente) Validität | Zusammenhänge zwischen SPK und anderen bereits standardisierten Tests; konstruktfern: SCL-90-R, BDI, BSS, GAF; konstruktnah: IIP, FKBS, FLZM, Skala FPI-R Lebenszufriedenheit, OPD | 47 depressive MPS-Patienten |
Änderungssensitivität | Ermittlung der Prae-Post-Differenzen in den SPK nach einer psychoanalytischen Langzeittherapie; Berechnung von Effektstärken und Klinischer Signifikanz; Vergleich der SPK-Veränderungen mit einem Expertenurteil | 42 depressive MPS-Patienten, die ihre Therapie beendet haben |
Normen | Mittelwerte und Standardabweichungen; Abhängigkeit von Statusmerkmalen: Alter, Geschlecht, Schulbildung | 133 depressive MPS-Patienten, 60 gesunde Kontrollpersonen |
Faktorenanalyse | Hauptkomponentenanalyse, Varimax-Rotation | 133 depressive MPS-Patienten |
3.1.1 Beschreibung der Gesamtstichprobe der depressiven Patienten
Im Folgenden wird die Gesamtstichprobe der 133 depressiven Patienten beschrieben. Alle Patienten hatten sich zur Vermittlung eines Therapieplatzes an die psychosomatische Ambulanz des Klinikums rechts der Isar gewandt. Alle nahmen an mindestens zwei Terminen teil, wobei der erste immer das unstrukturierte klinische Interview, der zweite das SPK-Interview beinhaltete.
Bei den einzelnen Teilstudien wird nur dann eine erneute Stichprobenbeschreibung vorgenommen, wenn es sich um eine spezielle Auswahl aus der Gesamtstichprobe handelt, d. h. wenn sich die Teilstichprobe in einer Variablen signifikant von der Gesamtstichprobe unterscheidet (z. B. wurden bei der Konstruktvalidierung I nur weibliche Personen eingeschlossen).
Tabelle 2 zeigt die soziodemographischen und klinischen Daten der depressiven Gesamtstichprobe. Die...