Deutsche Kolonisierung (1149–1526)
Herrschaftsgeschichtlich von geringer Symbolkraft, gibt das Jahr 1149 wirtschaftshistorisch eine geeignete Zäsur ab, um ein neues Kapitel der Region nicht nur in diesem Buch aufzuschlagen. 1149 markiert das Ende des 2. Kreuzzuges, der zwei Jahre lang gedauert und mit einer Niederlage der Päpstlichen geendet hatte. Dem slowakischen Historiker František Bokes zufolge sahen die aus deutschen Landen über die Donau flussabwärts und anschließend wieder in ihre Heimat retour ziehenden Kreuzzügler mit eigenen Augen, wie dünn der „slowakische“ Landstrich in jenen Jahren besiedelt gewesen war.5 Mehr als das persönliche Erleben dürfte allerdings das Bevölkerungswachstum in den deutschen Ländern dazu beigetragen haben, dass dort die Bereitschaft zur Auswanderung gegeben war. Die ungarischen Könige erhofften sich von den deutschen Siedlern Impulse zur wirtschaftlichen Modernisierung. Mitte des 12. Jahrhunderts wurde unter König Géza II. systematisch damit begonnen, Fachkräfte aus dem Westen des Kontinents anzuwerben. Die Familien kamen vornehmlich aus Sachsen, Schlesien und dem mittleren Rheinlauf und fanden im Norden Ungarns, am Fuße der Hohen Tatra, rund um Poprad und in der Gegend von Zips6, ideale Bedingungen zur Ansiedlung im Rahmen von Koloniegründungen vor.
Die ersten Siedler aus dem Westen nahmen militärische Funktionen wahr. Als Bauern vom ungarischen König eingeladen, wurden ihnen Wohnstätten im fernen Nordosten des Landes zugewiesen, damit sie einen Schutzwall gegen nomadisierende Völkerschaften aus dem Osten bildeten. Die Einwanderer brachten moderne landwirtschaftliche Produktionsmethoden mit. Zu den von ihnen eingeführten technischen Neuerungen gehörten der Bau von Wassermühlen, der Wendepflug, mit dem es anders als beim traditionellen Hakenpflug möglich war, die Erde nicht nur aufzuritzen, sondern umzuwenden, sowie rationellere Schmiedetechniken.7 Bislang menschenleere Gebiete wurden urbar gemacht und Wälder gerodet, nachdem die durch die neuen Ackerbaumethoden produktivere Landwirtschaft nun mehr Menschen ernähren konnte. Nicht zuletzt aufgrund der deutschen Kolonisten nahm die Bevölkerungsanzahl beträchtlich zu. Schätzungen gehen davon aus, dass zur Mitte des 14. Jahrhunderts jeder vierte Bewohner auf dem Gebiet der Slowakei deutscher Muttersprache war. Ihnen wird von karpatendeutschen Autoren nicht nur eine ökonomisch zweifellos vorhandene modernisierende Kraft zugeschrieben, sondern auch eine assimilierende Funktion für die ungarische Herrschaft. So ist Josef Spetko davon überzeugt, dass es des fremden Elements der Deutschen (und nicht nur der Deutschen) bedurfte, um auf die Ungarn einen „kultivierenden Prozess der Verwandlung“ in sesshafte Bauern auszuüben.8 Die slawischen Leibeigenen kommen in solchen Huldigungen der deutschen Kolonisation nicht vor.
In zeitgenössischen Abhandlungen wurden die Siedler aus deutschen (oder wallonischen) Landen durchwegs als „hospites“, Gäste, bezeichnet. Sie waren entscheidend an der Gründung von Städten beteiligt und führten eigene Stadtrechte wie das „Nürnberger“, das „Magdeburger“, das „Iglauer Recht“ oder die „Zipser Willkür“ ein. Erste bürgerliche Freiheiten waren damit garantiert. So wurden persönlicher Besitz, die Ausübung eines Handwerks, die Nutzung von Feldern und Wäldern, fallweise die Befreiung von Pflichten gegenüber dem Landesherrn sowie die Wahl bestimmter Positionen innerhalb der Bürgerschaft verrechtlicht und kodifiziert. Die Stadtgründungen selbst blieben dem König oder dem Grundherren vorbehalten.
Mitten in diese gesellschaftliche Neuordnung, mit der auch der slowakische Bergbau einer neuen Blütezeit zustrebte, brach das Land unter dem Ansturm mongolischer Reiterheere zusammen, die Ungarnkönig Béla IV. und seiner Armee am 11. April 1241 in der Schlacht von Muhi (bei Miskolc) eine schwere Niederlage zufügten. Das Jahr 1241 steht für eine Zäsur, die für Ungarn zwar extreme Bevölkerungsverluste und Verwüstungen mit sich brachte, deren Konsequenzen interessanterweise jedoch nicht von langer Dauer waren. Der Mongolensturm war so überraschend vorüber, wie er gekommen war. Beim Wiederaufbau des Landes musste nicht auf vorhandene Strukturen Rücksicht genommen werden.
Die Blütezeit des Bergbaus
Schon vor dem Einfall der Mongolen erhielten mit Tyrnau/Trnava 1238 und Karpfen/Krupina die ersten Siedlungen auf dem Gebiet der heutigen Slowakei ein vom König verliehenes Stadtrecht. Nach dem Rückzug der Mongolen folgten Neutra/Nitra, Sillein/Žilina, Leutschach/Levoča (1271), der 24 Ortschaften umfassende „Bund der Zipser Städte“ und andere.
Als große Bergbausiedlungen jener Zeit gelten Schemnitz/Banská Štiavnica, Kremnitz/Kremnica und Neusohl/Banská Bystrica an der Gran/am Hron. Mit dem Namen Schemnitz verbindet sich auch ein eigenes Stadtrecht, das Schemnitzer Recht, das Abbau und Schürfrechte der Edelmetalle regelte. Unter der neuen Oberherrschaft der Anjou, die den in männlicher Linie ausgestorbenen Arpaden auf dem ungarischen Thron folgten, kann das 14. Jahrhundert als glanzvolle Ära des slowakischen Bergbaus bezeichnet werden. Im „goldenen“ Kremnitz förderte man Gold, im „silbernen“ Schemnitz Silber und im „kupfernen“ Neusohl holte man jenes Erz aus dem Berg, das der mangelnden technologischen Kenntnis wegen anfangs nach Italien transportiert werden musste, wo aus dem Gestein Silber von Kupfer getrennt wurde.
Der oberungarische Bergbau erlangte Wichtigkeit für halb Europa. Kremnitzer Münzanlagen prägten goldene Dukaten, die bis nach Deutschland und Italien ihre herrschaftlichen Abnehmer fanden.9 Und für den europäischen Kupferabbau erreichte Neusohl eine marktbeherrschende Stellung. Monopolgesetze und ein eigenes Ausfuhrverbot für rohes, nicht gemünztes Gold im Jahre 1325 sicherten dem Landesherrn enorme Profite. Die örtliche Bevölkerung, insbesondere die slawisch sprechende, profitierte freilich nicht davon.
Ein Wortbruch im fernen Konstanz am Bodensee hatte dann unerwartete Folgen auch für die oberungarischen Bergbauzentren. 1415 war der böhmische Reformer und Revolutionär Jan Hus trotz versprochenen freien Geleits vom päpstlichen Konzil zu Konstanz als Ketzer verurteilt und öffentlich verbrannt worden. Sein Tod löste soziale Unruhen in ganz Mitteleuropa aus, die nur vordergründig als rein religiös interpretiert werden können. Um 1428 drangen hussitische Heere in die vorwiegend deutsch besiedelte Stadt Neutra/Nitra ein. Die Deutschen galten ihnen aus zwei Gründen als Feinde: sie profitierten mehr als andere Bevölkerungsgruppen vom Bergbau und wurden kollektiv für das Todesurteil gegen Jan Hus verantwortlich gemacht. Mit einem Sieg über königliche Truppen im Jahr 1430 festigten die hussitischen Sozialrebellen ihre Positionen in Oberungarn. Einer ihrer Führer, Johann Giskra (Ján Jiskra) kontrollierte mit seinen bewaffneten Aufständischen über fast zwei Jahrzehnte weite Teile des Landes. In Kremnitz ließ er eigene Goldmünzen prägen. Erst König Mathias Corvinus besiegelte das Ende der insbesondere vom städtischen Bürgertum als Schreckensherrschaft empfundenen Hussiten. Es bedurfte jedoch privater Investoren, um die danieder liegenden Bergbauzentren wieder in Schwung zu bringen. Wieder war es eine ungarisch-deutsche Allianz, die sich der Geschicke des Landstriches annahm, diesmal allerdings keine herrschaftliche, sondern eine des Kapitals. Johann Thurzo, ein ungarischer Patrizier und Waffenhändler aus Leutschach, pachtete im Jahr 1475 eine Reihe von Bergwerken, darunter jene in Schemnitz, Kremnitz und Neusohl, wobei er es besonders auf die Kupfergewinnung abgesehen hatte, die für moderne Waffenproduktion unerlässlich war. Als ihm für seine hochfliegenden Pläne das Kapital zu knapp wurde, holte er den damals wichtigsten Bergwerksindustriellen Europas mit ins Boot: Jakob (III.) Fugger aus Augsburg, genannt „der Reiche“, investierte in ein gemeinsames Unternehmen. Die Allianz der Fugger-Thurzo-Gesellschaft mit Sitz in Neusohl/Banská Bystrica wurde, wie auch in adeligen Kreisen üblich, privat mit einem Ehevertrag zwischen den beiden Familien besiegelt.
Die slowakische Erzförderung gedieh und warf enorme Gewinne ab. Die Bergknappen sahen davon jedoch wenig. Und die leibeigenen Bauern zu Anfang des 16. Jahrhunderts litten unter der Raffgier der Grundherren. Mehrmals entlud sich ihre Wut, insbesondere im großen ungarischen Bauernaufstand des Jahres 1514, dem sich ungarische und slowakische/slawische Bauern gleichermaßen anschlossen. Ihr Führer, György Dózsa, soll mit bis zu 100.000 Aufständischen Angst und Schrecken unter den Adeligen verbreitet haben.10 Den Bergarbeitern ging es nicht besser. Ein Knappenaufstand im Jahr 1525 dokumentiert die soziale Not der städtischen Unterschichten.11 Erstmals waren es Arbeiter, die von Neusohl ausgehend über ganz Oberungarn bis ins ferne Ofen/Buda ihre Stimmen und Waffen erhoben. Die vorrückenden Osmanen unter dem jungen Sultan Süleyman, die 1526 die entscheidende Schlacht im südungarischen Mohács gewinnen sollten, trafen auf ein sozial zerrüttetes Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung mit Herren und Besitzern unzufrieden waren.
Das elende Landleben
Während die Städte im 15. Jahrhundert eine Blütezeit erlebten, herrschte auf dem Dorf das blanke Elend. Die Feldwirtschaft betreibenden Menschen waren großteils Leibeigene oder Fronbauern, für die sich in der Zeit der Anjou die Bezeichnung „Jobbágy“12 durchsetzte. Ein schier undurchschaubares Gewirr an grundherrlichen Zwangsabgaben und Frondiensten, unter denen die Landbevölkerung zu leiden hatte, wurde nach und nach...