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E-Book

Smart Capitalism

Das Ende der Ausbeutung

AutorMatthias Horx
VerlagEdel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl197 Seiten
ISBN9783955305475
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Der Übergang von der Industriegesellschaft zu einer Wissensökonomie krempelt nicht nur die Wirtschaftsprozesse, sondern auch die Wertesysteme um. Im Milieu der Start-ups und der neuen Wissens- und Kulturarbeiter entsteht eine soziale Bewegung, die den Traum der Achtundsechziger endlich verwirklicht: die Befreiung vom Joch der Maschinen und der monotonen Arbeit, die Synthese aus Selbstverwirklichung und Arbeit. Doch der neue, digitale Kapitalismus macht vielen Angst und erzwingt eine ungewollte Flexibilität. Damit bietet er jedoch auch neue Bewegungsmöglichkeiten. Er reißt alte Mauern ein - zwischen Berufsleben und Privatsphäre, Kreativität und Geldverdienen -, bietet neue Spielräume und eine ungekannte Autonomie. Der renommierte Trend- und Zukunftforscher Matthias Horx zeigt in seinem neuen Buch, dass im Übergang zu einer wissensbasierten Ökonomie 'der ganze Mensch' in den Mittelpunkt der Mehrwertschöpfung gerät. Der Wettbewerb um die kreativen Mitarbeiter humanisiert die Strukturen des Kapitalismus. Der 'War for Talents', der Krieg um die Begabten, führt mittelfristig zu Unternehmensstrategien, in denen nachhaltiger mit der 'Ressource Mensch' umgegangen wird. Dieser neue, auf Teamwork, Innovation und Kooperation aufgebaute 'Talentismus' macht unser Leben komplexer und anstrengender, aber auch selbstbestimmter. Er erfordert neue Sozialtechniken und neue politische Strukturen.

Matthias Horx, geb. 25. Januar 1955 in Düsseldorf, ist ein deutscher Publizist und Unternehmensberater, der von sich selbst und einigen Medien als 'Trend- und Zukunftsforscher' bezeichnet wird. Horx besuchte die Ziehenschule in Frankfurt am Main. Nach dem Abitur 1973 begann er ein Soziologiestudium an der Goethe-Universität, das er allerdings abbrach. In den 1980er-Jahren schlug er eine journalistische Laufbahn ein. 1980 bis 1992 arbeitete er als Autor und Redakteur bei Pflasterstrand, Tempo, Die Zeit und Merian. Er schrieb mehrere Bücher. 1993 eröffnete er gemeinsam mit Peter Wippermann das Trendbüro in Hamburg. Nach seinem Ausstieg aus dem Unternehmen gründete er 1998 das Zukunftsinstitut mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, das auch eine Zweigstelle in Wien unterhält. 2017 übergab Horx die Führung des operativen ZI-Geschäftes an Harry Gatterer. Horx lebt mit seiner Familie in Wien. Er ist mit der britischen Journalistin Oona Strathern verheiratet und Vater von zwei Söhnen.

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Leseprobe

DER ERLEUCHTETE MARKT


VERGESST DAS INTERNET –
ABER VERSTEHT ES ZUERST!


Alle Ökonomie wird zu einer »Ökonomie der Zeit«

Karl Marx

All Industry will end in a single huge bazaar, where a man will provide himself with everything.

Emile Zola, Money, 1891

Gerüche. Farben, Lärm. Der Duft von Gebackenem, Bitterem, Scharfem. Berge von runden, reifen Früchten. Gewürze und Köstlichkeiten, Lärm und Abfall. Verhandlungen, Feilschen, Geschrei. Geschichten aus anderen Ländern. Unglaubliche Geschichten!

Der Marktplatz ist ein duftender, vielfältiger, aber keineswegs ungefährlicher Ort. Schnell kann das Messer einmal locker sitzen, und haste-was-biste-was haut dich einer übers Ohr. Nichts steht fest, schon gar nicht der Preis. Der Markt kennt den Überfluss wie den Mangel: Die Früchte der Jahreszeiten sind preiswert, anderes wird über Nacht teuer, weil es von weither kommt oder irgendwo ein Brand ausbricht, eine Kutsche überfallen wird oder ein Pfeffersack umgefallen ist.

Dieses Jahr, lieber Freund, sollten es weniger Kürbisse sein und mehr Granatäpfel. Ja, Granatäpfel! Was, du willst keine anbauen? Zu mühsam? Streng dich an! Und ich mag diese goldenen Gürtelschnallen nicht, gib mir welche aus Zinn! Dafür zahle ich aber keine sieben Sesterzen, du Sohn eines Wucherers!

Der Markt ist ein zutiefst menschlicher Ort: Soft factors wie Sympathie, Vertrauen spielen eine gewaltige Rolle. Auf dem Markt erfahren Menschen etwas über die Welt. Der Markt ist der Ort der Sprache. Der Ort, an dem wir lernen, dass es einen Preis gibt, einen Wert und den Wert von Beziehungen. Der Ort, an dem Zukunft entsteht: Was heute einen Preis erzielt, kann morgen wertlos sein, ein Gegenstand kann einen Wert besitzen, den er erst später als Preis realisiert. Beziehungen und Informationen können sich als kostbarste aller Waren erweisen.

Es ist kein Zufall, dass zu allem entschlossene Terroristen den Terror zuallererst auf den Marktplatz tragen. Der Markt: Er ist das Zentrum des Ortes, das verletzliche Herz der menschlichen Kultur, die erste Sphäre der Öffentlichkeit und des Sozialen.

In der Weltordnung der feudalen Welt bestimmten zwei eherne Kraftzentren die Ordnung: der Herd und der Hof. Der bäuerliche Herd zementierte die Ordnung der Familie, die Herrschaft der Altvordern. Bei Hofe verzweigten sich die Hierarchien nach den Gesetzen von Reichtum und Blut, die genealogische Ordnung der Sippe regierte die soziale Welt: statisch, patriarchalisch, hierarchisch. Selbst wenn Intrige, Giftmord und Lüsternheit immer wieder zu Veränderungen führten.

Der Markt hingegen war immer schon eine Keimzelle des Aufruhrs. Der wirre Lärm, der vom Markt herüberdrang, erzeugte Unruhe im Palast. Wer trieb sich dort herum? Rottete man sich zusammen? Auf dem Markt konnte man etwas werden, ohne etwas zu sein, als Hasardeur, Ehrenmann, Gauner oder Informant – durch Fleiß, Raffinesse, Schlauheit, Smartness. Die Seefahrer, Gewürzhändler, Importeure brachten das Neue, das einen hohen Preis und hohe Aufmerksamkeit erzielte.

Im Römischen Reich unterlagen die Märkte engen militärischen Kontrollen, im Pharaonenreich waren sie verstaatlicht. Die Märkte des Mittelalters – die ersten offenen Märkte – waren ein Raum, der nicht freiwillig vergeben wurde. Die Fürsten Europas sahen sich im 14. Jahrhundert gezwungen, für ihren aufwendigen Lebensstil (und nicht selten ihre Kriegspläne) neue Einnahmequellen zu erschließen. Sie stellten Handwerker und Bauern in ihren Festungen geschützte Räume des Austausches von Waren und Dienstleistungen zur Verfügung. Wer kam, um zu handeln, musste einen Marktobulus zahlen, bekam dafür aber einen Ort, wo die Teilnehmer mit garantierten Regeln aufeinandertreffen konnten: die Marktordnung, garantiert durch die Hellebarden des Fürsten.

Die ersten hoch entwickelten Marktplätze des europäischen Mittelalters fanden sich – kein Zufall – in den handelsorientierten Regionen Europas, in den Niederlanden, im Ostseeraum, in England, aber auch in Teilen der Mittelmeerländer, zum Beispiel Portugal und Spanien. Hier herrschte ein früher liberaler Geist, hatten Abenteurer und Eroberer neue Waren und Ideen gebracht. Wo Märkte blühten, blühten auch Kunst, Architektur und geistiges Leben. Wie im Florenz der Medicis, oder in dem Handels- und Marktzentrum der Renaissance: Venedig. Venedigs außerordentliche Architektur, sein humanistischer Mut, entstammte dem dynamischen Handelswesen, das sich im frühen 13. Jahrhundert zwischen der arabischen und zentraleuropäischen Welt entwickelt hatte. Während der Rest Europas noch in der Dumpfheit des ständischen Feudalismus verharrte, förderten die Marktkulturen nicht nur Künste und Technologien, sie entwickelten auch eine frühe bürgerliche Kultur, die den Republikanismus begründen sollte – und schließlich die Keimzelle der industriellen Revolution bildete.

Doch in den letzten zwei Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte blieb der freie Markt eher eine Ausnahme als die Regel. Despotien, Oligarchien, Monopole, Bürokratien aller Art – die meisten Systeme, die die Menschheit im Laufe der Zivilisationsgeschichte hervorgebracht hat, hatten wenig Interesse an freien Märkten. In keiner sozialen Utopie – von Campanellas Sonnenstaat bis Fouriers Bildungssozialismus – finden wir den Markt als sozialen Ort. Im Gegenteil: Seine Schmuddeligkeit und Unberechenbarkeit störte. Auch die sesshaften Bauern und Bürger nebenan waren nicht unbedingt immer freundlich gestimmt gegenüber seiner chaotischen Kraft, selbst wenn sie von ihm profitierten.

Und viele Organisationen, die im Laufe der Geschichte entstanden sind, hatten kaum eine andere Aufgabe als den Markt zu verhindern.

In der »Thorner Zunfturkunde« des deutschen Handwerks vor 250 Jahren hieß es:

dass kein Handwerksmann etwas Neues erdenken oder erfinden oder gebrauchen soll, sondern ein jeder aus bürgerlicher und brüderlicher Liebe sein Handwerk ohne des Nächsten Schaden betreiben soll.1

Und heute? Wenn es nicht gerade um den gemütlichen Wochenmarkt geht, ist »Markt« hierzulande eher ein Schimpfwort. Marktkräfte sind dämonisch, antisozial, kalt. Markt muss »reguliert« und »gezähmt« werden, man muss »seine Stacheln ziehen«, seine »Ungerechtigkeiten« beseitigen. Der Markt – das waren wahlweise und beliebig immer schon »Wall Street und Kapitalismus«, heute »McDonald’s und Neoliberalismus«. Der Hass gegen den Markt war immer auch mit den Unheilstraditionen Europas verbunden, mit Fremdenhass und Antisemitismus. »Feilschen«, »Schachern«, »Basar« – das sind im Deutschen, aber auch in einigen anderen europäischen Sprachen Wörter der antisemitischen Un-Sprache.

In der Geschichte des Marktes – und seiner kulturellen Wahrnehmung – spiegelt sich die Geschichte der Zivilisation. Seine Geschichte ähnelt einem schwankenden Boot auf den Wogen der Geschichte und des Zeitgeistes.

Der Markt kann »wuchern«, »explodieren« und »kultisch verrückt spielen«, wie die Geschichte mit den Tulpenzwiebeln im ausgehenden 15. Jahrhundert zeigt. Der Markt kann sich, über Nacht und drastisch, selbst korrigieren, und nichts bleibt als ein Kräuseln auf der Wasseroberfläche. Er blüht auch – und gerade – auf Trümmern. Der Markt funktioniert über das Medium Geld, aber an all seinen Ecken und Enden franst das Geld aus. Es geht über in Tausch und Nachbarschaftshilfe. Im Markt spiegeln sich die Träume und die Hysterien, die Ängste und Hoffnungen. Der Markt ist ein symbolisches Geflecht zwischen den Menschen und seinen Werten.

Der Markt ist das Wesen der Kultur! Und der Stachel der Evolution.

DIE HÖLZERNEN MÄRKTE DER INDUSTRIEGESELLSCHAFT


In der industriellen Produktionsweise wird ein Gegenstand, ein Produkt, in hoher Stückzahl in einem langen, arbeitsteiligen Prozess unter ständigem Zusatz von Kapital, Material und Logistik hergestellt. Für die meisten Industrieprodukte hat sich dabei eine mehrgliedrige lineare Kette aus verschiedenen Schritten herausgebildet, die von der Bedarfsermittlung über den Einkauf von Teilen, das Erstellen der Logistik bis zur Lagerung und zur Auslieferung reicht (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Die industrielle Wertschöpfungskette

Der Unterschied zu einem wirklichen, einem lebendigen Markt, fällt sofort ins Auge: Bei den meisten Produkten dauert es Jahre, bis sie ihren Weg in den Markt finden. Der ganze Prozess ähnelt einem Schießen ins Dunkle: Die Kalkulation, die den Preis erzwingt, ist »steif«, d.h. sie muss ohne flexibles Wissen darüber erfolgen, was der Kunde bereit wäre zu bezahlen. In einigen Jahren, wenn das Produkt auf den Markt gerät, kann sich die Bedürfnislage längst geändert haben. Der Preis entsteht nicht aus den Bedürfnissen des Kunden, sondern aus der Angebotslogik der Produktion, des Kapitaleinsatzes heraus.

Diese steifen ökonomischen Ketten machen Produkte trotz aller Rationalisierung und Produktivität industrieller Systeme teuer. Sie erfordern Heerscharen von Mediatoren zwischen Märkten und Menschen: Psychologen, Marktforscher, Meinungsexperten, Berater. In jeder Einkaufspassage lungern die Befrager der Konsuminstitute, in unzähligen Haushalten stehen komplizierte Apparate, die Werbezeiten und Einschaltquoten messen, Konsumenten werden auf die Couch gelegt und durch die Mühlen der Tiefenpsychologie gedreht, um ihnen ihre intimsten Wünsche zu entlocken. Und dennoch: 80 Prozent aller Marktneueinführungen sind heute millionenteure Flops.

Die industrielle Produktion hat ein Babylon des Angebots und der Nachfrage erzeugt, in der Sprachlosigkeit und...

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