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E-Book

So beruhige ich mein Baby

AutorChristine Rankl
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783843602860
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Manchmal reichen liebevolle Beruhigungsversuche nicht aus. Das Baby schreit scheinbar grundlos und hört gar nicht mehr auf, die Belastung für Kind und Eltern ist groß. Einfühlsam und kompetent erklärt Christine Rankl, wie Schreiprobleme entstehen, vermittelt nötiges Wissen zur Entwicklung des Babys und gibt konkrete Hilfestellungen, wie Eltern ein Schreiproblem lösen und zu mehr Ausgeglichenheit finden können. In einem zusätzlichen Kapitel geht es um die Förderung der kindlichen Selbstregulationskompetenz, die für das ganze weitere Leben sehr wichtig ist.

Dr. phil., Klinische Psychologin, geb. 1966. Mitbegründerin der Säuglingspsychosomatik: Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinderklinik Glanzing mit Neonatologie und Psychosomatik im Wilhelminenspital Wien. Umfangreiche Fortbildungs- und Vortragstätigkeit sowie wissenschaftliche Arbeiten.

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Leseprobe

1. Schreien – ein Schlaf- und Selbstregulationsproblem


Interessanterweise fällt bei fast allen Babys mit einem Schreiproblem auf, dass sie tagsüber, vor allem in den Nachmittags- und Abendstunden, kaum längere Schlafphasen haben. Und dass sie, je weniger sie schlafen, umso mehr schreien.

Nun könnte man meinen, dass dies schon die Lösung ist: Schreibabys schlafen einfach zu wenig. Grundsätzlich würden wir damit auch sehr richtig liegen und hätten einen wichtigen Faktor, der ihr Weinen verursacht, gefunden. So meint auch die bekannte deutsche Kinderärztin Mechthild Papousek, die sich eingehend mit dem Phänomen des Schreibabys beschäftigt hat, dass Kinder in den ersten drei Lebensmonaten längstens nach einer Wachphase von anderthalb Stunden wieder schlafen sollten. Aber genau das ist es, was Babys, die viel schreien, schlecht können: sich beruhigen und einschlafen bzw. die einzelnen Schlafphasen zu einem längeren Tagesschlafblock verbinden. Wo andere Säuglinge scheinbar mühelos und von selbst selig einnicken, berichten Eltern von Schreibabys von einer enormen Einschlafprozedur mit Herumtragen, Singen, Wiegen, ja sogar Autofahren – nur damit endlich Frieden einkehrt. Wir sehen also:

Babys, die viel weinen, schlafen tagsüber viel zu wenig und können schwer von selbst einschlafen.

Anhand von einem Tagesprotokoll, wie Sie es auch im Anhang des Buches finden, kann man sehen, dass diese Säuglinge tagsüber kaum längere Schlafblöcke haben und dann abends völlig erschöpft in lange Schreiphasen kippen. Das ist ein ganz banaler, aber meist der zentrale Grund für ein Schreiproblem. Als wäre das nicht schon Problem genug, finden wir bei vielen Schreibabys, dass sie anscheinend unter schlimmem Bauchweh leiden müssen. Sehr oft verwandelt sich pünktlich im Alter von zwei Wochen ein früher friedliches Kind auf einmal in ein scheinbar grundlos schreiendes Häufchen Elend. Vor allem während oder kurz nach den Mahlzeiten beginnen sie entsetzlich zu brüllen, laufen rot an, verzerren das Gesicht und strampeln heftig mit den Beinen. Genau diese Art zu weinen, beginnt sich dann auch vornehmlich in die späten Nachmittags- und Abendstunden zu ziehen. Der späte Nachmittag und Abend sind auch die Zeiten, in denen unser Baby dann aus völliger Übermüdung in oft stundenlange, meist unberuhigbare Schreiphasen hineinfällt. Willkommen im Reich der Drei-Monatskoliken, die vielfach bis heute gültige kinderärztliche Standarddiagnose und Erklärung für oft schreiende Babys in den ersten drei Lebensmonaten (»Haben eben Bauchweh, dauert drei Monate, geben Sie Fencheltee. Auf Wiedersehen!«).


Drei-Monatskoliken haben folgende Merkmale:1

1. Die Koliken beginnen meist im Alter von zwei Wochen, erreichen mit sechs Wochen ihren Höhepunkt und verschwinden mit drei bis vier Monaten.

2. Das Schreien beginnt oft beim oder nach dem Füttern.

3. Die Babys krümmen sich, haben ein verzerrtes, rot anlaufendes Gesicht und schreien durchdringend. Oft verlaufen die Schreianfälle in Wellen wie bei Krämpfen.

4. Abgehende Winde oder Stuhlaustritt verschafft Erleichterung.

5. Die Koliken sind in den Abendstunden schlimmer.

6. Sie sind durch Wärme, Herumtragen, leichten Druck auf den Bauch zu lindern.

7. Zwischen den Kolikanfällen sind die Kinder gesund und fröhlich.

8. Im Tagesablauf zeigt sich oft ein Mangel an Tagesschlafzeiten.

Nun finden sich diese unerfreulichen und schmerzhaften Symptome tatsächlich bei einer Vielzahl von Schreikindern. Sind sie deswegen die ausschlaggebende Ursache? Würden Koliken nicht – abgesehen von den dürftigen Therapiemöglichkeiten – als Ursache für so herzzerreißendes Weinen völlig ausreichen?


Drei Punkte sprechen dagegen:

1. In vielen Kulturen bekommen Babys nie Koliken!

2. Röntgenaufnahmen der Mägen »normaler« Babys und Kolikbabys zeigen keinen Unterschied hinsichtlich der Gasmenge bei einem Schreianfall.

3. Die Koliken von Frühgeborenen (wenn sie welche bekommen) beginnen erst zwei Wochen nach ihrem errechneten, nicht tatsächlichen Geburtstermin.


Diese drei Punkte scheinen mir hochinteressant für das Verständnis von Schreikindern mit Koliken und sie weisen darauf hin, dass es sich um ein komplexes Geschehen handelt. Wenn nur Babys in unserem Kulturkreis – denn dieses Phänomen ist bei den Naturvölkern unbekannt – exzessiv schreien, dann muss hier ein Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung liegen.

Wichtig ist auch das Wissen, dass Babys mit Koliken in Wirklichkeit nicht mehr Blähungen haben (entsprechend der Gasmenge im Bauch, siehe Punkt 2) als solche, die offensichtlich nicht an diesen Schmerzen leiden.

Besonders spannend ist die im dritten Punkt angeführte Tatsache, dass auch Frühgeborene erst ab dem Zeitpunkt vermehrt zu weinen beginnen, an dem sie primär nicht mehr nur schlafen. Wenn die Konfrontation mit allen Umwelteindrücken anscheinend so stresserzeugend ist, dann muss auch hier ein Hinweis darauf zu finden sein, was kleine Babys brauchen, um sich wohlzufühlen.

Schauen wir uns diese drei Aspekte noch einmal an. Was unterscheidet beispielsweise balinesische Betreuende von uns Müttern und Vätern? Ganz einfach, sie tragen das Baby den ganzen Tag mit sich herum, ganze für uns unvorstellbare 105 Tage ab der Geburt. Dass dies nie nur eine Mutter allein macht, sondern Kinder hier in der Großgruppe aufgezogen werden und somit von Arm zu Arm wandern, ist mit ein Grund für diesen tollen »Babyservice«. Am 105. Tag nach ihrer Geburt (das wäre umgerechnet mit gut drei Monaten) werden die balinesischen Babys mittels eines Rituals – sie bekommen ihren ersten Schluck Wasser und ein Ei wird über ihre Arme und Beine gerieben – auf den Erdboden gesetzt und gelten nun als neue Mitglieder des Stammes. Bis dahin sind sie wie kleine Kängurubabys noch nicht ganz ausgeschlüpfte Wesen – quasi ein »Anhängsel« der Mutter. Dass in vergleichbaren Kulturen Babys auch nie allein schlafen, versteht sich von selbst.

Genau das brauchen Babys in den ersten drei Monaten, also in der Phase, in der sie häufig und viel weinen: nahezu ständigen Körperkontakt.

Viele Autoren wie auch Karp sprechen heute vom fehlenden Trimester als Ursache für diese anfänglichen Anpassungsprobleme von Babys. Gemeint ist, dass der menschliche Säugling im Vergleich zu den meisten Tieren noch unreif auf die Welt kommt. Eine längere Schwangerschaftsdauer, d. h. insgesamt zwölf Monate, würden ihm und seinen Eltern all diese Probleme ersparen. Ein drei Monate altes Kind ist genau in dem Kommunikations- und Belastbarkeitszustand, den wir von einem Baby insgeheim erwarten. Aber wenn wir uns nun dieses drei Monate alte Kind, vor allem was die Ausmaße des Kopfes betrifft, genauer ansehen, dann wissen wir, warum die menschliche Evolution nach neun Monaten Schwangerschaftsdauer »Stop« sagte. Reifemäßig hätten unsere Babys – im Unterschied zu vierbeinigen Säugetieren, die allein schon durch ihre Körperhaltung bestimmte Schwangerschaftsprobleme gar nicht bekommen – jedoch noch drei Monate »Mutterbauch-Feeling« gut gebrauchen können, um in Ruhe »auszubacken«.

Das Problem von mangelndem Tagesschlaf ist beim ständigen Herumtragen auch behoben, da Babys am Körper der Eltern meist selig schlafen, was sie weggelegt im Bettchen nicht tun. So wird auch die Spirale von Schlafmangel und Übermüdungsschreien unterbrochen.

Nochmals zu Punkt 2: Warum leiden manche Babys so unter Bauchschmerzen, obwohl doch anscheinend alle im gleichen Ausmaß Gase im Bauch haben? Die Erfahrung zeigt, dass Schreibabys besonders sensible oder temperamentvolle Kinder sind, die offensichtlich auch der ganz normale gastrokolische Reflex zu Beginn einer Mahlzeit aus der Fassung bringt. Gastrokolischer Reflex bedeutet übersetzt Magen-Dickdarmreflex, und er bewirkt, dass der Magen, sobald Nahrung einfließt, dem Darm mittels einer leichten Kontraktion zu verstehen gibt, dass es bald Arbeit für ihn gibt. Viele Babys registrieren dieses Ziehen im Bauch gar nicht besonders, bei manchen Schreibabys hingegen löst es wildes Winden, Ächzen und Weinen aus.

Schreibabys sind meist besonders sensible oder temperamentvolle Kinder, was sich nicht nur an ihrer Überreaktion auf den ganz normalen Magen-Dickdarmreflex zeigt.

Aber was hat es mit der Geschichte auf sich, dass Babys erst ab der zweiten Lebenswoche (bei einer normalen Schwangerschaftsdauer) vermehrt zu weinen beginnen? Ab diesem Zeitpunkt beginnen sie in der Regel, einfach wacher zu sein. Sie werden zunehmend mit dem Problem konfrontiert, alle Eindrücke von außen, aber auch von innen (siehe Verdauung) verarbeiten zu müssen. Und an beiden Fronten gibt es im wahrsten Sinn des Wortes einiges zu verdauen.

Schützte man früher – intuitiv richtig – diese kleinen Kinder vor zu vielen Eindrücken, die sie einfach noch nicht verarbeiten konnten und können, schon allein dadurch, dass man sie in Wiegen mit Baldachin legte, werden Säuglinge heutzutage überallhin mitgenommen. So wird ihnen quasi ab Stunde null der Alltagsstress eines Erwachsenen oder größeren Kindes zugemutet. Sie können jetzt argumentieren, dass Nomaden oder andere Naturvölker ihre Babys auch überallhin mitnehmen. Richtig, aber erstens geschieht dies reizgeschützt am Körper der Mutter in ein Tragetuch oder einen Tragebeutel eingehüllt und zweitens werden sie nicht ins neonlichtdurchflutete,...

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