In diesem Abschnitt werden drei mögliche Katalysatoren für die Entwicklung von Social Trading beleuchtet und anhand von Fragestellungen evaluiert:
1. Spielen Social Web und Internet als Informationsquelle bei Finanzthemen bereits eine nennenswerte Rolle?
2. Hat die Banken- und Finanzkrise zu einem Vertrauensverlust der Menschen in das Finanzsystem geführt?
3. Ist seit Bestehen der Niedrigzinspolitik der Notenbanken ein Trend zu höher rentierlichen Veranlagungen beobachtbar?
Belege für positive Antworten auf diese Fragen könnten als Indiz gewertet werden, dass günstige Rahmenbedingungen für alternative Veranlagungsmöglichkeiten wie das Social Trading vorliegen und entsprechende Online-Angebote bei (potenziellen) Anlegern auf fruchtbaren Boden stoßen.
Social Trading bedient sich der Funktionsweise von Sozialen Netzwerken und den Grundstrukturen des Social Webs. Es wird untersucht, ob Soziale Medien bei Finanzfragen als Informationsquelle von Anlegern in Betracht gezogen werden.
Wie lässt sich der Begriff Social Web definieren? Der Ausdruck „the social web“ wurde erstmals durch Howard Rheingold in den 1990er-Jahren geprägt. Rheingold erkannte früh das Web als soziales Medium, in dem der Kommunikationsgedanke im Vordergrund steht (Rheingold 2000: 334). Eine stark erweiterte und vertiefende Definition findet sich bei Ebersbach, Glaser und Heigl (2016: 32): „Das „Social Web“ besteht aus: (im Sinne des WWW) webbasierten Anwendungen, die für Menschen den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und die kollaborative Zusammenarbeit in einem gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Kontext unterstützen, sowie den Daten, die dabei entstehen und den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen.“
Für Griesbaum (2013: 563) ist das Social Web vielmehr ein „gesellschaftlicher Innovationsprozess“, in dem bisherige Barrieren und Grenzen der Kommunikation beseitigt werden.
Der Begriff Social Web wird oftmals mit dem Ausdruck Web 2.0 verwechselt oder synonym verwendet. Letzterer ist vielmehr ein Oberbegriff und umfasst in der ursprünglichen Definition seines „Erfinders“ Tim O’Reilly sieben Aspekte, die allerdings nicht als endgültig zu verstehen sind. Das Konzept des Web 2.0 beinhaltet unter anderem die technische Weiterentwicklung des Internets und beschreibt die wandelnde Rolle des Users vom Content-Konsumenten zum -Produzenten (user generated content). Ein weiterer Aspekt im Konzept O‘Reillys ist die Nutzbarmachung der Kollektiven Intelligenz (O’Reilly 2005).[5] Die Nutzbarmachung Kollektiver Intelligenz im World Wide Web ist für diese Arbeit von besonderem Interesse und wird unter 3.1.3 noch detailliert erörtert.
Im Mittelpunkt des Social Web stehen die Anwendungen mit denen User miteinander kommunizieren und kollaborieren. Da sich in der Literatur bis dato keine einheitliche Einteilung der Applikationen durchgesetzt hat, folgt die untenstehende Auflistung weder einer strengen Klassifizierung noch erhebt sie den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll dem Leser dennoch als Orientierungshilfe dienen und einen Eindruck über die Verschiedenartigkeit der Anwendungen im Netz vermitteln.
Wikis
Wiki – übersetzt aus dem Hawaiianischen mit „schnell“ – kann als das Paradebeispiel der Kollaboration im Social Web bezeichnet werden. Der wichtigste Vorteil von Wikis ist die Möglichkeit neue Inhalte zu erstellen oder bestehende zu ergänzen bzw. abzuändern. Das erste im Internet betriebene Wiki namens WikiWikiWeb von Ward Cunningham ging 1995 zum Thema Softwaredesign online (Wikipedia 2016a). Das Beispiel fand in der Folge zahlreiche Nachahmer. Das berühmteste und größte Wiki ist Wikipedia mit über 39,5 Millionen Artikeln in rund 300 Sprachen. Es zählt zu den am häufigsten besuchten Webseiten weltweit (Wikipedia 2016b).
Weblogs (Blogs)
Der Begriff Weblog oder Blog leitet sich von der Kombination der Wörter Web und Log (Logbuch) ab. Blogs stellen eine Art Tagebuch im Web dar und listen chronologisch Beiträge bzw. Posts des Betreibers (Bloggers) auf. Mittels einer Kommentarfunktion können Interessenten auf Beiträge antworten bzw. diese kommentieren (Wikipedia 2016c). In den letzten Jahren haben auch Unternehmen sogenannte Corporate Blogs aufgesetzt, um aktiv in Dialog mit Kunden treten zu können. Die ersten Blogs tauchten Anfang der 1990er-Jahre auf. Die erstmalige Verwendung des Begriffs Weblog im Jahr 1997 wird Jørn Bager zugeschrieben (Ebersbach, Glaser und Heigl 2016: 62-64).
Microblogs
Auf Microblogs werden Kurznachrichten veröffentlicht, die SMS-ähnlichen Charakter besitzen. Der weltweit bekannteste Microblogging-Dienst ist Twitter. Markenzeichen des Dienstes sind Kurznachrichten (tweets) mit maximal 140 Zeichen. Zahlreiche Plattformen wie Xing, Facebook, Instagram, Tumblr und Google+ weisen Microblogging-artige Kurznachrichten – oftmals Statusmeldungen genannt – in ihrem Funktions-Repertoire auf (Wikipedia 2016d).
Twitter wurde im März 2006 gegründet. Aktuell schätzt Twitter die Zahl seiner aktiven Nutzer pro Monat auf 313 Millionen (Twitter 2016).[6]
Soziale Netzwerke
Im Fokus von Sozialen Netzwerken (Social Networks) stehen Menschen und ihre Beziehungen. Zum einen können registrierte Nutzer auf Profilseiten persönliche Daten eingeben und diese veröffentlichen, zum anderen werden Beziehungen zu Freunden und/oder Geschäftspartnern sichtbar gemacht. Als Pionier der Social Networks gilt die Plattform Sixdegrees, die 1997 an den Start ging, jedoch einige Jahre später scheiterte (Ebersbach, Glaser und Heigl 2016: 94-96). Das größte Soziale Netzwerk ist Facebook mit rund 1,94 Milliarden aktiven Usern pro Monat (Facebook 2017).[7]
Social Sharing
Unter dieses Schlagwort fallen Anwendungen, deren Hauptzweck das Teilen (Sharen) von Inhalten jeglicher Art ist. Beliebt sind Plattformen, auf denen Nutzer multimedialen Content (Fotos, Videos, Audios) hochladen und sharen können. Der prominenteste Anbieter, das Video-Portal YouTube, weist laut eigenen Angaben mehr als 1 Milliarde User auf (YouTube 2016).
Beim Social Bookmarking können eigene Lesezeichen (Hyperlinks) verwaltet und ebenfalls mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Mit Aufkommen der Social Networks hat die Bedeutung der Social-Bookmarking-Anbieter wie Delicious stark gelitten oder führte sogar zum Verschwinden dieser wie im Fall von Mr. Wong (Ebersbach, Glaser und Heigl 2016: 128-130).
Die Frage, ob im Web nach Finanzinformationen gesucht wird und Social-Media-Plattformen für die Geldanlage relevant sind, muss zunächst von theoretischer Seite aus beleuchtet werden. Ein diesbezüglich erwähnenswerter Ansatz wird von Bukovina (2016: 72-73) formuliert, der den Einfluss von Social Media auf Anleger im Zusammenhang mit Kapitalmärkten untersucht. Demnach sehen sich Anleger gegenüber professionellen Marktteilnehmern in puncto Informationsstand benachteiligt. Um dieses Defizit auszugleichen, konsultieren sie leicht zugängliche Quellen wie Soziale Medien und Suchmaschinen. Die zu Grunde liegende Theorie wird in der Literatur als asymmetrische Informationsverteilung bezeichnet, deren Kern der ungleiche Informationsstand von Vertragspartnern bzw. Käufern und Verkäufern ist (Akerlof 1970: 490-491).
Recherchematerial hinsichtlich der Relevanz und Nutzung des Social Web in Veranlagungsfragen ist im deutschsprachigen Raum nur spärlich vorhanden. Der traditionell niedrige Wertpapierbesitz in Deutschland[8] und Österreich[9] sowie die insgesamt schwach ausgeprägte Aktienkultur könnte für ein generell schwaches Forschungsinteresse am Thema Börse und Geldanlage verantwortlich zeichnen.
Die größte und umfassendste Befragung wurde unter dem Titel „Verhalten und Präferenzen deutscher Aktionäre“ an knapp 425.000 Privatanlegern und rund 900 institutionellen Investoren durchgeführt. Sie erlaubt einen zeitlichen Vergleich aufgrund dreier Wellen in den Jahren 2004, 2008 und 2013 (Pellens und Schmidt 2014). Gefragt nach verschiedenen Informationsquellen sprachen 2013 lediglich 3 % der Befragten Social Media eine sehr hohe oder hohe Bedeutung zu, wenn es um Aktienkauf- und -verkaufsentscheidungen geht. Damit belegen die Sozialen Medien (Facebook, Twitter und Blogs)...