Einleitung
Die Feste mit Sinn erfüllen
Wir alle kennen die großen christlichen Feste im Jahreslauf – Ostern, Weihnachten und vielleicht noch Pfingsten – wenn vielleicht auch nur, weil zu diesen Zeiten Schulferien sind. Aber wahrscheinlich denken Sie nicht nur an die Ferienzeit. Verbinden Sie mit den Erinnerungen an Ihre Kindheit nicht auch den Zauber des Weihnachtsfestes? Oder den Spaß bei der Ostereiersuche im Freien?
Wenn Sie religiös erzogen wurden, haben Sie vermutlich schon früh den tieferen Sinn der heiligen Tage kennengelernt. Weihnachten war nicht nur das Fest der Geschenke, sondern der Geburt Jesu Christi. Ostern stand nicht nur für bemalte Eier, sondern für das Selbstopfer des Erlösers. Durch das Wissen und das Spüren des Heiligen gewannen die Feste an Bedeutung. Nicht nur die großen Feste, sondern auch die kleinen, unbekannten. Immer wieder gibt es Anlässe, die uns den Alltag beiseiteschieben lassen, um zu feiern.
Immer mehr Menschen erkennen, dass der Kaufrausch zu den großen Feiertagen der Christenheit am Wesentlichen vorbeigeht. Es kann ja wohl nicht sein, dass das Geburtsfest des Gottessohnes zum Fest der Händler und Tandler geworden ist! Die Feste, die unsere Vorfahren feierten, haben eine tiefere Bedeutung – es ging und geht darum, daran zu erinnern, dass es außerhalb der Alltagssorgen und üblichen Tätigkeiten noch etwas anderes gibt.
Wenn wir uns nun in diesem Buch mit den »heiligen Tagen« beschäftigen, wird offenbar, dass die Wurzeln unserer Feste noch viel weiter zurückreichen als das Christentum selbst. Schon in vorchristlicher Zeit gab es Feiern, Mythen und Bräuche. Und diese Feste wurden nie ganz vergessen – nur umbenannt und uminterpretiert.
Ich werde Ihnen von Festen berichten, die Sie wahrscheinlich kennen, aber auch von denen, die es schon lange davor gab. Dabei werden Sie feststellen, dass auch diese »heiligen Tage« nicht zufällig etwas Besonderes waren, sondern dass ein tiefer, das menschliche Wesen berührender Sinn dahinter liegt und die alten Traditionen es wert sind, erinnert, bewahrt, neu entdeckt und weitergegeben zu werden – erst recht in der heutigen Zeit, in der uns das Gespür für das Wesentliche leider allzu leicht verloren geht.
Meine Großmutter war eine große Kennerin der alten Bräuche. Sie war tiefgläubig, doch das hielt sie nicht davon ab, auch jene Traditionen aufrechtzuerhalten, die älter sind als die christlichen Feste. Natürlich wurden alljährlich der Weihnachtsbaum geschmückt und die Krippe aufgestellt – aber auch das Ahnentischchen, wo wir dazu angehalten wurden, unserer Vorfahren zu gedenken. Wir feierten die Sommersonnwende mit einem großen Feuer und Allerheiligen mit Rübengeistern.
So erlebte ich als Kind ganz natürlich die »heiligen Tage«. Doch woher sie kamen, was ihre ursprüngliche Bedeutung war und wie wichtig sie für den Menschen von jeher sind, verstand ich erst viel später. Und noch länger dauerte es, bis ich erkannte, wie uralte »heidnische« und die bekannten christlichen Feste und Bräuche zusammenhängen und wie eng spirituelle Traditionen mit unserer Heimat verbunden sind.
Die Bräuche sind bis heute Teil des Alltags. Ja, sie werden sogar immer lebendiger, wo Menschen sich auf ihre Wurzeln und ihre ursprüngliche Spiritualität besinnen. Wir können von den »heiligen Tagen« viel lernen: wie wir das Leben heiligen, wie wir innere Einkehr pflegen, wie wir Freude und Heiterkeit in uns wecken, wie wir Licht und Dunkel schätzen lernen, wie Dankbarkeit unser Leben bereichert und wie wir uns unseren Schattenseiten stellen. Als Kind war mir das nicht bewusst, und selbst meine Großmutter hätte dafür womöglich nicht die richtigen Worte gefunden – doch all diese Dinge schwangen stets mit und bildeten das Fundament des Alltags.
Folgen Sie mir durch das Jahr, das durch den Lauf von Mond und Sonne, vom Wechsel der Jahreszeiten geprägt ist – und spüren Sie den Sinn, der allen Festen, die wir feiern oder vielleicht in Zukunft wieder feiern werden, zugrunde liegt. Traditionen sind wichtig. Doch werden sie ihrer tieferen Bedeutung beraubt und dienen eher der Belustigung, werden sie zu oberflächlichen, manchmal sogar hohlen Ritualen. Wenn wir jedoch unseren Festen wieder Sinn verleihen, werden wir unsere Seelen bereichern. Die Welt um uns wird schöner, weil wir lernen, das Wesentliche und Wunderbare zu erkennen. Und so werden wir dem Alltag gelassener begegnen. Die Begegnung mit dem Heiligen macht uns nicht zu Heiligen, aber vielleicht zu ein wenig besseren Menschen, indem sie uns innerlich wachsen lässt.
Was unsere Ahnen glaubten
Unsere Kultur ist vom christlichen Glauben durchdrungen – doch das war nicht von Anbeginn der Zeiten so. Im Frühmittelalter, vor etwa 1400 Jahren, begann die Christianisierung der Völker Mitteleuropas. Die »Heiden« lebten davor aber schon nach ihren eigenen Glaubensvorstellungen. Vor allem zwei davon, die der Kelten und der Germanen, konkurrierten mit der neuen Religion.
Schon Hunderte von Jahren vor der Entstehung des Christentums trafen Kelten und Germanen mit ihren jeweiligen Vorstellungswelten zusammen; teilweise lässt sich heute gar nicht mehr unterscheiden, welche Teile des alten Glaubens ursprünglich von den Kelten und welche von den Germanen stammten.
Die Verbreitung der Kelten
Aus: Kelten in Europa, Quartier Latin 1968, The Ogre, Dbachmann
Auch die Götter, an die sie glaubten, ähnelten sich – und niemand kann heute sagen, wo der Ursprung lag. So entsprach der germanische Gott Thor dem keltischen Taran; der germanischen Alagabiae stand die keltische Ollogabiae gegenüber. Auch ohne Sprachwissenschaftler zu sein, kann man sofort die Verwandtschaft der Namen erkennen, und auch deren Bedeutungen entsprechen sich.
Doch wie sah nun der Glaube unserer Vorfahren genau aus? So leicht ist das nicht zu beantworten – denn es gibt so gut wie keine schriftlichen Überlieferungen aus der Zeit. Was wir wissen, stammt entweder aus späteren Aufzeichnungen mündlicher Überlieferungen, die gemacht wurden, als das Christentum bereits vorherrschte, oder aus den Quellen römischer Schriftsteller.
Hinweise finden sich in christlichen Gesetzen, die sich gegen bestimmte alte Bräuche richteten. So erließ Karl der Große Vorschriften wie beispielsweise:
»Wenn einer nach heidnischem Brauch an Quellen, Bäumen oder Hainen betet, nach heidnischem Brauch Opfer darbringt oder ein Mahl zu Ehren der Götzen ausrichtet, zahlt er als Edler sechzig, als Freier dreißig und als Halbfreier fünfzehn Sol.«
So erfahren wir indirekt, dass Quellen, Haine und Bäume offenbar eine wichtige Rolle bei den Bräuchen der Kelten und Germanen spielten, dass Opfer dargebracht wurden und Festmahle zu Ehren der alten Götter veranstaltet wurden.
Viele alte Bräuche, wie beispielsweise die Feuerfeste, Maskenumzüge oder Orakel, lassen sich nicht mit dem Christentum in Übereinstimmung bringen – selbst dann, wenn sie heute christlichen Feiertagen zugeordnet sind und Namen christlicher Heiliger tragen. Und es fällt auf, dass die christlichen Feste erstaunlich deutlich mit den Sonnen- und Mondbewegungen, die den Menschen seit der Steinzeit geläufig waren, übereinstimmen.
Wenn man etwas über den Unterschied zwischen den alten europäischen Religionen und dem vergleichsweise neuen Christentum sagen kann, dann ist es wohl dies: In der Religion der Kelten und Germanen spielte die Natur eine zentrale Rolle. Die Natur war nicht einfach das, was Gott geschaffen hatte, sondern selbst belebt – und hatte eine eigene Kraft, Macht und Bedeutung. Ein Baum war nicht einfach nur eine Pflanze, sondern ein verehrungswürdiges Wesen – nicht unbedingt der einzelne Baum, sondern der Geist, der ihn belebte. Ein alter Hain trug somit noch größere Kraft. Eine Quelle war nicht nur ein besonderer Ort, an dem das lebensnotwendige Wasser zutage tritt, sondern ein mit der Kraft der Gottheit ausgestatteter magischer Platz. Sonne und Mond waren mächtige Wesenheiten, Wind und Wetter waren nicht einfach meteorologische Ereignisse, sondern hingen mit dem geheimnisvollen Wirken von Gottheiten zusammen, die der Mensch nicht völlig verstehen konnte, die aber so mit ihm in Zwiesprache traten und ihm etwas mitteilen wollten.
Uns mag das heute auf den ersten Blick als bloßer Aberglaube erscheinen, den wir belächeln. Doch es steckt viel mehr dahinter. Es ist zum einen das Anerkennen, ein Teil der Natur zu sein, zum anderen aber auch das Eingestehen, niemals alles verstehen und beherrschen zu können. Im Einklang mit den geheimnisvollen Kräften der Natur zu stehen – das macht ein gutes Leben aus.
Vieles bleibt also im Unklaren. Doch für uns hat das keine Bedeutung. Auf was es mir ankommt, ist nicht, die keltische oder germanische Religion wiederzubeleben oder das Christentum infrage zu stellen, sondern darauf, dass all die alten Bräuche, woher sie auch stammen mögen, tiefe Wurzeln haben. Wurzeln, die uns mit unseren Vorfahren und mit der Natur verbinden. Das Spirituelle in uns geht nicht vom Kopf oder Verstand aus, es ist auch nicht abhängig von einem bestimmten Glauben – es ist etwas, das aus der Tiefe unserer Seele und aus unserer Verbindung mit unserer natürlichen Wesenheit kommt – und darüber hinausgeht: Das ewig Unerklärliche, das die Menschen als...