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Vater unser in der Hölle

Inzest und Missbrauch eines Mädchens in den Abgründen einer satanistischen Sekte

AutorUlla Fröhling
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783864157103
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Seit frühester Kindheit erlebt Angela Lenz sexuelle Gewalt. Mit grausamen Folterungen, Drogen und Gehirnwäsche wird sie in einer Geheimsekte zur Prostitution gezwungen und muss andere mit satanistischen Ritualen quälen. Unter der Last des Unerträglichen zersplittert ihre Seele in Dutzende von Persönlichkeiten. So überlebt sie die Schrecken. Doch bald drängen die traumatischen Erlebnisse an die Oberfläche. Angela macht eine Therapie und wagt es, trotz Schweigegebot und Todesdrohungen über das zu sprechen, was man ihr und anderen angetan hat. Die Autorin Ulla Fröhling begleitet Leben und Therapie der »Angela Lenz« seit zwanzig Jahren. Jetzt liegt das brisante Buch in aktualisierter Neuausgabe vor.

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Leseprobe

Einleitung


Für den Triumph des Bösen reicht es,
wenn die Guten nichts tun.1

Dieses ist die Geschichte einer Frau: Angela Lenz.

Angela Lenz ist eine Multiple Persönlichkeit. Multiple Persönlichkeitsstörung2 kann man als Selbsterhaltungssystem der Seele betrachten. Eine posttraumatische Stressreaktion, ausgelöst durch extreme Gewalt in früher Kindheit, Gewalt, die lang anhaltend ist, ausweglos und unerträglich. Folter.

Und es ist die exemplarische Geschichte vieler Menschen.

Denn Angela Lenz ist nicht die Einzige, die Inzest, Zwangsprostitution und Rituale einer satanistischen Sekte in Deutschland durchlebte. Alles, was Angela erzählt, wird durch Aussagen weiterer Opfer bestätigt. Ihre Berichte klingen ungeheuerlich, und man möchte ihnen nicht glauben.

Warum habe ich ihr geglaubt?

Angela Lenz wirkt weder versponnen noch verwirrt. Eher kühl, klar. Wenn sie sich an etwas nicht erinnerte, sagte sie es, und Irrtümer korrigierte sie. Die Widersprüchlichkeit ihrer Persönlichkeiten, deren unterschiedliche Gefühle und Ansichten ließ sie mich sehen.

Sektenberater, Kripobeamte und Mediziner bestätigten die Recherchen. Deutsche, niederländische, belgische, amerikanische, kanadische, englische, französische, spanische, dänische, norwegische, türkische, israelische, japanische und australische Fachleute, mit denen ich sprach und korrespondierte, beschreiben vergleichbare Ereignisse und Phänomene in ihren Ländern. Viele von ihnen blicken zurück auf mehr als 30 Jahre therapeutischer Arbeit mit Folteropfern wie Angela Lenz.

Aus Zeugnissen, Briefwechseln, Fotoalben, amtlichen Dokumenten, ärztlichen Berichten, Röntgenaufnahmen, Zeitungsartikeln und Zeugenaussagen habe ich versucht, ein Bild zu schaffen, das den wahren Ereignissen so nahe wie möglich kommt.

In Teilen ist Angelas Familiengeschichte nicht mehr rekonstruierbar. Der Vater ist tot. Über die Ursachen seiner pädosexuellen Entwicklung gibt es einige Anhaltspunkte, Weiteres aber kann man heute nur mutmaßen. Familiengeschichtlich bekannt sind die Gewalttätigkeit und Promiskuität des Großvaters wie auch das ausgeprägt pietistische Klima, in dem seine Familie seit Generationen lebte. Auch Angelas Vater war also in einer Familie aufgewachsen, die öffentliches und privates Leben extrem spaltete. Früh schon tauchte in der Familiengeschichte etwas auf, was damals als Schizophrenie diagnostiziert wurde.

 

Die Familie steht unter dem besonderen Schutz des Staates. Doch unter wessen Schutz stehen die Kinder in körperlich und seelisch misshandelnden, sexuell missbrauchenden oder vernachlässigenden Familien? Hinter verschlossenen Wohnungstüren wird die meiste Gewalt ausgeübt. Weltweit.

Inzest ist eine tiefe seelische Verletzung und eine frühe Prägung, die vielen Kindern die Entwicklung zu Autonomie und einem Gefühl für klare Grenzen verwehrt. Der Stress, unter dem kleine Kinder in Angst ständig stehen, beeinflusst die Vernetzungen der Nervenbahnen im Gehirn und die Biochemie ihres Körpers: Bei Gefahr produziert jeder von uns automatisch große Mengen eines »Hormoncocktails«, der uns zu Kampf oder Flucht befähigen und dann wieder beruhigen soll. Kehrt die Gefahr immer wieder, unberechenbar und unausweichlich, dann produziert der Körper seine eigene Drogenabhängigkeit. Ist der Täter auch der Beschützer – also der Vater –, so erlebt das Kind eine massive Konditionierung. Es wird ein anderes Kind, als es hätte werden können.

Welch ein bitterer Start ins Leben.

Inzest ist die Vorschule der Prostitution, sagt Francisco Orengo. Zuhälter wissen das, betont der spanische Psychiater, der in seiner Klinik vielen Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution geholfen hat. Zuhälter, so Orengo, erkennen diese früh verletzten Frauen.3 Es sei ein Wissen, das vom Vater an den Sohn weitergegeben werde. Und eine Falle, der nur wenige entkommen.

Wie hat es Angela Lenz geschafft?

Ich habe ihren Lebensweg rekonstruiert, mir die Orte angesehen, an die sie sich erinnert. Die stille, feine Villenstraße ihrer Kindheit. Den privaten Kindergarten. Ich bin den Pfad hinter den Häusern hinabgestiegen und in den Wald gegangen, in dem Angela gequält wurde. Ich habe der Predigt eines der Täter gelauscht. Zu Beginn meiner Recherche war er noch im Amt.

Warum war er noch im Amt?

Angela hat ihn nicht angezeigt. Sie hat niemanden angezeigt.

Das ist der Deal mit den Tätern.

Wir kennen ihre Namen, wissen, wo sie leben. Immer wenn »Onkel Paul« wieder in ein anderes Bundesland umzieht, registriere ich es, denn er lässt seine Telefonnummer stets ordentlich eintragen. Von seinem letzten Wohnhaus aus konnte er den Blick über ein ehemaliges KZ schweifen lassen.

Angela hat die Namen der Täter, die Tatorte, alle Umstände ihrer Taten aufgeschrieben und hinterlegt. Nicht nur bei ihrer Anwältin. An vielen Orten. An Stellen, die das Material auch an Angela selbst nicht wieder herausgeben. Die es aber im Fall ihres Todes an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Auch wenn einem Familienmitglied, der Therapeutin, der Autorin oder Mitarbeitern an diesem Buch etwas zustößt. Auch wenn es wie ein »ganz normaler« Verkehrsunfall aussieht.

Das ist der Deal mit den Tätern.

Etwas, das sogar die Polizei akzeptiert.

Lange waren die Täter den Ermittlungsbehörden in technischer Hinsicht weit überlegen. Fotos sadistischer Sexszenen mit Fünf-, Drei-, Einjährigen, sogar mit Säuglingen werden über Hochgeschwindigkeitsleitungen der Daten-Highways in alle Welt verschickt, aber es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bevor Sonderkommissionen der Polizei mit entsprechender Hard- und Software ausgestattet wurden, um sie abfangen zu können. In den vergangenen zehn Jahren nahm die kriminelle Entwicklung noch mehr Fahrt auf. Zu Beginn der Recherchen an diesem Buch ahnten nur wenige, was heute polizeilich ermittelte Realität sein würde: Kindesmissbrauch im »Second Life«, einer virtuellen Welt im Internet4; Folter von Säuglingen und Kleinkindern online vor Webcams5; Morde mit deutlichen satanistischen Hinweisen in mehreren europäischen Ländern6: Vertuschungsversuche bei Aufdeckungen mafiöser Netzwerke von Politik, Wirtschaft und organisierter Kriminalität, bei denen häufig – wie 2007 in Sachsen – Kindesmissbrauch und Kinderbordelle erwähnt werden.7 Eine brisante Mischung. Als Angela diese dunkle Welt vor Jahrzehnten kennenlernte, glaubte niemand ihren Hinweisen. Das Tabu war intakt, die Täter sicher.

Heute beginnt das Tabu zu bröckeln. Manche Journalisten lassen sich nicht beirren. Manche Ärzte ebenfalls nicht: »Damals hielt man uns, die wir unseren Patientinnen glaubten, für verrückt«, sagt Prof. Dr. Luise Reddemann. »Heute hat sich all das Schreckliche, das Sie in Ihrem Buch beschrieben haben, leider voll bestätigt.«8 Das medizinische und therapeutische Wissen wird größer.9 Die Hirnforschung kann den Switch, den Wechsel von einer Persönlichkeit zur anderen, im Magnetresonanztomographen nachweisen. Und es gibt drei Untersuchungen zu ritueller Gewalt in Deutschland sowie eine Internetstudie mit Ergebnissen aus allen Kontinenten. Es mag sein, dass einige Erinnerungsbruchstücke von Angela Lenz auf Suggestion der Täter zurückgehen. Andere mögen Bilder für erlebte Qualen sein oder Deck­erinnerungen, vielleicht um sich vor dem Wissen um das volle Ausmaß der väterlichen Taten zu schützen. Ich bin jedoch auch nach 20 Jahren noch überzeugt, dass Angela Lenz extreme Gewalt, sadistische Folter und rituellen Missbrauch erlebt hat.

 

Um eine Identifikation von Angela, ihrer jetzigen und ihrer Herkunftsfamilie zu verhindern, wurden Namen, Daten, Orte, Berufe von Opfern und Tätern geändert. Dasselbe gilt für Hobbys und Sportarten. Auch die Namen der Therapeutinnen »Nina Temberg« und »Elisabeth Gebhard« sind Pseudonyme.

Die Namen und Zitate der erwähnten Wissenschaftler, Psychiater, Therapeuten (Prof. Dr. Onno van der Hart, Dipl.-Psych. Michaela Huber, Dipl.-Päd. Anne Jürgens, Dr. Richard Kluft, Dr. Catherine Fine, Dr. Arne Hofmann, Monika Veith, Thorsten Becker, Francisco Orengo und andere) sind authentisch. Interviews mit ihnen fanden statt.

Erinnerte Traumata, sogenannte Flashbacks, von Multiplen Persönlichkeiten haben oft eine zeitlose Qualität. Ein Gefühl wie ohne Zeit und Raum. Wer von einer traumatischen Erinnerung überfallen wird, weiß oft nicht, dass das Erlebnis vorbei ist. Wie eine Welle schlägt die schreckliche Erinnerung über dem Menschen zusammen. Sie oder er muss erst wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Das ist ganz wörtlich gemeint: »Schau, hier ist der Fußboden, du stehst ganz fest darauf, du bist in Sicherheit, es ist vorbei.« Aber auch im übertragenen Sinne: Diese Menschen erleiden oft den Verlust von zeitlicher Orientierung. Genau das wollen die Täter: Wer weder Ort noch Zeit des Verbrechens nennen kann, kann auch niemanden anzeigen.

Deshalb ist jedem Kapitel, das ein erinnertes Trauma erzählt, eine kurze Liste mit historischen Ereignissen vorangestellt, um das Trauma zu orten und in der Zeit festzumachen: Das ist passiert, als man »Sugar Baby Love« im Radio hörte, Helmut Kohl Kanzler wurde und Charles Manson wegen Ritualmordes ins Zuchthaus kam.

Einige Episoden sind den Erzählungen anderer Überlebender entnommen. Die Lebensläufe von Menschen, die in destruktiven Kulten aufgewachsen sind, haben eine vorgegebene Struktur. Dazu gehört das Weitergeben der Gewalt an die eigenen Kinder. Das kann bis...

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