Auditiv vs. Akustisch
Die originäre Verwendung des Begriffs „Akustik ist auf die physikalische Darstellung von Schallwellen reduziert, während auditive Vorgänge das biochemische, anatomische und physiologische Element des Hörens umfassen.[111] Aktuellere Definitionen der Akustik beinhalten weiter gefasst die Schallwahrnehmung und die Schallwirkungen, die sich auch über physiologische Reaktionen im Ohr zeigen.[112] Demnach lässt sich eine Dreiteilung in physikalische Akustik (Disziplin der Mechanik), physiologische Akustik (Disziplin der sensorischen Physiologie) und psychologische Akustik bzw. Psychoakustik[113] (Disziplin der Wahrnehmungspsychologie) vornehmen.[114] Im Kommunikationsumfeld wird zwischen dem auditiven Kanal als empfängerorientiertem Übertragungsweg von Signalen (Gehörsinn) und dem akustischen Kanal zur Vermittlung von Botschaften aus Sendersicht differenziert.[115] Aufgrund der Interdependenzen im Sender- Rezipienten-Dialog und der Ausdehnung des Akustikbegriffs gilt in dieser Arbeit eine synonyme Verwendung der Begriffe „auditiv“ und „akustisch“.
(Auditive) Wahrnehmung
Psychologisch geprägt lässt sich Wahrnehmung als prozessuale Informationsverarbeitung zur Dekodierung äußerer Stimuli und innerer Signale interpretieren.[116] Der Wahrnehmungsprozess ist dabei durch Subjektivität, Selektivität und Aktivität gekennzeichnet und er ermöglicht dem Individuum die Generierung von Kenntnissen über die eigene Person und die Umwelt.[117] Voraussetzung sind sowohl kognitive als auch affektive Erkenntnisprozesse, wie Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, (emotionale) Beurteilungen und Konklusionen.[118] Die auditive Wahrnehmung erfolgt im Kontext einer fortwährenden Verarbeitung akustischer Stimuli bewusst oder unbewusst.[119]
Neben der psychologischen Dimension beinhaltet die (auditive) Wahrnehmung physikalische und physiologische Elemente, sie umfasst damit sowohl objektive als auch subjektive Komponenten.[120] Analog zu diesen Einflusssträngen lassen sich idealisiert drei aufeinander folgende Wahrnehmungsstufen (Wahrnehmung i. w. S.) abgrenzen: Rezeption, Transmission und Perzeption. Der einleitende physikalische Schritt, die Rezeption, verantwortet die Aufnahme, Verstärkung und Kodierung von Informationen über sensuelle Reize. Bei der Transmission, der physiologischen Stufe, kommt es zur Weiterleitung der in nervöse Erregungen umgewandelten sensorischen Informationen mittels sensibler Nerven an das zentrale Nervensystem. Hier werden Sinneseindrücke in den verschiedenen Sinnkategorien ausgelöst, die das menschliche Bewusstsein als Empfindungen erreichen. Final werden die Informationen im Gehirn über den Abgleich mit Erwartungen, Erfahrungen und älteren Informationen verarbeitet. Diese psychologische Stufe (Perzeption) stellt die Wahrnehmung i. e. S. dar.[121]
Anatomisch betrachtet besteht der Sinneskanal Ohr aus dem Außenohr mit Ohrmuschel, Gehörgang und Trommelfell, dem Mittelohr (luftgefüllt) mit den Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel und dem Innenohr (flüssigkeitsgefüllt) mit Vestibulärsystem (Gleichgewichtsorgan), Bogengängen und Schnecke (s. Abb. 2).[122]
Zu Beginn des „Hörvorgangs“ breiten sich die von einer Schallquelle erzeugten Schallwellen über ein Medium wie Luft aus bis sie die Ohrmuschel erreichen.[123] Trichterartig werden die Wellen hier konzentriert und teilweise verstärkt über den (äußeren) Gehörgang dem konischen Trommelfell, welches in Schwingungen versetzt wird, zugeführt. Angestoßen durch das Trommelfell leitet die Gehörknöchelchentrias die Schwingungen per Druck auf die Mittelohr-Membran, das sog. „ovale Fenster“.[124] Als mechanischer Verstärker reduzieren die Gehörknöchelchen über eine Impedanzanpassung zwischen Mittelohrluft (niedriger Schallwiderstand) und Innenohrflüssigkeit (hohe Impedanz) die Schallreflektionsverluste. Zudem führen Muskelkontraktionen an Hammer und Steigbügel zur Reduktion zu großer Schwingungen, um potentielle Schäden am Innenohr zu vermeiden.[125] Im Innenohr führt die vom Steigbügel initiierte Wander- bzw. Druckwelle durch die Kanalwindungen der Hörschnecke (Cochlea) zum Auf- und Abschwingen der cochleären Trennwand, dem zentralen Funktionsbereich der Cochlea. Dieser wird an der Unterseite von der Basilarmembran abgeschlossen. Auf der Membran sind Stützzellen angesiedelt, die wiederum als Träger von Haarsinneszellen („Hörsinneszellen“) fungieren. Letztgenannte enden auf der oberen Seite mit Sinneshärchen, den sog. Stereozilien. Die Haarsinneszellen verkörpern im Gefüge mit den Stützzellen und der Basilarmembran eine spezifische Struktur, das sog. Cortische Organ (s. Abb. 2). Durch das Gegeneinanderverschieben des Cortischen Organs und der gallertigen Tektorialmembran (Deckmembran), die oberhalb der Haarzellen lokalisiert ist und die längsten Stereozilien tangiert, kommt es zur Auslenkung der Sinneshärchen. Diese verantwortet die Umwandlung der Schwingungen in elektrische Nervenimpulse. Infolge der Transduktion, also dem Verschlüsselungsprozess der Signale, kommt es zur Freisetzung von Botenstoffen (Transmittern). Dadurch werden wiederum neuronale Erregungen über Hörnerv, Hirnstamm und Hörbahn bis zum auditiven Cortex, der die Verarbeitung akustischer Reize verantwortet (Hörzentrum), induziert.[126] Von Bedeutung ist bei der neuronalen Kette, dass die Hörbahn durch einen Abschnitt des Thalamus, der im Zwischenhirn als Filter bei der Informationsweiterleitung zur Großhirnrinde fungiert, verläuft. Da die Großhirnrinde als „Sitz des Bewusstseins“ gilt, ergibt sich über diese Beziehung der Kausalzusammenhang zwischen auditivem System und Bewusstsein.[127]
Abb. 2: Schematischer Querschnitt durch das Ohr und das Cortische Organ[128]
Der auditive Cortex ist sowohl in der rechten als auch in der linken Gehirnhemisphäre auf der jeweiligen Großhirnrinde lokalisiert.[129] Nach aktuellem Forschungsstand ist eine Spezialisierung der linken Hirnhälfte auf eine analytische Verarbeitungsstrategie primär sachlicher Informationen bei sequentiellem Denkstil festzuhalten. Der Fokus der rechten Hemisphäre liegt auf einer simultan-holistischen Verarbeitung und einem analogen Denkstil.[130] Wissenschaftlich ist die seitenbezogene Differenzierung der Funktionen als „Hemisphärenlateralisation“ bekannt.[131] Hinsichtlich auditiver Reize können sprachbezogene Geräusche und Töne höherer Frequenzen eher in der linken Gehirnhälfte, nicht sprachbezogene Laute, Musik und Töne niedriger Frequenzen tendenziell im rechten Hirnbereich verortet werden.[132] Eine strikte Trennung der Verarbeitung verbaler und nonverbaler auditiver Reize im Rahmen der Lateralität ist aber nicht zielführend, da einzelne Komponenten, bspw. der links identifizierte Rhythmus als Bauteil der Musik, diese Logik durchbrechen.[133] Zudem gewährleistet das sog. Corpus callosum, welches die beiden Gehirnhälften über ein Netzwerk von Nervenfasern verbindet, einen sehr schnellen Informationsaustausch.[134] Vermutet werden außerdem individuelle Unterschiede der Hemisphärenspezialisierung. Etwa bei der Verarbeitung von Musik wird angenommen, dass es bei musikalisch vorgebildeten Rezipienten im Gegensatz zu Musiklaien über die Ansprache der rechten Hemisphäre hinaus zu einer forcierten Aktivierung der linken Gehirnhälfte kommt.[135] Bezüglich der Lokalisierung von Emotionen in der rechten Hirnhälfte und dem daraus abgeleiteten Indiz, dass die ebenfalls rechts verortete Musik besonders starke emotionale Markenwirkungen generieren könne, ist die Hemisphärentheorie widerlegt.[136] Trotz großer Forschungslücken in der Gehirnareal-Analyse gilt eine beidseitige emotionale Involvierung, mit einer pessimistischen Prägung rechts und einer optimistischen Ausrichtung links, als weitgehend gesichert.[137]
Nach der anatomisch-funktionsorientierten Abhandlung gilt es die prägnantesten Leistungsmerkmale im Zusammenspiel zwischen Ohr und Gehirn herauszustellen.
Als eines der sensibelsten Körperorgane verantwortet ein vollfunktionsfähiges Ohr schätzungsweise zehn Prozent der Informationswahrnehmung, ist fähig Differenzen bis zu einem Sechzigstel eines Ganztonschrittes zu identifizieren und mehr als 300 Lautstärken zu unterscheiden.[138] Das Hörvermögen ist dabei stark altersabhängigen Schwankungen unterworfen. Verstanden als Idealspektrum liegt der menschliche Hörbereich, der bzgl. der Verarbeitung adäquater Reize etwa zehn Oktaven einschließt, zwischen 16 Hz und 20 kHz.[139] Basierend auf den Idealwerten ist der Wahrnehmungsbereich des Ohres zehnmal größer als der des Auges. Seine hohe Empfindlichkeit zeigt sich in der Relation zwischen kleinstem und größtem weiterleitbaren Schalldruck mit einem Verhältnis von eins zu einer Million, wobei die Schmerzgrenze für dasmenschliche Ohr bei ca. 120 dB erreicht wird.[140] Mit ca. 1,5 Millionen Bit pro Sekunde weist das Gehör nach dem Sehsinn die zweitgrößte Kanalkapazität bei der Informationsübertragung...