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Sozialer Wandel und Geburtenrückgang in der Türkei

Der 'Wert von Kindern' als Bindeglied auf der Akteursebene

AutorDaniela Klaus
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl249 Seiten
ISBN9783531909790
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,99 EUR
Trotz deutlicher Niveauunterschiede zeichnet sich weltweit eine Tendenz rü- läufiger Geburtenraten ab. Der allgemeine Geburtenrückgang ist keineswegs ein Phänomen der letzten Jahrzehnte: Soweit die historischen Quellen hierzu A- sagen zulassen, setzte er Mitte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien und Frankreich ein und ergriff nach und nach weitere europäische Länder, die in den Prozess der Industrialisierung eintraten. Bis dahin waren hohe Geburtenraten, gleichzeitig aber auch eine hohe Sterblichkeit verbreitet, weshalb sich der we- weite Bevölkerungsumfang recht stabil auf einem geringen Niveau hielt. Da dem Rückgang der Geburten zeitlich ein Absinken der Sterberaten vorausging, wurde eine weltweite Bevölkerungsexplosion ausgelöst, die bis heute anhält: Bis um 1800 umfasste die Weltbevölkerung knapp 1 Milliarde Menschen und überschritt im auslaufenden 20. Jahrhundert die 6 Milliarden Grenze (United Nations 1998). Während der Beginn dieser Aufwärtsspirale auf die demograp- schen Umbrüche der heutigen Industrieländer zurückgeht, sind es momentan die Entwicklungs- und Schwellenländer, die diesen Prozess am Laufen halten. Das demographische Entwicklungsmuster des zeitversetzten Rückgangs von Geb- ten und Sterblichkeit scheint trotz gewisser Variationen zwischen einzelnen Ländern universal zu sein. Der dadurch ausgelöste, rasante Bevölkerungs- wachs wird sich noch einige Jahrzehnte fortsetzen, da derzeit in weiten Teilen der Erde die Zahl der Geburten, die der Sterbefälle erheblich übersteigt.

Daniela Klaus ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Begleitprojekt des DFG-Schwerpunktprogramms 1161: 'Beziehungs- und Familienentwicklung' mit dem Titel 'Entwicklung paneltauglicher Instrumente zur Erfassung der Werte von Kindern sowie der Generationenbeziehungen in Deutschland'.

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Leseprobe

4 Zentrale Fertilitätstheorien im Überblick (S. 79-80)

Der Erforschung der Fertilität sind nicht nur unzählige empirische Arbeiten gewidmet, sondern auch aus theoretischer Perspektive lässt sich hierzu eine höchst rege Forschungstätigkeit ausmachen. Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit der Reproduktion des Menschen. Eine der ältesten Arbeiten stellt das 1798 von Malthus formulierte Bevölkerungsgesetz dar. In seinem ‚Essay on the Principle of Population, as it affects the Future Improvement of Society‘ formuliert er einen positiven Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung einerseits und dem Bevölkerungsumfang andererseits.

Dass die „Bevölkerung sich unwandelbar vermehrt, wenn die Subsistenzmittel zunehmen" (Malthus 1977: 484) ist historisch jedoch widerlegt. Strittig an der theoretischen Argumentation Malthus’ ist v. a. die unterstellte Prämisse eines uneingeschränkten Erhaltungstriebs der menschlichen Gattung. Sozio-biologische Zugänge zur Fertilität greifen diese Idee später in einer ähnlichen Weise wieder auf (für eine Übersicht vgl. u. a. Kopp 1992), finden allerdings keine weit reichende Beachtung. Die einflussreichsten theoretischen Erklärungsversuche stammen aus der Mikroökonomie, der Soziologie sowie der Psychologie, die je unterschiedliche Erklärungsfaktoren und Wirkungsmechanismen heranziehen und akzentuieren.

Darüber hinaus variieren die Ansätze danach, ob sie die Fertilität über einen Rückgriff auf die Individualebene thematisieren oder ausschließlich auf der Ebene der makrostrukturellen Phänomene verbleiben. Die folgende Übersicht stellt keineswegs eine vollständige Sammlung aller theoretischen Konzepte zum Thema Fertilität dar.26 Sie beschränkt sich einerseits auf die Ansätze, die hohe Popularität erlangt haben und infolgedessen auch vielfach diskutiert und zum Teil empirischen Tests unterzogen wurden. Andererseits konzentriert sich die Präsentation auf die Ideen, die in das im darauf folgenden Kapitel vorgelegte Erklärungsmodell einfließen. Es werden jeweils zunächst die Grundzüge der Ansätze vorgestellt, um daran anknüpfend eine kritische Betrachtung vornehmlich aus theoretischer Perspektive zu leisten.

Kriterium hierbei stellt das Grundmodell der soziologischen Erklärung entsprechend der Theorietradition des methodologischen Individualismus (Coleman 1990) dar. Demnach muss mit Blick auf eine angemessene Erklärung überindividueller Phänomene wie dem Geburtenniveau, zunächst auf die Akteursebene zurückgegangen werden, gleichwohl unter der Berücksichtigung, dass die Akteure im Allgemeinen nicht losgelöst von ihrer sozialen Umwelt tätig werden. Makroorientierte Konzepte, wie die im Kapitel 2 vorgestellte These des demographischen Übergangs, verfolgen eine Erklärung über Phänomene wie Industrialisierung oder Wertewandel, ohne jedoch explizit individuelle Akteure in die Argumentation einzubinden. Unergründet bleiben hierbei die vermittelnden Mechanismen, die erst dann aufgedeckt werden können, wenn der Mensch als Entscheidungs- und Handlungsträger in den Mittelpunkt der Erklärung gerückt wird, denn schließlich ist er es, der Kinder in die Welt setzt oder sich gegen sie entscheidet.

4.1 Soziologische Erklärungsansätze

Im Mittelpunkt soziologischer Erklärungen steht der verhaltenswirksame Einfluss sozialer Rollen und Normen – Determinanten, die nicht nur in der ökonomischen Theorie unberücksichtigt bleiben, sondern auch scheinbar auf einem anderen Prinzip als dem der rationalen Nutzenmaximierung beruhen. Zumindest in den normen- und rollentheoretischen Ansätzen geht es nicht um eine explizite Wahl zwischen verschiedenen generativen Handlungsalternativen, sondern um die Orientierung und Ausführung kollektiver Werte bzw. Erwartungen bezüglich der zu realisierenden Kinderzahl.

Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Abbildungsverzeichnis8
Tabellenverzeichnis9
1 Einleitung10
2 Der demographische Wandel in der Türkei16
2.1 Das Konzept des demographischen Übergangs16
2.2 Der demographische Übergang in der Türkei21
2.3 Bilanz42
3 Sozialer Wandel und Stabilität in der Türkei44
3.1 Bildungsbeteiligung45
3.2 Wirtschaftssystem und Arbeitsmarkt52
3.3 Staatliche Sozialabsicherung59
3.4 Familie und Verwandtschaft62
3.5 Bilanz73
4 Zentrale Fertilitätstheorien im Überblick76
4.1 Soziologische Erklärungsansätze77
4.2 (Mikro-) Ökonomische Ansätze80
4.3 Sozialpsychologische Ansätze85
4.4 Bilanz88
5 Das Erklärungsmodell90
5.1 Zur Instrumentalität von Kindern: Der Value-of-Children Ansatz91
5.2 Kinder in der Theorie sozialer Produktionsfunktionen93
5.3 Die Rationalität der Routine119
5.4 Bilanz133
6 Hypothesen135
6.1 Brückenhypothesen: Determinanten des Wertes von Kindern135
6.2 Handlungshypothesen: Determinanten generativen Verhaltens142
6.3 Pfadmodell: Der Wert von Kindern als Mediator147
6.4 Alternativmodell: Kalkulation oder Routine148
7 Daten, Methode und Instrumente151
7.1 Erhebungsdesign und Stichprobe151
7.2 Methodische Vorbemerkungen155
7.3 Instrumente und Indizes157
8 Ergebnisse167
8.1 Der Wert von Kindern167
8.2 Determinanten des Wertes von Kindern?176
8.3 Determinanten des generativen Verhaltens?192
8.4 Der Wert von Kindern als Mediator?206
8.5 Kalkulation oder Routine?209
9 Zusammenfassung217
10 Ausblick221
Literatur231

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