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Sozialer Wandel und Gewaltkriminalität

Deutschland, England und Schweden im Vergleich, 1950 bis 2000

AutorChristoph Birkel, Helmut Thome
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl447 Seiten
ISBN9783531902852
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Der Band dokumentiert die Entwicklung unterschiedlicher Formen von Gewaltkriminalität und setzt sie in Beziehung zum ökonomischen und sozialen Strukturwandel in den drei Vergleichsländern. Betrachtet werden insbesondere Veränderungen in der Effektivität und Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols sowie Wandlungstendenzen in den sozialstaatlichen Sicherungssystemen, der Regulierung von Märkten und Arbeitsbeziehungen, den Familienverhältnissen sowie der Mediennutzung, die insgesamt auf eine Veränderung des Integrationsmodus moderner Gesellschaften hinweisen.

Helmut Thome ist Professor für Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Christoph Birkel, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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Leseprobe
6 Sozialstrukturelle Voraussetzungen des kooperativen versus desintegrativen Individualismus (S. 162-163)

6.1 Wohlfahrtsstaatliche Ordnungen: Funktionen und Dysfunktionen

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit jenen Bereichen gesellschaftlicher Strukturentwicklung, die laut Durkheim für das Gewicht des kooperativen im Unterschied zum egoistischen bzw. desintegrativen Individualismus besonders bedeutsam sind. Dazu gehören das Verhältnis von Staat (Politik) und Wirtschaft (Markt), die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse sowie die Formen institutionalisierter Erziehung (Familie und Schule). Wie in Kap. 1 erläutert, ist die Dominanz funktionaler gegenüber segmentärer oder stratifikatorischer Differenzierung die allgemeine Voraussetzung dafür, dass der "kollektivistische" Gesellschaftstyp zurückgedrängt wird – ohne dass er in allen seinen Komponenten und Erscheinungsformen gänzlich verschwindet.

Durkheim nahm zunächst an, dass die "kooperative" Variante des Individualismus die evolutionär dominante sein werde, später jedoch war er pessimistischer und sah die "egoistische" Variante als ernste Bedrohung an. Entscheidende Bedeutung schrieb er der institutionellen Absicherung und der faktischen Wirksamkeit allgemeiner Prinzipien der Gerechtigkeit zu. Dabei sah er den Staat – in Kooperation mit starken Sekundärgruppen – als eine Art Garantiemacht an, die durch regulative Maßnahmen die Marktbeziehungen mitgestaltet und somit neben den rechtlichen auch die ökonomisch-materiellen Bedingungen für die Teilhabe jedes Einzelnen am gesellschaftlichen und politischen Leben befördert. Wir orientieren uns an dem von Durkheim entwickelten theoretischen Bezugsrahmen, der aber mit zusätzlichen, teils auch abweichenden Konzepten und Hypothesen auszugestalten ist.

Ein großer Teil der institutionellen Vorkehrungen, die den normativen Anforderungen der Gerechtigkeit praktische Geltung verschaffen sollen, wird heute unter den Begriffen des Sozial- oder Wohlfahrtsstaates zusammengefasst. Obwohl es bei bestimmten Fragestellungen sinnvoll ist, zwischen diesen beiden Begriffen zu unterscheiden (s. Kaufmann 2003: 34, Schiller 1984: 34), werden wir sie hier terminologisch nicht trennen.

Wir wollen uns in dieser Arbeit weder mit der Geschichte des Wohlfahrtsstaates noch mit theoretischen Ansätzen, die diese Entwicklung soziologisch deuten, näher beschäftigen (für einen knappen Überblick s. Lessenich 2000, ausführlicher: Alber 1989, Schmidt 2005a). Statt dessen werden wir uns – in den Abschnitten 6.1 und 6.2 – auf die Frage konzentrieren, welche Rolle die wohlfahrtsstaatlichen Ordnungen bei der langfristigen Entwicklung der Gewaltkriminalität – insbesondere innerhalb unserer Untersuchungsperiode und unserer Vergleichsländer – gespielt haben könnten. Dabei ist allerdings der weiter gespannte Rahmen funktionaler Bezugsprobleme im Blick zu behalten, in den die "wohlfahrtsstaatlichen Arrangements" (Kaufmann) in ihren unterschiedlichen Varianten einbezogen sind.

In engem Zusammenhang mit den wohlfahrtsstaatlichen Ordnungen – und oft als eine ihrer Komponenten dargestellt – stehen die "Koordinierungsmodi" von Marktwirtschaften und deren Einbindung in soziale und politische Interessen- und Machtkonstellationen. Bei diesem Thema geht es weniger um die Gewährung bestimmter (Sozial-)Leistungen als um die Regulierung von Marktbeziehungen und Arbeitsverhältnissen.

In dieser Hinsicht unterscheidet man verschiedene "Varianten des Kapitalismus" vor allem nach dem Grad an "Marktliberalismus" oder "Korporatismus", den sie realisiert haben (s. z. B. Hall/Gingerich 2004). Damit sind Rahmenbedingungen für die relative Gewichtung von kooperativem versus desintegrativem Individualismus gesetzt, wie wir in Abschnitt 6.3 zeigen werden. Der vierte Kapitelabschnitt (6.4) beschäftigt sich mit der Entwicklung der Arbeitsverhältnisse und der damit verbundenen sozialen Mobilität. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Thesen einer zunehmenden Verdichtung, Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit bzw. der Arbeitsverhältnisse.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
Abbildungsverzeichnis12
Tabellenverzeichnis15
Vorwort der Herausgeber18
Vorwort der Autoren20
1 Theoretischer Bezugsrahmen und Problemstellung122
2 Methodologische Probleme49
3 Die Entwicklung der Gewaltkriminalität 1953-199774
4 Basisindikatoren der ökonomischen Entwicklung in Deutschland, Großbritannien, Schweden, USA seit 195098
5 Erosion des staatlichen Gewaltmonopols?141
6 Sozialstrukturelle Voraussetzungen des kooperativen versus desintegrativen Individualismus161
7 Medien und Gewalt: Anomie durch Entgrenzung378
8 Resümee395
Literaturverzeichnis410
Index448
Abkürzungsverzeichnis454

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