1 1. Kapitel
Einführung
I. Historischer Hintergrund
Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wurde zum 1.1.2005 durch das SGB XII und (ergänzend) durch das SGB II abgelöst. Das BSHG war ein relativ junges Gesetz; es trat erst am 1.6.1962 in Kraft und bildete den vorläufigen Schlusspunkt einer langen historischen Entwicklung.
Im Mittelalter wurde der Arme als Almosenempfänger betrachtet: er gab den Reichen Gelegenheit zu gottgefälligem Tun; der Reiche erlangte durch die Almosengewährung Vergebung seiner Sünden. Der Arme leistete Fürbitte für das Seelenheil seines Wohltäters und erfüllte so eine wichtige Funktion innerhalb der Gesellschaft. Das Almosenwesen war dabei strikt auf den jeweiligen räumlichen Bereich beschränkt, in dem der Arme lebte (zum Beispiel die Stadtgemeinde).
Die Situation änderte sich, als es im 18. Jahrhundert zu einem starken Anwachsen der armen Bevölkerung kam. Die christliche Motivation des Almosenaktes trat in den Hintergrund; die soziale Not der Unterschichten wurde in immer stärkerem Maße zu einem gesellschaftlichen Problem. Gleichzeitig verloren die Städte weitgehend zugunsten territorialer Staaten ihre Selbständigkeit. Im Laufe der Jahrzehnte musste sich deshalb der Staat des Armenwesens immer 2stärker annehmen. Im Jahre 1794 wurde im Allgemeinen Preußischen Landrecht erstmals seine generelle Fürsorgepflicht für die Armen als Staatsaufgabe gesetzlich anerkannt:
Der Arme blieb jedoch Almosenempfänger, dem nach Gutdünken der Obrigkeit gnädiglich eine Unterstützung gewährt wurde.
Im 19. Jahrhundert änderte sich hieran wenig, obwohl im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Reihe von sozialen Vorsorgesystemen geschaffen wurde (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Invaliditäts- und Altersversicherung). Der Arme blieb bis zur Geltung des Grundgesetzes lediglich Objekt der staatlichen Verwaltung (Untertan). Erst mit der Einführung des Grundgesetzes erfuhr das gesamte Fürsorgerecht eine völlig neue rechtliche Grundlage. Bereits in einer der ersten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil v. 24.6.1954) wurde deshalb klargestellt, dass die frühere Auffassung vom Almosenwesen spätestens seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht mehr haltbar sei. Die in Art. 1 (Menschenwürde) und 20 (Sozialstaatsklausel) enthaltenen Leitgedanken des Grundgesetzes führten dazu, das Fürsorgerecht heute dahin auszulegen, dass den Trägern der öffentlichen Fürsorge eine Rechtspflicht gegenüber dem jeweiligen Bedürftigen obliege und dass dieser einen hierauf einklagbaren Rechtsanspruch habe. Das Bundesverwaltungsgericht hat dargelegt, dass die in Art. 1 GG niedergelegte unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen es verbiete, den Menschen als bloßen Gegenstand staatlichen Handelns anzusehen, soweit es um die Sicherung des notwendigen Lebensbedarfs, also des Daseins überhaupt, gehe. Eine der großen Errungenschaften des Grundgesetzes ist es also, dass der in eine persönliche Notlage geratene Mensch nicht mehr Almosenempfänger und Bittsteller ist, sondern einen einklagbaren Anspruch gegenüber dem Staat auf Alimentation besitzt.
Auf Grund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1954 wurde dann im Jahre 1962 das Bundessozialhilfegesetz in Kraft gesetzt und für alle Bundesländer eine einheitliche Regelung für Sozialhilfeleistungen geschaffen. Das BSHG trat zum 31.12.2004 außer Kraft; es wurde durch die seit dem 1.1.2005 geltenden 3Vorschriften des SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) und des SGB XII (Sozialhilfe) ersetzt.
II. Kurzüberblick über die Regelungen des SGB II und des SGB XII
1. Integration in das SGB
Mit dem Inkrafttreten des SGB II und des SGB XII hat der Gesetzgeber eine seit langem bestehende Forderung verwirklicht, das Recht der Sozialhilfe weiter zu entwickeln und die Sozialhilfe als weiteres Buch – als SGB XII – im Sozialgesetzbuch zu integrieren. Das Sozialgesetzbuch ist jetzt wie folgt aufgebaut:
- Allgemeiner Teil SGB I
- Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II
- Arbeitsförderung SGB III
- Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung SGB IV
- Gesetzliche Krankenversicherung SGB V
- Gesetzliche Rentenversicherung SGB VI
- Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII
- Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII
- Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen SGB IX
- Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz SGB X
- Soziale Pflegeversicherung SGB XI
- Sozialhilfe SGB XII
Eine Reihe von weiteren gesetzlichen Vorschriften wie etwa das Wohngeldgesetz, das Bundesausbildungsförderungsgesetz, das Bundesversorgungsgesetz, das Opferentschädigungsgesetz und weitere, die ebenfalls Sozialleistungen beinhalten, sind materiell betrachtet ebenfalls Bestandteil des Sozialgesetzbuches, ohne bereits in das Sozialgesetzbuch förmlich eingereiht zu sein.
42. Eckpunkte des SGB II
Die Schwerpunkte des SGB II sind:
- Überführung aller hilfebedürftigen erwerbsfähigen Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und die die gesetzliche Altersgrenze gemäß § 7 a SGB II noch nicht vollendet haben und der Personen, die gemäß § 7 Abs. 2 SGB II mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenleben in den Geltungsbereich des SGB II, soweit es den allgemeinen Lebensunterhalt angeht
- Ausschluss von Ansprüchen auf Leistungen nach dem SGB II für Hilfebedürftige, die die Voraussetzungen für Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erfüllen, §§ 41–46 SGB XII)
- Primat der Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Feststellung der Erwerbsfähigkeit (§ 44 a SGB II)
- Postulat der Grundsätze des Förderns und des Forderns (§§ 2, 14 SGB II)
- Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§ 16 SGB II)
- Sicherstellung des Lebensunterhaltes für erwerbsfähige Leistungsberechtigte durch das Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II) und deren in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen durch das Sozialgeld (§ 28 SGB II)
- Gespaltene Zuständigkeit bei der Leistungserbringung zwischen der Bundesagentur für Arbeit für den allgemeinen Lebensunterhalt und den Trägern der Sozialhilfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 6 SGB II – siehe auch Stichwort: Arbeitsgemeinschaft und Stichwort: Optionskommune)
- Rechtswegzuständigkeit zu den Sozialgerichten (§ 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG).
53. Eckpunkte des SGB XII
Die Eckpunkte des Sozialhilferechts SGB XII können thesenartig wie folgt zusammengefasst werden:
- Ausgliederung aller hilfebedürftigen erwerbsfähigen Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die gesetzliche Altersgrenze noch nicht vollendet haben, in das SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende)
- Gliederung der Hilfe zum Lebensunterhalt in zwei Kapiteln:
- 3. Kapitel: Hilfe zum Lebensunterhalt, §§ 27–40 SGB XII als Auffangtatbestand für Personen, die weder SGB II-Leistungen noch Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41–46 SGB XII) beziehen können
- 4. Kapitel: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, §§ 41–46 SGB XII
- Die sonstigen Sozialhilfeleistungen außerhalb der Hilfe zum Lebensunterhalt sind in den Kapiteln 5–9 geregelt:
- 5. Kapitel: Hilfen zur Gesundheit, §§ 47–53 SGB XII
- 6. Kapitel: Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, §§ 53–60a SGB XII
- 7. Kapitel: Hilfe zur Pflege, §§ 61–66 SGB XII
- 8. Kapitel: Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, §§ 67–69 SGB XII
- 9. Kapitel: Hilfen in anderen Lebenslagen, §§ 70–74 SGB XII
- Pauschalierung der Leistungen zum Lebensunterhalt durch Erhöhung der Regelsätze; dies bedeutet, dass zusätzliche einmalige Leistungen in der Regel nicht mehr gesondert beantragt werden können.
- Zuständigkeit der Sozialgerichte bei gerichtlichen Auseinandersetzungen über Leistungen nach dem SGB XII.
6III. Leistungsberechtigte und Leistungsgruppen
Nach § 19 Abs. 1 in Verbindung mit § 21 SGB XII beziehungsweise § 7 SGB II muss hinsichtlich der Leistungsberechtigten zwischen drei Personengruppen unterschieden werden:
- Gruppe 1: erwerbsfähige Hilfesuchende und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (§ 7 Abs. 2 SGB II).
- Gruppe 2: erwerbsunfähige Hilfesuchende über 18 Jahre oder Personen, die die gesetzliche Altersgrenze überschritten haben....