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Soziologie der Organisation

AutorRenate Mayntz
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783688116379
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
? Die organisierte Gesellschaft Bedeutung und Entwicklung der Organisation / Soziologische Fragen zum Thema Organisation ? Die Entwicklung des soziologischen Interesses an der Organisation Vorläufer und Wegbereiter / Die Soziologie der Organisation in Deutschland und anderen Ländern ? Theoretische Grundlagen der Organisationsanalyse Die Organisation als soziales System / Organisationsanalyse / Organisationstypologie ? Organisation und ihre Ziele ? Die Struktur der Organisation Formalisierung und Bürokratisierung / Die Kommunikationsstruktur / Die Autoritätsstruktur / Max Webers Typen der Herrschaft / Tendenzen strukturellen Wandels ? Die Mitglieder der Organisation ? Die Zweckmäßigkeit der Organisation ? Enzyklopädisches Stichwort: «Organisationsanalyse» ? Literaturhinweise ? Personen- und Sachregister

Renate Mayntz, 1929 in Berlin geboren, ist Soziologin und emeritierte Direktorin des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung.

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Leseprobe

3. Ergebnis und Voraussetzungen der Organisationsentwicklung


Angesichts der verwirrenden Vielfalt historischer Facetten, in die sich die Organisationsgeschichte bei näherem Hinsehen auflöst, muß man fragen, ob sich überhaupt allgemein sagen läßt, was hier geschehen ist und warum es geschah. In der einem einleitenden Kapitel angemessenen Kürze soll versucht werden, hierauf zusammenfassend zu antworten.

Das Ergebnis des im vorigen Abschnitt anhand einiger Beispiele mehr angedeuteten als geschilderten Entwicklungsprozesses ist die Verbreitung von sozialen Gebilden, die sich institutionell verselbständigt haben und spezifische Zwecke erfüllen bzw. spezifische Ziele verfolgen. Die Zugehörigkeit zu diesen sozialen Gebilden steht weder immer jedem frei, noch ist sie immer freiwillig; sie ist jedoch typischerweise zweckbestimmt und richtet sich nicht nach familiärer oder territorialer Zusammengehörigkeit. Die letzte Feststellung mag angesichts des lokalen oder regionalen Charakters mancher Organisation zweifelhaft erscheinen; doch auch Organisationen mit einem lokal begrenzten Einzugsbereich rekrutieren ihre Mitglieder aufgrund spezifischer, nicht territorial gebundener Merkmale. Diese verselbständigten und spezifisch zweckorientierten oder zielgerichteten Gebilde zeichnen sich weiter durch eine horizontal ebenso wie vertikal differenzierte Struktur aus, die ein dem einzelnen vorgegebenes Rollensystem darstellt und von den jeweiligen konkreten Mitgliedern abhebbar ist. Ein entscheidendes Merkmal dieser sozialen Gebilde ist schließlich ihre Rationalität. Das bedeutet nicht, daß Organisationen tatsächlich nach ausschließlich rationalen Gesichtspunkten aufgebaut sind und das Handeln in ihnen ausschließlich rational bestimmt ist, sondern nur, daß eine solche Orientierung als Leitbild oder Richtungsweiser gilt. Das Merkmal der Rationalität bezieht sich übrigens nur auf die Art, wie eine Organisation ihr Ziel verfolgt, und nicht auf den Inhalt dieser Ziele, die durchaus ‹unvernünftig›, auch unmoralisch oder gesellschaftsschädigend sein können.

Daß Organisationen zweckorientiert sind und dies der Intention nach auch in ihrem Aufbau und ihrem Regelsystem (Rollenfestlegung) zum Ausdruck bringen, heißt nicht, daß sie immer eine bürokratische Struktur besitzen, wiewohl man von einer allgemeinen Bürokratisierungstendenz sprechen kann. Dem von MAX WEBER beschriebenen Idealtypus der modernen Bürokratie entspricht die heutige Verwaltung am meisten. Der industrielle Großbetrieb nähert sich dem Typus stark an. Schulen, Gefängnisse und Krankenhäuser sind nur im Bereich ihres hauptberuflichen Personals bürokratisiert. Das Heer ist nur als modernes Berufsheer im Frieden eine ausgeprägt bürokratische Organisation. Die freiwilligen Vereinigungen sind zwar in ihrem ständigen Verwaltungsapparat bürokratisiert, doch ist dies kaum ihr wichtigstes Strukturmerkmal. Eine bürokratische Organisationsform ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich und auch keineswegs immer die zweckmäßigste Strukturform; darauf wird später ausführlich einzugehen sein. Hier soll nur betont werden, daß ein soziales Gebilde auch dann die Merkmale einer Organisation besitzen kann, wenn es keine Bürokratie darstellt.

Im vorigen Abschnitt wurde auf manche Faktoren hingewiesen, die für die Entwicklung der einen oder anderen Organisation wichtig waren. Die Frage nach den allgemeinen Voraussetzungen und Bestimmungsgründen des gesamten Entwicklungsprozesses ist jedoch kaum befriedigend zu beantworten. Zumal die Suche nach einer ‹letzten Ursache› dieses Prozesses muß vergeblich bleiben, da man es offenbar mit dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren zu tun hat, die unter sich in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen und die außerdem selber von der Organisationsentwicklung rückwirkend beeinflußt worden sind. So stößt man mit jedem Erklärungsversuch für die Ausbreitung von Organisationen auf die ganze Problematik, die historischen Kausalerklärungen allgemein anhaftet.

Wichtige Voraussetzungen der Organisationsentwicklung findet man in technischen, gesetzlichen, strukturellen und individuellen Faktoren.

Die Wirkung des technischen Fortschritts ist auf dem wirtschaftlichen Gebiet besonders deutlich, aber auch am Strukturwandel des Heeres und des Krankenhauses abzulesen. Wie prägend ein technisches Instrumentarium für die einzelne Organisation ist, hängt unter anderem von ihrem Zweck ab und kann sehr verschieden sein. Doch beruhen indirekt auch solche Organisationen auf technischen Voraussetzungen, die selber wenig technische Hilfsmittel benötigen. So setzt nicht nur jede überlokale Organisation, sondern überhaupt die regelmäßige Wechselbeziehung zwischen Organisationen über größere Räume hinweg entsprechende Kommunikationsmittel voraus. Der technische Fortschritt wurde seinerseits von Organisationen angeregt, vor allem von der im Industriebetrieb organisierten Wirtschaft und von dem Verlangen des Militärs nach immer besseren Waffen.

Der Einfluß gesetzlicher Regelungen zeigt sich besonders in der Entwicklung der freiwilligen Vereinigungen. Die staatliche Rechtsordnung kann bestimmte Zwecke von der Organisierung überhaupt ausschließen; in der Bundesrepublik gilt das heute nur noch für gesetzeswidrige und verfassungsfeindliche Zwecke. Die Rechtsordnung schreibt weiter für bestimmte (z.B. erwerbswirtschaftliche) Zwecke vor, daß die Organisationsform unter gesetzlich vorgegebenen Möglichkeiten ausgewählt wird. Bestimmte Organisationen können konzessionspflichtig sein und einige sogar einer obrigkeitlichen Aufsicht unterstellt werden. Schließlich nimmt die staatliche Rechtsordnung auch Einfluß auf die innere Gestaltung von Organisationen, und zwar nicht nur bei freiwilligen Vereinigungen, wo sie heute etwa den Parteien eine demokratische Ordnung vorschreibt oder von eingetragenen Vereinen fordert, daß sie bestimmte Dinge durch Satzung regeln, sondern insbesondere im Bereich erwerbswirtschaftlicher Organisationen. Auch die innere Verfassung der Streitkräfte, der Schulen und der Verwaltung wird, um nur noch diese Beispiele zu nennen, von bestehenden Gesetzen und staatlichen Verordnungen geformt. Die Rechtsordnung ihrerseits wird aber wiederum von den Organisationen beeinflußt, wobei man nicht nur an den Kampf um Vereinigungsfreiheit und Koalitionsrecht, sondern auch an die Gesetzgebung in bestimmten Sachbereichen (z.B. Aktien- und Kartellrecht, Sozialgesetzgebung usw.) denken kann. Verhältnismäßig selten ist von der Rechtsordnung direkt ein Anstoß zur Organisationsbildung gegeben worden. Ihr Einfluß beruht hauptsächlich auf dem jeweiligen Ausmaß gesetzlicher Behinderung und auf ihrer prägenden Wirkung für die Organisationsverfassungen.

Die in der Gesellschaftsstruktur selber liegenden Voraussetzungen der Organisationsentwicklung sind besonders schwer zu verallgemeinern. Der einfache Hinweis auf die soziale Differenzierung als Grundvoraussetzung genügt keinesfalls, wenn es auch stimmt, daß die Organisation als ein spezifisch zweckorientiertes und intern arbeitsteiliges Gebilde eine Differenzierung sowohl nach Interessen wie nach Fertigkeiten voraussetzt. Versteht man allerdings unter sozialer Differenzierung eine Trennung verschiedener Lebensbereiche – Politik, Religion, Wirtschaft, Kultur usw. – voneinander, dann ist das weniger die Voraussetzung als vielmehr das Ergebnis der Organisationsentwicklung. Entstehen und Ausbreitung von Organisationen lassen sich eher dadurch erklären, daß man auf besondere Formen anstatt lediglich auf das Ausmaß der sozialen Differenzierung hinweist. Die Organisationsentwicklung hängt ab von dem Vorherrschen städtischer oder ländlicher Lebensweise und, damit zusammenhängend, von der vorherrschenden Art wirtschaftlicher Tätigkeit. Ländliche Lebensweise und eine landwirtschaftliche Bedarfsdeckungswirtschaft bieten aus sich heraus wenig Anlaß zur Organisationsbildung. Zumal wenn die breite Masse einer Gesellschaft eine unfreie, arme und ungebildete Landbevölkerung ist, wird – wenn überhaupt – lediglich die herrschende Minderheit die Bildung einiger Organisationen (etwa in den Bereichen Verwaltung, Heer und Religion) betreiben. Ganz allgemein kann man auch sagen, daß die Organisationsentwicklung immer dann gering sein wird, wenn in einer Gesellschaft die Familie bzw. der Familienverband und grundherrschaftliche Haushalte als selbstgenügsame Einheiten das dominante soziale Gliederungsprinzip darstellen.

Eine der wichtigsten strukturellen Voraussetzungen der Organisationsentwicklung liegt in der politischen Ordnung einer Gesellschaft. Der Abbau der feudalen Struktur und die Bildung des großräumigen Staates (Flächenstaat) mit seiner zentralisierten Autorität bestimmten wesentlich die Geschichte der Verwaltung und des Heeres, beeinflußten aber ebenfalls Kirche, Schule, Krankenhaus, Gefängnis und nicht zuletzt auch die Industrialisierung, die wiederum zum modernen Betrieb führte. Auf die Bedeutung der später folgenden politischen Demokratisierung gerade für die jüngste Phase der Organisationsentwicklung (freiwillige Vereinigungen, aber auch Schulwesen und modernes Heer) wurde mehrfach hingewiesen. Die Kombination beider politischer Strukturprinzipien – Zentralisierung und Demokratisierung – ist insbesondere für die Geschichte der Verbände entscheidend. Das Ausmaß und die Zentralisierung der Regierungstätigkeit beeinflussen nicht nur Struktur und Zwecksetzung, sondern oft sogar das Entstehen von Verbänden. Die Tendenz zur Bildung nationaler Verbände hängt direkt mit dem...

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