Kometen, Samantha und Tiuterra
Samantha Cristoforetti mit den Tiuterra-Kristallen, die sie in den Weltraum mitnehmen wird – Bildquelle: Mareike Tocha
Der 28. August 2014 stellte sicherlich eine interessante Abwechslung für die italienische ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti dar. Es war auf jeden Fall aber ein ganz besonderer Tag für das Österreichische Weltraum Forum (ÖWF) und den österreichischen Kristallhersteller Swarovski. Die 37jährige Italienerin ist eine ehemalige Militärpilotin der Aeronautica Militare. Sie hat einen Abschluss in Luft- und Raumfahrttechnik, ist seit 2009 ESA-Astronautin und trainiert derzeit für den Flug von Sojus TMA-15M, der sie zur Internationalen Raumstation (ISS) bringen wird. Da wird sie als Mitglied der ISS-Expeditionen 42 und 43 insgESAmt sechs Monate lang leben und forschen.
Samantha Cristoforetti nahm an diesem Tag drei kleine Kristalle in Empfang. Deren Hersteller, das globale Kristall-Unternehmen Swarovski, entwickelt, fertigt und vertreibt weltweit Schmuck, hochwertiges Kristall, echte Edelsteine und synthetische Schmucksteine, sowie eine Vielfalt an Accessoires und Beleuchtungslösungen rund um das Thema „Kristall“. In Cristoforettis Kristalle haben die Innsbrucker ein ganz besonderes Material eingeschlossen: Mars-
Gestein. Samantha Cristoforetti wird dieses Material für die Dauer ihrer Mission dahin zurückbringen, wo es herkam: In den Weltraum.
Die wertvollen Objekte sind eine Leihgabe, denn nach ihrer Mission wird die italienische Astronautin sie wieder zurückgeben. Sie werden nach ihrer Zeit als „Kristallonauten“ eine zweite Karriere als Museums- und Ausstellungsstücke beginnen und sollen als „Weltraum-Botschafter“ die Welt bereisen.
Rechts die “Normalversion” des Tiuterra-Kristalls, von dem 100 Stück existieren. Links die „Spezialversion“, die speziell für Samantha Cristoforetti hergestellt wurde – Bildquelle: Mareike Tocha
Die Idee für diese Aktion, die kulturelle und technische Aspekte der bemannten Raumfahrt zusammenführt, stammt vom Österreichischen Weltraum Forum, einem Netzwerk von Raumfahrtspezialisten und Raumfahrtinstitutionen. Sie war beeinflusst vom Motto der World Space Week 2013 der Vereinten Nationen: „Den Mars erforschen, die Erde entdecken“ (Exploring Mars, Discovering Earth). Im Rahmen dieser Veranstaltung, die weltrauminteressierte Menschen auf der ganzen Welt erreichte, wurde ein Aufruf zum Sammeln von Gesteinsproben gestartet. 32 Proben seltenen Materials gingen daraufhin ein. Doch eine dieser Gesteinsproben wurde zwar auf der Erde gefunden – in Marokko, um genau zu sein – stammt aber ursprünglich nicht von unserem Heimatplaneten. Sie hat ihren Ursprung auf dem Mars, denn es handelt sich um einen der äußerst seltenen Mars-Meteoriten.
Das war dann die Stelle, an der das Familienunternehmen Swarovski gewonnen werden konnte, um die Aktion im wahrsten Sinne des Wortes in eine „greifbare“ und „begreifbare“ Form zu bringen. Die Tiuterra-Aktion passt auch gut in das Selbstverständnis des Unternehmens. Denn neben der wirtschaftlichen Ausrichtung – Swarovski ist ein großer Konzern, ein Arbeitgeber für mehr als 24.000 Mitarbeiter – vertritt das Haus auch wichtige kulturelle Grundsätze. Die Firma unterhält die „Swarovski Foundation für Kreativität und Kultur“. Einer der Stiftungswecke besteht darin, die Öffentlichkeit für die Herkunft und den Schutz natürlicher Ressourcen zu sensitivieren. Da passte die Aktion des Österreichischen Weltraum Forums hervorragend hinein. Sie macht nämlich auf einen Umstand aufmerksam, der uns nicht sofort geläufig ist. Auf die Tatsache nämlich, dass jegliche natürliche Ressource, über die wir auf der Erde verfügen, aus ein- und demselben Urmaterial stammt: aus der protoplanetaren Scheibe unseres Sonnensystems.
Bei der Übergabe der Tiuterra-Kristalle im Europäischen Astronautenzentrum in Köln-Porz, vor dem Trainingsmodell des Columbus-Moduls der Internationalen Raumstation. Von links: Christian Nagele (Vice President Product Management Swarovski), Monika Fischer (Media Officier ÖWF), Samantha Cristoforetti, Jules Grandsire (EAC Communication Officer), Gernot Grömer (Obmann ÖWF). – Bildquelle: Mareike Tocha
Mit den auf dem ganzen Planeten gESAmmelten Gesteinsproben und dem Mars-Meteoriten aus Marokko, schuf Swarovski nun einen ganz besonderen Kristall. In einer limitierten Auflage von nur 100 Stück. Dazu war erst die Entwicklung eines ganz neuen Verfahrens notwendig, um die Proben in den Kristall einschließen zu können. Erst dadurch werden sie zum Symbol dafür, dass Mars und Erde (aber auch die anderen Körper unseres Sonnensystems) eine Einheit bilden und einen gemeinsamen Ursprung haben. Jeder der Swarovski-Kristalle enthält nur eine kleine Menge des kombinierten Materials. Was man in einem anderen Fall als „Verunreinigung“ betrachten würde, stellt hier eine Veredelung dar.
Diese Kristalle können nicht käuflich erworben werden, sondern werden an Personen und Institutionen verteilt, die sich in besonderer Weise für Raumfahrt einsetzen oder sie repräsentieren. Personen wie eben Samantha Cristoforetti. Wobei die drei Steine für Cristoforetti aufgrund des extrem begrenzten Gewichtes ihrer persönlichen Utensilien sozusagen eine Sonderedition der Sonderedition sind. Ihre drei Kristalle sind verkleinerte Ausgaben der Original-Tiuterras. Somit existieren – nimmt man es ganz genau – nun exakt 103 Tiuterras.
Bei einem so wertvollen, einzigartigen und symbolbehafteten Objekt ist es nur natürlich, dass es auch einen besonderen Namen erhält. Da lag es nahe, die beiden Wörter „Mars“ und „Erde“ miteinander zu kombinieren. Und so wurde das altenglische Wort für Mars: „Tiu“ mit dem lateinischen Wort „Terra“ für Erde verbunden. Daraus entstand dann „Tiuterra“. Das ist der Name, den die 103 Kristalle von nun an führen. Drei dieser ganz besonderen Objekte wurden erstmals am 12. April 2014 vorgestellt, im Rahmen der Yuris Night im Technischen Museum Wien.
Dieser 30 Meter-Krater auf dem Mars existierte vor dem Jahr 2010 noch nicht. – Bildquelle: NASA
Wie kam der Mars auf die Erde?
An der Stelle wollen wir uns vom eher künstlerisch-ideellen Aspekt der Sache lösen, und uns der technisch-wissenschaftlichen Frage widmen: wie kann überhaupt Material vom Mars zur Erde gelangen. Die großen Raumfahrtnationen wollen dieses Problem, unter gewaltigem technischem Aufwand, in den nächsten zehn bis 15 Jahren in Angriff nehmen. So genannte „Mars Sample Return-Missions“ sind derzeit für Mitte oder Ende der zwanziger Jahre geplant. Aber wie schafft es die Natur, Material vom Mars zur – bestenfalls – 60 Millionen Kilometer entfernten Erde zu bringen?
Das liegt daran, dass der Weltraum – und unser Sonnensystem als kleiner Teil davon – kein statisches Gebilde ist. Es stellt sich uns Menschen aber in der Regel so dar, einfach deswegen, weil unser Leben zu kurz ist, um Veränderungen wahrzunehmen. So erscheinen uns die Krater, die wir auf den Monden, den Planeten und der Erde sehen, als unveränderliche Geländemerkmale. Man könnte vermuten, dass sie seit Anbeginn der Zeiten existieren. Doch nichts wäre falscher, als dieser Eindruck.
Ein besonders dramatisches Beispiel dafür ist ein Bild, das die „High Resolution Imaging Science Experiment“ (HiRISE) Kamera an Bord der NASA-Raumsonde Mars Reconnaissance Orbiter am 19. November 2013 gemacht hatte. Dieses Instrument hat ein extrem hohes Auflösungsvermögen. Weil damit aber nur sehr kleine Areale abgelichtet werden können, verwendet es die NASA nur für besondere Objekte. Ihr Ziel an diesem Novembertag war deswegen gewählt worden, weil eine andere Kamera an Bord der Raumsonde, die so genannte „Context Camera“, eine merkwürdige Veränderung in einer Region entdeckt hatte, die sie zweimal im Abstand von zwei Jahren fotografiert hatte: Das erste Mal im Juli 2010. Das zweite Mal im Mai 2012. Da, wo zuvor nur ebener Wüstenboden war, zeigte sich jetzt ein stattlicher neuer Krater.
Dieses Objekt hat einen Durchmesser von etwa 30 Metern, und ist von einer riesigen strahlenförmigen Auswurfzone umgeben. Weil das Terrain, auf dem sich der Krater formte, sehr staubig ist, erscheint der neue Krater in dem farbverstärkten Bild bläulich, denn der Einschlag hat den ursprünglichen rötlichen Staub aus der Gegend entfernt. Der Gesteinsschutt, der beim Einschlag ausgeworfen wurde, die Impakt-Auswurfmasse (auch Ejecta genannt), erzählt viel über das Ereignis selbst. Gesteinstrümmer wurden bei diesem Einschlag bis zu 15 Kilometer weit geschleudert. Der neue Krater liegt auf 3,7 Grad nördlicher Breite und 53,4 Grad östlicher Länge. Die Auswertung der Daten aller Raumsonden, die seit den siebziger Jahren den Mars umkreisen, hat ergeben, dass sich auf dem roten Planeten jährlich über 200 Einschläge ereignen, die Krater von mehr als vier Metern Durchmesser erzeugen. Der Meteorit, der hier eingeschlagen hatte, war dabei noch nicht einmal sonderlich groß. Er dürfte ein Objekt von etwa einem oder zwei Metern gewesen sein.
Die größeren dieser Einschläge sind so gewaltig, dass – ein passender Aufschlagwinkel vorausgesetzt – ein Teil des Auswurfmaterials die planetare Fluchtgeschwindigkeit überschreitet und den Planeten für sehr lange Zeit oder für immer verlässt. Dieses Material treibt dann auf einer ähnlichen Bahn wie der Mars selbst für Jahrmillionen durch das Weltall. Einen Teil davon fängt der Mars im Laufe erdgeschichtlicher (oder hier besser „marsgeschichtlicher“...