GESCHICHTEN SIND ÜBERALL
Wie und wo man Geschichten für die Unternehmenskommunikation findet
Wenn wir Roman- oder Drehbuchautoren wären, könnten wir nun daran gehen, eine Geschichte zu erfinden, von der wir glauben, dass sie für die Kommunikation unseres Unternehmens passend sei. Doch die Geschichten, die wir in diesem Kontext erzählen, sind in aller Regel authentische Geschichten, die auf tatsächlichen Ereignissen und Fakten beruhen. Manchmal wird zwar auch in der Unternehmenskommunikation mit fiktiven oder erfundenen Geschichten experimentiert. Das kann im Kontext der Werbung oder für einen Imagefilm sinnvoll sein – doch in der Regel empfehle ich auf der Basis meiner Erfahrungen, die Finger von ausgedachten, fiktiven Geschichten zu lassen. In der PR sind wir ohnehin auf Geschichten angewiesen, die einen realen Hintergrund in tatsächlich geschehenen Ereignissen haben, und auch in der sonstigen externen und internen Unternehmenskommunikation wirken authentische Geschichten stärker: Man merkt ihnen an, dass sie „real“ sind und mit den Erfahrungen der Zielgruppe mit Unternehmen und Produkt übereinstimmen.
Wenn ich zum Beispiel eine fiktive Geschichte erzähle, in der das Unternehmen als „cooler“, ungewöhnlicher, kreativer Laden rüberkommt, die Kunden, Mitarbeiter und Partner es aber eher als bürokratisches, schwerfälliges und entscheidungsschwaches Gebilde erleben, dann wirkt diese Geschichte allenfalls lächerlich, trägt keinesfalls zur Verbesserung des Images bei, und der Schuss geht buchstäblich nach hinten los. Wenn man also in der Unternehmenskommunikation fiktive, ausgedachte Geschichten verwendet, dann sollten sie sehr nah an der Realität sein. Auf „Nummer sicher“ gehen Sie jedoch, wenn Sie die Finger ganz davon lassen und lieber mit authentischen Geschichten arbeiten.
Vorteile authentischer Geschichten in der Unternehmenskommunikation:
• authentische Geschichten „liegen auf der Straße“, man muss sie nicht erst erfinden;
• authentische Geschichten stimmen mit der Erfahrungswelt der Zielgruppe überein;
• authentische Geschichten regen zum Weitererzählen an;
• in authentischen Geschichten finden sich auch die Mitarbeiter des Unternehmens wieder.
Wenn ich, wie hier, in meinen Seminaren behaupte, Geschichten lägen auf der Straße, ernte ich immer Protest: Sehr viele Mitarbeiter in Unternehmenskommunikation und PR erleben es offenbar als das schwierigste Problem beim Storytelling, die richtigen Geschichten zu finden. Das ist verständlich – die besten Geschichten hat man schon erzählt, wahrscheinlich schon mehrmals, und vielleicht ist auch das Produkt des eigenen Unternehmens nicht so furchtbar spannend, dass es immer wieder von selber neue Geschichten erzeugt. Dennoch: Wo immer Menschen Produkte entwickeln, herstellen, verkaufen, Service bieten, werden Handlungen ausgeführt, und Handlungen sind der Grundstoff für Geschichten. Allerdings muss man dort hingehen, wo diese Handlungen passieren, um die dahinterliegenden Geschichten zu finden – die Geschichten kommen nicht von selbst zu uns, sie überschreiten nicht automatisch die Schwelle zur Kommunikationsabteilung.
Bekannt sind die gängigen Versuche, per Aufruf im Intranet zum Einschicken von Geschichten zu animieren. Meiner Erfahrung nach ist dies die schlechteste und meist von vornherein zum Scheitern verurteilte Methode. Denn in aller Regel sind die Mitarbeiter mit ihrer täglichen Arbeit schon an der Belastungsgrenze und sehen gar nicht ein, warum sie nun auch noch „den Job der Typen aus der Kommunikationsabteilung“ machen sollen. Darüber hinaus fallen den Mitarbeitern im stillen Kämmerlein bzw. vor ihrem Computermonitor auch keine Geschichten ein. Es ist ihnen meist nicht bewusst, dass in ihren alltäglichen Handlungen Stoff für Geschichten steckt.
Um Geschichten zu finden, müssen wir also aktiv werden; die vier erfolgreichsten Methoden des Geschichtenfindens beschreibe ich im Folgenden. Ihnen allen gemeinsam ist: Man muss dort hingehen, wo das passiert, was wir als Stoff für unsere Geschichten brauchen.
Der Erzählworkshop
Die effektivste Art und Weise, Geschichten zu finden, ist der Erzählworkshop. Ist die Sache erst einmal organisiert, bleibt der Aufwand relativ gering. Das Prinzip ist ganz einfach: Man ruft für zwei Stunden 15 bis 20 Mitarbeiter zusammen, die etwas mit dem Thema, um das es gehen soll, zu tun haben. (Übrigens reichen auch 8 bis 10 Personen, doch gibt das dann weniger Geschichten.) Man bittet sie, ihre Erfahrungen und Erlebnisse zum relevanten Themenbereich mitzuteilen. Man nimmt die Geschichten, die sie erzählen auf, lässt das Material hinterher abtippen und hat dann eine Menge Geschichten-Material, das man nur noch schärfen und auf den Punkt bringen muss. (Wie man das macht, erfahren Sie im nächsten Kapitel). Um zu Beginn des Erzählworkshops das Eis zu brechen, ist es meist hilfreich, die Teilnehmer zunächst für zehn Minuten in Zweiergruppen Geschichten finden zu lassen, sodass sie nicht gleich vor allen Mitwirkenden im Plenum reden müssen.
Hier finden Sie Beispiele zu Erzählworkshop-Themen aus meiner Praxis:
Beispiel 1: | Servicequalität kommunizieren |
Ziel/Thema: | Kundenorientierung und Servicequalität im Check-in- und Gate-Bereich |
Teilnehmer: | Mitarbeiter der Airline am Check-in und am Gate |
Beispiel 2: | Kundengespräche plastischer machen |
Unternehmen: | Fondsgesellschaft |
Ziel/Thema: | Es sollten Geschichten aus der Beraterpraxis gesammelt werden, die in der Folge intern veröffentlicht wurden und von anderen Beratern in deren Beratungsgesprächen verwendet werden sollten. |
Teilnehmer: | Kundenberater des Finanzdienstleisters |
Beispiel 3: | Leitsätze illustrieren |
Ziel/Thema: | Es sollten Geschichten gefunden werden, die die sieben Leitsätze der Bank anschaulich machen und sie illustrieren. |
Teilnehmer: | Mitarbeiter der Bank |
Viele Kommunikatoren können sich anfangs nicht entschließen, einen Erzählworkshop durchzuführen, aus Angst, dass die Teilnehmer/Mitarbeiter nicht „mitziehen“. Diese Angst verstärkt sich, wenn man zum ersten Mal einen solchen Workshop organisiert und die Teilnehmer bei der Aufforderung, ihre Erlebnisse zu erzählen, äußerst skeptisch reagieren und behaupten, ihnen falle nichts ein. In diesem Moment bitte auf keinen Fall die Flinte ins Korn werfen! Stur weiter machen, die Teilnehmer in Zweiergruppen einteilen, sie bitten, sich gegenseitig zu helfen, Geschichten zu finden. Sobald die erste Hemmschwelle überwunden ist, hat noch jeder Erzählworkshop funktioniert.
>>Checklist: Durchführung eines Erzählworkshops
1. Auswahl und Einladung der Teilnehmer: Je nach Anlass und Ziel der zu findenden Geschichten können unterschiedliche Teilnehmerzusammensetzungen sinnvoll sein: Wenn es, wie oben, um Geschichten zur Illustration eines Leitbildes geht, sollte man natürlich Mitarbeiter aus vielen verschiedenen Abteilungen einladen. Geht es jedoch um Kundengeschichten, dann sollten eher die Vertriebsmitarbeiter dabei sein, und bei Produktinnovationen möglichst die Mitarbeiter aus dem F&E-Bereich.
2. Abklären, dass die Mitarbeiter für zwei Stunden von der Arbeit freigestellt werden (in der Regel werden die Mitarbeiter nicht bereit sein, einen Erzählworkshop in ihrer Freizeit durchzuführen).
3. Zum Erzählworkshop einladen; in dieser Einladung empfiehlt es sich, nicht vom „Geschichten erzählen“ zu sprechen, da dies erfahrungsgemäß vielen Menschen Angst macht, sondern eher von einem...