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E-Book

Virtuelle Welten

reale Gewalt

VerlagHeise Verlag
Erscheinungsjahr2003
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783882292718
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,60 EUR
Die Frage, wie Gewalt und Medien zusammenhängen, lässt sich nicht mit einem Satz oder nur aus einer Perspektive beantworten. Deshalb haben 16 Telepolis-Autoren in 20 Essays ihre Meinung, die Ergebnisse von Studien und neue Fragen in dem von Florian Rötzer herausgegebenen Buch Virtuelle Welten – reale Gewalt gebündelt. Auf knapp 190 Seiten formulieren die Autoren teilweise erst die Fragen zu den oft vorschnell gegebenen Antworten oder hinterfragen die gängigen Erklärungen der Öffentlichkeit zum Zusammenhang von Medien und Gewalt.

Die Einleitung übernimmt Florian Rötzer selbst mit dem Thema "Angst vor dem neuen Medium" und informiert über den Stand der Diskussion, bevor es dann um Fakten geht: Manuel Ladas' "Brutale Spiele(r)? - Eine Befragung von 2141 Computerspielern zu Wirkung und Nutzung von Gewalt" liefert mehr als nur gängige Vermutungen und fordert zum Umdenken bei bisherigen Schubladenkategorien auf. Nahtlos schließen sich die Betrachtungen aneinander an: "Gewalt und Medien, Gewalt durch Medien, Gewalt ohne Medien?" von Karsten Weber, "Gewalt ist eine Lösung – leider" von Mahha El-Faddagh und Michael Nagenborg, "Aktion 'Sauberer Bildschirm' - Wie der Krieg hinter seinem virtuellen Abbild verschwindet" von Hartmut Gieselmann.

Nie verschwindet die kritische Reflexion der Realität, in der wir leben, hinter den so leicht zu beschuldigenden virtuellen Scheinursachen. "Schöne Spiele, falsche Freunde - Theorie und Praxis des Kriegs in Computerspielen" von Konrad Lischka, "Das globale Übungsdorf" von Krystian Woznicki und "Clockwork America - Schulmassaker und tödliches Freistilringen in den USA" von Goedart Palm lassen die Grenzen zwischen Ursache und Wirkung verschwimmen und liefern statt Antworten unbequeme Fragen. Zwölf weitere Essays folgen, mit denen immer wieder Haltepunkte auf der rutschigen Diskussionsbühne um Gewalt und Medien angeboten werden.

Der Blick auf die Medien und die Gewalt ist in Virtuelle Welten – reale Gewalt gelungen. Wer nach einfachen Antworten und Schlagwörtern sucht, wird hier eher nicht fündig. Wer jedoch verstehen will, welche Faktoren und Bedingungen in der Diskussion relevant sind, erhält hier die nötige Diskussionsmunition.

Die Autoren

Mahha El-Faddagh, Dr. med., hat Humanmedizin studiert und 2000 promoviert, zur Zeit tätig als Assistenzärztin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim.

Hartmut Gieselmann, Jahrgang 1971, ist Dipl. Sozialwissenschaftler und Redakteur des Computermagazins c’t. Im Juni 2002 erschien sein Buch »Der virtuelle Krieg. Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel « im Offizin-Verlag, Hannover.

Gerald Jörns ist Diplompädagoge und arbeitet u. a. im Bereich des gesetzlichen und präventiven Jugendschutzes. Er kennt viele Computerspiele und Lernprogramme und weiß sie als Lehrbeauftragter an Fachhochschulen unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten zu bewerten. Als freier Journalist beschäftigt er sich mit medienpädagogischen Themen. In erster Linie versteht er sich als freier Bildungsreferent für die Lehrerfortbildung und Elternarbeit sowie für praktische und theoretische Kinder- und Jugendarbeit mit lernauffälligen Kindern.

Stefan Krempl (sk@stefan-krempl.de) studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste Berlin. Er arbeitet als freier Autor für Tages- und Wochenzeitungen sowie (Online-)Magazine in Berlin und als Dozent am Südosteuropäischen Medieninstitut der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sein Leben online: www.stefan-krempl.de

Manuel Ladas, Jahrgang 1974, studierte an der Universität Münster Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Soziologie. Den Kontakt zur Medienpraxis hielt er währenddessen u. a. als freier Fernseh autor für den Westdeutschen Rundfunk. Im Jahr 2002 promovierte er zum Thema »Wirkung und Nutzung von Gewalt in Computerspielen«.

Elmar Liese, geb. in Berlin, Jahrgang 1963, eine Tochter (4), seit 1997 Einzelanwalt in Berlin mit Tätigkeitsschwerpunkt Recht der neuen Medien. www.ra-liese.de.

Konrad Lischka arbeitet als Journalist in München. Über Computerspiele, Film und Design schreibt er unter anderem für Telepolis, Frankfurter Rundschau und Süddeutsche Zeitung.

Rudolf Maresch (www.rudolf-maresch.de) lebt und arbeitet als Publizist und Kritiker in Lappersdorf; Veröffentlichungen zuletzt: Cyberhypes (zus. mit Florian Rötzer), Frankfurt/M. 2001.

Michael Nagenborg, M. A., hat Philosophie, Kunstgeschichte und Li teraturwissenschaft studiert. Er ist zur Zeit wissenschaftlicher Angestellter am Deutsch-Russischen Kolleg der Universität Karlsruhe (TH). Außer dem ist er als Filmemacher, Festivalleiter und im WWW aktiv.

Goedart Palm (http://goedartpalm.virtualave.net/), geboren in Köln. Studium der Philosophie, Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte. Promotion zum Thema »Staatliche Kunstförderung«. Eigene Anwaltskanzlei. Vorträge und zahlreiche Texte zu Medien, Krieg, Kunst u. a., seit 2000 insbesondere für die Online-Magazine Telepolis und »Parapluie«.

Florian Rötzer, geb. 1953, ist Chefredakteur von Telepolis. Letzte Buchveröffentlichungen u. a.: Digitale Weltentwürfe, München 1998; Megamaschine Wissen, Frankfurt a. M. 1999; Ressource Aufmerksamkeit (Hrsg.), Kunstforum International Bd. 148, 1999; Cyberhypes (Hrsg. mit R. Maresch), Frankfurt a. M. 2001.

Michaela Simon wurde 1967 in München geboren. Studium der Philosophie, freie Autorin für die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit, seit Juli 2000 Redakteurin bei Telepolis.

Thorsten Stegemann, geboren 1969, Studium: Literaturwissenschaft und Geschichte. Promotion 1994. Seitdem unterrichtet er an der Universität Osnabrück und arbeitet außerdem als freier Journalist für verschiedene Print- und Onlinemedien (Rheinischer Merkur, Westdeutsche Zeitung, Wissen.de etc.). Fachbeiträge zu unterschiedlichen Themenbereichen.

Dr. phil. Karsten Weber, geboren 1967, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für philosophische Grundlagen kulturwissenschaftlicher Analyse der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Von ihm sind zahlreiche Publikationen zu Fragen der sozialen und ethischen Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologie erschienen.

Thomas Willmann wurde 1969 in München geboren. Lebt daselbst als freier (Kultur-)Journalist. Studium der Musikwissenschaft, Amerikanischen Literatur und Psychologie, LMU, München, und UCLA, Los Angeles.

Krystian Woznicki, geboren 1972 in Glatz/Polen. Zwischen 1991 und 1998 kuratorische Projekte in Europa, Mexiko und Japan im Bereich Bildende Kunst und Film, wie zum Beispiel das Filmprogramm Young Japanese Cinema im Deutschen Filmmuseum Frankfurt (1997) und eine Ausstellung von Maroan el Sani und Nina Fischer im Metropolitan Museum of Photography in Tokio (1998). 1995 bis 1998 Tokio-Korrespondent und Sonderredakteur für Spex; zeitgleich zahlreiche Veröffentlichungen in Asahi Evening News, Blimp, Japan Times, Sound Arts, Superball, Studio Voice, Switch, Telepolis, Tokyo Journal, Trax, Wired Japan und World Art. Gründete 1999 das digitale Mini-Feuilleton Berliner Gazette (www.berlinergazette.de) und schreibt für deutschsprachige und internationale Print- und Online-Medien.

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Leseprobe
Wirklichkeit, Realismus und Simulation (S. 112-113)

Florian Rötzer

Noch sind die Gegner, gegen die in Killerspielen mit allen verfügbaren Mitteln gekämpft wird, von anderen Mitspielern gesteuerte Akteure oder Charaktere, die aufgrund eines vorprogrammierten Verhaltensrepertoires handeln. Annähernd realistisch ist in solchen Szenarien bestenfalls die grafische Repräsentation von Menschen oder menschenähnlichen Wesen. Doch die virtuellen Akteure sollen auch in ihrem Verhalten menschenähnlicher werden – damit die Spieler in möglichst realistischen Simulationen Krisen- und Kriegseinsätze proben können. Nach dem Schulmassaker wird in Deutschland diskutiert, ob Killerspiele die Spieler, vor allem die Kinder und Jugendlichen, auf Gewalt trimmen und so durch Nachahmung, Desensibilisierung und Einübung in Geschicklichkeiten und Verhaltensmodelle das Überschwappen der Handlungen von der virtuellen Realität in die Wirklichkeit erleichtern oder fördern.

Spieler selbst wenden ein, dass es bei ihnen eher um Geschicklichkeit gehe, also um einen Wettbewerb, der aber spielerisch bleibe, weil das Töten der im Spiel sichtbaren Charaktere – es kann ja auch ihr eigener Repräsentant im Spiel sein – nicht als Tötung eines wirklichen Lebewesens oder gar eines Menschen verstanden werde. Beansprucht wird, dass die Trennung von Fiktion/Simulation/Virtualität und Wirklichkeit sehr deutlich in einem Computerspiel erlebt wird, während beispielsweise in einem Film der Realismus stärker ausgeprägt sei und man dort mit den Schauspielern leide. Das scheint zumindest beim amerikanischen Militär auch so ähnlich gesehen zu werden, weswegen beispielsweise vom Defense Modeling and Simulation Office ein Projekt finanziert wird, das mit der Hilfe von Sozialwissenschaftlern die computererzeugten Charaktere realistischer machen soll, um eine bessere Übertragbarkeit des in der Simulation Gelern ten auf wirkliche Situationen zu erhalten. Der das Projektleitende Computerwissenschaftler Barry Silverman von der University of Pennsylvania arbeitet daran schon seit einigen Jahren. »Die Erkenntnis nimmt zu, dass realistischere Trainingssimulationen zur besseren Übernahme von Fähigkeiten bei den Übenden führen, doch die existierenden Trainingsspiele sind stärker auf auffällige Grafik denn auf die Modellierung wirklichen menschlichen Verhaltens ausgerichtet.

Unser Ziel ist es, Faktoren wie Ermüdung, Stress, persönliche Werte, Gefühle und kulturelle Einflüsse zu integrieren.« Letztlich scheint es also darum zu gehen, dass auch der virtuelle Feind zurückschaut – und dennoch erschossen werden muss. Interessant ist denn auch die Begründung, die Silverman für die Notwendigkeit des neuen Verhaltensrealismus gibt, durch den dann auch die virtuelle Tötung einen anderen Charakter erhalten könnte. Wichtig seien lebensähnliche Charaktere und Situationen für militärische Simulationsspiele, weil US-Truppen immer mehr an Konfliktorten in aller Welt eingesetzt würden und es auch bei friedenserhaltenden Missionen mit Menschenmengen (Mobs) oder Terroristen zu tun hätten. Auch in den USA könnten Protestierende diejenigen in Unruhe versetzen, die für Ordnung sorgen wollen.

Die virtuellen Gegner sollen wirklichen Menschen auch im Verhalten täuschend ähnlich sein Vor ihrem wirklichen Einsatz sollen die Soldaten mit den Simulationen die unterschiedlichen Gegner virtuell, aber möglichst lebensecht kennen lernen, beispielsweise Frauen und Kinder, die Steine werfen, Armeen aus kaltblütigen Jugendlichen, die Minderheiten quälen, oder Protestierende, die höchstens noch durch Flugzeuge zum Einhalten gebracht werden können, die über ihre Köpfe hinwegsausen. Eines der Probleme scheint zu sein, dass »sogar« Entscheidungen in Gegenwart von Medien getroffen werden müssen. Die Simulation soll den Soldaten als Reaktion auf erregte Menschenmengen löblicherweise beibringen, nicht zu Verhaltensweisen zu greifen, von denen man weiß, dass sie Aggressionen schüren.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Einleitung – Angst vor dem neuen Medium10
Hassindustrie oder die Nachahmung11
Hählenverführungen und kathartische Erregungen14
Instrumentalisierte Gewalt17
Brutale Spiele(r)?27
Realgewalt28
Computerspielgewalt28
Filmgewalt28
Laborstudien30
Nutzerzentrierte Empirie31
Quintessenz34
Anmerkungen35
Gewalt und Medien, Gewalt durch Medien, Gewalt ohne Medien?37
Anmerkungen43
Gewalt ist eine Lösung – leider45
Moderne Forderung nach Gewaltverzicht und Ma losigkeit der Gewaltan wendung45
Psychologisierung der Gewalt im Inneren des Landes47
Für das Massaker in Erfurt werden die Medien verantwortlich gemacht, die Wissenschaft bleibt au en vor48
Medienwirkungen: Aggression und Gewalt sind nicht identisch49
Literatur50
Aktion »Sauberer Bildschirm«51
Anmerkungen59
Schöne Spiele, falsche Freunde60
I. Wurzeln60
II. Entwicklung63
III. Ökonomie65
IV. Perspektiven67
Das globale Übungsdorf69
Urbane Konfliktdramaturgie70
Krieg als Brettspiel71
Paradenfˆrmigkeit des Manövers72
Erweiterung des Spielraums73
òffentlichkeitsarbeit im virtuellen Kunstnebel74
Katalysator der Globalisierung75
Geschichte im Remix76
Zwischen U ( wie Unterhaltung) und E ( wie Ernstfall)78
Anmerkungen79
Clockwork America81
Das Verschwinden der Kindheit im medialen Kugelregen82
Body Slams85
Feige Mörder87
Die Metalldetektor- Gesellschaft88
Zero Tolerance88
Das Attentat als schöne Kunst ausgeführt90
Links94
Amoktaten haben Vorbildcharakter95
Aufmerksamkeitsterror99
Medien und Prominenz101
Die Kultur des Aufmerksamkeitsterrors102
Leben in einer Aufmerksamkeitswelt104
Links105
Mord ist Sport im Spiel106
Wirklichkeit, Realismus und Simulation113
Die virtuellen Gegner sollen wirklichen Menschen auch im Verhalten täuschend ähnlich sein114
Die Fantasie kann alles in Pumpguns verwandeln115
Was ist gewöhrlicher: Ego- Shooter, Mensch- …rgere- Dich- Nicht, Nachrichten oder Schießübungen?117
Links118
Counterstrike aus Sicht des Jugendschutzes119
Freiwilliger Jugendschutz im Rahmen der Selbstkontrolle120
Ab 16 Jahren:120
Nicht geeignet unter 18 Jahren:121
Beurteilungsgrundsätze der USK121
Der Indizierungsantrag zu Counterstrike122
Erfurt und die Fixierung auf virtuelle Gewaltdarstellungen123
Die Bundesprüfstelle indiziert Counterstrike nicht124
Jugendschutz und Politik125
Pädagogik bleibt beim Jugendschutz auf der Strecke126
Links127
Produkthaftung von Spieleherstellern?128
Mangelnde Logik in der Diskussion128
Der Blick in die andere Richtung129
Links131
Death´s a game132
Entwicklung des Splatter- Films133
Körperbilder134
Splatter als Bonus- Element135
Das Organische entzieht sich noch immer der Rechenleistung136
Spiegelkabinette der Selbstreflexivität137
Töten tut nicht weh?137
Die Ego- Perspektive139
Extrem begrenzte Wahlfreiheit140
Spiel und Sport141
Die Fantasie vom Grenzübertritt142
Mit dem Tod spielen143
Die interaktiven Leiden des jungen Werther: Selbstmordforen und Internetsuizide144
Literatur148
Die Geek-Autismus- Connection149
Die Gene des Schweigens bernehmen die Macht150
Aspie und wie er die Welt sah153
Obsessionen, Aggressionen153
Die Heimat der Rain Men155
Sex, Lügen und Video158
NT, der Neuroterrestrial160
Die Geburt der Zivilisation aus dem Geist des Totschlägers162
Der keulenschwingende Neandertaler162
Waffen/ Werkzeuge und soziale Organisation164
Der Mensch: der geföhrlichste Terminator165
Zum Mythos vom Zivilisationsprozess167
Medien der Gewalt - Gewalt der Medien170
Medialisierung der Gewalt170
Räume der Abfuhr171
Bilder sind Anstifter172
Des Kaisers neue Kleider173
Der Nutzer ist >>souverän<<175
Der Nutzer >>bestimmt <<176
So real wie möglich177
Außermediale Faktoren178
Die Forschung ist sich unschlüssig179
Die Kommunikation von Gewalt180
Die Janusköpfigkeit der Medien182
Die Gewalt der Medien183
Die Medienöffentlichkeit frisst ihre Kinder184
Die Schließung der Medien185
Anmerkungen187
Zu den Autoren190

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