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E-Book

Spinozas Philosophie

Über den Zusammenhang von Metaphysik und Ethik

AutorWolfgang Bartuschat
VerlagFelix Meiner Verlag
Erscheinungsjahr2017
ReiheBlaue Reihe 
Seitenanzahl435 Seiten
ISBN9783787333318
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Der renommierte Spinoza-Forscher Wolfgang Bartuschat, dessen gerade abgeschlossene Gesamtübersetzung (PhB 91-96a) heute die maßgebliche deutsche Ausgabe der Werke Spinozas darstellt, versammelt mit diesem Band seine wichtigsten Beiträge zu dessen Philosophie. Der Band vereinigt verschiedene Aufsätze, die in den letzten vierzig Jahren an zum Teil verstreuten Orten erschienen und daher nur schwer zugänglich sind. In teils systematischer, teils historischer Perspektive umfassen die Kapitel im Wesentlichen drei zentrale Bereiche, die sich an Spinozas Denken knüpfen lassen: Erstens das Thema Ontologie und Subjektivität, die Basis von Bartuschats Buch »Spinozas Theorie des Menschen« (1992); zweitens Aufsätze zu den Feldern Ethik und Politik, die dort nur am Rande erörtert wurden, und drittens Aufsätze zur Beziehung Spinozas zur klassischen Philosophie von Leibniz bis Hegel, die zu erörtern dort ganz ausgespart wurde, für eine kritische Würdigung der eigenständigen Position Spinozas aber besonders wichtig ist.

Wolfgang Bartuschat (geboren 1938 in Königsberg, gestorben 2022 in Hamburg) war ein deutscher Philosoph. Er studierte von 1958 bis 1963 Philosophie, Soziologie und Germanistik in Hamburg, Heidelberg, Wien, Bonn und FU Berlin. Nach der Promotion 1964 in Heidelberg bei Hans-Georg Gadamer mit einer Arbeit über Nietzsche hatte er von 1964 bis 1970 einen Lehrauftrag am Philosophischen Seminar Heidelberg. Von 1966 bis 1969 war er Habilitationsstipendiat der DFG. 1970 wurde er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg. Nach der Habilitation 1971 in Hamburg mit einer Arbeit über Kants 'Kritik der Urteilskraft' wurde er 1977 Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. 1994 lehrte er als Gastprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. 2001 lehrte er als Gastprofessor an der Universität Bordeaux Montaigne. 2002 trat er in den Ruhestand. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichte der Philosophie von Descartes bis Hegel, Spinoza und Kant. Er war Übersetzer und Herausgeber der Werke Spinozas in der Philosophischen Bibliothek.

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Leseprobe

Metaphysik als Ethik


Zu einem Buchtitel Spinozas


Spinozas Hauptwerk ist überschrieben mit dem Titel »Ethik«. In ihm wird eine Theorie sittlichen Handelns entworfen, aber nicht ausschließlich. Sie ist vielmehr nur Moment eines Explikationszusammenhanges, der eine Darlegung der Metaphysik intendiert. Der erste Teil der Schrift handelt von Gott und berührt die Fragen der Ethik an keiner Stelle; in ihm wird eine Metaphysik des Absoluten entworfen. Sie ist von jeher als Hauptstück der Philosophie Spinozas angesehen worden, so daß es als unverständlich erscheinen konnte, weshalb Spinoza den Titel »Ethik« gewählt hat für ein Werk, in dessen Mittelpunkt metaphysische Probleme stehen1.

Es soll nun im Folgenden zu zeigen versucht werden, daß gerade im Hinblick auf Spinozas Metaphysik des Absoluten die Ethik insofern von grundsätzlicher Bedeutung ist, als sie bei der Bestimmung des für diese Metaphysik entscheidenden Verhältnisses zwischen Absolutem und endlich-Einzelnem eine wichtige Funktion hat. Das hieße: Metaphysik ist als Ethik zu entwickeln und zwar deshalb, weil in der Ethik erst jener Bezug des in der Metaphysik erörterten Absoluten auf das endlich-Einzelne explizierbar ist. Ethik ist nicht etwas, das sich aus der schon für sich bestehenden Metaphysik herleiten ließe als die Disziplin, die die Grundsätze der Metaphysik für eine Theorie sittlichen Handelns fruchtbar machte2. Eine Theorie des Handelns mit Rücksicht auf die den Menschen bedrängenden Affekte bringt vielmehr ein Moment zur Geltung, das erst zeigt, daß die Metaphysik einen begründeten Anspruch zu erheben vermag, unter dem auch das sittliche Handeln des endlichen Wesens Mensch steht.

Gegen Ende der Ethik, in einer Anmerkung zum 36. Lehrsatz des 5. Teils, knüpft Spinoza ausdrücklich an den ersten Teil und die dort dargelegte Theorie der absoluten Substanz an, indem er sagt, am Ende der Darlegungen sei dasselbe bewiesen worden wie am Anfang, dies jedoch in anderer Weise. Dort heißt es: »Obgleich ich im 1. Teil im allgemeinen bewiesen habe, daß alles (und folglich auch die menschliche Seele) nach Essenz und Existenz von Gott abhängt, so kann dieser Beweis, obwohl er richtig geführt ist und nicht den geringsten Zweifel zuläßt, die Seele doch nicht derartig affizieren, wie wenn eben dies aus der Essenz jedes Einzeldinges, das wir von Gott abhängig heißen, selbst geschlossen wird.« Das Andere des Beweises besteht darin, daß die zu beweisende Abhängigkeit des Einzelnen vom Absoluten hier vom Einzelnen her bewiesen wird, dort jedoch in einer Allgemeinheit bewiesen wurde, in der das Einzelne als solches unthematisiert bleibt.

Nun ist der andersgeartete Beweis nicht nur ein beliebig anderer neben dem erstgenannten; er hat eine besondere Bedeutung, die ihn unumgänglich macht. Denn die These, Einzelnes hänge vom Absoluten ab, enthält die Differenz, das liegt in »abhängen« (pendere), von Einzelnem und Absolutem, die der Beweis zu thematisieren hat. Gewährleistet ist die genannte Differenz jedoch nur dann, wenn im Beweis das Einzelne in einer Weise zur Geltung gelangt, in der es nicht schon vom Absoluten her gedacht ist. Zwar muß der Beweis, der den Ausgang vom Einzelnen nimmt, das Absolute schon in Anspruch nehmen, weil er auf es, als ein Unbedingtes, im Ausgang vom Einzelnen nie hinführen könnte, aber er hat so den Ausgang vom Einzelnen zu nehmen, daß er am Einzelnen aufzeigt, inwiefern es, in der Differenz zum Absoluten, vom Absoluten abhängt. Wird der Bezug des Abhängens nicht am vom Absoluten Differierenden aufgezeigt, bleibt der Beweis des Abhängens abstrakt, wenn nicht bare Behauptung3.

Aus den Strukturmerkmalen der absoluten Substanz muß gefolgert werden, daß kein Einzelnes, wie geartet es auch sein mag, von der absoluten Substanz nicht abhängen könnte, da ein solches Nicht-Abhängen die Substanz durch ein ihr Fremdes bestimmt sein ließe, was widerspruchsvoll wäre. Die Bestimmung der göttlichen Substanz hinsichtlich aller Dinge als »causa immanens« (I, prop. 18) soll diese Widersprüchlichkeit ausschließen. Sie bringt eine Relation des Inhärierens zum Ausdruck, derzufolge die Substanz nicht aus sich herausgehen muß, um Bestimmtes der Welt durch sich bestimmt sein zu lassen. Vielmehr ist die Substanz schon bestimmt im Hinblick auf die Totalität der Dinge, die als Modi der Substanz in ihr sind. Das als Modus gefaßte Einzelne ist darin aber nicht in seinem Charakter, Einzelnes im Unterschied zu anderem Einzelnen zu sein, gefaßt, sondern in einer Allgemeinheit, die für jedes Einzelne gilt. Es könnte dann sein, daß die als Absolutes konzipierte Substanz gar nicht die Welt in deren Mannigfaltigkeit von sich abhängig sein läßt, sondern eine von sich her konstruierte Welt, in der sich nicht mehr Unterscheidungen angeben lassen, als die absolute Substanz schon in sich enthält. Das Beharren auf einer in sich differenten Mannigfaltigkeit, die nicht schon in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Absoluten steht, müßte sie als Schein deklarieren, resultierend aus einer Position, die den wahren Zusammenhang zwischen Absolutem und Einzelnem nicht durchschaut. Aber dieser Schein kann nicht als ein der Wahrheit Fremdes neben die Wahrheit gestellt werden, sondern muß als Schein begriffen werden. Die Differenz zwischen Wahrheit und Schein kann nicht selber für Schein ausgegeben werden, denn damit wäre der Grund, der zur Annahme des Scheins zwingt, negiert. Die menschliche Seele als ein endlich-Begrenztes ist auf Grund ihrer Begrenztheit der Möglichkeit des Scheins ständig ausgesetzt. Ein Beweis, der zeigte, daß die Seele in ihrer Begrenztheit, d. h. in ihrem Bezug auf Einzelnes, das nicht schon als Modus des Absoluten erkannt wird, vom Absoluten abhängt, würde mehr leisten als der im ersten Teil gegebene Abhängigkeitsbeweis. Er würde die menschliche Seele in anderer Weise affizieren können, sofern er an ihr selbst, die sich in ihrem Selbstverständnis vom Absoluten verschieden weiß, ihre Abhängigkeit vom Absoluten demonstrieren könnte. Die These von der Abhängigkeit bliebe nicht abstrakt, sondern legitimierte sich an dem, was die endliche Seele selbst erfährt.

Wenn Spinoza nun am Ende der Abhandlung meint, im Fortgang von der absoluten Substanz des ersten Teils der Ethik den Abhängigkeitsbeweis in der Erweiterung geführt zu haben, daß die Abhängigkeit am Einzelnen selbst hat gezeigt werden können, so muß die Darlegung dessen, was zwischen Anfang und Ende der Ethik liegt, den Grund für Spinozas These abgeben. Dargelegt wird dort eine Theorie der menschlichen Seele hinsichtlich ihres Vermögens zu erkennen und zu handeln. Ich möchte nun zeigen, daß nicht die theoretische Philosophie für die problematische Frage eines Beweises der Abhängigkeit des Einzelnen vom Absoluten etwas beiträgt, wohl aber die im Anschluß daran gegebene Theorie der Affekte, die ins Gebiet des Handelns und damit der Ethik fällt. Die Ethik hätte dann eine zentrale Bedeutung für die Metaphysik. Sie wäre ihr Kernstück.

Im 1. Teil scheint Spinoza zwischen den Prinzipien von theoretischer und praktischer Philosophie bezüglich ihrer Stellung zum Absoluten keinen Unterschied zu machen. Intellectus und voluntas kommen darin überein, daß sie beide zur natura naturata gehören (I, prop. 31 und 32), also modi des Attributes Denken sind, die aus dem als natura naturans zu fassenden Absoluten mit Notwendigkeit folgen. Beiden wird eine Potentialität abgesprochen, kraft deren sie, nicht einer Notwendigkeit schon unterliegend, von einem dem Absoluten gegenüber freien Standpunkt aus den möglichen Bezug eines auf diesem Standpunkt stehenden Einzelnen zu dem Absoluten herstellen könnten. Der Gedanke an die Freiheit des Willens wird als Illusion zurückgewiesen. Die Voraussetzung, die ihm zugrunde liegt, daß es nämlich Zufälliges gibt, das nicht durch die Notwendigkeit der natura naturans eindeutig bestimmt ist, wird als eine Täuschung entlarvt, die sich aus einem Standpunkt ergibt, von dem zu meinen, er sei gegenüber dem Absoluten ein selbständiger, gerade Täuschung ist. Der Standpunkt, den die menschliche Seele einnimmt, ist der eines besonderen endlichen Dinges. Die besonderen Dinge unterscheiden sich vom Absoluten dadurch, daß sie den Grund ihrer Existenz und ihres Wesens nicht in sich selber haben (I, prop. 24). Auf Grund dieses Unterschiedes gehört zum Wesen (essentia) des Einzeldinges, durch das es sich von einem anderen Einzelding unterscheidet, nicht das Absolute, obschon es ohne dieses nicht sein kann (II, prop. 10, schol. zu coroll.). Die Seele kann sich in dem erfassen, was sie im Unterschied zu anderem Einzelnen ist, und darin meinen, eine vollständige Bestimmung von sich gegeben zu haben. Darin kann sie sich für frei wähnen und ihre Existenz, deren Grund sie nicht kennt, für zufällig halten. Diese Bestimmung der Zufälligkeit ist Folge einer mangelnden Einsicht in den Zusammenhang von absolutem Grund und durchgängigem Gegründetsein alles Einzelnen. Deshalb sagt Spinoza, daß »ein...

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