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Sprachliche Relativität

Eine philosophisch-empirische Untersuchung der 'Sapir-Whorf-Hypothese'

AutorAnna Klissouras
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783638840873
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Philosophie - Theoretische (Erkenntnis, Wissenschaft, Logik, Sprache), Note: 2,2, Humboldt-Universität zu Berlin (Philosophisches Seminar), 94 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: In den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts beschrieb der Amerikaner Benjamin Lee Whorf (1897 - 1941) in wenigen Aufsätzen ein sprachliches Relativitätsprinzip, welches einen prägenden Einfluss des sprachlichen Hintergrundes eines Menschen auf seine Denkstrukturen postulierte. Der Chemiker war nach Abschluss seines Studiums zunächst als Versicherungsangestellter tätig gewesen, um sich dann der Ethnolinguistik indianischer Sprachen zuzuwenden, welche er ab 1931 bei Edward Sapir studierte und einige Jahre später selbst lehrte. Sapir hatte im Laufe seiner Untersuchungen bereits eine gewisse Interdependenz zwischen Sprache und Kognition vermutet; erst Whorf aber formulierte diesen vagen Zusammenhang als Prinzip, das wegen seiner starken Beeinflussung durch Sapir später als die 'Sapir-Whorf-Hypothese' bezeichnet wurde. Diese Hypothese gilt als umstritten. Tatsächlich sind die von Whorf formulierten Thesen nicht nur wegen ihrer Inhalte problematisch, sondern auch wegen des unsicheren Fundamentes, auf dem sie sich bewegen. Angesichts der Tragweite seiner Theorie, die ein allgemein gültiges Prinzip sein will, liefern die etwa 140 von ihm zu diesem Thema formulierten Seiten nur wenig Material: Whorfs Schlussfolgerungen gründen vor allem auf seine Beobachtungen an Hopi-Indianern und deren Sprache, was den Vorwurf der Subjektivität aufbrachte. Auf eine Bezugnahme auf linguistische oder philosophische Positionen sowie weitere empirische Untersuchungen verzichtet Whorf zudem weitestgehend. Die vorliegende Arbeit wird sich dieser Problemlage auf drei Weisen nähern. Der erste Teil stellt die 'Sapir-Whorf-Hypothese' mit ihren deskriptiven Argumenten sowie Gegenargumenten vor und reduziert sie auf ihre Hauptthesen, welche im weiteren Verlauf der Arbeit als Ausgangspunkt der Fragestellung dienen werden. Ein philosophischer Diskurs zwischen Universalisten und Relativisten soll die Theorie der sprachlichen Relativität im zweiten Teil in die philosophische Tradition einspannen und zunächst auf rein rationalem Wege zu ersten Ergebnissen bezüglich ihrer Plausibilität führen. Im dritten Teil sollen dann jene Fragen des Spracherwerbs und der kognitiven Beeinflussung durch Sprache geklärt werden, auf welche nur die Empirie sinnvolle Antworten geben kann. Schließlich soll sich ein transparenteres Gesamtbild der sprachlichen Relativitätstheorie ergeben, dessen Gehalt und Grenzen sich aufgrund der erarbeiteten Argumente und Fakten ersehen lassen.

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Leseprobe

2. Der philosophische Diskurs: Universalismus vs. Relativismus


 

Whorfs Theorie ist in wenigen Aufsätzen formuliert, die so knapp sind, dass sie ein dünnes Taschenbuch füllen. Er beschränkt sich vor allem auf die Formulierung seiner Thesen, welche er durch teils zu vage, teils subjektiv eingefärbte empirische Fakten zu beweisen versucht. An einem philosophisch argumentierenden sowie abgesicherten empirischen Fundament mangelt es. Die philosophische Beweisführung des Relativismus soll im Folgenden anhand einer Gegenüberstellung zur alternativen Theorie des Universalismus vollzogen werden.

 

Bis ins 18. Jahrhundert wurde eine inhaltsbezogene Sprachphilosophie, welche der Sprache mehr als nur die Funktion eines abbildhaften Zeichensatzes zugestand, weitestgehend nicht praktiziert. Was das Verhältnis zwischen Denken und Sprache anbetrifft, so galt als unangefochtene Prämisse, dass sich die Kategorien des Denkens in der Sprache manifestieren. Beispielhaft für diese Tradition war die Schule von Port-Royal, einem Dominikanerinnenkloster, in dem die Logiker Claude Lancelot und Antoine Arnauld wirkten. In der Schrift „Grammaire générale et raisonnée de Port-Royal“ von 1660 identifizieren sie in aristotelischer Tradition grammatische Wortarten als Spiegel von Denkformen. Gemäß dieser Auffassung bildet die Sprache die Vernunft ab und ist universal im Menschen angelegt. Bei diesem Mentalismus handelte es sich um den weitverbreitetsten Erklärungsansatz für das Wesen der Sprache bis in die Epoche des Barock.[30] Der „Endpunkt dieser Entwicklung“[31] ist Immanuel Kants Transzendentalismus. Im Anschluss an Kant meldeten sich erste relativistische Denker zu Wort, welche erstmals von einer - denkbefähigten - Tabula rasa des menschlichen Geistes ausgingen, dessen Strukturen sich zusammen mit der erlernten Sprache entwickeln.

 

Insgesamt lässt sich innerhalb der philosophiegeschichtlichen Entwicklung eine lockere Beziehung aufzeichnen zwischen empiristischen und relativistischen Theorien einerseits und rationalistischen und universalistischen Theorien andererseits. Im Folgenden wird die Argumentation beider Lager zu prüfen sein, um der sprachlichen Relativitätstheorie zu einer theoretischen Grundlage zu verhelfen.

 

2.1 Kant: Das Sprachapriori


 

„Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe.“[32]

 

Immanuel Kant

 

In der „Kritik der reinen Vernunft“ erforscht Kant die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, d.h. der erfahrungsunabhängigen verstandesmäßigen Bedingung für die Aufnahme von Sinnesdaten. Als Antwort auf die Frage „Was kann ich wissen?“ entwickelt er eine transzendentale, auf die Gesetze des Verstandes beschränkte Logik, welche die formale Logik ablösen soll.[33]

 

Indem Kant die Bedingung der Wahrnehmung weg vom Objekt und hin zum Subjekt verlagert, vollzieht er die kopernikanische Wende der neuzeitlichen Philosophie. Jene dem Menschen a priori gegebene Veranlagung soll in diesem Kapitel zur Diskussion stehen. Die Behauptung wird lauten, dass der Hintergrund der transzendentalen Erkenntnismöglichkeit nicht unabhängig von Erfahrung zu verstehen ist. Es wird zu sehen sein, dass es sich bei Kant um einen Universalisten handelt, der einen Großteil seiner Erkenntnisphilosophie auf dem streitbaren Fundament von Begriffen aufbaut.[34]

 

Kant gelingt mit seinem Hauptwerk, sich zwischen den scheinbar unvereinbaren Strömungen des Empirismus und des Rationalismus zu positionieren. Weder schließt er wie Descartes die Außenwelt bei der Suche nach „wahrer Erkenntnis“ aus, noch hält er den menschlichen Geist wie Locke für eine Tabula rasa, die erst mit Sinnesdaten beschrieben werden muss. Kants Lösung ist eine Mischung: Der Mensch bringt eine a priori gegebene Veranlagung mit, um seine Umwelt zu erfahren. Die Empirie ist unerlässlich, da die vorhandenen Verstandesbegriffe sonst leere Hüllen wären, die auf nichts angewandt werden könnten. Erfahrung strömt von der Außenwelt auf den Menschen zu, Erkenntnis kann aber nur in ihm stattfinden.[35] Wahrheit ist also immer abhängig vom Subjekt, nicht vom Objekt. „Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt.“[36]

 

Interessant ist die Parallele zu Whorf, denn wie bereits gesehen geht auch dieser von einer Kategorisierung des „kaleidoskopartigen Stroms“[37] an Sinnesdaten aus, welche menschliche Erkenntnis in der uns bekannten Form möglich macht. Grundsätzlich unterschiedlich ist aber die Art der Kategorien, die Kant und Whorf jeweils zugrunde legen. Während Whorf die Sprache als konstitutiv ansieht, kommt für Kant diese Möglichkeit nicht in Frage; das Raster der Erkenntnisfähigkeit ist angeboren und – anders als die Sprache – unveränderlich. In der Folge kann es bei Kant auch zu einer absoluten Erkenntnis kommen, während Whorf sich auch hier dem Relativismus verpflichtet. Die angeborenen geistigen Eigenschaften bestehen einerseits aus den „Anschauungen“ Raum und Zeit der transzendentalen Ästhetik, welche die Art der Wahrnehmung bestimmen, und andererseits aus den Kategorien des reinen Verstandes.[38] Von Belang ist an dieser Stelle Kants Kategorienlehre.

 

Jene „reinen Verstandesbegriffe“ oder – Aristoteles zitierend – „Kategorien“ sind Basis für das Urteil, Ausdruck der synthetischen Erkenntnis. Das Subjekt kann „durch sie allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Objekt derselben denken“[39]. Kant stellt folgende Verstandesbegriffe als a priori gegeben fest:[40]

 

 

Trotz der Parallele zu Aristoteles distanziert Kant sich von der Willkür dessen Kategorien, die dieser durch bloße Induktion gefunden habe. „Warum denn gerade diese und nicht andre Begriffe dem reinen Verstande beiwohnen“[41], sieht er bei Aristoteles als nicht begründet an. Kant nimmt die Idee der Kategorien von Aristoteles, korrigiert ihre von ihm unterstellte Willkürlichkeit und ersetzt sie durch „denknotwendige“ Formen. Sie ermöglichen es dem Menschen, Begriffe zu bilden; oder wörtlicher: sich einen Begriff von seiner Umwelt zu machen.

 

Diese reinen Verstandesbegriffe sind das Ergebnis einer metaphysischen Deduktion, durch welche Kant sie auffindet und verortet. Die anschließende transzendentale Deduktion soll den Beweis ihrer Notwendigkeit erbringen.[42]

 

Im ersten Schritt leitet Kant die Kategorien aus einem „gemeinschaftlichen Princip“[43] ab, welches in den Urteilsformen zu finden ist. Urteile sind Produkte der „Synthesis des Mannigfaltigen“[44] und Ausdrucksmittel jeder Erkenntnis, das Urteilen Hauptbeschäftigung des Verstands und Einheit aus Subjekt und Prädikat.[45] Um reine Verstandesbegriffe zu erhalten, extrahiert Kant jene Urteilsformen aus dem Verstand, die er als frei von jeder Erfahrung erachtet. An der Ordnung dieser fundamentalen Urteilsformen könne man zugleich auch jene des Verstandes erkennen, da sie aus ihm entspringen müssen. Kant findet die Kategorien des Verstandes auf diese Weise deduktiv mithilfe der Urteilsformen, ihrem Ergebnis, und gewinnt aus der Urteilstafel die Kategorientafel.

 

 

 

Die Beziehung, die Kant zwischen den Urteilsformen und den entsprechenden Kategorien herstellt, ist nicht immer ersichtlich – dies gilt beispielsweise für die hypothetische Urteilsform und die Kausalität sowie für das einzelne Urteil und die Allheit.[46] Wichtig an dieser Stelle ist jedoch primär die Art, wie Kant seine Kategorien deduziert und rechtfertigt.

 

Durch die transzendentale Deduktion will Kant beweisen, dass die von ihm ermittelten Formen denknotwendig sind. Er unterscheidet Wahrnehmungs- („Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere“) und Erfahrungsurteile („Der Körper ist schwer“). Bei ersterem werden nur empirische Daten logisch verknüpft, bei letzterem kommen dagegen die Kategorien ins Spiel – die Schwere ist in diesem Fall die Kategorie des Akzidenz. Wahrnehmungsurteile werden mithilfe der Kategorien - und nur durch diese - in Erfahrungsurteile umgewandelt. Erkenntnis sei also ohne Kategorien erst gar nicht möglich. „Folglich wird die objektive Gültigkeit der Kategorien als Begriffe a priori, darauf beruhen, dass durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei.“[47] Hiermit hat Kant zunächst nur bewiesen, dass es Kategorien geben muss – nicht aber, dass sie angeboren sind.

 

Obwohl Kant selbst der Meinung ist, der Verstand sei durch die Kategorienlehre „gänzlich ausgemessen“[48], schwankt ihr Fundament. Denn durch die Deduktion der Kategorien aus den Urteilsformen rührt er nicht am letzten Grund, sondern schließt vom bereits fertigen „Produkt“ der Kategorisierung, dem Urteil, um diese wieder in einem Zirkelschluss zu rechtfertigen. Die Deduktion zeigt an dieser Stelle also nur,...

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