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Von St. Stephan nach St. Marx

Die Wiener Bezirke I, II und III. Wiener Geschichten für Fortgeschrittene

AutorGerhard Tötschinger
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783902998934
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Wien, wie man es noch nicht kennt Innere Stadt, Leopoldstadt, Landstraße - die ersten drei Bezirke Wiens bilden den ältesten Kern der Stadt. Somit ist ihre Geschichte die Geschichte der Stadt selbst. Freilich begegnen wir alten Bekannten wie Marc Aurel, Rudolf dem Stifter oder Prinz Eugen, doch stets unter dem Aspekt selten Gehörtes und selten Erzähltes. Wo steht denn nun zum Beispiel wirklich das älteste Haus Wiens? Wo wird Wien venezianisch? Und wie hat der Biedermeier-Mörder Jaroszynski seine letzte Nacht verbracht? Gerhard Tötschinger, der begnadete Geschichtenerzähler, nimmt Sie mit auf eine aufregende Entdeckungsreise: Spannendes, Unerwartetes und Skurriles aus der Geschichte der geliebten Donaumetropole. Mit zahlreichen Abbildungen

Gerhard Tötschinger, geboren 1946 in Wien, Schauspiel- und Gesangsausbildung, Studium der Theaterwissenschaften. Seit 1973 in der Theaterleitung tätig, 1982-95 Intendant beim »Fest in Hellbrunn« in Salzburg, 1994-99 Direttore Artistico Festival Arteuropa Todi, 1999-2001 Intendant der Sommerspiele Perchtoldsdorf. 1992-99 Drehbücher für die TV-Serie »Sulle tracce degli Absburgo«. Zahlreiche Inszenierungen von Oper und Schauspiel in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Rege Vortragstätigkeit. Er lebt in Baden bei Wien. 2015 wurde er mit dem »Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien« ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: »Viva L'Italia« (2012), »Die Donau« (2013) und »Mörderisches Venedig« (2014).

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Leseprobe

Wien – Kaiserstadt seit 2000 Jahren


Um 2000 v. Chr., in der Altsteinzeit, hat es im Wiener Raum erste Siedlungen gegeben. Archäologische Funde haben den Beweis erbracht – die wichtigsten im 13. Bezirk, in der Titlgasse. Mehr zu diesem Thema erzählt das Naturhistorische Museum mit einer Vielzahl von Funden.

Je näher wir zur Gegenwart kommen, desto aufregender wird diese Frühgeschichte. Der Leopoldsberg hat eine größere Zahl von Beweisen für eine Besiedlung ab dem 9. Jahrhundert v. Chr., in der Eisenzeit, freigegeben. Das war die Zeit der Kelten – kein Volk in unserem Sinn, vielmehr ein Sammelbegriff für zahlreiche Stämme. Ihre Siedlungen sind auch im 11. und 22. Bezirk nachgewiesen, vor allem aber im 3. Dort wurden 1926 zwei Töpferöfen ausgegraben, in der Folge ließ sich ein Siedlungsgebiet von großem Umfang nachweisen, bis heute 78 ha.

Eine zweite keltische Besiedlungswelle kam mit dem letzten Jahrhundert vor Christus, Boier erreichten in einer frühen Völkerwanderung aus dem Osten das keltische Königreich Noricum, heute österreichisches Gebiet. Sie besiedelten das Wiener Becken, dehnten ihren Herrschaftsbereich gegen Osten aus – und wurden nach wenigen Jahrzehnten von den Dakern, die vom Schwarzen Meer kamen, und den Skordiskern aus dem heutigen Serbien vernichtet.

Rom fürchtete diese Unruhen an seiner nördlichen Grenze und kam immer wieder zu kurzen militärischen Aktionen gegen diese wechselnden Mächte – doch das hatte kaum Folgen. Die Krieger aus dem Norden waren dadurch nicht eingeschüchtert, brachen ihrerseits südwärts auf und zogen plündernd und brandschatzend durch das römische Istrien. Damit hatten sie es allerdings zu bunt getrieben, Kaiser Augustus ließ sich nicht länger auf der Nase herumtanzen, sondern setzte seine Legionen gegen den Markomannenkönig Marbod in Bewegung.

Sie waren ab dem Jahr 6 n. Chr. unter dem Befehl des kaiserlichen Stiefsohns Tiberius erfolgreich, waren nicht so unglücklich wie ihre Kameraden später, 9. n. Chr., im Teutoburger Wald, wo der Generalissimus drei Legionen, Elitetruppen des römischen Heeres, in den Untergang führte. Der Kaisersohn war als Schlachtenlenker offenbar tüchtiger als der arme Quintilius Varus, der vor allem in einem verzweifelten Ausruf seines Kaisers weiterlebt, im Gegensatz zu seinen Tausenden Soldaten: »Vare, Vare, redde legiones!« Varus, gib mir meine Legionen wieder!

Tiberius freilich rückte mit anderer Macht an – alle zwölf Legionen, die in Germanien, Illyricum und Raetien stationiert waren, wurden eingesetzt. Ein Vertrag mit Marbod brachte den – vorläufigen – Frieden.

Rekonstruktion eines Lagertors von Vindobona

Um diese Zeit also standen die Römer in Noricum und in Pannonien und errichteten im Jahr 8. n. Chr. ihre Herrschaft mit der Hauptstadt Carnuntum, die lange andauern sollte – und keinen Nachteil für das eroberte Land bedeutete. In einer Verwaltungsreform wurde im Jahr 50 n. Chr. das Wiener Becken vom Königreich Noricum getrennt und der jungen Provinz Pannonien zugeschlagen.

Das war bei Weitem nicht die einzige Neuerung! Dass es im Raum Wien schon lange vor dem legendären Kaiser Probus (232–282) Wein gegeben hat, ist bewiesen – nur ist nicht ganz klar, ob die Reben aus dem Süden importiert oder hier, an Ort und Stelle, selbst gezüchtet waren. Die jedenfalls nunmehr veredelte Weinkultur ist nur einer von vielen Beweisen für die über die einfache Keltensiedlung Venusia hereinbrechende römische Kulturinvasion.

Wohl hatte die kolonisierte Bevölkerung schon gewusst, sich in wehrhaften Siedlungen mit Palisaden zu schützen, sie wussten zu weben, mit Eisen umzugehen, Met zu keltern, kannten Goldschmuck und schufen ihre Kunstwerke. Sie hatten zum ersten Mal in Mitteleuropa Münzgeld – Söldner, aus Hellas heimgekehrt, hatten es gebracht und es wurde eifrig imitiert, eine berechtigte Kulturtechnik, auch schon gefälscht!

Doch mit der römischen Lebensweise, die ab der Zeitenwende für Jahrhunderte bestand, wurde in Venusia alles anders. Das war auch notwendig, denn mit der keltischen Glanzzeit war es im 1. Jahrhundert v. Chr. bergab gegangen.

Die Römer errichteten ein Militärlager, zuerst in der üblichen einfachen Weise befestigter Campingplätze, wie sie es auf ihren Feldzügen vielfach erprobt hatten, dann Gebäude aus Holz, am Judenplatz hat man sie erforscht. Diesen folgten massive Steinbauten als Kasernen, auf 20 ha.

Zur Donauseite wurde das Lager durch den natürlichen Abhang geschützt, im Westen durch den Ottakringer Bach – das kann man sich heutzutage nur schwer vorstellen. Er hatte auch nichts mit dem heutigen 16. Bezirk zu tun, er begrenzte das Lager im Bereich Strauchgasse/Tiefer Graben. 70 n. Chr. lag hier die Legio XIII Gemina. Ihr folgten bald Einheiten der Legio XV Apollinaris, das beweist ein Grabstein. Ein Legionär mit Namen C. Atius, verstorben noch in seiner Dienstzeit mit erst 28 Jahren, hat uns auf diese Weise das erste erhaltene Schriftstück der Römerzeit geliefert.

Und im Jahr 114 kam eine ganz besondere Truppe nach Vindobona, die sich zuvor in Spanien, am Niederrhein, schließlich in Ungarn bewährt hatte – die Legio X Pia Fidelis, die zehnte Legion »diensteifrig und treu«. Dieses Wiener Hausregiment, also Deutschmeister-Vorgänger, blieb bis zum Ende des römischen Wien, bis ungefähr 400. Ihm zur Seite standen auch kleinere Kavallerieeinheiten.

Plan von Vindobona

Rund um die militärische Siedlung ließen sich Händler, Wirte und Handwerker nieder, für deren Umsatz die gut verdienenden Legionäre sorgten. Am Donauhafen, der Schiffsanlegestelle am Salzgries, kamen Lebensmittel und Alltagsgüter an. Mit Fleisch versorgte man sich von den Landgütern der Umgebung, vor allem Rindfleisch, Schweinefleisch war teurer. Beliebt waren Linsen und Erbsen und neben diesen Hülsenfrüchten vor allem Gemüse, Zwiebeln, Knoblauch. Obst stand in der Beliebtheit an erster Stelle – in offenbar reicher Fülle: Zwetschken, Birnen, Äpfel, natürlich Weintrauben. Aber es gab, nachgewiesen, auch Kirschen! Verwunderlich, denn wenn man daran denkt, dass der berühmte reiche Lucullus aus dem pontischen Pharmakeia, heute Giresun in der Türkei, erst im letzten Jahrhundert v. Chr. die Kirsche nach Rom brachte, hat sie offenbar schnell Karriere gemacht. Bald war sie überall im römischen Weltreich zu finden.

Das viele Wasser, das man für den täglichen Bedarf, aber auch für den aus Rom importierten Luxus von den Thermen bis zum Kanalbetrieb benötigte, floss aus dem nahen Kalksburg nach Vindobona. Das Trinkwasser trachtete man nach Möglichkeit aus dem eigenen Hausbrunnen zu gewinnen.

Die ersten Ziegel waren ein Import aus Aquileja, später hat man sie selbst hier gebrannt. Eine Ziegelei wurde im Gebiet von Hernals entdeckt, ebenso in der Zivilstadt, dem heutigen 3. Bezirk. In der Mechelgasse, nahe dem Botanischen Garten, fand man das Lager des Ziegelfabrikanten Marcus Antonius Tiberianus mit gestempelten Ziegeln. Dass Frauen nicht nur im Sozialwesen oder als Hausfrau und Mutter beschäftigt waren, beweist auch ein Ziegelstempel. Eine Fabrikantin namens Attilia hatte ihren Betrieb in Carnuntum und lieferte auch nach Vindobona. Luxuswaren wurden in immer höherer Zahl importiert, die Zivilstadt außerhalb der Lagermauern wuchs und wuchs, zu Beginn des 2. Jahrhunderts lebten hier rund 30 000 Menschen.

Wie sahen diese frühen Wiener aus, woher stammten sie? Da waren die keltischen Venusia-Bewohner – und die neu angekommenen Römer. Von den Kelten können wir uns ein Bild machen, d. h. wir bekommen es geliefert – auf Grabsteinen. Wer auf sich hielt, hielt es mit den Römern. Der elegante Herr zog seine Hosen aus und trug Toga. Die Frauen hielten eher an der traditionellen Tracht fest, obwohl sich nach und nach auf allen Gebieten, auch auf dem der Mode, zeigte, dass man nun alla romana lebte. Die neuen Machthaber waren großzügig mit dem Völkerrecht umgegangen, die Oberschicht erfreute sich bald vollzählig des römischen Bürgerrechts. Und wer nicht zu diesen oberen Zehntausend gehörte, dem stand ein anderer Weg offen: Wer unter die Soldaten wollte, hatte sich zumeist dazu entschieden, weil nach dem Abrüsten auch ihm das Bürgerrecht sicher war.

Das Leben im Lager selbst hatte zivilbürgerlichen Charakter. Viele Soldaten waren Familienväter, ihre Frauen und Kinder lebten in der nahen Zivilstadt oder in der Vorstadt, nahe der Kaserne.

Die Lagerhauptsraße via principalis durchmaß das gesamt Areal, gequert von der via decumana und der praetoria. An den Enden dieser Straßen standen mächtige Türme, an die 30 m hoch, mit Zinnen und von Steinmetzhand geziert, mit Inschriften, eindrucksvoll für Passanten und Besucher. Die Lagertore mit diesen Türmen standen in der Kramergasse/Ertlgasse – Porta Principalis Dextra, bei der Hohen Brücke – Porta Principalis Sinistra,...

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