Thomas Hobbes gilt als Begründer der politischen Philosophie der Neuzeit. Bis heute befassen sich viele Philosophen mit seiner Lehre. Seine Staatstheorie hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, allerdings wurde sie nicht immer positiv akzeptiert, sondern von Philosophen, Theologen und Politikern aus unterschiedlichsten Gründen kritisiert. Unter den wichtigsten Forschern, die sich mit Hobbes beschäftigt haben, kann man vor allem Crawford B. Macpherson, Leo Strauss und Carl Schmitt nennen, deren Gedanken und Schlussfolgerungen im Laufe dieser Arbeit vorgestellt werden.
Das Großartigste an Hobbes und seinen Theorien war, dass er sich vollkommen von den alten zweitausendjährigen Traditionen des politischen Denkens abgewandt hat. (Münkler, 1993: 14) Ungeachtet dessen, dass Sokrates in der damaligen politischen Philosophie als die wichtigste und allgemein anerkannte Autorität galt, hat Hobbes sich selbst als den wahren Begründer der politischen Philosophie bezeichnet. (Strauss, 1977: 172) Davon zeugt seine Äußerung im Widmungsbrief zu seinem Werk „De corpore“, die lautet: „Die politische Philosophie [ist] nicht älter als das Buch, welches ich selbst unter dem Titel „De cive“ verfasst habe.“ (Münkler, 1993: 14)
Durch diese Ablehnung der Tradition machte sich Hobbes zu einem der umstrittensten Philosophen aller Zeiten. So bezeichnet Macpherson Hobbes als den „unbequemsten politischen Denker Englands“. (Macpherson, 1990: 21)
Allerdings entwirft Hobbes keine absolut neue politische Philosophie. Eigentlich basieren die Grundlagen seiner Philosophie gerade auf den traditionellen philosophischen Theorien seiner Zeit. So stimmt Hobbes zum Beispiel mit Sokrates in einer der grundlegendsten Annahmen seiner Philosophie, dem Vorhandensein des Naturzustandes, überein. (Strauss, 1977: 174)
Womöglich sah es Hobbes als seine Aufgabe, die traditionelle politische Philosophie zu überarbeiten, ihre Schwachpunkte zu beseitigen und ihre Glaubwürdigkeit und Aktualität zu steigern. Eine solche Aufgabe konnte von keinem Menschen gelöst werden, der in einer stabilen und geordneten Gesellschaft gelebt hat. Mit der Tradition brechen kann nur jemand, der erlebt hat, wie die Tradition versagt und zusammenbricht. Thomas Hobbes lebte in einer Zeit der Revolution und des Bürgerkrieges. Diese Ereignisse hatten ihn tief beeindruckt, was aus seinen Schriften deutlich wird. Alle seine Werke und seine gesamte Philosophie wurden von politischen Ereignissen jener Zeit beeinflusst. Hobbes hat zukünftige Veränderungen in seiner Gesellschaft vorausgesehen und dadurch der traditionellen politischen Philosophie neue Züge gegeben.
Die traditionelle Philosophie leitete den Menschen aus einer bürgerlichen Gesellschaft ab. Es wurde angenommen, dass der Mensch „die Vollendung seiner Natur nur in der bürgerlichen Gesellschaft und durch sie erreichen kann, und dass daher die bürgerliche Gesellschaft älter als die Einzelperson ist.“ (Strauss, 1977: 190) Diese Annahme stellt den entscheidenden Unterschied zwischen der Theorie von Hobbes und der traditionellen Philosophie dar. Mit der Behauptung, dass Menschen auch vor der bürgerlichen Gesellschaft existierten, hat Hobbes das Individuum als Vorläufer der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt. Ein weiterer Beweis dafür, dass Hobbes das Individuum als den Ursprung aller Gesellschaften sieht, ist die Ableitung der menschlichen Pflichten aus den Rechten. (Strauss, 1977: 190)
Vor allem das negative Menschenbild hat viel dazu beigetragen, dass Hobbes` Theorie kritisiert wurde. Den Menschen so zu akzeptieren, wie ihn Hobbes darstellte, war für seine Zeitgenossen undenkbar. Niemand wollte sich mit dem Hobbesschen Menschenbild assoziieren. Allerdings ist es umstritten, ob Hobbes den Menschen als böse darstellen wollte, denn es ist durchaus möglich, dass er nur die negativen Seiten des menschlichen Charakters darstellen wollte, indem er sie alle in einem unrealen Menschenbild zusammenfasste. Diese Frage wird in weiteren Abschnitten genauer untersucht.
In seiner Philosophie geht Hobbes andere Wege als seine Vorgänger. Die Grundfrage der klassischen politischen Philosophen war die nach der Gerechtigkeit. Diese Frage wurde schon von Aristoteles bearbeitet, und genau diese Frage begründet auch den Hobbesschen Bruch mit der Tradition. Versuche des Aristoteles, den Begriff der Gerechtigkeit genau zu definieren und auf der Grundlage dieser Definition die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens aller Menschen zu rechtfertigen, hielt Hobbes für falsch. Stattdessen setzte Hobbes „auf die souveräne Dezision, die in Gesetzesform vorschreibt, was zu tun und was zu unterlassen ist.“ (Münkler, 1993: 72)
Auch den Eigentumsbegriff, die Annahmen über Gleichheit und Ungleichheit, über Naturzustand, Menschenbild, Freiheit und Herrschaft sind bei Hobbes anders konzipiert als bei den klassischen Denkern der politischen Philosophie. (Münkler, 1993: 74-79)
Die Aufgabe dieser Arbeit ist es aber nicht, die Einzelheiten der Unterschiede zwischen der klassischen und der Hobbesschen Philosophie zu diskutieren. Es war aber wichtig, den Platz Hobbes` in der Geschichte der politischen Philosophie darzustellen, denn seine Rolle für ihre weitere Entwicklung ist beträchtlich.
Um die Hintergründe der Philosophie von Hobbes besser verstehen zu können, ist ein kurzer Exkurs über sein Leben nötig, denn, wie oben erwähnt, trägt jedes seiner Werke eine Spur der tiefen Eindrücke, die die Ereignisse seiner Zeit hinterlassen hatten. Nach Herfried Münkler, einem Autor zahlreicher Publikationen zur politischen Geschichte der Neuzeit, gibt es nicht so viele Informationen über Hobbes` Leben, wie man es erwarten könnte: Immerhin hatte Hobbes ein ziemlich erfülltes und langes Leben — er wurde über 90 Jahre alt. Aber dank einigen Forschern wie John Aubreys, der sich mit der Erforschung von Hobbes` Leben befasste, gibt es genügend Informationen über seinen Werdegang.
Thomas Hobbes wurde am 5. April 1588 als Sohn eines Landgeistlichen in Wiltshire geboren. Seine Eltern waren wenig gebildete Menschen, aber Hobbes war ein sehr talentiertes Kind: Schon mit vier Jahren konnte er lesen, schreiben und rechnen. Er wurde ab 1596 in einer Privatschule unterrichtet und schon mit vierzehn Jahren hat er die „Medea“ des Euripides in lateinische Jamben übersetzt. 1603 begann er mit seinem Studium in Oxford, das er im Jahre 1607 abgeschlossen hat. Unter den Lehrveranstaltungen, die er während seines Studiums besucht, ist eine Einführung in die aristotelische Logik und Physik. Schon damals hielt er die Lehre des Aristoteles für schlecht. Scharfe Kritik äußerte Hobbes aber erst nach dem Studium, einmal nannte er Aristoteles „den schlechtesten Lehrer, den es je gegeben hat, den schlechtesten Moral- und Staatsphilosophen.“ (Gawlick, in: Hobbes, 1994: IX)
Als er den Grad eines Baccalaureus Artium erworben hatte, wurde er nach den gesellschaftlichen Regeln zur Universitätsbahn bestimmt. Allerdings hatte Hobbes eine sehr kritische Einstellung zu Universitäten, die er sein Leben lang nicht aufgegeben hat. So wurde er 1608 zum Tutor und Hofmeister des Sohnes von Baron Cavendish von Hardwick. Diese Stellung hat Hobbes für den Rest seines Lebens behalten, später als Mentor des Sohnes seines ersten Schülers. (Gawlick, in: Hobbes, 1994: X)
Hier zeigt sich wieder, dass Hobbes oft den Regeln entging, die in der damaligen Gesellschaft vorherrschten. Seine Ablehnung sowohl der Universitäten als auch der traditionellen Philosophie, seine Vorliebe für lange Reisen sagen viel über die Persönlichkeit dieses Mannes.
Während Hobbes von 1610 bis 1613 in Frankreich lebt, wird König Heinrich IV. von Frankreich von dem religiösen Fanatiker Ravaillac ermordet, was auf Hobbes einen tiefen Eindruck macht, und sich dann später in seinen Schriften widerspiegelt. (Diesselhorst, in: Hobbes, 2005: 307)
In der Zeit nach der Ermordung des Königs konnte Hobbes den Prozess des Zerfalls eines friedlichen und geordneten Staates am Beispiel Frankreichs beobachten und miterleben. Die Zeit der Regentschaft von Maria von Medici war sehr schwierig für Frankreich, denn es gab keinen richtigen Herrscher und keine Macht, die sich um das Wohl des Staates und seines Volkes gekümmert hätte. Die Favoriten, die an die Macht gelangten, stellten ihre Person höher als den Staat, der Adel kämpfte um Position und Reichtum, und die Kirche führte ihren eigenen Kampf um die Machtposition im Staat. (Schnur, 1963: 25)
Den Staat wieder „zu konsolidieren, gelang Richelieu, in einem langjährigen inneren Mehrfrontenkrieg. Die politischen Ideen, die gegen Richelieu standen, waren im Hinblick auf die moderne Staatstheorie die traditionellen Theorien, die sich als die Verlierer des konfessionellen Bürgerkriegs des 16. Jahrhunderts betrachten mussten, also die...