Vorwort
Kirsten Witte, René Geißler
Der Titel ist plakativ. Städte in Not – das ist keine neue Diagnose. Die Nöte der Städte sind altbekannt und vielfältig. Der Titel dieses Buches könnte sich daher auf diverse Politikfelder beziehen. Im Zentrum stehen jedoch, wie meist in der öffentlichen Diskussion, die Finanzen. Die kommunale Haushaltskrise begleitet uns seit fast 20 Jahren. Gemessen wird sie gemeinhin am Stand der Kassenkredite. Erstmals sichtbar wurde die Krise in Nordrhein-Westfalen. Sie breitete sich dann ins Saarland, nach Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen aus. Mit Blick auf die gesamte Bundesrepublik mehren sich die betroffenen Regionen und wächst das Ausmaß der Verschuldung (vgl. Abb. 1). Doch weder sind in diesen Bundesländern alle Kommunen betroffen noch bleiben die übrigen Länder von der Haushaltsnot verschont.
Die Haushaltskrise verstetigt sich. Sie wird zur dauerhaften, fast gewohnten Begleiterin der Kommunen, der Politik, der Beschäftigten, der Bürgerinnen und Bürger. Das hohe Gut der kommunalen Selbstverwaltung ist in Gefahr; vielerorts kann nicht mehr wirklich davon die Rede sein. Die Städte sind die politische und administrative Ebene mit der größten Bürgernähe. Nicht zufällig fühlen sich die Bürger* ihren Kommunen besonders verbunden und wünschen sich deren Stärkung. Städte, denen die Handlungsfähigkeit fehlt und die die Erwartungen ihrer Bürger an Leistungen, Infrastruktur und Mitwirkung nicht mehr erfüllen können, sind daher auch ein demokratietheoretisches Problem.
Abbildung 1: Entwicklung der Kassenkredite
Die Haushaltsnot hat zahllose Folgen. Viele sind auf den ersten Blick nicht sichtbar. Wenige sind so transparent wie der Stand der Kassenkredite – was diese zum zentralen Krisenindikator gemacht hat, die Sicht auf andere Folgen gelegentlich aber verstellt.
Ein genauerer Blick in die kommunalen Haushalte verrät uns, dass die Investitionstätigkeit in den alten Bundesländern in den letzten 20 Jahren zurückgegangen ist. Auch die Konjunkturpakete waren nur ein Strohfeuer – finanziert durch Kredite des Bundes. Die Haushaltsstrukturen der Städte haben sich bedenklich zulasten der Investitionen und Zukunftsaufgaben verschoben. Die kommunale Infrastruktur leidet. Die Finanzierungsstruktur der Kommunen verschlechtert sich ebenfalls. Ein immer größerer Teil der Kredite sind Kassenkredite, die kurzfristig finanziert ein wachsendes Zinsrisiko darstellen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2013). Die Gestaltungsfähigkeit der Städte ist in den Regionen gesunken, in denen die gesellschaftlichen Problemlagen und der Handlungsbedarf am größten sind.
Wo bestehende Infrastruktur nicht erhalten und pflichtige Leistungen nicht finanziert werden können, ist an zukunftsbezogene Gestaltung, an Herausforderungen wie Bildung, Integration und Demographie nicht zu denken. Im Jahr 2012 schätzen die Kommunen den Investitionsrückstand auf rund 128 Mrd. Euro – mehr als das Fünffache der tatsächlichen jährlichen Investitionen (KfW Bankengruppe 2013: 34 ff.; vgl. den Beitrag von Grabow und Schneider in diesem Band). Die größten Engpässe bestehen in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur und Bildung. Letzteres sind die langfristigen, noch nicht sichtbaren Folgen der Haushaltskrise.
Die Bertelsmann Stiftung versteht sich als Institution zwischen Wissenschaft und Praxis. Ihr Anspruch ist es, Lösungsbeiträge für drängende gesellschaftliche Probleme im Dialog zu entwickeln und praxisorientierte Konzepte anzubieten. Finanzen sind hierbei ein Querschnittsthema zu Handlungsfeldern wie Bildung, Integration, Zivilgesellschaft, Beteiligung oder Demographie. Nachhaltige Finanzen sind eine Voraussetzung eines starken Staates, der Chancen und Teilhabe gewährleisten kann. Die Städte können ihre Haushaltskrise meist nicht allein lösen; es bedarf koordinierter Maßnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die Wechselwirkungen berücksichtigen. Nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis setzt sich die Bertelsmann Stiftung für eine Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen ein (vgl. Bertelsmann Stiftung 2012).
Die kommunale Haushaltskrise hat viele Ursachen (vgl. Schwarting 2011). Die umfangreiche Diskussion endogener und exogener Faktoren soll hier nicht vertieft werden. Dieses Buch widmet sich mit seinen 16 Beiträgen weniger den Ursachen denn möglichen Reaktionen. Es entstand aus der Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Praxis und soll den Ansprüchen und Interessen beider Zielgruppen gerecht werden.
Die Beiträge des ersten Teils Befunde beziehen sich auf Hintergründe oder Ausprägungen städtischer Not. Monika Kuban behandelt die (ungewollte) Rolle der Städte als Ausfallbürgen staatlicher Politik. Die steigenden Sozialausgaben sind wesentliche Treiber der Haushaltskrise. Noch viel mehr sind sie allerdings auch Folge und symptomatisch für eine verfehlte gesamtstaatliche Sozialpolitik. Die Auswirkungen treffen die Kommunen nicht allein finanziell, sondern auch in Form zunehmender gesellschaftlicher Zerrüttung. Lars Holtkamp geht auf die Folgen langjähriger Haushaltsdefizite ein, wie sie sich speziell in Nordrhein-Westfalen (NRW) in Gestalt haushaltsrechtlicher Sanktionen stellen – welche vielerorts gescheitert sind.
Auf das Wachstum der Haushaltsdefizite reagierten die Innenministerien mit einer Verschärfung des Haushaltsrechts. Nicht nur die Defizite selbst, sondern auch das Haushaltsrecht an sich stürzt die Städte in Not. Gleichwohl ist das Aufsichtsrecht als Steuerungsressource notwendig und nicht zwangsläufig wirkungslos. Die unterschiedlichen Ausprägungen der Probleme in den Ländern können teilweise auch hierauf zurückgeführt werden. Benjamin Holler hat eine Methode entwickelt, die Stärke des Haushaltsrechts zu messen. Die Politik in den Städten sieht sich häufig als getrieben von überbordenden Erwartungen der Bürgerschaft. René Geißler geht der Frage nach, wie die Bürger die Haushaltspolitik, die Haushaltslage ihrer Stadt einschätzen und wie sie zur Haushaltskonsolidierung stehen.
Der zweite Teil dieses Buches versammelt unter der Überschrift Innovationen der Länder fünf Beiträge, die sich mit der Rolle des Landes in der kommunalen Haushaltsnot beschäftigen. In jüngerer Zeit sind bemerkenswerte Bemühungen der Bundesländer zu beobachten, mit der Haushaltskrise der Kommunen neu umzugehen. In NRW und Hessen wurden Finanzen bereitgestellt, um die Konsolidierung der Städte zu fördern. Beide Programme sind langfristig angelegt; gleichwohl unterscheiden sie sich deutlich in der Ausgestaltung. Ulrich Keilmann und Marc Gnädinger berichten aus der Perspektive des Hessischen Finanzministeriums, Johannes Winkel und Benedikt Emschermann aus der des Innenministeriums NRW. In NRW ist die Gemeindeprüfungsanstalt als Beraterin eingebunden. Christoph Gusovius gibt in seinem Beitrag die Erfahrungen und Lehren aus der Begleitung von 57 Städten wieder.
Die Haushaltslage der Städte in Sachsen erscheint im Vergleich positiv. Ist das auch eine Folge kluger Kommunalaufsicht? Mario Hesse und Florian F. Woitek stellen ein neues Aufsichtsinstrumentarium vor, mit dem kennzahlenbasiert Haushaltslagen überwacht und transparent werden. Nur ein kleiner Teil kommunaler Ausgaben ist tatsächlich hausgemacht. Im Gegenteil leiden die Städte unter kostenträchtigen Leistungsstandards, die ihnen auch von den Ländern auferlegt werden. Sachsen-Anhalt hat daher eine interministerielle Projektgruppe eingesetzt, um den Leistungskatalog der Städte kritisch zu durchforsten und Einsparpotenziale aufzudecken. Peter Kuras berichtet über Hintergründe, Verfahren und Hürden dieser Bemühungen.
Im dritten Teil des Sammelbandes stehen die Städte selbst im Blickpunkt. Unter Handlungsansätze der Städte soll nicht die Diskussion um Einnahmeerhöhung und Ausgabensenkung, gewissermaßen die Mikroebene der Konsolidierung, aufgegriffen werden. Die Beiträge behandeln auf einer Metaebene Handlungsansätze, die indirekt positive Auswirkungen auf den Haushalt haben. Jochen Gottke stellt den bemerkenswerten Umgang der Stadt Solingen mit einer langjährigen Haushaltskrise vor. Die Stadt hat ein eigenes Modell der Aufgabenkritik entwickelt, das Ausgabensenkungen mit einer strategischen Wirkungsanalyse verbindet. Die interne Steuerung von Stadtverwaltungen steht ebenfalls seit vielen Jahren auf der Reformagenda. Über Kennzahlen können Kosten und Ergebnisse messbar gemacht werden. Die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung steigt, der Ressourcenverbrauch sinkt – allerdings nur, wenn die Beschäftigten und Führungskräfte tatsächlich mit diesem Instrument arbeiten. Alexander Kroll untersucht, ob dies funktioniert und wie sich Akzeptanz und Nutzen in den Verwaltungen steigern lassen.
Letztlich hängt es auch in einem schwierigen sozioökonomischen Umfeld von den Menschen ab, wie Haushaltspolitik in den...