Kapitel 2
Was ist Stockfotografie eigentlich?
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Klassische Nutzung von Stockfotos in einem Kundenmagazin – das »Fenster mit Aussicht« oben rechts stammt von mir via Stocksy United.
Kurze Geschichte der Stockfotografie
Der Begriff »Stock« hat nichts mit Holz oder einer Gehhilfe zu tun. Im Englischen bedeutet »Stock« so viel wie »Lager« oder »Vorrat«. Bei Stockfotos handelt es sich also um Bilder, die ein Fotograf oder eine Agentur bereits im Archiv haben. Damit ist der Unterschied zur Auftragsfotografie klar, bei der ein Fotograf die gewünschten Bilder erst dann erstellt, wenn ein Kunde danach fragt.
Eine der ersten bekannten Stockfoto-Agenturen war und ist bis heute Magnum. Einige der bedeutenden Fotografen der 1940er Jahre sahen sich Magazinen gegenüber, die Berichte aus Krisengebieten oder Reisefotos anforderten, diese dann aber ohne weitere Zahlung in ihr eigenes Archiv übernahmen. Die Magnum-Fotografen wollten ihr Bildmaterial selbst verwerten, das sie oft auf eigenes Risiko, und das nicht nur im finanziellen Sinn, erstellt haben. Magazine konnten diese Bilder dann lizenzieren und die Agentur erhielt für jede Nutzung eine Lizenzgebühr.
Dieses Geschäftsmodell setzte sich nach den redaktionellen auch bei werblichen Kunden durch, die nicht für jede Nutzung wieder eigens einen Fotografen engagieren und bezahlen wollten. Gerade kleineren Unternehmen fehlte dafür das Geld.
Die Verbreitung von Fotos war zu analogen Zeiten eine komplizierte Angelegenheit: Zunächst mussten Negative oder Diapositive kopiert werden. Diese wurden dann oftmals international per Post verschickt, mit dem entsprechenden Risiko eines Verlustes und Zeitverzögerungen. Daher begannen Agenturen sich auszutauschen: Man erstellte Kopien des eigenen Bestandes und sandte diese an eine Partneragentur in einem anderen Land, erhielt dafür im Gegenzug ebenfalls Kopien aus deren Archiv. Damit konnte man Kunden im eigenen Land mit kürzeren Postwegen schnell Material aus verschiedenen Teilen der Welt anbieten.
In der Zeit war es üblich, dass Agentur und Fotograf sich die Einnahmen jeweils zur Hälfte teilten. Bei Geschäften mit fremden Bildern behielt die verkaufende Agentur ebenfalls erst einmal die Hälfte der eingenommenen Gebühren, die andere Hälfte wurde an den Partner überwiesen, der wiederum mit dem Fotografen teilte. Der Fotograf erhielt also in der Regel die Hälfte der Lizenzeinnahmen aus dem Heimatland sowie ein Viertel der Auslandsverkäufe. Wegen der langen Laufzeiten von Post und Banküberweisungen wurde quartalsweise, halbjährlich oder sogar nur jährlich abgerechnet. Da die wenigsten Fotografen Stockfotografie als Hauptgeschäft betrieben, sondern eben nur ihr Archivmaterial darüber verwerteten, spielte dies nur eine untergeordnete Rolle.
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Zeitungen, Lokalzeitungen, Wochenzeitungen – auch heute wird noch viel gedruckt und dafür werden Symbolbilder wie der klischeehafte Bayer mit Bier in der Hand benötigt. (Model: ich selbst)
Die Digitalisierung erreichte die Stockfotografie Mitte der 1990er Jahre. Nachdem der Softwarehersteller Adobe mit dem Programm Photoshop die Möglichkeit der digitalen Bearbeitung geschaffen hatte, stand zunächst noch ein Speicherproblem im Weg: Ein eingescanntes Dia aus einem Kleinbildfilm erreichte mehr als zehn Megapixel und selbst im JPG-Format haben diese Bilder Dateigrößen von fünf Megabyte oder mehr. Was heute nach einer Kleinigkeit klingt, überstieg aber die damaligen Speicherkapazitäten. Die Älteren unter den Lesern erinnern sich, dass die ersten Floppy Disks 1,2 oder später 1,44 Megabyte speichern konnten. Ein einzelnes Bild musste also auf vier bis sechs Disketten aufgeteilt werden.
Erst das Internet machte dies überflüssig. Nun konnten die Daten zwar anfangs noch langsam, aber innerhalb desselben Tages von einem Ort an den anderen übertragen werden – und das an immer mehr Orte in aller Welt. Damit waren die jahrzehntealten Vertriebswege über nationale Agenturen eigentlich nicht mehr nötig.
Dies erkannten zunächst Jonathan Klein und Mark Getty, ein Erbe der amerikanischen Milliardärsfamilie. Beide waren vorher im Investment-Banking tätig und sahen die Chance, diesen Markt durch neue Technologien zu ändern. Unter dem Namen Getty Images schloss die neue Agentur Verträge mit vielen Partnern in aller Welt und kaufte auch Jahr für Jahr komplette Bildbestände auf. Sie konnte nun Redaktionen Bildmaterial aus aller Welt anbieten, zudem produzierte sie auch selbst mit angestellten Fotografen laufend neues Material von Sportveranstaltungen und bedeutenden Nachrichtenereignissen.
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Derselbe »Bayer«, andere Zeitung, anderes Foto, andere Verwendung: Hier zur Promotion eines Abonnements der Münsterschen Zeitung.
Neben Getty und Klein war auch Microsoft-Gründer Bill Gates der Überzeugung, dass im Internet der Handel mit digitalen Inhalten zu einem erfolgreichen Geschäft werden könnte. Er gründete dafür die Bildagentur Corbis, die ebenfalls einige der bekanntesten Bildarchive aufkaufte und deren Bilder digitalisierte. Zwar haben sich Bill Gates’ Vorstellungen bis heute nicht durchgesetzt, großformatige digitale Bilderrahmen sind wohl nur in seinem eigenen Haus zu finden. Trotzdem etablierte sich Corbis als Nummer zwei im weltweiten Bildermarkt.
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Moderne Kommunikation benötigt mehr Bildmaterial als jemals zuvor, hier als Titelbild auf einer Webseite, lizenziert über die Agentur Westend61.
In einem weiteren technologischen Schritt wurde nicht nur die weltweite Verfügbarkeit mithilfe des Internets revolutioniert. Um die Jahrtausendwende kamen die ersten im Alltag wirklich nutzbaren digitalen Kameras auf den Markt. Zwar konnte die Bildauflösung nicht mit Scans von analogen Kleinformatkameras, geschweige denn Mittelformatfotografien, mithalten.
Doch die digitalen Kameras erlaubten es auch weniger erfahrenen Fotografen, inhaltlich gute Bilder zu erstellen: Denn statt Stunden oder Tage auf die Entwicklung von Filmen zu warten, waren die digitalen Ergebnisse sofort oder spätestens nach Übertragung auf den Computer zu sehen. Fehler konnte man schnell erkennen und ein weiteres Bild schießen. Hinzu kam der Kosteneffekt: Bei der analogen Technologie hat jeder Druck auf den Auslöser ein Stück Film belichtet, das zunächst gekauft und nachher entwickelt werden musste. Jedes einzelne Foto kostete den Fotografen also Geld. Die digitale Technologie dagegen war kostenlos, sobald die Kamera gekauft war. Ob die Kamera für zehn oder zehntausend Bilder genutzt wurde, machte finanziell keinen Unterschied mehr.
Andererseits tat sich mit dem Internet auch ein neuer Markt auf. Kleine Unternehmen waren zuvor fast nur im lokalen Branchenverzeichnis ihrer Stadt zu finden und nur wenige konnten sich das Erstellen eigener Prospekte leisten. Zudem lernten viele Menschen, dass sie mithilfe des Internets nun mit sehr geringem finanziellen Einsatz eigene Inhalte publizieren können.
Es traf also ein neues Angebot – digitale Bilder mit qualitativen Einschränkungen – auf einen neuen Markt, der nicht die höchsten Ansprüche stellte, wie es professionelle Redaktionen und Werbeagenturen taten.
Daraus entstand ein neues Marktsegment, das später als Microstock bekannt werden sollte. Mit »Micro« waren damals vor allem die vergleichsweise kleinen Zahlungsbeträge gemeint. Ein traditionelles Stockfoto wurde selten unter 50 € angeboten, für große Bilder und umfangreiche Nutzungsrechte waren 500 € die Regel, auch vier- oder fünfstellige Beträge keine Seltenheit.
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Neue Technologie eröffnet neue Märkte: Mit Microstock wurden Bildlizenzen billig, aber auch für Massen verfügbar. Mein Allzeit-Bestseller hatte deutlich mehr als 3.000 Verkäufe und brachte über 13.000 $ an Umsatz ein. Allerdings gehörte auch Glück dazu. Ein zweites Bild in etwas anderem Winkel hatte fünf Jahre lang keinen einzigen Download gehabt.
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Grafische Motive, die in Bildkompositionen immer wieder benötigt werden, sind ebenfalls sehr begehrt. Dieses Bild ist mein Bestseller der letzten Jahre und hat bei Shutterstock über 1.500 Verkäufe erzielt und dadurch mehr als 1.000 $ eingebracht.
Bei Microstock dagegen wurden – nach einer kurzen Phase des reinen Tauschhandels – nur symbolische Beträge verlangt. Der iStockphoto-Gründer Bruce Livingstone beschrieb es einmal so, dass seine Webdesign-Firma von der Masse an Nutzern überrascht wurde und die monatlich steigenden Rechnungen an Internetgebühren für die Firma nicht mehr tragbar waren. Man berechnete einen Betrag von 20 US-Cent pro Download, um die Kosten zu decken. Da in den USA der »Quarter«, also ein Vierteldollar, eine gängige Münze ist, setzte man den Betrag auf 25 Cent fest und schrieb den Fotografen jeweils fünf Cent davon gut.
Da es in den meisten Fällen keine professionellen Fotografen waren, sondern Grafiker,...