„Allenfalls ein Kopfschütteln ernteten Studenten noch vor kurzem, wenn Sie in einer Bank nach einem Kredit fragten. Studenten und Kredite – das passte einfach nicht zusammen. Schließlich hat kaum ein Jungakademiker ein solides Einkommen, Einfamilienhäuser oder sonstige Sicherheiten. Doch der Wind hat sich gedreht: Plötzlich sprechen die Banken von einer interessanten Zielgruppe, den Besserverdienenden von morgen – und zaubern Kreditangebote speziell für Studenten aus den Schubladen.“[1] So begann ein Artikel im Stern zum Thema Studienkredite vom 13. Oktober 2005.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb am 23. Juli 2006: „Das Thema Studiengebühren treibt derzeit junge Akademiker auf die Straße. Während Sie protestieren, haben die Banken reagiert: Sie werben mit zahlreichen Angeboten, die die magere staatliche Förderung ergänzen sollen.“[2]
Woher kommt dieser Sinneswandel bei deutschen Kreditinstituten?
Das Interesse an der Zielgruppe „Studenten“[3] ist durch das am 26. Januar 2005 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Einführung von Studiengebühren[4] ausgelöst worden. Seit der Verkündung des Urteils werden in der Öffentlichkeit Ansätze zur Finanzierung der Studiengebühren diskutiert. Hier entsteht für Kreditinstitute ein neues Geschäftsfeld,[5] obwohl die Finanzbranche die Gewinnmarge bei Bildungskrediten eher als gering einschätzt.[6] Vielmehr ist der „Aufbau viel versprechender Kundenbeziehungen“ entscheidend.[7]
Laut Ederer et al. (2000) verdiente ein Abiturient mit Hochschulabschluss im Jahre 2000 durchschnittlich 108.384 DM (= 55.416 €). Damit liegt das Einkommen Im Schnitt 46 % höher als bei einen Abiturienten ohne Hochschulabschluss.[8] Daraus lässt sich ein höchstwahrscheinlich überdurchschnittliches Ertragspotenzial für die Kundengruppe Studenten ableiten.
Die Zeitschrift Sparkassenmarkt verkündete in ihrer Ausgabe Mai/Juni 2006: „In der Vergangenheit waren gezielte Vertriebsansprache, Maßnahmen zur langfristigen Bindung oder eine umfassende Beratung von Studenten eher die Ausnahme. Sie sind jedoch die Individualkunden von morgen.“[9]
Ist das Thema „Studentenmarketing“ neu?
Sowohl Bock (1990) als auch Miersch (2005) analysierten die Zielgruppe Studenten in ihren Diplomarbeiten.
Bock (1990) stützt ihre Arbeit dabei u.a. auf Entwicklungen des österreichischen Bankenmarktes, die bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Studentenmarketing für sich entdeckten.[10] Sie stellt die These auf, dass sich die Aktivitäten der Kreditinstitute im Studentenmarkt zukünftig verstärken werden.[11]
Miersch (2005) zeigt die Attraktivität der studentischen Zielgruppe für Banken u.a. anhand von Beispielen aus den USA auf und kommt zu dem Ergebnis, dass deutsche Banken im Kundensegment Studenten noch nicht ausreichend positioniert sind.[12]
Der unabhängige Finanzdienstleister MLP spezialisiert sich bereits seit den 80er Jahren auf die Kundengruppe Studenten und Jungakademiker aus attraktiven Studiengängen wie Medizin, Jura, Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwesen.[13]
Somit scheint das Thema „Studentenmarketing“ nicht neu zu sein. Dennoch entwickelten ein Großteil der deutschen Kreditinstitute bisher noch kein umfassendes Konzept zum Studentenmarketing. Hierzu bemerkt beispielsweise Werner (2006): „Dabei beschränkte sich das Angebot für Studenten oftmals auf ein kostenloses Girokonto für dessen Gebührenbefreiung der Student zweimal jährlich seine Immatrikulationsbescheinigung vorlegen musste. Eine gezielte Vertriebsansprache, Maßnahmen zur langfristigen Bindung oder eine umfassende Beratung waren eher die Ausnahme als die Regel.“[14]
Aktuell verstärken viele Banken und Sparkassen ihr Werben um die Zielgruppe Studenten. So führte die Deutsche Bank im Oktober 2005 das Studentenmarketing-Konzept „db Studium & Finanzen“[15] ein. In der Sparkassen-Organisation gilt die Nord-Ostsee Sparkasse als Vorreiter. Sie startete das umfassende Studentenmarketing-Konzept „Nospa-Studenten-Futter“ bereits im Februar 2004.[16] Dennoch zögern noch viele Banken und Sparkassen, ein eigenes Studentenmarketing-Konzept einzuführen.
Es wird die Meinung vertreten, dass die Attraktivität der Kundengruppe Studenten noch nicht ausreichend mit Hilfe von monetären Kennzahlen belegt worden ist. Die Kreditinstitute richten ihre Marketing-Ressourcen häufig nach dem gegenwärtigen Kundenwert der Kundengruppen aus. Das zukünftige Ertragspotenzial der Kundengruppe Studenten wird nicht berücksichtigt.
In der Fachliteratur werden zum Studentenmarketing bisher kaum Empfehlungen oder Referenzbeispiele vorgestellt. Es fehlt ein umfassendes Studentenmarketing-Konzept, dass die Formulierung von Zielen, die strategische Ausrichtung und die Beschreibung der operativen Instrumente aus Sicht der Praxis behandelt.
Wie ist ein umfassendes Studentenmarketing-Konzept zu gestalten, um die Zielgruppe Studenten erfolgreich für sich zu gewinnen und entscheidende Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Kreditinstituten und Finanzdienstlern zu erzielen?
Vor dem beschriebenen Hintergrund strebt die vorliegende Arbeit „Studentenmarketing bei Kreditinstituten: Grundlagen, Marktanalyse und Ableitung von Handlungsempfehlungen“ folgende Ziele an: Erstens soll die ökonomische Attraktivität der Kundengruppe Studenten für Kreditinstitute anhand einer Kundenwertanalyse aufgezeigt werden. Zweitens sollen durch eine empirische Erhebung unter Banken und Sparkassen die bisher angewendeten Studentenmarketing-Maßnahmen dokumentiert, bewertet und die besten Praxisbeispiele vorstellt werden. Drittens sind aus den gewonnenen Erkenntnissen Handlungsempfehlungen für ein umfassendes Studentenmarketing-Konzept abzuleiten.
Die Grundlagen für die vorliegende Arbeit werden im 2. Kapitel gelegt. Der „Kundenwert“ und das „Kundenwertmanagement“ stellen das marketingtheoretische Gerüst für den Nachweis der Attraktivität der Kundengruppe Studenten dar. Die Begriffe sind erst in den letzten Jahren in die Marketingliteratur eingegangen. Daher werden diese ausführlich vorgestellt. Anschließend werden die Besonderheiten des Finanzdienstleistungsmarketing erörtert, um später darauf aufbauend das Studentenmarketing-Konzept entwickeln zu können. Die Zielgruppe Studenten ist das zentrale Bezugsobjekt. Daher wird diese ausführlich vorgestellt.
Die Marktanalyse teilt sich in zwei Kapitel auf. Im 3. Kapitel wird zuerst die Kundenwertanalyse durchgeführt. Das anschließende 4. Kapitel behandelt die empirische Erhebung zum Studentenmarketing von Banken und Sparkassen.
Im Vorfeld der Kundenwertanalyse werden die verschiedenen Bewertungsmodelle wie bspw. die „Kundendeckungsbeitragsrechnung“ oder der „Customer Lifetime Value“ vorgestellt. Mit Hilfe von realen Kundendaten der Sparkasse Essen wird der Kundenwert der Kundengruppe „Studenten“ in Relation zu der Vergleichsgruppe der gleichaltrigen „Nicht-Studenten“[17] bestimmt.
Die empirische Erhebung mit Hilfe eines Fragebogens dient zuerst dazu, die bisher verwendeten Maßnahmen im Studentenmarketing dokumentieren zu können. Zweitens erhebt der Fragebogen die „Expertenmeinungen“ der befragten Kreditinstitute. Sie ermöglichen die Bewertung der „Wichtigkeit“ bzw. „Wirksamkeit“ verschiedener Studentenmarketing-Maßnahmen. Drittens soll dann auf Basis der Bewertung durch ein „Scoring-Verfahren“ ein Ranking für die Identifikation der „besten“ Praxisbeispiele aus dem Studentenmarketing erstellt werden.
Die Ableitung der Handlungsempfehlungen folgt auf Basis der vorangegangenen Marktanalyse. Dabei werden Handlungsempfehlungen für die Entwicklung eines umfassenden Studentenmarketing-Konzeptes gegeben. Das Studentenmarketing-Konzept gliedert sich dabei in die Teile Ziele, Strategien und operative Instrumente (Marketing-Mix) auf.
Die vorliegende Arbeit wird mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick abgeschlossen. Dabei werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst und Anregungen für weitere Forschungsansätze gegeben.
Die Sparkasse Essen (kurz: SKE) stellte die realen Kundendaten für die Kundenwertanalyse und stand als Ansprechpartner aus der Praxis jederzeit zur Verfügung. Des Weiteren ist die SKE eine der ersten Sparkassen in Deutschland, die ein...