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Studien zum Alten Testament im Neuen Testament

AutorThomas Hieke
VerlagVerlag Katholisches Bibelwerk
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl290 Seiten
ISBN9783460510487
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Die Heilige Schrift Israels - in christlicher Leseweise das Alte Testament - ist der Horizont der neutestamentlichen Christusverkündigung. Vierzig Studien aus den Jahren 2000 bis 2015 erarbeiten das an vielen Beispielen, v.a. an den synoptischen Evangelien und der Offenbarung des Johannes. Das Buch bietet neue Horizonte für die Untersuchung, wie das Alte Testament den Wahrheitsraum des Neuen Testaments bildet.

Dr. Thomas Hieke, geb. 1968, ist Professor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Leseprobe

Wie es geschrieben steht
Weihnachtliche Motive aus dem Alten Testament


32 Von einer Jungfrau in Betlehem geboren, nach Ägypten geflohen und von dort zurückgerufen Matthäus und Lukas kleiden wichtige Aussagen über Jesus, den Christus, in fantasiereiche Erzählungen von der Kindheit Jesu. Es geht nicht darum, was wirklich war, sondern wer Jesus ist: die Erfüllung der Hoffnungen der Heiligen Schrift. Diese Heilige Schrift, die den Evangelisten vorlag, wurde dann zum ersten Teil der christlichen Bibel, zum Alten Testament.

Ein Plakat kündigt den Auftritt eines großen Opernstars, ein Orgelkonzert oder eine wichtige Kundgebung an viele schauen es an, es findet große Beachtung. Doch nach dem Ereignis ist seine Zeit abgelaufen, das Plakat wird abgerissen und entsorgt. Bisweilen scheint es mit dem Alten Testament ähnlich zu sein: Es kündigt das Kommen des Messias an. Das ist nach Auffassung der Christen mit Jesus von Nazaret erfolgt und so könnte man meinen, das Alte Testament sei erledigt wie ein altes Plakat. Ist das wirklich gemeint, wenn das Matthäusevangelium von der „Erfüllung der Schrift“ spricht? Oder soll das heißen, Gott habe geheime Botschaften im Alten Testament versteckt, die erst die Christen herausgefunden haben, sodass nur sie den Text „richtig“ verstehen?

1Das „Alte“ bleibt gültig


Beide Gedanken sind absurd, der Größe Gottes unwürdig und haben antijüdische Konsequenzen. Christinnen und Christen lesen ihr Altes und Neues Testament dann „richtig“, wenn sie dabei den Jüdinnen und Juden ihre Bibel nicht wegnehmen. In den biblischen Texten steckt mehr, als es auf den ersten Blick scheint, und das literarische und theologische Verhältnis der Testamente ist weitaus tiefer und vielfältiger als bei einem Plakat und dem Ereignis, das es ankündigt. Diesem Geheimnis kann man an drei sogenannten „Erfüllungszitaten“ (Mt 1,22f; 2,56; 2,15) auf die Spur kommen.

Die Evangelisten hatten keine leichte Aufgabe: Wie sollte man es in Worte fassen, dass der lebendige Gott seinen Sohn als Retter in die Welt schickt und dieser Retter ein Mensch wird? (Die Worte fehlten vor allem, weil noch nicht mehrere Jahrhunderte Dogmengeschichte eine angemessene Begrifflichkeit entwickelt hatten.) Wie war diese unerhörte Botschaft zu vermitteln? Woran konnte man anknüpfen, wenn man etwas nie Dagewesenes zu beschreiben suchte?

2Erfüllungszitat I: Jungfrauengeburt und Immanuel


Manchmal kommt man zu einer schwierigen Aufgabe wie die Jungfrau zum Kinde bis in die Redensarten unseres Alltags ist die Formulierung der außergewöhnlichen Menschwerdung Gottes vorgedrungen. Für das Matthäusevangelium ist klar, dass Jesus der Sohn Gottes ist doch der kann nur von einer Jungfrau geboren werden, das weiß man aus der Religionsgeschichte. Hätte der Verfasser einen Computer gehabt, so hätte er „Jungfrau“ und „Kind“ in die Suchmaske eingegeben, und dann wäre er auf Jes 7,14 gestoßen. Der Verfasser brauchte keinen Computer, weil er die Texte besser im Gedächtnis hatte als wir. Jes 7,14 ist die einzige Stelle im Alten Testament, wo von einem Kind einer Jungfrau die Rede ist und das auch nur in der griechischen Version (der sogenannten Septuaginta oder LXX).

Jes 7,14 (hebräischer Text):
„Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die junge Frau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“

Jes 7,14 (griechischer Text der Septuaginta):
„Die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und du wirst ihm den Namen Emmanuel geben.“

Mt 1,22f.:
„Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.“

Liest man die Jesaja-Stelle unvoreingenommen in der hebräischen Fassung, die von einer „jungen Frau“ (hebr. ʿalmā) spricht, so tritt einem ein hoffnungsvolles prophetisches Zeichen entgegen: Der außenpolitisch schwer angeschlagene König Ahas von Juda soll sich keine Sorgen machen; eine junge Frau in seiner Umgebung wird ein Kind bekommen; noch bevor es so weit herangewachsen ist, dass es Gut und Böse unterscheiden kann, wird die außenpolitische Bedrängnis vorbei sein, weil Gott helfend eingreifen wird (Immanuel „Gott mit uns“). So weit reicht die einfache, vordergründige Deutung der Ereignisse von 734 v.Chr.

Aber das Faszinierende an den prophetischen Texten ist, dass sie so offen formulieren, dass sie auch über ihre ursprüngliche Entstehungssituation hinaus Bedeutungen für neue Situationen erlangen können. Möglicherweise sah man in Jes 7 schon drei Jahrzehnte später, im Jahr 701 v.Chr., als die Assyrer Jerusalem belagerten, einen Trost für die Stadt und ihren König. Als nach dem Exil das irdische Königtum Davids in Jerusalem ausgelöscht war, deutete man diese Stelle entweder auf die aus dem Exil heimkehrende jüdische Gemeinde (als lebendigen Beweis für das „Gott mit uns“) oder auf 34 den kommenden Heilsbringer Gottes, den Messias. Wahrscheinlich war es dieser Gedanke, der auch die Wortwahl der griechischen Übersetzer so lenkte, dass sie das Paradoxon formulierten, dass die Jungfrau (parthénos) ein Kind bekommen werde: Die Geburt des Messias wird von einem Wunder begleitet.

Hier findet die christliche Verkündigung von Jesus einen idealen Ansatzpunkt, aber mehr auch nicht. Weder handelt es sich um einen biologischen Beweis, noch behauptet Matthäus, in Jes 7,14 sei von Maria und Jesus die Rede. Die theologische Leistung des Evangeliums besteht vielmehr darin, die offenen Prophetenworte auf das Christusgeschehen hin zu deuten und so eine (nicht die einzig mögliche) Leseweise von Jes 7,14 vorzuschlagen. Von da ab hat Jes 7,14 für Christen eine andere Bedeutung als für Juden. Dass ein Text auf zwei verschiedene Weisen gelesen werden kann, die beide ihre Berechtigung haben, ist literaturwissenschaftlich kein Problem, theologisch sogar ein großer Reichtum.

Auch wenn manche Leserinnen und Leser auf den Aspekt der Jungfrauengeburt fixiert sind, so ist dies doch nicht die zentrale Aussage der Verknüpfung von Altem und Neuem Testament. Matthäus vermittelt mit Jes 7,14 eine entscheidende Aussage darüber, wer Jesus Christus ist: der Immanuel, „Gott mit uns“. Das ganze Evangelium über bleibt es aber ein Rätsel, warum das Kind dann nicht Immanuel, sondern „Jesus“ heißt. Im letzten Satz, den der Auferstandene als Trost an seine Jünger richtet, löst sich das Rätsel:

Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).

Christus ist allezeit mit seiner Gemeinde („Gott mit uns“) und verwirklicht so die Immanuel-Verheißung. Daran zeigt sich erneut, dass „erfüllt“ nicht „erledigt, abgehakt“ heißt, sondern „vollendet“ und „bleibend gültig“: Die Zusage Gottes, mit seinem Volk zu sein, realisiert sich im Glauben der Christen...

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