Erich Benedikt (Wien)
ERGÄNZUNGEN ZUM HISTORISCHEN KIRCHENMUSIK-ARCHIV DER MINORITENPFARRE WIEN-ALSERVORSTADT
ZUR GESCHICHTE DER MINORITEN ZWISCHEN STADTKLOSTER UND ALSERVORSTADT (CIRCA 1780–1800)
Auf die 1689 im Zuge des Wiederaufbaus der Vorstädte nach der Zweiten Türkenbelagerung Wiens errichtete Klosterkirche Zur Heiligen Dreifaltigkeit der Trinitarier an der Alserstraße in der alten Wiener Alservorstadt (geweiht 1698) kamen unter Kaiser Joseph II. in den Wendejahren 1782 bis 1784 tiefgreifende Veränderungen zu. Der spanische Orden der Trinitarier („Weißspanier“) – daher das Patrozinium –, wurde bald nach der Erhebung der Klosterkirche zur Pfarrkirche (25. Februar 1783) aufgehoben (21. November 1783) und das weitläufige Kloster samt Kirche mit 1. Mai 1784 dem Minoritenorden zugeteilt. Die bisherige, seit 1247 bestehende, Klosterkirche des Minoritenordens in der Stadt Zum Heiligen Kreuz wurde der Italienischen Kongregation übergeben und erhielt nach dem neuen Hochaltarbild den Namen Maria Schnee.1 Gleichzeitig begann unter dem Einfluss des frühen Historismus die Entbarockisierung und Regotisierung des Inneren der alten Minoritenkirche in der Stadt; auch große Teile des alten Klosters wurden demoliert. Die bisher vielfach wissenschaftlich tätigen Minoriten wurden mit Seelsorge und Matrikenführung des neuen, gegenüber der „Alserkirche“ liegenden Allgemeinen Krankenhauses betraut.
Parallel zur Veränderung der Pfarrstrukturen erfolgte in den Jahren 1783/84 die Reduzierung der großen Hochämter, Andachten, Vespern (Leopold M. Kantner sprach von einem „Bildersturm gegen die lateinische Kirchenmusik“2), die auch für die Arbeits- und Lebenssituation der Musiker herbe Einschnitte brachte.3 „Die instrumental begleitete Kirchenmusik wurde […] nur in Dom-, Stifts- und Pfarrkirchen gestattet“ (sofern sie von diesen noch bezahlt werden konnte) „und blieb im wesentlichen auf die Pontifikal- bzw. Hochämter an Sonn- und Feiertagen beschränkt. Damit entfiel eine große Anzahl von Gottesdiensten mit orchestraler“ (figuraler, instrumental begleiteter) Kirchenmusik, darunter sämtliche (bisher so zahlreiche) „Vespern, Andachten und Votivämter.“4 Mit 21. Mai 1783 wandten sich die Wiener Kirchenmusiker in einem Schreiben an den Kaiser, um auf ihre Not hinzuweisen.5 Die daraufhin für die zuständige niederösterreichische Landesregierung erstellten Listen zur Situation vor und nach der Umstrukturierung bieten umfangreiche Daten für diese Umstrukturierung des Musiklebens der Wiener Kirchen.6 Dennoch wurden die Reformen wie geplant durchgeführt und waren mit 21. Jänner 1784 endgültig abgeschlossen. Schließlich waren nur mehr am Dom (dessen Kosten traditionell der Wiener Magistrat bestritt) und an der Hofkapelle ein Kirchenmusikensemble vorhanden, ansonsten wurde die Kirchenmusik durch Organist und Chorregent (für den deutschen Gemeindegesang) bestritten; auch viele Musikarchive (v. a. Bestände an Gebrauchsnoten) waren im Zuge der Reformen verlorengegangen oder vernichtet worden.7 Nach Josephs Tod 1790 wurden zwar einige Reformen wieder zurückgenommen, doch blieb der Einschnitt für die Kirchenmusik ein gravierender, der durch die Gründung bürgerlicher Kirchenmusikvereine nur teilweise wettgemacht werden konnte (1828 wurde ein solcher an der Alservorstadt-Pfarre begründet).
Während vielerorts Kulturgüter unwiederbringlich zugrunde gingen, war es ein seltener Glücksfall, dass die PP. Minoriten bei ihrer Zwangsübersiedlung viel Wertvolles mitnehmen konnten8, darunter drei Altäre, Gnadenbilder, Bibliothek und Archiv. Leider weisen nur in eher wenigen Fällen alte Vermerke ausdrücklich und eindeutig nach, was an Kirchenkompositionen noch aus dem Musikarchiv der alten Minoritenkirche mitgenommen worden war, da – wie üblich – die Konvolute mit den Aufführungsmaterialien (Stimmenabschriften) nur selten Provenienzangaben oder Datierungen tragen. Was, wenn überhaupt, aus dem (zurückgelassenen?) Bestand der Trinitarier übernommen werden konnte, ist so gut wie unbekannt. Eine Ausnahme bildet offenkundig die von Friedrich Wilhelm Riedel in seinem 1963 erstellten Katalog9 angeführte, nicht dem Kirchenmusik-Archiv zugehörige Missa SS. Trinitatis in D von Johann Joseph Fux (Inv.Nr. 599) mit autographem Titel und Widmung an Kaiser Leopold I. Diese authentische Partitur ist eindeutig der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit gewidmet, also der zur Entstehungszeit des Werkes noch lange dem Trinitarierorden zugehörigen Alserkirche (vermutlich entstand die Messe 1695 zur Grundsteinlegung). Das Werk (samt Gradual-Triosonate) ist nur hier erhalten und steht im solennen Stil für Doppelchor, zwei Violinen, drei Violen, drei Posaunen und Orgel (vermutlich auch Violone).10 Schon unter den Trinitariern gab es an dieser Kirche bis 1783 ein fast den Minoriten in der Stadt vergleichbares Musikensemble:
„XXV Pfarr bey den Trinitariern
| | | Vormalige | dermalig angetragene | mithin weniger um |
192 | Anton Widmann | Sopranist | 36,— | 19,42 | 16,18 |
193 | Joseph Dorfinger | Altist | 36,— | 19,42 | 16,18 |
194 | Franz Groman | Tenorist | 36,— | 19,42 | 16,18 |
195 | Mathias Stipa | Passist | 36,— | 19,42 | 16,18 |
196 | Gerhard Klemp | Violinist | 30,— | 18,42 | 11,18 |
197 | Johann Rizy | Violinist | 30,— | 18,42 | 11,18 |
198 | Jakob Skinner | Violinist | 30,— | 18,42 | 11,18 |
199 | Joseph Aigner | Violinist | 30,— | 18,42 | 11,18 |
200 | Joseph Prigel | Violoncellist | 30,— | 18,42 | 11,18 |
201 | Joseph Wenig | Violonist | 30,— | 18,42 | 11,18 |
202 | Joseph Haida | Organist | 112,40 | 53,– | 59,40 |
203 | Stephan Petz | Kalkant | 36,12 | 31,42 | 4,30 |
204 | Joseph Pable samt Beyschaffung der Saiten | Regens Chori | 120,— | 41,40 | 78,56 |
205 | für Trompeten und Paucken | | 63,38 | 41,35 | 22,30 |
206 | zur Musick Verstärkung in Hauptfesten | | 30,21 | 30,21 | —,— |
Die vormalige Besoldungen waren theils von dem Kloster, theils von den Bruderschaften mit dem Regens Chori kontraktmäßig bestanden, die dermaligen aber nur mit dieser Bedingniß, solang das Kloster und die Bruderschaften selbe zu unterhalten vermögen.“11
Dass Namen und Pauschalbeträge für Trompeter und Pauker sowie für instrumentale und vokale Verstärkung an hohen Festen angeführt werden, ist eine Ausnahme. Der Organist Joseph Heyda/Hayda war auch als Komponist bekannt und wurde oft mit Joseph Haydn verwechselt. Aber auch die vorhandenen alten Abschriften von zwei seiner Messen belegen nicht zwingend deren Herkunft aus dem alten Trinitarierarchiv, da seine Musik auch andernorts überliefert ist, auch in Joseph Haydns Eisenstadt.
Zum Vergleich seien hier die Angaben der alten Minoritenkirche in der Stadt aus demselben Verzeichniß Über sämtliches Musick-Personall samt ihrer vorhin dermaligen bezohlten Besoldung angeführt:
„XXXVI Minoriten Kirche
| | | Vormalige | dermalig angetragene | mithin weniger um |
330 | P. Mauritz Hofman Minorit | Passist und Regens Chori | 75,24 | —,— | 75,24 |
193 | Joseph Dorfinger | Altist | 36,— | 19,42 | 16,18 |
331 | Ferdinand Hofman | Tenorist | 75,24 | —,— | 75,24 |
332 | Antonia Hofmanin | Diskantistin | 74,54 | —,— | 74,54 |
333 | 2 Knaben von St: Dorothe12 | Diskantist und Altist | 75,24 | —,— | 75,24 |
334 | Johann Hofmann | Violinist | 72,54 | —,— | 72,54 |
335 | Franz Rotmüller | Violinist | 72,54 | —,— | 72,54 |
336 | Anton Teyber | Violinist | 52,— | —,— | 52,— |
337 | Anton Franz | Violinist | 40,— | —,— | 40,— |
338 | Franz Teyber | Organist | 76,19 | —,— | 76,19 |