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E-Book

Suranadira

Buch II

AutorArmands Strazds
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl324 Seiten
ISBN9783744881135
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Spätestens seit der Leibnizschen Schrift "Zur allgemeinen Characteristik" wissen wir, wie wichtig und wie schwer es ist eine Universalsprache als Zeichensystem zur Abbildung der Zusammenhänge und Gesetze der Wirklichkeit zu entwickeln. In seinem 2017 erschienenen Buch "Suranandira: Der Fluss des Himmels und der Töne" wählt Armands Strazds einen neuen Weg um sich diesem Ziel zu nähern, die mathematische Semiotik. Ist es endlich jemandem gelungen das Rezept zur Herstellung des von Leibniz vorausgeahnten "neuen Organs" zu finden, das "die Leistungsfähigkeit des Geistes weit mehr erhöhen wird, als die optischen Instrumente die Sehschärfe der Augen verstärken und das die Mikroskope und Fernrohre im selben Maße übertreffen wird, wie die Vernunft dem Gesichtssinn überlegen ist"?

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Leseprobe

Vorwort


Das Rationale ist das Vernünftige. Es ist das, was gut überlegt sein will. Das, was uns sinnvoll erscheint, wenn wir genau darüber nachdenken. Dort, wo die Ratio weilt, entsteht das Rationale.

Dann müsste eine rationale Zahl also eine vernünftige, eine überlegte, eine sinnvolle Zahl sein? Wir müssten solchen Schluss wohl ziehen, wenn wir so über "rational" dächten, wie eben angedeutet. Vermutlich meinen wir wohl ganz gern, die Vernunft solle walten, mehr vielleicht als das Gefühl; auf das wohl überlegte Urteil käme es an, weniger auf die dumpfe Empfindung. Das Urteil solle gelten, das aus strikter Anwendung der Ratio entspränge, denken wir vielleicht. Jenes Urteil halten wir für vernünftig, das so ausfällt, wie es ausfällt, wenn nichts als rationale Überlegungen zu ihm führen.

Die Franzosen der Zeit ihrer Revolution müssten uns wohl zustimmen. Denn ihnen ging es um Vernunft. War sie nicht sogar im Rang einer Göttin? Dennoch endete ihre Revolution in einer fast schon industriellen Abhackerei von Köpfen. Und später dann in Kriegszügen des Machthabers, der aus der Schlachterei hervorkam. Das ist die Vernunft?

Treten wir von der Geschichte hinüber in die Welt des Geistes, zur Mathematik. Sie kennt, unter manchen anderen, die rationalen Zahlen. Mehr oder minder wissen wir, was die sind. Gefragt nach ihnen, sagen wir vielleicht: "Oh, 1/2 ist doch eine rationale Zahl, oder auch 5/7". Wir sprechen das aus als "ein halb" und "fünf Siebtel". Doch das sind nur Beispiele, wenn es welche sind, und Beispiele sind gut, aber zur Klärung der ganzen und allgemeinen Frage recht hilflos.

Einige von uns haben später auch gelernt, dass Zahlen Äquivalenzklassen seien. Es werden nicht viele sein, die das sagen und die fortfahren, zu erläutern, was das denn sei, eine "Äquivalenzklasse". Es sind Klassen, deren Elemente zueinander in einem bestimmten Sinne äquivalent sind. Wir können das etwas schärfer fassen, ohne gleich hier – in einem Vorwort! – unangenehm komplex werden zu müssen.

Nehmen wir beliebig eine ganze Zahl a und eine natürliche Zahl b, die nicht gleich Null sein soll. Dann stiftet das Paar (a, b) auf folgende Weise eine Äquivalenzklasse: Ist (c, d) ein anderes solches Paar und ist a * d = b * c, dann gehören beide diese Paare gemeinsam zu einer Äquivalenzklasse. Jedes der beiden Paare repräsentiert diese Klasse, und es gibt unendlich viele Mitglieder der Klasse; jedes andere Mitglied kann als Repräsentant genommen werden.

War etwa unsere Wahl von (a, b) auf (7, 3) gefallen, so ist (14, 6) ebenfalls in der Äquivalenzklsasse, denn 7 * 6 = 3 * 14. Das mag schön und gut sein. Was aber hat es mit der Ratio zu tun?

Alles, was wir haben, ist doch, dass wir eine Art von Gleichheit eingeführt haben, eine Äquivalenz von Paaren von Zahlen. Sicherlich, das ist geschehen in einem Akt mathematischer Art, und falls alles, was wir mathematisch tun, als "rational" empfunden wird, so wäre auch unser kleines Spiel mit Paaren ein Akt der Ratio, den wir vielleicht willens wären, mit einem eigenen Namen für die so betrachteten Paare von Zahlen besonders zu würdigen, indem wir die Paare "rationale Zahlen" nennen würden. Die rationalen Zahlen wären auf Grundlage der natürlichen und der ganzen Zahlen geschaffen. Doch der vernünftige Alltags-Verstand würde sagen, wieso ist denn plötzlich ein Paar von Zahlen eine Zahl? Und wir müssten ihm wohl Recht geben in seiner Empfindung.

Im Alltag allerdings würde jeder spätestens jetzt sagen, eine rationale Zahl sei doch eine Bruchzahl oder der Wert eines Dezimalbruchs, ein endlicher oder ein periodischer solcher Bruch. In unserem Beispiel haben wir: Der Wert von (7, 3) ist "7 geteilt durch 3", also 7 : 3 = 2,333..., wobei die Punkte andeuten, dass diese Rechnerei nie aufhört, sondern auf die immer gleiche Weise weitergeht. Wir sagen, die Zahl, die wir betrachten, also das durch (7, 3) repräsentierte Paar, habe in dezimaler Schreibweise einen Wert von 2,3. Den Unterstrich lesen wir als "Periode 3".

So hätten wir dann in den ominösen Paaren von ganzen Zahlen die Dezimalbrüche gewonnen. Etwas genauer aber sagen wir: eine Darstellung der Werte von Zahlen haben wir gewonnen, die wir die rationalen nennen und die wir begrifflich als Paare eingeführt hätten. Die Gewinnung und Zuschreibung eines Wertes ist ein zusätzlicher Akt für den Tagesgebrauch. Begrifflich bringt er nichts Neues.

Vor allem aber stellen wir fest, dass hier nichts so irgendwie, wir wissen nicht genau, wie nun eigentlich, stattfindet. Vielmehr ist alles genau und nicht anders, obwohl uns nichts dazu zwingt, es so zu tun. Wir haben Zahlen gewonnen, die Verhältnisse von Zahlen ausdrücken, wir haben damit die Welt der natürlichen und der ganzen Zahlen erweitert, wir haben also ein Mehr an Rationalität gewonnen (sollen wir das so sagen?). Und wir freuen uns darüber, begrüßen die Neuankömmlinge und bieten ihnen den Namen "Rationale Zahlen" an.

Schön und gut. Warum das aber – in all seiner Umständlichkeit – hier und so? Die Dissertation, die hier vorliegt, handelt von Rationalzeichen. Keine Frage, Zahlen sind Zeichen. Also handelt Strazds von etwas Allgemeinerem als von Zahlen. Das steht zu vermuten und vielleicht erweist sich die Vermutung auch als tragfähig. Ich ahne aber eine leichte Unruhe bei Armands Strazds. Wieso?

Als die Dezimalzahlen auftauchten, wussten wir, dass wir zehn symbolische Zeichen allem Weiteren zugrunde legen mussten. Die zehn waren uns auch wohlvertraut, so wie allen anderen Schulkindern auch, rund um den Globus. Sie alle lernen die zehn wundersamen Zeichen, die auf uns gekommen sind von den Indern und Arabern. In dem Zeichensatz, der hier für den Druck verwendet wird, sehen sie (in leichter Vergrößerung und halbfettem Schnitt) so aus:

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

In anderen Zeichensätzen sehen sie anders aus, aber nicht zu sehr anders, etwa so:

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 oder so

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

und wir wissen, dass es nahezu beliebig viele solche Notate der zehn dezimalen Ziffern nach indisch-arabischer Herkunft gibt1. Der menschliche Geist und sein nicht sonderlich rationales Empfinden für Schönheit schwelgt geradezu darin, noch einmal eine andere Art und Weise des Notierens der zehn Ziffern vorzulegen und noch einmal eine, und er scheint nicht zu ermüden bei solchem ästhetischen Geschäft.

Armands Strazds jedoch, unser Autor, so hatte ich angekündigt, würde – zurückhaltend zwar, aber immerhin – vielleicht Zeichen eines gewissen Unbehagens von sich geben. Sein Unbehagen beruhte darauf, dass er sich kritisch zu diesen völlig beliebigen, lediglich einer Konvention verpflichteten zehn Zeichen verhielte. Er würde zwar konzedieren, dass die Schreibweise größerer und sehr großer Zahlen mit Hilfe einer (uns wieder bekannten) Stellenwert-Konvention, fußend auf den zehn Ziffern, eine ökonomisch nicht ungünstige sei, dass weiters auch zuzugeben sei, das Rechnen ginge ganz gut mit solchen Vereinbarungen, doch er würde einwenden (und dies mit freundlichem, aber entschiedenem Eifer), dass die zehn Ziffern doch gar nichts, aber auch gar nichts mehr seien als Darstellungen, und dass sie in keiner Weise, aber auch in gar keiner Weise etwas von den "Werten" preisgäben, für die sie stünden.

Zahlzeichen und Zahlwert klafften, so würde Strazds wohl einwenden, in jedem einzelnen Fall auseinander. Das würde er anmerken – nur, um den Startpunkt zu liefern für das, was er dann tut und anbietet: nämlich eine Notation für die natürlichen Zahlen, die diesen Mangel nicht aufwiese. Davon handelt seine Schrift, die er hier dem Publikum übereignet.

Strazds' Absicht ist es schlicht – und gleichzeitig auch kühn – die natürlichen Zahlen so zu notieren, dass die Notation gleichzeitig auch den Wert der Zahl preisgibt. Wir mögen ja meinen, dass 1 den Wert der ersten natürlichen Zahl in dem Sinne notiert, dass wir ihn ihr ansehen. Doch das trifft nicht zu. Das Zeichen 1 ist erstens als solches eine pure Erfindung und Konvention, und zweitens ist es als Zuordnung zum oder als Codierung vom Wert der ersten natürlichen Zahl ebenfalls eine pure Konvention. Diesem unerbittlichen Charakterzug der Dezimalziffern aber hat Strazds – wenn nicht den Krieg erklärt, so doch – die Gefolgschaft versagt.

Ein bisschen schlicht gesagt, möchte er statt der sattsam bekannten puren Symbolik der Zahlzeichen eine Ikonik einführen. Eine radikale Ikonik, die vielleicht über ihren Anlass hinauszielt: Denn ist es nicht so, dass die Zahlen selbst schon pure Vereinbarungen und Erfindungen sind? Und ist es nicht so, dass die dezimale Stellenwert-Schreibweise eine der wenigen den Globus total erfassende Notation eines...

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