MEIN SWITCH
Ich bin im Burgenland aufgewachsen und wurde Ingenieur, weil mein Vater das so wünschte. Hat mir zwar nicht sehr viel Spaß gemacht, trotzdem habe ich die HTL-Mödling abgeschlossen. Mein Vater hatte dann gleich noch einen Job in einer Elektro-Firma für mich. Für den ich dankbar sein musste. Drei Stunden täglich pendelte ich im Zug vom Burgenland nach Wien und zurück, für einen Job, der mir alles andere als Spaß machte, unter einem Projektleiter, der dumm, dreist, ungerecht und bösartig war. Nach anderthalb Jahren Leidenszeit verabschiedet sich im Zug ein Mitpendler von mir. Ich frage: „Und wo gehst du hin?“, und er sagt: „Ich habe gekündigt“. Ich: „Du kannst doch nicht kündigen!“ Und er: „Oh doch, ich möchte mich einfach verändern.“
Kündigen war nicht in meinem Programm gespeichert. Ich wurde erzogen mit: Kündigen tut man nicht, man bleibt sein ganzes Leben bei einer Firma.
Vom Ingenieur zum Croupier…
Ein paar Tage später stehe ich vor der Assistentin des Geschäftsführers und sage: „Ich kündige.“ Meine Eltern sind gar nicht begeistert. Mein Vater hätte gerne den Rohrstock wieder aktiviert. Ich liebe meine Mutter. Aber ich muss weg. Ich habe mir sofort in Deutschland einen Job als Fahrzeugelektroniker gesucht. Das hat ein bisschen mehr Spaß gemacht, außerdem war der Verdienst sehr gut. Trotzdem war es einfach nicht meins.
Das Schicksal wollte, dass ich eines Tages mit einem burgenländischen Pärchen ins Casino in Wien ging. Ich sitze neben einer feinen älteren Dame. Das Flair hat mich gleich fasziniert – und verspielt war ich sowieso schon mein ganzes Leben. Auf jeden Fall frage ich die Dame, wie man denn eigentlich Croupier wird. Ihre Antwort: „Man braucht nur Matura und bewirbt sich dann. Der Kurs ist aber nicht leicht.“
Nach ein paar Monaten arbeitete ich als Croupier, verdiente drei mal so viel wie als Ingenieur und fühlte mich wie im Paradies. Meiner Meinung nach kann diese Arbeit auch ein Orang-Utan lernen. Aber das Casino-Dasein ist spannend, und alle haben mich um dieses Leben beneidet. Das Image eines Croupiers lag damals übrigens gleich hinter dem eines Arztes oder Piloten.
… zum rauchenden 103-Kilo-Mann
Ich entdeckte meine lustigen burgenländischen Gene. Meine größte Sorge war: Wohin gehen wir aus? Aber es gab auch eine Kehrseite. Vom Gelegenheitsraucher habe ich auf 60 Zigaretten täglich aufgestockt und viel getrunken, viel gepokert oder Black Jack gespielt.
Dann bin ich im Casino zum Saalchef aufgestiegen. Zum Faultier abgestiegen. Als Croupier musste man sich zumindest noch ein wenig mehr bewegen. Als Saalchef geht man nur ein bisschen herum, kümmert sich um die High-Limit-Gäste, trinkt mit ihnen den einen oder anderen Cognac. Ich stellte sowohl Fußball als auch Tennis ein. Ich wuchs von 75 Kilo zu stattlichen 103 Kilo heran. Kostete das Casino alle sechs Monate ein neues, größeres Outfit.
Endlich Nichtraucher – und aktiv
Dann kam ein schicksalhafter Tag. Im April 1999 lief eine Sendung über die Nichtraucher-Organisation Alan Carr. In einer Nachtschicht saß ich mit meinen 103 Kilo im Casino-Sessel und erzählte Michi: Ich werde mit dem Rauchen aufhören. Ich werde wieder abnehmen. Ich werde wieder Sport treiben. Ich werde Sascha wieder im Tennis schlagen. Am 5. September 1999 war ich nach sieben Seminar-Stunden Nichtraucher. Was dort genau passiert ist, weiß ich bis jetzt nicht, aber es hat gewirkt. Ich kassierte eine schöne Wett-Summe von meinen Casino-Kollegen ab. Ich verließ das gemütliche Faultierdasein und begann gleich wieder damit, mich täglich sportlich zu betätigen. Eines Nachts quetschte ich eine Kollegin aus, die wegen ihrer Migräne oft zum Fasten ging. Meine Ärztin befand Heilfasten schließlich als gut für mich und riet mir zum Fastenzentrum Pernegg in Niederösterreich.
Mein erstes Blind-Date mit dem Fasten
Am nächsten Tag rief ich in Pernegg an (Google gab es ja noch nicht) und erkundigte mich nach dem nächsten Termin. Der sei im November 1999. Die Dame am Telefon merkte an, dass das aber ein 14-tägiger Fastenkurs sei. Mir war´s egal, ich wusste sowieso nicht, wie lange so etwas dauert, und habe mich angemeldet. Sie sagte mir dann noch, dass es sich um einen Kurs mit Exerzitien handle. Ich: „Um Himmels Willen, was ist das denn?“ Sie: „Mit religiösen Übungen.“ Ich: „Wird mir auch nicht schaden.“ Die Rezeptionistin: „Das hat noch niemandem geschadet!“
Per Post bekam ich ein paar Tage später die Packliste. Was ein Irrigator (Einlaufgerät) ist, habe ich bis dato nicht gewusst. In der Apotheke ist mir die Röte ins Gesicht geschossen. Brav wie ich bin, packte ich alles mit ein, was auf der Liste stand. Wandersachen musste ich mir jedenfalls neu kaufen. Genauso wie diesen merkwürdig aussehenden Irritator, äh -gator.
DER RUF DER FASTEN-FESTUNG PERNEGG
Wie ich, ausgebremst durch Nebel und Sturm, endlich in Pernegg ankomme, beschleicht mich das leise Gefühl, bei der Addams Family gelandet zu sein. Es war schon dunkel, die Bäume bogen sich im Wind, alles feucht, düster, nebelig…
Ich stürmte mit all meinem Gepäck das Foyer wie Reinhold Messner, nur ohne Eisen und Pickel, aber mit neuem Wanderrucksack, Wanderschuhen und vielen Taschen. Ich bin da sehr ehrgeizig. Das darf dann schon auch in Markenwanderklamotten sein. Dort sitzen sieben Damen einschließlich der Fastenleiterin, die schon auf mich warten. Drei Ärztinnen, eine Blindenbetreuerin… alle sehr sozial eingestellt. Und ich komme aus dem Casino, wo man von lauter sehr traurigen Menschen umgeben ist, die viel Geld verlieren oder Existenzen vernichten. Ich berichte, dass ich mit dem Rauchen aufgehört habe – und erwähne das Casino nur so nebenbei.
Es folgte der Fastenvortrag mit der Erklärung zum Einlauf. Ich dachte: So, Du fährst sofort wieder nach Hause. Nachdem im Casino aber wieder Wetten abgeschlossen wurden, dass ich das eh nicht durchstehe, blieb ich dort. Meine damalige, meine erste Fastenleiterin – eine der besten, die ich je kennengerlernt habe (und ich bin jetzt 20 Jahre dabei) war da sehr dogmatisch, ließ einem eh keine Alternative. Ich bin heute in meinen Kursen ein bisschen gnädiger. Wie so vieles in meinem Leben, habe ich auch meinen ersten Einlauf überstanden.
Nach drei bis vier Tagen fühlte ich mich wie neugeboren. Ich lag im Bett und fühlte, dass nach langer Zeit Körper und Geist wieder Eins waren.
Früher hat der Geist gemacht, was er wollte, und der Körper hat gelitten. Also habe ich zu meinem Körper gesagt: „Wenn Du mir jetzt noch einmal verzeihst, verspreche ich Dir, dass ich mein Leben verändern werde.“
Nach 14 Tagen Fasten hatte ich 9 kg abgenommen. Ich war auch bei allem dabei, was angeboten wurde – aktives Erwachen, Gymnastik, Wandern… Wieder einmal war ich total ehrgeizig. Doch damit habe ich mich wohlgefühlt. Von Vorteil ist, wenn man einmal sehr sportlich war, kommt man wieder leicht dorthin zurück.
In der zweiten Woche kamen die Exerzitien mit Pater Sebastian dazu. Ich machte nicht nur die Bewegungseinheiten, sondern auch die geistigen Übungen alle mit. Die Exerzitien hatten aber nichts mit dem katholischen Glauben zu tun, sondern waren einfach Lebensübungen. Und Pater Sebastian ist einzigartig (lest das Interview in diesem Buch mit ihm), aber eigentlich kann man das mit Worten gar nicht beschreiben! Heute ist er ein sehr guter Freund von mir, der mich durch dick und dünn begleitet. Und dafür steht er ganz oben auf meiner Lebensdankbarkeitsliste.
Mein erster Marathon
Nach den beiden Fastenwochen habe ich sofort im Casino gekündigt.
Und wieder das gleiche Szenario. Alle wollten es mir ausreden. Keine Chance. Motiviert von meiner Fastenleiterin stellte ich rigoros meine Ernährungsgewohnheiten um, bin wieder laufen gegangen. Ich lebte ein ganzes Jahr nur für mich. Habe 20 kg abgenommen und bin von 5 Minuten Laufen/5 Minuten Walken auf 2 Stunden Laufen gekommen und bewältigte nach anderthalb Jahren meinen ersten Marathon.
Im Mai, zu meinem Geburtstag, hatte ich dann eine Krise, weil ich eigentlich nicht wusste, wie es weitergehensollte. So bin ich wieder zum Fasten nach Pernegg zu Pater Sebastian, der mich aufgepäppelt hat. In diesem einen Jahr war ich dreimal Fasten. Es genügt die Fahrt zu einem Fastenkurs und schon habe ich keinen Hunger mehr. Das sitzt im Kopf. Im Oktober war ich dann nochmals Fasten. Während einer Shiatsu-Massage fragte mich mein Masseur, ob ich schon wisse, wie es in meinem Leben weitergeht. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich schon einen Plan habe und Richtung Massage gehen will. Da hat er mir gesagt, dass es in Gars am Kamp bei Prof. Willi Dungl eine sehr gute Ausbildung gibt. Ich bin dann gleich zur Rezeption und habe im Dungl-Zentrum angerufen. Eine Stunde später bin ich in der Ordination von...