Unkommunikativ in einem kommunikativem Zeitalter
1.0 Einführung
Ganz besonders in den letzten zwei Jahrzehnten sind der schnelle Informationsaustausch über große Entfernungen sowie der leichte Zugang zu Informationen zu markanten und bedeutsamen Merkmalen der menschlichen Gesellschaft geworden.
Die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist das natürliche Ergebnis der sich über Jahrhunderte entwickelten Formen der Verständigung. Gesten, die Entwicklung der Sprache und die Notwendigkeit, sich an gemeinsamen Handlungen zu beteiligen, spielten in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle.
Um Handels- und andere Beziehungen zwischen den Nationen und Reichen zu pflegen, war die regelmäßige Verständigung über größere Entfernungen unerlässlich.
2.0 Attraktivität des Fernsehens
Der Fernseher gewinnt immer mehr an „Anhänger“. Die große Auswahl an Sendern und die Programmvielfalt machen den Fernseher attraktiver. Immer neue Filme, Serien, Shows und andere „Produkte“ werden dem Zuschauer präsentiert und vorgeführt, so dass eine bestimmte Anziehungskraft zwischen Fernseher und Zuschauer entsteht.
Besonders Kinder können sich gegen diese Anziehungskraft nicht währen. Zu verlockend sind die auf dem Bildschirm tanzenden Figuren. Man zieht die Pokemon-Kämpfer ganz natürlich den Hausaufgaben oder anderen Aktivitäten vor.
Fernsehen ist die wichtigste mediale Tätigkeit für alle Altersgruppen. Fernsehen ist darüber hinaus eine Tätigkeit, die einen Großteil der Freizeit der Menschen jeden Alters verschlingt. Hier lohnt es sich die Daten der kleinsten untersuchten ZuschauerInnen, der 3 bis 13-Jährigen anzusehen1:
| Sehdauer in Min. | Seher in% | Verweildauer in Min. |
mit eigenem Fernsehapparat | 124 | 66 | 181 |
mit eigenem Fernsehapparat | 123 | 66 | 183 |
mit eigenem Fernsehapparat | 126 | 68 | 179 |
Wir sehen neben Zahlen und Prozenträngen, hierbei drei wichtige Dinge. Erstens können wir feststellen, dass insgesamt Kinder mehr als anderthalb Stunden pro Tag fernsehen. Zweitens fällt auf, dass die Verweildauer vor dem Fernsehapparat bedeutend höher ist. Zwei ein Viertel Stunden halten sich die Kinder vor dem Fernsehapparat auf. Zum dritten wird deutlich, dass Kinder mit einem eigenen Fernsehapparat täglich fast eine halbe Stunde länger fernsehen bzw. sich zwei dreiviertel Stunden vor dem laufenden Fernsehgerät aufhalten.
3.0 Selbständigkeit der Kinder
Die Eltern von Kleinkindern befinden sich ständig in einem sogenannten Konkurrenzkampf mit dem Fernseher. Für manche Eltern spiegelt Konkurrenz mit dem Fernsehgerät ihr mangelndes Vertrauen in die Fähigkeit ihrer Kinder wider, sich selbst zu unterhalten (Winn, 1979, S. 194). Der Gedanke, dass die Kinder sich nicht ohne irgendeine Anregung allein beschäftigen können, lässt den Müttern die einfachere Wahl treffen: „Geht fernsehen!“
In vielen Familien bestimmen die Kinder ihre Freizeit natürlich selbst, indem sie das Fernsehgerät einschalten. Aber selbst in den Familien, in denen der Fernsehkonsum eingeschränkt wird, verringert sich die Freizeit der Kinder drastisch durch den Konkurrenzkampf, den die Eltern gegen die Flimmerkiste führen (Winn, 1979, S. 195). Denn solange das Fernsehen mit all seinen Attraktivitäten ständig zur Verfügung steht, gibt es keinen Augenblick im Tagesablauf eines Kindes, wo es „nichts zu tun hat“. Der Fernseher bietet ja immer etwas.
Der Fernseher unterhält die Kinder. Dadurch verlieren die Kinder an Kreativität und Fähigkeit, sich selber zu unterhalten. Es verstärkt die Unselbständigkeit des Kindes. Um dem entgegenzuwirken müssen die Eltern die Kinder dazu verleiten, ihre „inneren Kräfte“ zu finden. Das Kind muss seinen eigenen Fähigkeiten zutrauen. „Denn das ist die primäre Funktion der freien Zeit im Leben eines Kindes: ihm die notwendige Gelegenheit zur Verringerung seiner Abhängigkeit von seinen Bezugspersonen und zur Entwicklung seiner eigenständigen Persönlichkeit zu geben“ (Winn, 1979, S. 197).
Nur durch dieses selbstgesteuerte Tun kann das Kind ein Selbst entdecken. Unabhängig von anderen Menschen und Objekten.
Ohne solche Erfahrungen wird das Kind zwar schließlich auch von seinen Eltern unabhängiger werden, aber es wird ein passiver statt aktiver Teilnehmer des Lebens.
3.1 Freie Zeit
Es sieht ganz so aus, als würde der Fernseher die „freie Zeit“ der Kinder einschränken oder dem sogar ein Ende setzen. So ist Fernsehen eine weniger kreative Beschäftigung in der sogenannten „freien Zeit“.
Der Begriff von „freie Zeit“ ist eigentlich gar nicht so richtig. Zeit ist nicht etwas Reales. Also kann es auch keine Attribute wie „frei“ oder „nicht frei“ besitzen. Es ist nur real in Relation zu der Person, die sie erlebt.
„Freie Zeit muss als Definition der Person verstanden werden, die diese bestimmte Zeit erlebt, nicht der Zeit selbst; das heißt, freie Zeit ist eine Zeit, in der ein Mensch frei von bestimmten Beschränkungen ist, die seiner Zeit sonst auferlegt werden, eine Zeit, die er nach eigenem Willen, nach eigenem Rhythmus, nach eigenem Geschmack gestalten kann, frei von allen Zwängen und Forderungen, die er nicht selber schafft“ (Winn, 1979, S. 198).
Freie Zeit ist also demnach, eine Zeit, in der es keine bestimmten Beschränkungen für den Menschen gibt, was er mit dieser Zeit anfängt.
In den ersten Lebensjahren hat ein Kind (ein Säugling) das Bedürfnis, seine Zeit in bestimmter Weise zu füllen. Da aber ein Säugling seine Zeit nicht allein gewinnbringend nutzen kann, schalten sich hier die Eltern ein. Sie sorgen für die geistliche Entwicklung des Säuglings. In diesem Alter werden die Kinder von menschlichen Kontakten entscheidend beeinflusst. Sie nehmen die Kinder in die Arme, spielen mit ihm und füllen dessen Zeit.
Mit dem Erreichen des dritten Lebensalters ändert sich diese Situation. „Die Intensität seiner (der Kinder) Verbundenheit mit der Mutter lässt deutlich nach. Es schreit und weint nicht mehr verzweifelt, wenn die Mutter weggeht“ (Winn, 1979, S. 200). Es beginnt Unabhängig zu werden.
Doch dieser erste Schritt in Richtung Unabhängigkeit wird von einer anderen Abhängigkeit verhindert: nämlich dem Fernseher. In diesem Lebensalter verbringt das Kind erstmals längere Zeit vor dem Fernseher. Das Kind erlebt eine neue Erfahrung. Es zwingt ihn wieder zu einer, zwar vorübergehenden, Abhängigkeit und Unselbständigkeit. Fernsehen in dieser Phase fördert die Regression des Kindes. Die Selbstgestaltung wird eingeschränkt und Passivität wird erzeugt.
„Gerade, wenn es im Begriff ist, seine infantile Hilflosigkeit zu überwinden, wird das Kind durch die Verlockung des Bildschirms erneut in die Passivität zurückgedrängt“ (Winn, 1979, S. 201).
Sobald das Kind ein Alter erreicht, in dem es fähig ist, sich seine Zeit selber einzuteilen und zu gestalten, füllt es nun seine Zeit durch das Fernsehen. Dies führt zur Einschränkung seiner Freizeit und Beraubt ihm die Gelegenheit zur Wiederherstellung und Erneuerung seines Selbst (Winn, 1979, S. 202). Beim Fernsehen hat das Kind wenig Macht über die Zeit.
Mit der Beschäftigung mit dem Fernseher wird die Zeit natürlich auch „gefüllt“, aber es ist keine „freie Zeit“ in dem Sinne, da der Bildschirm, den Zuschauer davon abhält, irgendetwas anderes zu tun, als zuzuschauen und zuzuhören. „Sein Wille existiert nicht“ (Winn, 1979, S. 204).
Die eigenen Gedanken werden sozusagen ausgeschaltet beim Fernsehen. Die eigene Phantasie, wie beim Lesen, oder die eigenen Gedanken, wie beim Spiele erfinden, spielen hier keine Rolle mehr. Der Fernseher, bzw. die Sendung übernimmt nun diese Aufgabe.
Das Kind hat dadurch keine Möglichkeit zu erfahren, dass sein Glück und sein Wohlergehen vom eigenen Verhalten abhängen.
4.0 Das verlorene Paradies
Als die Kinder anfangen, sich von der Mutter zu lösen, und eine sozusagen Unabhängigkeit entwickeln, vollzieht die Mutter eine schwierige Umstellung....