Kapitel 2:
Basis-Techniken – Taihen Waza
Alles hat einen Ursprung … einen Kern … eine Basis. Erst daraus kann eine Entwicklung zur Vollständigkeit erfolgen. So ist es auch im TAISHIN RYU KOBUJITSU. Man kann nicht gleich mit dem Waffentraining loslegen, sondern es werden gewisse Grundkenntnisse und Körperbefähigungen benötigt,um sich dem umfangreichen Studium der Waffenkünste widmen zu können.
TAIHEN WAZA sind Basistechniken. Sie beinhalten neben der Fallschule (UKEMI ) sowie un-/ bewaffneten Kampfstellungen und -haltungen (JIGOTAI DACHI und BUKI KAMAE ) auch Grundübungen (SUBURI KEIKO ), sowie Waffenzieh- und Wegstecktechniken (IAI WAZA ) und darüber hinaus Formen des „sich bewegens“ (SABAKI ).
Alle diese Basis- und Grundtechniken erfordern ein gewisses körperliches (und auch mentales) Geschick und sind Grundvoraussetzungen zum Erlernen der weiteren (Waffen-) Techniken.
2.1 Fallschule – UKEMI
Vor dem Werfen ist das richtige Fallen angesagt. Nicht nur ein dynamischer Wurf bringt jemanden zu Fall, nein, auch andere reale Situationen bringen einen dazu. Beispielsweise in der Hektik einer Auseinandersetzung in unwegsamem Gelände bei schlechten Sichtverhältnissen, eingebettet mit der Angst und der Gefahr, verletzt zu werden. Dies sind reale Szenarien, die nicht nur früher auf dem Schlachtfeld denkbar waren, sondern auch heute in der modernen Welt.
„UKEMI“ ist die Schule des richtigen Fallens mit und ohne Waffen, durch die der Schreck des Fallens aufgrund eines möglichen Wurfes oder anderen Gleichgewichtsverlustes gemildert wird. Trainiert wird auch, das Gleichgewicht des Gegenübers zu brechen und dann zu werfen, um ihn dann besiegen zu können.
Beinhaltet sind auch schulmäßige Fallbewegungen unter realistischen Verteidigungsbedingungen, indem der Fallende von hinten, vorne, der Seite gestoßen wird, die Beine weggezogen bekommt und anschließend einer Bedrohung standhält, sowie Schlag-/Tritt-und Waffenangriffe u.ä. abwehrt.
Eine umfassende Fallschule berücksichtigt auch das Aufheben von Gegenständen und Waffen in der Phase des Fallens sowie das richtige Fallen über etwaige Hindernisse.
2.2 Verteidigungsstellung und Waffenhaltung – JIGOTAI DACHI und BUKI KAMAE
Im „TAISHIN RYU KOBUJITSU“ ist eine ausgewogen flexible und praktikable Verteidigungsstellung und Waffenhaltung unabdingbare Voraussetzung für das Erlernen der „ alten Waffenkünste“. Es bestehen aber je nach Waffengattungen verschiedene Variationen, worauf später noch eingegangen wird. Die Beschreibung der Verteidigungsstellung bezieht sich überwiegend auf die untere Hälfte des Körpers, bzw. auf die Position der Füße im Stand. Inhalt ist aber auch die richtige Verteidigungs- und Waffenhaltung der Arme und der Hände. Schwerpunkt ist daher insgesamt das Erlernen der richtigen Kampfhaltung. Der Oberkörper bleibt bis zum Becken gerade und zur Vermeidung eines Hohlkreuzes wird das Becken nach vorne gekippt. Bei der regulären Kampfhaltung des „TAISHIN RYU KOBUJITSU“ steht in Schulterbreite ein Bein vorne und eines hinten, wobei ca. 80% der Belastung auf dem Hinterbein verbleiben, um etwaige Tritte im Rahmen unbewaffneter Angriffe (TOSHUNOBU SEME WAZA ) mit dem Bein abwehren zu können. Dies variiert aber bei eigenen Angriffsschlägen, da dann ca. 80% der Belastung auf dem Vorderbein erfolgen, um dem Angriff auch das nötige „Gewicht“ zu verleihen. Bei der Abwehr sind die Knie leicht eingeknickt und schräg gegeneinander gedrückt, sowie der vordere Fuß leicht nach innen gestellt. Die verschiedenen Variationen in der Waffenhaltung hängen zum einem von der Anzahl der Waffen und zum anderen von der Waffenart ab. Die verschiedenen Waffen können nämlich einhändig (KATA-TE), beidhändig (RYO-TE) und auch mit beiden Händen (MORO-TE) eingesetzt werden. Das KATANA und der HANBO können ein- und beidhändig gehalten und geführt werden. Bei der beidhändigen Waffenhaltung dieser beiden Waffen resultiert die Bezeichnung aus der Ausrichtung der Waffe (… besser gesagt, der Waffenspitze) zum Gegner hin:
- GEDAN NO KAMAE ():
Waffenhaltung (mit der Waffenspitze) nach unten.
- JODAN NO KAMAE ():
Waffenhaltung (mit der Waffenspitze) zur Körpermitte.
- CHUDAN NO KAMAE ():
Waffenhaltung (mit der Waffenspitze) zum Kopf.
- HASSO NO KAMAE ():
Waffenhaltung (mit der Waffenspitze) nach oben seitlich.
- WAKI NO KAMAE ():
Waffenhaltung (mit der Waffenspitze) nach unten seitlich.
- KOCHO NO KAMAE ():
Waffenhaltung (mit der Waffenspitze) nach vorne über die Schulter.
Der HANBO ist auch mit beiden Händen einsetzbar. Alle anderen Waffen einhändig und mit beiden Händen. Darüber hinaus ist eine umgekehrte (URA) Waffen- und Griffhaltung (z.B. mit der Spitze nach unten) bei allen Waffen möglich und wird auch so trainiert.
Arme und Waffen (einhändig und mit beiden Händen) werden wie ein Dreieck (BUKINOBU SANKAKU NO KAMAE ) nach vorne gebracht. Ein (un-/bewaffneter) Arm (bei der regulären Kampfhaltung der Arm, dessen Bein ebenfalls vorne steht) bleibt vorne, der andere ist leicht zurückgesetzt, so dass sich dieser mit der Hand in Höhe der anderen Armbeuge befindet. Die Ellenbogen werden schulterbreit gehalten. Die leicht schräg gehaltenen Hände befinden sich auf einer Linie direkt hintereinander, ohne die Arme zu berühren („versetzter Keil als Dreieck“).
2.3 Grundübungen - SUBURI KEIKO
SUBURI KEIKO als Grundübung hilft durch viele Wiederholungen einen Automatismus der Waffentechnik herzustellen. Dieser Vorgang des „Automatisierens“ erfordert neben technisch-körperlichen auch mentale Prozesse. SUBURI ( ) sind dabei grundlegende, sich wiederholende Bewegungs-, Schlag-, Schnitt- und Handhabungsübungen. Sie sollen dazu dienen, die eigene Grundtechnik im „TAISHIN RYU KOBUJITSU“ verbessern zu helfen.
Die Ausführung erfolgt zu Beginn des Trainings überwiegend ohne Partner. Die Übungen können sowohl ein-, beid- und auch zweihändig ausgeführt werden. Intention ist hier die Verbesserung der „Physis” und der technisch-körperlichen Fertigkeiten.
KEIKO (auch GEIKO geschrieben) als eigentliche Übung setzt den Focus aber eher auf das „Mentale“ … die „Psyche” und damit auf geistige Fertigkeiten. Es bedeutet wörtlich „nachdenken … überdenken“. Diese Übungsform bezieht sich daher auf die Erlangung der „Ganzheit“ des Menschen. Mit rein mechanischen sowie körperlichen Wiederholungen ist dies nicht zu erreichen. Erst durch die mentale Erfassung und Weiterverarbeitung im kognitiven Prozess findet eine Transaktion zwischen den Parten „Körper“ und „Geist“, statt, die dann eine Einheit bilden können.
Wie bereits angeführt, betont die Körper-Geist-Schule (TAISHIN RYU) das Streben nach der Einheit zwischen Körper und Geist, indem beides gleichberechtigt neben einander trainiert wird. Dies umfasst bei der Übung daher neben Körper (TAI) und Geist (SHIN) auch die Technik (WAZA) und Energie (KI).
Das Ziel dieser Übung ist es, alles zur Einheit werden zu lassen, um einen von allen genannten Komponenten erzeugten Automationsprozess zu erzeugen. Das Ergebnis sollte dann das Beherrschen der „Kunst“ sein, zumindest eine Verbesserung des „Weges“ (DO).
2.4 Waffenzieh- und Wegstecktechniken – IAI WAZA
Waffen schnell ziehen und einsetzen sowie zurück bzw. wegstecken zu können, ist ebenfalls Teil des Trainings- und Prüfungsinhaltes im „TAISHIN RYU KOBUJITSU“.
IAI kann man als „Aufmerksamkeit” und „sofortiges reagieren” verstehen, WAZA mit „Technik”. Zusammengefasst kann es daher als „schnelle, sofortige Reaktion bei höchster Aufmerksamkeit“ bezeichnet werden.
Im „TAISHIN RYU KOBUJITSU“ bezieht sich dies auf alle Waffenarten und impliziert darunter alle Waffenzieh-, Erstschlag- und Wegstecktechniken. Ausgangspunkt soll immer der erste Schritt sein, um damit dem anderen ggf. zuvor zu kommen und somit den Ausgang des Kampfes im Vorfeld bestimmen zu können. Es geht also darum, intuitiv im richtigen Moment und bei der richtigen Gelegenheit (KIKAI ) die Initiative (SEN ) zu ergreifen. Die wahre „Kunst“ liegt dabei in der völligen und achtsamen Konzentration in der Bewusstheit der gegenwärtigen Situation.
Der gegenwärtige „Geisteszustand“ (ZANSHIN ) spielt daher hier ebenfalls eine bedeutungsvolle Rolle, da auch hier die Einheit von Körper (als ausführendes Organ) und Geist (als leitendes Organ) die Grundlage darstellen und den Prozess bestimmen. Das „aufmerksame sofortige reagieren” bestimmt den Kampf, einerseits durch die unmittelbare körperliche Reaktion auf die Gesamtumstände und anderseits durch einen freien „Geist“ ohne geistige Blockaden, negative Einflüsse und Kognitionen. Dies zeigt sich in der instinktiven Beeinflussung und dominierenden...