1. EINLEITUNG
1.1. PROBLEMSTELLUNG
Rhythmus ist …
… nicht nur schwer zu schreiben, sondern auch schwer zu beschreiben (Kero 2014)
Welche Kraft lässt Menschen, die sich gemeinsam mit anderen einem Trommelrhythmus hingeben, stundenlang tanzen, fröhlich ein Feld bestellen, effizienter rudern? Ist es dieselbe Kraft, die uns beim tosenden Applaus von Tausenden ein starkes Gemeinschaftsgefühl in Verbindung mit einem temporär veränderten Hormonhaushalt schenkt? Oder die Kraft, derer sich immer schon schlaue Heerführer zu bedienen wussten, wenn sie ihre Soldaten trommelgestützt im Gleichschritt marschieren ließen und in ihnen dabei ein überwältigendes Zusammengehörigkeitsgefühl auslösten?
Wie McNeill beschrieb (1995, zit. nach Fischinger & Kopiez 2008, S. 459), erfüllte die Fähigkeit zur Synchronisation zunächst primär soziobiologische Funktionen, da durch gemeinsame Bewegungen, wie bei rituellen Handlungen oder beim Tanzen, das soziale Gefühl für Zusammenhalt gestärkt wird. Rhythmisches Handeln ist als eine Form des sozialen Handelns in die Zusammenhänge der sozialen Organisation eingebunden.
Zugleich versetzt uns das Erleben von Rhythmus im musikalischen Kontext in die Lage, die Zeitorientierung des alltäglichen Lebens vorübergehend ausser Kraft zu setzen und uns aus der sozialen Wirklichkeitszeit zu entführen (vgl. Eggbrecht 1996, S. 552). Im Zustand dieser temporären, „anderen“ Zeitwahrnehmung sorgt der Organismus nicht nur für Regeneration, sondern auch für kollektive Erlebnisse und somit für stark gemeinschaftsbindende Eigenschaften. Ob gemeinsam getanzt, getrommelt oder im Gleichschritt marschiert wird, es funktioniert nicht nach dem Motto „alle in der eigenen Geschwindigkeit“, sondern vielmehr auf Basis eines Minimalkonsenses: des kollektiven Timings, der synchronisierten Bewegung.
Gesellschaften im Takt sind intakt, zumindest im Augenblick ihrer synchronisierten Tätigkeit und im Kontext ihrer gemeinsamen Ausrichtung. Rhythmus wirkt im funktionalen Sinne verbindend auf Gruppen ein. Kann aus dieser offensichtlichen Wirkung eine Wirkerkenntnis abgeleitet werden, die für rhythmusgestützte Teambildungsprozesse von Nutzen sein kann (vgl. Kero 2014, S. 3)? „Yet historians and social theorists […] have paid little attention to muscular manifestations of group solidarity. We are captives of our language for our explanations, and words do not capture the visceral emotions aroused by keeping together in time. People have […] almost never tried to analyze what they felt while moving rhythmically together“ (McNeill 1995, S. 10).
Die wissenschaftliche Datenlage ist spärlich. Im Gegensatz zu gut erforschten allgemeinen Theorien von Rhythmus, seinen Funktionen für Gemeinschaften, seinen Wirkungsphänomenen und den psychologischen Grundlagen der Rhythmuserfahrung liegt in Hinsicht auf seinen möglichen Transfernutzen für rhythmusgestützte Gruppen- und Teamtrommeltrainings ein Forschungsdefizit vor (vgl. Kero 2014, S. 19). Trotzdem in der Literatur zum Thema Team- und Kompetenzentwicklung kein Mangel herrscht, sind im rhythmischen Kontext weder gut dokumentierte empirische Daten, noch Untersuchungen in Bezug auf Kompetenzerwerb, Teamgeiststärkung, verbesserter Kommunikation und Zusammenarbeit oder der Nachhaltigkeit von Lern- und Praxistransfers durch Rhythmuserfahrung zu finden.
Eine schon viele Jahre vor dem Projektstart durchgeführte Umfrage im Schüler_innenkreis der Wiener Rhythmusakademie Beatfactory mit 70 Teilnehmenden fließt impulsgebend und ideenstiftend in die gegenständliche Forschung ein:
Abbildung 1: Schüler_innenbefragung, eigene Darstellung, 2014
Gut dokumentierte Erkenntnisse finden sich sowohl auf der Seite der Rhythmusforschung, als auch auf der Seite der kompetenzorientierten Teamentwicklung. Dazwischen wartet eine Forschungslücke darauf, geschlossen zu werden. Die Verbindung der beiden Bereiche ist für mein Betätigungsfeld von besonderem Interesse: Ob im Hochseilgarten, beim Bau eines Iglus oder beim Rafting: adaptive Teamentwicklungsmaßnahmen zum Zweck von Kompetenzerwerb gelten heute als unverzichtbare Bestandteile einer innovativen Unternehmenskultur.
Von der Wiener Trommelschule Beatfactory werden das.imtakte.team©-Teamtrommeltrainings durchgeführt. Dabei können regelmäßig nicht nur stark ausgeprägte gemeinschaftsbildende Wirkungen, sondern auch eindeutige Ausdehnungen von Fähigkeiten beobachtet werden, die in der Bildungsforschung zu den sozialen Kompetenzfeldern zählen. Ebenso regelmäßig werden diese in Reflexionen von Teilnehmenden bestätigt. Ergänzend zu intensiven theorie- und hypothesenbildenden Nachforschungen wurden im Rahmen einer professionell moderierten explorativen Erhebung mit einer aus Expert_innen bestehenden Fokusgruppe anhand eines konsensuell entstandenen Beobachtungskataloges entsprechende Hypothesen generiert. Sowohl aus Beobachtungen als auch aus rhythmustheoretischer Perspektive kulturanthropologischer und soziobiologischer Forschung scheint es sich dabei neben der evozierten Gruppenkohäsion und dem Zugang zu einer Flow-Erfahrung insbesondere um soziale Kompetenzfelder zu handeln.
1.2. ZIELSETZUNG
Rhythmus ist …
… essentiell, denn: wie so sauer wird Musik, so süß sonst, wenn die Zeit verletzt und das Verhältnis nicht geachtet wird (William Shakespeare)
Der in Kulturanthropologie, Evolutionsbiologie, Psychologie und Soziologie gut erforschten Wirkung rhythmischer Gruppenbetätigungen auf Gemeinschaften steht eine in Bildungsforschung und Organisationsentwicklung kaum erforschte Wirkung rhythmischer Gruppenaktivitäten auf Teams im betrieblichen Kontext gegenüber. Es spricht nichts dagegen, die aus den oben genannten Disziplinen gewonnenen rhythmusrelevanten Erkenntnisse über Gemeinschaften auf Teams zu übertragen.
Die gegenständliche Studie soll untersuchen, ob Rhythmuserfahrung im Team eine Basis für die Entwicklung sozialer Kompetenzfelder, und somit von Nutzen im arbeitsteiligen Kontext sein kann. Anhand der assoziierten Theorie wird davon ausgegangen, dass sich Rhythmuserfahrung im Team in wahrgenommener
1. erhöhter Gruppenkohäsion
2. Stärkung / Erwerb sozialer Grundkompetenzen:
• Kommunikationsfähigkeit
• Beziehungsfähigkeit
• Anpassungsfähigkeit
• Kooperationsfähigkeit
3. und Auftreten des Flow-Effekts niederschlägt.
Ziel der Forschung ist es, die durch Theorie und Beobachtungen gestützte Annahme zu untersuchen, ob rhythmische Gruppenaktivitäten im betrieblichen Kontext effiziente Teamentwicklungsmaßnahmen darstellen.
Im Sinne der Verschränkung von Rhythmus und Team leitet sich mein persönliches und berufsrelevantes Interesse ab, das.imtakte.team© als sinnvolles Veranstaltungsformat zu beleuchten. Ich möchte in Erfahrung bringen, wie die Teilnehmer_innen die Auswirkungen der Rhythmuserfahrung hinsichtlich der Gruppenkohäsion, des Flows und der sozialen Kompetenzen einschätzen.
In meiner täglichen Arbeit mit Menschen initiiere ich Rhythmuserfahrungen als Grundlage für soziale Interaktionen. Es entspricht daher meinem starken persönlichen Interesse, die Schnittmenge Rhythmusforschung und Bildungsforschung unter die Lupe zu nehmen. Das intendierte Erhebungsinstrument soll ein Stück weit die Frage erhellen, was Rhythmus als Basis für soziale Kompetenzentwicklung im betrieblichen Kontext leisten kann.
Nicht-Ziele:
• Nicht von Forschungsinteresse ist die Frage, ob durch die beschriebene Teamaktivität die Produktivität gesteigert werden kann.
• Die Untersuchung langfristiger oder nachhaltiger Wirkungen oder Auswirkungen ist nicht intendiert.
• Branchenspezifische Differenzierungen werden hier nicht untersucht.
• Die Studie unterliegt weder unternehmensbezogenen Vorgaben, noch ist sie auf betriebliche Bedürfnisse abgestellt.
1.3. WISSENSCHAFTLICHE RELEVANZ
Rhythmus ist …
… bis heute nicht einheitlich und allgemein anerkannt definiert
Im Wesentlichen vereint die Untersuchung die beiden in vielerlei Hinsicht gut dokumentierten Disziplinen Rhythmusforschung und Kompetenzforschung als Teil der Bildungsforschung:
• Rhythmus ist sowohl allgemein theoretisch, als auch hinsichtlich seiner evolutionsbedingten Wirkphänomene, seiner psychologischen Grundlagen und seiner Funktion als Strukturgeber der sowohl physikalischen als auch subjektiv erlebten Zeit hinreichend erforscht.
• Kompetenzentwicklung ist in der Bildungsforschung und der Organisationslehre gut belegt und ausgearbeitet.
Recherchen nach Untersuchungen, die beide oben genannten Forschungsfelder miteinander verbinden, zeichnen ein defizitäres Bild. In Hinsicht auf Auswirkungen und Transfernutzen rhythmusgestützter Gruppen- und Teamtrommeltrainings liegen kaum Publikationen vor. Musikwirkungsforschung ist ein etablierter Begriff, aus ihr haben sich Musiktherapie und Musikmedizin entwickelt. Rhythmuswirkungsforschung jedoch ist ein nahezu unbekannter, nur in speziellen Fachkreisen geläufiger Terminus. Quellen, die Wirkungen rhythmischer Aktivitäten auf Teams beschreiben, sind kaum erhebbar. Speziell hinsichtlich der Korrelation rhythmischer Teamaktivitäten mit Kompetenzerwerb im betrieblichen Kontext liegt ein Forschungsdefizit vor. Über Teamgeiststärkung, Verbesserung der interpersonalen Kommunikation und Zusammenarbeit...