2.1.1 Der Tennisspieler als biopsychosoziale Einheit
Weder gute individuelle Kenntnisse der Technik noch die besten biomechanischen Analysen und Begründungen eines Bewegungsablaufs führen automatisch zu theoretischem und praktischem Verständnis darüber, wie der Spieler seine technischen Fertigkeiten am ökonomischsten und am schnellsten lernt und vor allem, wie er lernt, diese erworbenen Fertigkeiten in ein Ganzes und somit in sportliche Leistung umzusetzen.
Auf der anderen Seite ist es aber kaum möglich, ohne ausgezeichnete theoretische Grundkenntnisse eine erfolgreiche praktische Arbeit im modernen Sinne durchzuführen.
Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Tennistechnik nur dann optimal entwickelt werden kann, wenn sie als ein Teil eines ganzen Systems verstanden wird. Das bedeutet aber, dass in jeder Phase und auf jeder Stufe der Entwicklung nicht nur die Technik allein, sondern das ganze System entwickelt werden muss!
In der derzeitigen Praxis wird die Technikschulung immer noch viel zu oft verselbstständigt. Damit ist gemeint, dass vor allem am Anfang, aber nicht nur dort, der koordinative, konditionelle und taktische Bereich entweder gar nicht oder nur unzureichend und wenn doch, dann ohne Zusammenhang und Integration in den Techniklernprozess entwickelt wird.
„Die Technikschulung und das Techniktraining müssen sich von Anfang an durch eine erhebliche Vielfalt und hohe Komplexität auszeichnen.“
(Lehnertz, 1996)
In der tennisspezifischen Trainingsmethodik existieren noch drei maßgebliche Schwachstellen. Es sind:
Die Systematisierung des gesamten Ausbildungs- und Trainingsprozesses.
Die direkte Verbindung zwischen Technik-, Taktik- und Konditionstraining.
Die Belastungsgestaltung des Techniktrainings.
Man muss begreifen, dass die sportliche Ausbildung und das Training als eine Einheit von Koordination, Kondition, Technik, Taktik, Mentalität und sozialem Umfeld verstanden werden müssen!
Unter einer Einheit darf aber nicht verstanden werden, dass alle diese Bereiche im Verlaufe der Ausbildungszeit nur als parallel oder sogar nacheinander verlaufende Ausbildungsteile berücksichtigt werden sollen, sondern dass sie im Training laufend miteinander verbunden werden müssen, denn die Entwicklung jedes einzelnen Teils beeinflusst die Entwicklung aller anderen Bereiche positiv und umgekehrt, jede Schwachstelle in einem Bereich verhindert automatisch die optimale Entwicklung in den übrigen Bereichen.
Dabei spielt der koordinative Teil die Hauptrolle. Eine ausgezeichnete Koordinationsfähigkeit und -schnelligkeit ist nicht nur der wichtigste Grundfaktor beim Erlernen von Techniken, sondern sie dient als Übertragungs- und Verbindungsbrücke zwischen den beiden Säulen Kondition und Technik. Den konditionellen Anteil kann man optimal nur über den koordinativen in die Technik einfließen lassen (siehe Abb. 53).
Wenn der koordinative Bereich mangelhaft ausgebildet ist, ist diese Brücke brüchig, die Verbindung gestört oder nicht vorhanden, und dadurch kann auch eine ausgezeichnete Kondition sowohl die technische Ausbildung als auch vor allem die situative Anwendung der Technik nicht unterstützen und positiv beeinflussen.
Insbesondere alle Arten der Kraft und der Schnelligkeit können nur über den koordinativen Bereich in die Technik integriert werden, besonders dort, wo es sich um hohe Körperbewegungsdynamik, vor allem auch im Zusammenhang mit Gleichgewicht, oder um hohe Durchführungsgeschwindigkeiten handelt (siehe Abb. 54).
Auf der anderen Seite werden mangelnde konditionelle Voraussetzungen wie im Training so auch im Match eine negative Auswirkung auf die technische Ausbildung und auf deren Umsetzung haben. Ein Manko an Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer limitiert die individuelle Lern- und Leistungsfähigkeit; auch die schon vorhandenen technischen Fertigkeiten können in der Praxis nicht wirkungsvoll umgesetzt werden (siehe Abb. 55).
Der Mensch und demgemäß auch der Tennisspieler muss immer als eine bio-psychosoziale Einheit betrachtet werden.
Die „Koordinationsbrücke“ als wichtiger Verbindungsfaktor zwischen dem Konditionsbereich und dem Technikbereich
Bei mangelnder Koordinationsfähigkeit ist die harmonische Verbindung zwischen Kondition und Technik gestört.
Mangelnde Kondition verursacht folgenschwere Störungen bei der Technikentwicklung.
2.1.2 Entwicklungsetappen in der Technikschulung
Die Vermittlung der Technik muss in Etappen stattfinden, die jeweils unterschiedliche Grundziele ansteuern. Das erfordert eine Differenzierung der einzelnen Entwicklungsziele und dadurch auch der Entwicklungsinhalte.
Der gesamte technische Entwicklungsprozess basiert auf fortlaufenden biochemischen Anpassungsvorgängen (physiologischer Adaptation) des Gesamtorganismus. Diese Adaptationsprozesse haben eigene Gesetze, die man nicht umgehen oder außer Kraft setzen kann. Deswegen ist es sinnvoll und notwendig, exakte Ziele für die einzelnen Entwicklungsstufen zu setzen. Ein langfristiges, planmäßiges und vor allem systematisches Vorgehen in der Technik- und Leistungsentwicklung ist eine Voraussetzung dafür, dass der Spieler, wenn er höhere Leistungsstufen anstreben will, seine individuelle potenzielle Leistungsgrenze erreichen kann.
In Übereinstimmung mit Martin (1991) kann man den Entwicklungsweg folgendermaßen kennzeichnen:
Einschleifen von Engrammen der technikbestimmenden Fertigkeiten im biomechanischen Optimum.
Hierbei werden die Zweckmäßigkeit, die Effektivität und die Ökonomie der Technik angestrebt. Dieser Prozess verläuft unter dem Oberbegriff Technikerwerbstraining – Lernen.
Stabilität und Durchsetzungsfähigkeit der Techniken bei sich verändernden äußeren und inneren Bedingungen.
Die Technik muss nicht nur unter idealen Bedingungen funktionieren, sondern sie muss eine hohe Konstanz des Verhaltens in allen noch so schwierigen Matchsituationen aufzeigen. Das erreicht man in der Etappe Technikerwerbstraining – Automatisierung.
Virtuosität der Technikbeherrschung
Darunter versteht man die vollendete, meisterliche Beherrschung der Technik.
Fähigkeit der variablen Anwendung
Damit ist die variable, situationsbedingte Anwendbarkeit gemeint, die es erlaubt, schwierige Situationen gemäß den taktischen Absichten auf mehrere Arten zu lösen. Sowohl die Virtuosität als auch die Fähigkeit der variablen Anwendung steht im Mittelpunkt des Technikanwendungstrainings.
Dieses Stufenprogramm zeigt uns die jeweils unterschiedlichen Etappen der Vorgehensweise. Und wenn es sich um unterschiedliche Stufen mit unterschiedlichen Zielen handelt, müssen diese logischerweise unterschiedliche Inhalte haben. Es muss demnach eine Systematisierung des Techniktrainings vorgenommen werden.
Nun ist aber der Bewegungsvorgang eines Schlags keine Frage allein der Funktion des Arms, sondern daran sind das zentrale und periphere Nervensystem, mehr oder weniger das gesamte Skelettmuskelsystem des Körpers bzw. verschiedene Segmente in genau festgelegter Reihenfolge (siehe Biomechanik), die kognitiven Vorgänge mit ihren Informationsverarbeitungsprozessen, die verschiedenen Energiearten und -kapazitäten und das kardiopulmonale bzw. kardiorespiratorische System beteiligt.
Das bedeutet, dass während dieses langfristigen Entwicklungsprozesses alle diese Bereiche laufend respektiert und mit einbezogen werden müssen, und zwar als eine harmonische Einheit. Die konditionellen Fähigkeiten und die technischen und taktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen im untrennbaren Zusammenhang entwickelt werden.
Das gesamte Bewegungspotenzial eines Tennisspielers ist durch seine individuellen konditionellen und koordinativen Fähigkeiten geprägt, und deswegen müssen diese Fähigkeiten kontinuierlich in die Tennistechnik integriert werden.
„Mittels der sportlichen Technik wird also das vorhandene Bewegungspotential (die konditionellen Fähigkeiten) in die sportliche Leistung transferiert.“
(Saß, 1995)
Man kann dieses Zitat auch umkehren – mittels des vorhandenen Bewegungspotenzials (konditionelle und koordinative Fähigkeiten) wird die Technik in die sportliche Leistung transferiert, womit sich der Kreis wieder schließt (siehe Abb. 56).