VORWORT
Ao. Univ.-Prof. i. R. Dr. Herbert Seifert (* 1945, Baden, Niederösterreich) studierte von 1963 bis 1970 an der Universität Wien Musikwissenschaft als Haupt- sowie Theaterwissenschaft als Nebenfach und promovierte mit einer Dissertation zu Giovanni Buonaventura Viviani.1 Seine universitäre Laufbahn am Institut für Musikwissenschaft hatte er 1966 als Studienassistent begonnen, und er setzte sie 1970 als Hochschulassistent, später als Universitäts- und Oberassistent fort. 1988 wurde er Assistenzprofessor, und im Folgejahr Außerordentlicher Universitätsprofessor. Seit 2010 ist Herbert Seifert im Ruhestand, lehrt jedoch weiterhin am Wiener Institut für Musikwissenschaft.
Mit seiner Habilitationsschrift Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert (1981, gedruckt 1985)2 legte Seifert ein absolutes Standardwerk vor. Damit sowie mit einer großen Zahl weiterführender Studien, in denen akribische Quellenarbeit eine intensive Verbindung mit der Edition und Analyse von Libretti und Partituren eingeht, schrieb er die Geschichte der Musikdramatik nördlich der Alpen und insbesondere im Herrschaftsgebiet der Habsburger für das 17. und frühe 18. Jahrhundert neu. Deshalb ist es für das Don Juan Archiv Wien eine Ehre, diesem Forscher den zweiten Band der Reihe Summa Summarum zu widmen, in der gesammelte Schriften von Persönlichkeiten erscheinen, deren Werk für das Verständnis der europäischen Opern- und Theatergeschichte – besonders des 17. und 18. Jahrhunderts – eine zentrale Rolle spielt.3
Der vorliegende Band Texte zur Musikdramatik im 17. und 18. Jahrhundert. Aufsätze und Vorträge versammelt insgesamt 72 Beiträge aus Herbert Seiferts umfangreichem wissenschaftlichen Œuvre,4 darunter acht bisher nicht publizierte Vortragstexte. Die Studien stammen aus Fachzeitschriften und Sammelbänden, besonders aber aus Tagungspublikationen, die Seiferts rege Vortragstätigkeit im In- und Ausland dokumentieren. Zudem sind Beiträge aus Programmheften (besonders des Wiener Festivals Resonanzen) sowie Booklets zu CD-Einspielungen berücksichtigt.
Abb. 1: „Aussicht aus dem hochfürstlichen Waltemsischen Steinernen Theater in Hellbrunn gegen das St. Peterische Schloss Goldenstein“. Kolorierter Kupferstich von Benedikt Seitner (Don Juan Archiv Wien).
Abb. 2: „Ansicht des hochfürstlichen Waldtemsischen Theaters in Hellbrunn“.
Kolorierter Kupferstich von Benedikt Seitner (Don Juan Archiv Wien).
Die Artikel für Musiklexika – besonders Die Musik in Geschichte und Gegenwart, New Grove Dictionary of Music and Musicians und das Österreichische Musiklexikon – sind verzeichnet, auf die seit den frühen 1980er Jahren zunächst in Wiener Tageszeitungen (Die Presse, Kurier), danach in Wiener Musikzeitschriften (Music Manual, Österreichische Musikzeitschrift) veröffentlichten Musikkritiken sei an dieser Stelle zusätzlich hingewiesen.
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Die hier versammelten Texte sind in drei chronologisch aufeinanderfolgende Abschnitte gegliedert: „Aus Italien über Salzburg nach Europa“, „Oper am Wiener Kaiserhof“ – besonders dieser Teil kann als Weiterführung des gleichnamigen Buches gelesen werden – sowie „Sakrale und profane Musikdramatik“, die ihrerseits nach Möglichkeit chronologisch aufgebaut sind. Aus ihnen wird Herbert Seiferts historischer Zugang zur Musik- und Operngeschichte deutlich: ihm geht es nicht nur um ein Werk, sondern ebenso um die konkreten Personen, die an der Kunstproduktion beteiligt oder dafür verantwortlich waren, um deren Lebenssituation und den größeren gesellschaftlich-politischen Kontext.
Die biographische Forschung zu bedeutenden Künstlern zählt deshalb zu den Eckpfeilern von Seiferts Arbeit. Zu nennen sind Studien zu Francesco Rasi (1574–1621),5 Giovanni Valentini (?1582–1649), Antonio Cesti (1623–1669), Antonio Draghi (?1634–1700) und Pietro Pariati (1665–1733). Zu diesem Zweck durchforstete Seifert Adelsarchive in Florenz (Archivio di Stato/Archivio Mediceo del Principato), Mantua (Archivio di Stato/Archivio Gonzaga) und Wien (Familienarchiv Harrach) sowie diplomatische Korrespondenzen in diesen Städten, wertete diese Quellen aus und edierte wichtige Funde, besonders Briefe, die Licht auf das interessante Verhältnis Künstler und Auftraggeber – Adel und Klerus – werfen.
Damit ist ein zweiter Fokus angesprochen, unter dem Seifert die musikdramatische Produktion untersucht. Welche Rolle spielten kunstliebende Persönlichkeiten wie Marcus Sitticus Graf von Hohenems, Fürsterzbischof von Salzburg (1574–1619, reg. 1612–1619), für Sänger wie den genannten Francesco Rasi oder die Rezeption der Opern von Claudio Monteverdi (1567–1643) nördlich der Alpen? Und welche Bedeutung wiederum hatte diese damals neue Kunstform für ihre Förderer? Besonders zur ersten Blüte der italienischen Oper außerhalb Italiens in Salzburg sowie zur frühen Rezeption der Oper an den Höfen der Habsburger konnte Seifert die mit den Namen Alexander von Weilen (1863–1918) und Franz Hadamowsky (1900–1995) verbundene ältere Forschung auf eine völlig neue Basis stellen.
Seine Funde kontextualisiert Seifert in einer Reihe von Studien, in denen er eine Topographie der frühen Rezeption der Oper, aber auch anderer musikdramatischer Gattungen wie des Balletts entwirft,6 und Entwicklungs- wie Rezeptionslinien aufzeigt, die ihrerseits häufig von dynastischen und diplomatischen Beziehungen abhängig waren. Alle frühen Opernaufführungen durch die Habsburger, sei es nun am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges im Landständischen Saal in Prag (1617), aus Anlass der Krönung von Eleonora Gonzaga, der zweiten Frau Kaiser Ferdinands II, zur Königin von Ungarn (1622) oder am Reichstag in Regensburg (1623), sind als politische Stellungnahmen zu verstehen. In diesen Zusammenhang gehören Beiträge zu Opernaufführungen im Rahmen von Hofreisen oder bei Hochzeiten7.
Neben diesen Anlässen interessieren Seifert die institutionellen Rahmenbedingungen, was sich in seinen Arbeiten zu den kaiserlichen Hofkapellen und deren Musikern widerspiegelt. Ausgehend von einer breit angelegten Erfassung der Informationen aus Hofzahlamtsrechnungen, Totenbeschauprotokollen und anderen Quellen in einer Datenbank würdigt er auch die nicht im Rampenlicht stehenden Künstler.
Von den Musikern wurden nicht nur italienische Opern gegeben, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher musikalischer Formen gepflegt. Seifert schenkt der historischen Terminologie große Aufmerksamkeit, und beschreibt sehr differenziert szenisch und nicht-szenisch dargestellte Gattungen wie das Oratorium und – als Wiener Spezialität – das Sepolcro, ebenso die Serenata, das Ballett und Aufführungen von Stücken der italienischen Commedia dell’arte.
Das Unterhaltungsprogramm des kaiserlichen Hofes war umfangreich und vielfältig, und da Seifert seine Forschungen in den drei Jahrzehnten nach der Publikation seiner Habilitationsschrift intensiv fortgesetzt hat, verwundert es wenig, dass Ergänzungen und Korrekturen zu dem dort gedruckten Spielplan notwendig geworden sind. Für ein am Don Juan Archiv Wien laufendes Projekt zum Wiener Theaterspielplan fasste Seifert seine neuen Erkenntnisse 2010 zusammen, und diese sind im vorliegenden Band in erneut überarbeiteter Form publiziert.
Die Texte des Abschnitts „Sakrale und profane Musikdramatik“ sind teilweise im Zuge der Forschungen zum Kaiserhof entstanden, da der christliche Jahreskreis – besonders Fastenzeit und Karwoche – Anlässe für entsprechende Aufführungen gaben und sich auch Orden und insbesondere die Jesuiten (in Prag nicht anders als in Linz) mit theatralen Darbietungen vor dem Kaiser hervortaten. Mit Aufsätzen zu Christoph Gluck (1714–1787), Joseph Haydn (1732–1809), Carl Ditters von Dittersdorf (1739–1799), Lorenzo da Ponte (1749–1838) und Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791) wird der Untersuchungszeitraum in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts erweitert.
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Die Texte zur Musikdramatik im 17. und 18. Jahrhundert stellen Herbert Seiferts Forschungen erneut zur Diskussion. Um die Benützung des Bandes zu erleichtern, wurden zusätzlich zu einem Verzeichnis der Bibliotheks-Sigel (nach RISM – Répertoire International des Sources Musicales) drei Register erstellt. Das Register „Orte und Institutionen“ bietet u. a. aufgrund der detaillierten Auflistung von Spielstätten eine Topographie der Musikdramatik im 17. Jahrhundert. Bei den „Personen“ wurden neben historischen Persönlichkeiten auch Wissenschaftler aufgenommen, zu den Künstlern sind auch deren Werke und weitere daran beteiligte Personen verzeichnet. Dadurch bietet dieses Personenregister einen guten Überblick, wer mit wem zusammengearbeitet hat. Den Abschluss bildet das Titelregister, angereichert mit Angaben zu alternativen Titeln, Vorlagen, Autoren und Komponisten.
Um das Auffinden von Zitaten aus Herbert Seiferts Studien in der Sekundärliteratur so bequem wie möglich zu gestalten, sind die ursprünglichen Seitenumbrüche in den Texten zur Musikdramatik im 17. und 18. Jahrhundert in eckiger Klammer angegeben.
Eine Besonderheit stellt der hier abgedruckte Vortrag „Marcus Sitticus von Hohenems und Mantua. Die ersten Opern außerhalb Italiens in neuem Licht“ (1980) dar, der in geringfügig bearbeiteter, doch etwa um die Stammtafeln gekürzter Form unter dem Titel „Beiträge zur Frage nach den Komponisten der ersten Opern außerhalb Italiens“ in den Musicologica Austriaca (1989) erschienen ist.
Die gemeinsame...