2 Klinische Forschung zur KVT
In der Behandlung von Substanzstörungen gehören die kognitiven Verhaltenstherapien zu den psychosozialen Ansätzen, die am besten erforscht sind und deren Wirksamkeit empirisch belegt ist (American Psychiatric Association 1995; Dutra et al. 2008; General Accounting Office 1996; Holder et al. 1991). Bisher wurden weit über 20 randomisierte kontrollierte Studien mit erwachsenen Konsumenten von Tabak, Alkohol, Kokain, Cannabis, Opioiden und anderen Substanzen durchgeführt.
Metaanalysen dieser Studien (Carroll 1996, Irvin et al. 1999) zeigen, dass bei allen Substanzen, vor allem jedoch bei Alkohol und Polysubstanzgebrauch, klare Hinweise für die Wirksamkeit der KVT im Vergleich zu den nicht-behandelten Kontrollgruppen bestehen. Dem strengsten Test wurde die KVT unterzogen, als sie mit anderen Behandlungen verglichen wurde (statt „Ist die KVT besser als keine Behandlung oder eine Minimaltherapie?“ lautete die Frage hier: „Ist die KVT wirksamer als andere bekannte Therapieansätze?“). Bei diesen Vergleichen waren die Ergebnisse weniger eindeutig: In einigen Studien erwies sich die KVT als überlegen, während andere Studien zeigten, dass die KVT mit anderen Methoden vergleichbar, aber nicht wirksamer ist als diese. Besonders vielversprechend könnte die KVT in Bezug auf die folgenden Aspekte sein: Verringerung des Schweregrads von auftretenden Rückfällen, Dauerhaftigkeit der Wirkung sowie Abstimmung der Behandlung auf die Patienten, insbesondere bei Patienten mit einer stärkeren Beeinträchtigung in Dimensionen wie Psychopathologie oder Schweregrad der Abhängigkeit.
Dieses Handbuch ist spezifisch auf die KVT bei Kokainkonsum ausgerichtet. Daher folgt eine kurze Übersicht über die verschiedenen Studien, die von der Abteilung Suchttherapie der Yale University durchgeführt wurden und mit denen der in diesem Handbuch beschriebene KVT-Ansatz bei Personen untersucht wurde, die den Kriterien für eine kokainbezogene Störung (Kokainmissbrauch oder -abhängigkeit) entsprechen. Diese Übersicht wird durch Befunde anderer klinischer Studien ergänzt, bei denen die Wirksamkeit der KVT bei kokainkonsumierenden Patienten untersucht wurde. Da das vorliegende Handbuch den Therapeuten, die mit dieser Gruppe von Patienten arbeiten, Strategien für die praktische Tätigkeit bieten soll, konzentriert sich die Übersicht auf die Möglichkeiten, wie die KVT-Strategien bei Kokainkonsumenten wirkungsvoller angewandt werden können.
2.1 KVT und Interpersonale Psychotherapie
In ihrer ersten Studie verglichen Carroll et al. (1991) die KVT direkt mit einer anderen aktiven Psychotherapie, der Interpersonalen Psychotherapie oder IPT (Klerman et al. 1984; dt. Fassung Schramm 1998), die zu jenem Zeitpunkt in deren Kliniken regelmäßig eingesetzt wurde. Durch den Vergleich von zwei aktiven Therapien konnten sie verschiedene methodische und ethische Probleme lösen, die sich bei Kontrollgruppen ohne oder mit einer unspezifischen Behandlung stellen: Unterschiede in Bezug auf die Anforderungsmerkmale und die Glaubwürdigkeit der angebotenen Therapien, mangelnde Kontrolle von allgemeinen Faktoren der Therapien, Zuweisung von schwer beeinträchtigten Personen, die eine Therapie aufsuchen, zu einer Kontrollgruppe mit Minimaltherapie oder gar keiner Therapie (Basham 1986; Kazdin 1986; O’Leary und Borkovec 1978).
Wie bei all ihren Studien zur KVT benutzten Carroll et al. auch hier verschiedene methodische Ansätze, um die Integrität der untersuchten Therapien zu wahren und andere Ursachen der Variabilität zu kontrollieren. Die Probanden wurden nach dem Zufallsprinzip einer Therapie zugewiesen. Alle Therapien wurden gestützt auf ein Handbuch durchgeführt und von Therapeuten der Doktorandenstufe umgesetzt, die eingehend geschult wurden und unter fortlaufender Supervision standen. Der Behandlungserfolg wurde von unabhängigen Evaluatoren beurteilt, die keine Kenntnis davon hatten, welcher Therapiegruppe der einzelne Patient zugewiesen war.
In dieser zwölfwöchigen Studie mit ambulanten Patienten wurden 42 Probanden, die die DSM-III-Kriterien für Kokainabhängigkeit erfüllten, nach dem Zufallsprinzip der KVT oder der IPT zugewiesen. Im Vergleich zu den Patienten der IPT-Gruppe war bei den Patienten, die der KVT zugewiesen worden waren, die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie die Therapie abschlossen (67 % gegenüber 38 %), dass sie drei oder mehr aufeinander folgende Wochen Abstinenz erreichten (57 % gegenüber 33 %) und dass sie bei Abschluss der Therapie seit vier oder mehr Wochen abstinent waren (43 % gegenüber 19 %).
Obwohl diese Stichprobe klein war und die oben aufgeführten Unterschiede statistisch nicht signifikant waren, ließen sich signifikante Unterschiede zwischen den Therapiegruppen feststellen, als die Probanden nach dem Schweregrad des Kokainkonsums in verschiedene Kategorien eingeteilt wurden. So erreichten beispielsweise in der Untergruppe der schwerer abhängigen Kokainkonsumenten, die mit der KVT behandelt wurden, signifikant mehr Probanden eine Abstinenz als in der entsprechenden IPT-Gruppe (54 % gegenüber 9 %). In den Untergruppen mit weniger schwer abhängigen Kokainkonsumenten waren die Ergebnisse bei beiden Therapien vergleichbar (Carroll et al. 1991). Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass schwerer abhängige Kokainkonsumenten möglicherweise die stärkere Struktur und Anleitung benötigen, die ihnen die KVT bietet. Denn im Mittelpunkt der KVT steht das Erlernen und Üben von spezifischen Strategien, um den Kokainkonsum zu unterbrechen und in den Griff zu bekommen. Bei weniger schwer abhängigen Kokainkonsumenten könnte die spezifische Art der angebotenen Behandlung hingegen weniger wichtig sein.
2.2 KVT und Clinical Management
Die nächste Studie war komplexer, da sie sowohl Psychotherapie als auch Pharmakotherapie umfasste (Carroll et al. 1994b). Diesmal wurde die KVT mit dem Clinical Management (CM; Fawcett et al. 1987) verglichen, einer unspezifischen Psychotherapie, die zahlreiche Anforderungen erfüllte, die sich beim Einsatz einer Kontrollgruppe stellen:
- Das CM bot allgemeine Elemente einer psychotherapeutischen Beziehung – unter anderem eine stützende Beziehung zwischen Therapeut und Patient, eine erzieherische Wirkung, Empathie und die Vermittlung von Hoffnung –, nicht jedoch die Wirkmechanismen, die für die Rückfallprophylaxe spezifisch sind.
- Das CM ermöglichte die medikamentöse Behandlung und bot zudem Gelegenheit, den klinischen Status der Patienten und das Ansprechen auf die Behandlung zu überwachen.
- Das CM bot eine überzeugende therapeutische Begründung, um das Durchhalten in der Therapie und die korrekte Einnahme der Medikamente zu fördern.
Diesbezüglich ist zu beachten, dass diese Merkmale an sich bei einer psychotherapeutischen Kontrollgruppe erwünscht sind, da damit verschiedene ethische und methodische Probleme gelöst werden. Allerdings kann von ihnen selbst eine starke therapeutische Wirkung ausgehen, und somit werden aktive Psychotherapien einem strengeren Test unterzogen als bei Einsatz einer Kontrollgruppe, die nicht behandelt oder auf eine Warteliste gesetzt wird. Alle Probanden erhielten ein Medikament, entweder Desipramin (zum damaligen Zeitpunkt das vielversprechendste Medikament zur Behandlung einer Kokainabhängigkeit) oder Placebo. In dieser Studie wurden 121 Probanden, die die DSM-III-R-Kriterien für Kokainabhängigkeit erfüllten, nach dem Zufallsprinzip einer von vier Therapiegruppen zugewiesen:
- KVT in Kombination mit Desipramin,
- KVT und Placebo,
- CM in Kombination mit Desipramin,
- CM und Placebo.
Die Autoren gingen von der Hypothese aus, dass sowohl die KVT als auch Desipramin wirksamer sein würden als das CM beziehungsweise Placebo. Dieses Studiendesign bot zudem die Möglichkeit, kombinierte Wirkungen von Psycho- und Pharmakotherapie zu erkennen, falls sich diese als stark genug erweisen sollten.
Nach zwölf Behandlungswochen wurde bei den Probanden in allen vier Gruppen eine signifikante Verringerung des Kokainkonsums sowie eine Verbesserung in verschiedenen weiteren Problembereichen festgestellt.
Es wurden keine signifikanten Hauptwirkungen nach Medikamenten- oder Psychotherapietyp festgestellt; d. h. der Behandlungserfolg in Bezug auf den Kokainkonsum war vergleichbar, unabhängig davon, ob der Patient mit der KVT oder dem CM, mit Desipramin oder Placebo behandelt wurde.
Ähnlich wie in der ersten Studie stellten Carroll et al. (1994b) eine Interaktionswirkung fest: Der anfängliche Schweregrad des Kokainkonsums interagierte unterschiedlich mit den beiden Psychotherapietypen. Schwerer kokainabhängige Patienten, die mit der KVT behandelt wurden, blieben im Vergleich zum CM länger in der Therapie, erreichten längere Abstinenzphasen und wiesen weniger Urintests auf, in denen Kokain nachgewiesen wurde. Dies weist wiederum darauf hin, dass die zusätzliche Struktur, die höhere Intensität oder der didaktische Inhalt der KVT für Kokainkonsumenten mit einer schwereren Abhängigkeit günstig ist, da die KVT spezifisch auf die Verringerung der Verfügbarkeit von Kokain und das Meiden von Risikosituationen ausgerichtet ist. Die Resultate lassen auch darauf schließen, dass bei weniger schwer kokainabhängigen Patienten Methoden mit einer geringen Intensität wirksam sein können.
Bei späteren Analysen von Daten aus der KVT/CM-Vergleichsstudie wurden zusätzliche Wirkungen festgestellt. Da diese Erkenntnisse jedoch auf explorativen, nachträglichen Analysen beruhen,...