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E-Book

Umsorgt sterben

Menschen mit Demenz in ihrer letzten Lebensphase begleiten

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783170265035
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Viele Konzepte für die ersten Jahre der Demenz greifen bei fortschreitender Erkrankung nicht mehr. Sterbende Demenzkranke brauchen achtsame und wertschätzende Begleitung und Sorge um passende Angebote verschiedener Berufsgruppen, Angehöriger und Ehrenamtlicher. In diesem Buch stellen Pflegende, Mediziner, Sozialpädagogen und andere Berufsgruppen, Angehörige und ehrenamtlich Engagierte dar, wie sie die Situation für Menschen mit schwerer Demenz verbessern können. Das Buch zeigt Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Versorgungskontexte auf. Praxisnah und fundiert, zum Teil theoretisch-grundsätzlich, zum Teil erfahrungsorientiert, werden Aspekte palliativer Sorge um Demenzerkrankte und deren Angehörige betrachtet. Im Fokus steht die Erweiterung der Denkräume und Kommunikationsmöglichkeiten aller an der Versorgung Beteiligten.

Ida Lamp, Dipl.-Theologin, Psychosoziale Beraterin, Psychoonkologin, Geschäftsführerin des Palliativen Hospiz Solingen e.V.

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Leseprobe

2 Aspekte palliativer Versorgung


2.1 Instrumente für die Umsetzung eines fundierten Schmerzmanagements bei demenziell erkrankten Menschen


Meike Schwermann

Im Vordergrund des Schmerzerlebens älterer Menschen stehen chronische Erkrankungen. Sehr häufig leiden ältere Menschen aber auch an mehreren Krankheiten gleichzeitig, die zu einer Überlagerung der Schmerzursachen und damit zu einem wechselnden Krankheitsbild mit unterschiedlicher Lokalisation und unterschiedlicher Ausprägung führen. Dadurch werden vorhandene Schmerzäußerungen häufig von den professionellen Begleitern nicht mehr ernst genommen, da sie sich auf verschiedene Körperregionen beziehen. Schmerz beeinträchtigt die Lebensqualität des Menschen und beeinflusst ihn in seiner Selbstständigkeit. Da die Schmerzprävalenz in der älteren Bevölkerung hoch ist und gleichzeitig die Gefahr der Unterversorgung mit Schmerzmitteln besteht (DNQP 2005, S. 63), bedarf es hier eines fundierten Schmerzmanagements, das standardisiert in den Einrichtungen umgesetzt wird.

2.1.1 Wahrnehmung des Schmerzerlebens bei demenziell erkrankten Menschen


Sehr problematisch wird es dann, wenn ein Mensch, der einem Schmerzerleben ausgesetzt ist, gleichzeitig unter einer Demenzerkrankung leidet. Die kognitiven Einbußen, die mit einer Demenz einhergehen, führen zu einer fehlenden Schmerzerinnerung, einer mangelnden Fähigkeit der Schmerzkommunikation sowie einer veränderten Schmerzverarbeitung. In vielen Fällen werden bei einer Verhaltensauffälligkeit demenziell erkrankter Menschen, z. B. in Form von starker Unruhe, Jammern, Weinen, verändertem Schlafrhythmus, Appetitlosigkeit, Nahrungsverweigerung oder auch aggressivem Verhalten, eher Psychopharmaka als eine adäquate Schmerztherapie eingesetzt. Ist die Kommunikation mit demenziell erkrankten Menschen im Hinblick auf ihr Schmerzerleben eingeschränkt, bedarf es einer objektiven, sehr sensiblen und gezielten Beobachtungsgabe, durch die eine Verhaltensauffälligkeit des betroffenen Menschen einen Rückschluss auf vorhandene Schmerzen ziehen lässt (Schwermann 2008b, S. 29). In verschiedenen Studien konnte ermittelt werden, dass Menschen mit leichten bis mittelschweren kognitiven Einschränkungen noch in der Lage waren, Auskunft zu ihrem Schmerzerleben zu geben (DNQP 2005, S. 66). Hier werden verbale Schmerzskalen (VRS) empfohlen, die eine Wahl zwischen „kein Schmerz“ bis „extrem starker Schmerz“ anbieten (Schwermann/Münch 2008, S. 22–23).

Des Weiteren sollte der Betroffene auch immer direkt angeben können, um welche Schmerzstelle es sich handelt. Ab einem Folstein MMSE-Wert von unter 10 ist eine Selbstauskunft des Betroffenen nicht mehr möglich (DNQP 2005, S. 63). Neben der Selbstauskunft des Betroffenen steht die systematische Beobachtung von nonverbalen Schmerzanzeichen wie z. B. Lautbildung, Mimik, verhaltensbezogenen Merkmalen (DNQP 2005, S. 70 f.; Schwermann/Münch 2008, S. 28 f.) sowie die Fremdeinschätzung durch Professionelle und Angehörige.

Abb. 1: Verbale Rating Skala

2.1.2 Schmerzanamnese


Zu Beginn des Schmerzmanagements steht die Schmerzanamnese. Hierzu ist es erforderlich, dass die Pflegekräfte sensibilisiert sind für ein mögliches Schmerzerleben beim demenziell erkrankten, kommunikationseingeschränkten Menschen, das durch Verhaltensauffälligkeiten zum Ausdruck kommt. Aufgrund der häufig vorhandenen Multimorbidität der Betroffenen können einige auffällige Verhaltensweisen schmerzbedingt und nicht demenzbedingt auftreten. Entscheidend ist hierbei, dass bereits zu Beginn die „Verhaltensbezogenen Schmerzindikatoren“ (Schwermann/Münch 2008, S. 28 f.) in die pflegerische Anamnese einbezogen werden. Des Weiteren muss die medizinische Diagnose im Hinblick auf Krankheitsbilder, die mit einem Schmerzerleben im engen Zusammenhang stehen, in den Blick genommen werden. Hier stehen nach Studienerkenntnissen im Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ des DNQP (2005, S. 63) im fortgeschrittenen Alter degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates und Krebs sowie Multimorbidität im Vordergrund. Aber auch Erkrankungen infolge eines Diabetes mellitus, des Herz-Kreislaufsystems sowie Virusinfektionen können starke, chronische Schmerzzustände auslösen (Carr/Mann 2002, S. 172). Auch ist vom Hausarzt die aktuelle Einnahme von Schmerzmitteln zu erfragen sowie frühere Schmerzepisoden und -krankheiten zu ermitteln.

Im Hinblick auf die biografische Anamnese sollten die Angehörigen und Betreuer nach Erfahrungen des demenziell erkrankten Menschen mit vorhandenen Schmerzen vor der demenziellen Erkrankung, der Schmerztherapie und dem vorherigen Umgang mit Schmerzerfahrungen des Betroffenen gefragt werden. Im Hinblick auf ein möglicherweise aktuell auftretendendes Schmerzproblem sind sie eine hilfreiche Ressource bei der Ermittlung der Ursache einer auftretenden Verhaltensauffälligkeit, die mit einem Schmerzerleben in einen Zusammenhang gebracht werden kann. Grundsätzlich sollten die Angehörigen in die Schmerzanamnese und die Schmerzersteinschätzung mit eingebunden werden. Sie können hilfreiche Informationen geben, die dem Pflegepersonal im täglichen Umgang evtl. noch nicht bewusst geworden sind. Ist die Kommunikation mit demenziell erkrankten Menschen im Hinblick auf ihr Schmerzerleben eingeschränkt, bedarf es einer objektiven, sehr sensiblen und gezielten Beobachtungsgabe, durch die eine Verhaltensauffälligkeit des betroffenen Menschen einen Rückschluss auf vorhandene Schmerzen ziehen lässt. Im Hinblick auf eine objektivierte Beobachtungsgabe, die auch konsequent dokumentiert wird, müssen die Pflegekräfte geschult und sensibilisiert werden. Aus der Verarbeitung von Schmerzen entsteht ein sogenanntes Schmerzverhalten, zu dem verbale und nonverbale Mitteilungen, Körperhaltungen und Gesten sowie Funktionseinschränkungen und Behinderungen gehören (Schwermann 2008a, S. 32).

2.1.3 Instrumente zur kontinuierlichen Erfassung


Um den Erfolg einer Schmerztherapie zu überprüfen, wurden inzwischen verschiedene Instrumente, z. B. der ECPA-Bogen (Kunz 2006, S. 236; Schwermann/Münch 2008, S. 49) oder der BESD-Bogen, die Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (eine Übersetzung der amerikanischen Painad-Skala: Arbeitskreis „Alter und Schmerz“ der DGSS, http://www.dgss.org) in die deutsche Sprache übersetzt, die zwar kein Maß für Schmerzen sind, sondern Auffälligkeiten im beobachtbaren Verhalten systematisch dokumentieren und nach der Schmerzanamnese als hilfreiche Instrumente zur kontinuierlichen Überprüfung hinzugezogen werden können. Durch die Handhabung dieser Instrumente werden die Pflegekräfte für die kontinuierliche und objektive Wahrnehmung von Verhaltensauffälligkeiten, die auf ein Schmerzerleben hinweisen, sensibilisiert. Die Pflegefachkräfte berichten, dass sie durch die Handhabung eines solchen Instruments von den Ärzten viel ernster genommen würden, wenn sie die Notwendigkeit einer fundierten Schmerztherapie einforderten. Auch lässt sich durch diese Instrumente die umgesetzte Schmerztherapie evaluieren.

Im Hinblick auf den ECPA-Bogen empfiehlt Kunz (2006, S. 236): „Je höher die Punktzahl ausfällt, desto wahrscheinlicher liegt ein Schmerzproblem vor. Ein Schwellenwert kann nicht festgelegt werden, bei jedem Verdacht auf mögliche Schmerzen ist (...) eine Schmerztherapie einzuleiten.“ Der ECPA-Bogen sollte nur angewendet werden, wenn eine andere Form der Schmerzerfassung mit anderen Instrumenten nicht möglich ist, da eine Selbsteinschätzung immer Vorrang vor einer Fremdeinschätzung hat. Das Instrument muss alle zwei Tage von der Bezugspflegekraft ausgefüllt werden. Die Ergebnisse werden im Team und mit dem Arzt besprochen, ob der ermittelte Score eher schmerzbedingt indiziert sein kann oder doch aufgrund der Demenz begründet ist. Sollte Einigkeit darüber herrschen, dass die Verhaltensauffälligkeiten eher demenzbedingt sind, sollten andere Maßnahmen ergriffen werden. Im Rahmen der Evaluation einer umgesetzten Schmerztherapie kann anhand der Entwicklung des Scores ein potentieller Therapieerfolg nachgewiesen werden.

2.1.4 Schmerztherapie


Behandlungsziele bei chronischen Schmerzen im Alter sind, die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität zu steigern. Neben der Behandlung der Schmerzen sind die Begleitsymptome, wie z. B. Schlaflosigkeit, Angst, Depressionen, sowie möglicherweise auftretende Nebenwirkungen in den Blick zu nehmen Bei einer sachgerechten Schmerztherapie ist eine Überdosierung und Suchtentwicklung auszuschließen. Grundsätzlich zu berücksichtigen ist hier aber, dass

  • die Auswahl und Dosierung der Analgetika individuell nach Schmerzart und Schmerzstärke vorgenommen werden,
  • eine altersgerechte Medikamentengabe umgesetzt wird („start low, go slow“),
  • die orale Gabe nach einem Zeitschema verabreicht wird,

Abb. 2: ECPA-Bogen (modifiziert)

  • Tropfen oder Suspensionen oft geeigneter sind als Tabletten, da sie in Getränken angeboten werden können,
  • ein Einsatz von Retardpräparaten für die Dauertherapie bevorzugt wird,
  • die Berücksichtigung des Stufenschemas der Weltgesundheitsorganisation, möglicherweise in Kombination mit einer adjuvanten Therapie empfohlen wird,
  • Opiate wegen der Empfindlichkeit dieser Patientengruppe auf zentralnervöse Nebenwirkungen, wie z. B. eine verstärkte Verwirrtheit, besonders vorsichtig zu dosieren und langsam zu steigern sind (Grießinger 1999, S. 43–49; Kunz...
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