Was wird ihm alles angehängt, nachgesagt und vorgeworfen. Ein Irrläufer der Natur soll er sein. Eine Fehlkonstruktion. Oder wenigstens ein mit sehr vielen Fehlern behaftetes Modell. Schnell überfordert. Seinen Aufgaben nicht gewachsen. Es wird ihm nachgesagt, er könne sich selbst nicht mal tragen. Und er schrumpfe im Alter. Er ist uns angeblich ganz und gar feindlich gesinnt.
Wissen Sie was? Das ist alles nicht wahr. Er ist ganz anders. Er ist fantastisch. Er ist stark. Er ist biegsam. Er ist elastisch. Er ist flexibel. Er ist strapazierfähig. Er ist nachhaltig. Er ist perfekt. Der menschliche Rücken. Ihr Rücken. Sie müssen ihn einfach nur richtig behandeln, artgerecht, dann ist er die Säule, auf die Sie bauen können. Ihr Wohlbefinden. Ihre Kraft. Ihre Beweglichkeit. Er ist Ihr perfektes Rückgrat. Eine perfekte Konstruktion.
Der Fehler sitzt im Kopf. Dort haben Sie all die Fehlinformationen über Ihren Rücken, diesen wichtigen und dominanten Teil Ihres Körpers, gespeichert. Und jetzt macht er mit Ihnen genau das, was Sie von ihm erwarten. Er ist schnell beleidigt. Er ist empfindlich.
Er ist nachtragend. Er ist steif. Er ist verkrampft. Und er schrumpft mit den Jahren. Eine fatale Variante der sich selbst erfüllenden Prophezeiung sozusagen.
Wenn Sie bereit sind zu akzeptieren, dass Ihr Rücken perfekt ist und dass nur Ihre Ansichten über Ihren Rücken fehlerhaft sind, so sage ich Ihnen gerne, wie Sie zu lebenslanger Freundschaft mit Ihrer Wirbelsäule finden. Dieses Versprechen bezieht sich auf alle Beschwerden, die durch Fehlhaltungen entstehen. Flachrücken, Rundrücken, Hohlkreuz. Beckenschiefstand, Buckelbildung, Bandscheibenschäden. Arthrosen, Skoliosen, Osteoporose. Syndrome des Ischiasnervs und des Piriformis-Muskels. Diffuse Kreuzschmerzen, Hexenschüsse, Traumen aller Art.
Laut aktuellen Statistiken leben in unseren Breitengraden 65 Prozent aller Menschen mit mehr oder minder starken Rückenbeschwerden. Bei den 65-Jährigen sind es sogar 80 Prozent. Eine aktuelle Studie der Schweizer Rheumaliga besagt, dass 80 Prozent aller Erwachsenen unter Rückenschmerzen leiden. Und für viele von ihnen werden die Beschwerden mit den Jahren chronisch. Nun neigen wir alle dazu, das häufig Vorkommende für normal zu halten.
Und mit der Normalität hat man sich zu arrangieren. Ist halt so. Kann man nichts machen. »Die enorme Zunahme von Rückenproblemen in den letzten Jahrzehnten führte zu zahlreichen neuen Behandlungsmethoden und ist Gegenstand vieler Untersuchungen. Rückenschmerzen sind meist nichts Schlimmes und haben in der Regel gute Heilungschancen«, steht auf der Webseite einer großen deutschen Versicherung. So weit, so gut. Doch der nächste Satz hört sich so gar nicht beruhigend oder aufmunternd an: »Die Medizin steht aber weiterhin vor einem Rätsel, denn eine eindeutige Ursache für diese ›Volkskrankheit‹ ist in der Schulmedizin noch nicht belegt.« Ist das absichtsvoll geäußerter Unfug oder ehrlich gemeintes Resümee? Noch verwirrter klingt es in Krampfdeutsch auf der Homepage eines großen medizinischen Versorgungszentrums in Deutschland: »Rückenschmerzen generell sind ein Tribut an den aufrechten Gang, nur dann verändert sich auch die Wirbelsäule.« Soll wohl heißen: Kröchen wir auf allen vieren, wäre alles gut. Ein Chiropraktik-Portal generalisiert: »Sitzen und Stehen ist schlecht«, und behauptet: »Liegen und Laufen ist gut.«
Willkürlich ausgesucht? Hier eine kleine Kostprobe aus der seriösen Presse. »Keinen Rückenschmerz zu haben ist nicht mehr normal: Mehr als 80 Prozent aller Deutschen spüren ihn mindestens einmal im Leben«, schreibt Der Spiegel in seinem Spezialheft Wissen »Rücken ohne Schmerz« im Herbst 2011 ( Der Spiegel , Wissen , Nr. 4/2011). »Hexenschuss, Ischias, Nackenweh und Lendenschmerz sind, nach dem Schnupfen, der zweithäufigste Grund, zum Arzt zu gehen, und der häufigste Grund für den Besuch beim Alternativmediziner.«
»Drama in 24 Wirbeln«, schreit die Überschrift der ersten Reportage. Und der Text beginnt so: »Wir und die Dackel haben eines gemeinsam: Unsere Rücken scheinen nicht gemacht für dieses Leben.« Der Dackel wurde Opfer von Züchtern, der Mensch sei Opfer des Fortschritts.
»Kreuzleiden überfallen Millionen Menschen hinterrücks.«
»Der Angriff auf den Rücken lauert überall.«
»Vor dem Kreuz sind alle Menschen gleich.«
»Verschleiß ist … leider unausweichlich: Der Zahn der Zeit mag den Knorpel, und so gut wie alle Menschen haben früher oder später geschrumpfte, ausgetrocknete, eingerissene … Bandscheiben.«
Sätze, die mich beim Blättern im Spiegel -Spezial anspringen. Immerhin wird vor voreiligen Rückenoperationen deutlich gewarnt!
Die Epidemie ist ein gutes Geschäft. Es werden jedes Jahr mehrere Milliarden Euro für Schmerzmittel ausgegeben, Milliarden für Therapien, Milliarden für Operationen am Bewegungsapparat.
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Nach Ernst Haeckel, »The Evolution of Man«, London 1879.
Der aufrechte Gang ist zwar eine große Leistung – die Vögel können mehr –, doch den Tribut in Form von Rückenschmerzen verlangt er nicht. Sonst hätten wir es uns in den rund 5 Millionen Jahren unseres Aufrichtens längst anders überlegt. Wir wären quasi zu Kreuze gekrochen. Hätten uns auf alle viere beschränkt. Wären nie Menschen geworden. Das wäre für den Planeten Erde wahrscheinlich ein Segen, doch irgendwie auch schade.
Die Wirbelsäule ist ein Erfolgsmodell. Sie entwickelte sich vor mehr als 500 Millionen Jahren für, an und mit Wassertieren. Vor 400 Millionen Jahren machte sich das erste Lebewesen auf den Landgang. 395 Millionen Jahre bewährte sich das Prinzip, entwickelte sich in Millionen von Wesen und Arten, bis sich eine Art aufrichtete …
Gehen Sie mal davon aus, dass dieses Aufrichten eine kleine Sache war verglichen mit dem evolutionären Schritt vom Wasser an das Land. Oder vom Land in die Lüfte. Wir machten uns auf die zwei Beine, um die Hände frei zu haben. Und diese Freiheit der Hände führte zu Geschicklichkeiten aller Art, welche wiederum das Gehirn zum Wachsen brachten.
Und so wurden wir, was wir sind – hochintelligente Menschen, die ihren Körper als Feind betrachten, weil sie verlernt haben zu spüren, was ihm guttut. Was er braucht. Wie er funktioniert. Kopflastige Zweibeiner, die keine Ahnung mehr haben, was für eine kreatürliche Meisterleistung sie im Lauf der Jahrmillionen vollbracht haben.
Damit jetzt nicht der Eindruck entsteht, ich wollte in der Zeit zurückwandern: ganz das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte Sie auf die Zeitreise in Ihre Zukunft einladen. Ich möchte Sie zu Ihrer eigenen Körperevolution anstacheln. Vergessen Sie, was Sie gelernt haben. Vergessen Sie, was Sie in Sachen Körperalterung glauben. Hören Sie auf zu imitieren, was andere machen. Entscheiden Sie jetzt, heute, in diesem Augenblick, in welchem körperlichen Zustand Sie in … sagen wir mal … 30 Jahren sein möchten. 30 Jahre sind realistisch, wenn Sie wie ich um die 60 sind. Gehören Sie zu den Glücklichen, die sich schon mit 30 Lebensjahren mit dem guten Älterwerden beschäftigen, so richten Sie die Projektion 60 Jahre in die Zukunft. Oder 70. Die Chance, dass Sie 100 Jahre alt werden, ist, so, wie es zurzeit aussieht, groß.
Mit dieser Hochrechnung sind wir auch schon mitten im Rückendilemma. Bis vor 100 Jahren bewegten wir uns viel und starben früh. Jetzt ist es umgekehrt. Wir bewegen uns wenig und leben lange.
Nein, ich komme jetzt nicht mit dem inneren Schweinehund. Der wird schon zu häufig missbraucht. Ich nehme an, Sie haben Rückenschmerzen, Beschwerden irgendeiner Art, die Sie davon abhalten, sich oft und gern zu bewegen. Ich möchte Ihnen sagen, wie Sie das, was Sie vom Bewegen abhält, verwandeln können. Ich will Ihnen sagen, wie Sie frei werden von Schmerzen und Beschwerden. Ich muss Ihnen sagen, wie Sie wieder den Körper aus Ihrer Kindheit zurückerhalten, kräftig, beweglich und nicht zu bremsen.
Das ist mein Versprechen: Ich zeige Ihnen, wie Sie Ihren Rücken wieder in den Zustand versetzen, der eigentlich seine Natur ist: stark, beweglich und ganz wild darauf, bewegt zu werden.
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Bild 7
Das Skelett links ist das »normale«. Schon ein bisschen alterskrumm und geschrumpft. Die Wirbelsäule mit jener S-Kurve, die angeblich Stöße und Schläge abpuffern soll. Horizontale Achsenverschiebungen sorgen für eine aufwendige und beschwerliche Stabilität. Rechts ist das gleiche Skelett wieder aufgespannt – an der Mittelachse. Die Wirbelsäule ist so gerade wie bei der Geburt. Das hauchzarte, lang gezogene S rührt nur noch von den Knochenfortsätzen. Und Stöße muss die Wirbelsäule keine abpuffern – es gibt keinerlei Erschütterungen, wenn sich der Körper aufgespannt bewegt und von der Tiefenmuskulatur gehalten wird.
Auch ein kraftvoller, beweglicher Rücken kann mal wehtun. Wenn dieses Wehtun Resultat einer ungeschickten Bewegung oder einer körperlichen Überanstrengung ist, sagt Ihnen Ihr Körper damit, dass da etwas schiefgelaufen ist. Dass ihm da etwas nicht gefallen hat. Er signalisiert Ihnen: Mach das bitte nicht mehr so. Spontaner Schmerz ist immer »Freundschmerz«, Alarmschmerz. Wenn Sie die Übungen im zweiten Teil dieses Buches sorgfältig durcharbeiten, werden Sie wissen, wie Sie sofort angemessen auf das durch und durch freundschaftlich gemeinte Feedback Ihres Körpers reagieren können, um den Schmerz sofort wieder aufzulösen. Ja, den Schmerz im Körper auflösen. Nicht die...