Kapitel 1
Wissenswertes über Tischtennis
Vom Tischtennisfieber
Ich erinnere mich noch ganz genau: 1970 im Sommerurlaub passierte es. Da stand ein von der heißen Mittelmeersonne „mitgenommener“ Tisch – das Oberfurnier löste sich bereits an mehreren Stellen – im Garten einer Hotelanlage in Spanien. Die Schläger – von ihrer Beschaffenheit kaum besser als der Tisch – konnte man ausleihen. Nur die Bälle entsprachen ungefähr den normalen Spielbedingungen. Natürlich blies auch schon mal eine ordentliche Windböe, wodurch der Ball eine völlig neue Flugbahn erhielt. Aber all das konnte meinen Vater und mich nicht davon abhalten, uns tagtäglich mit größtem Spaß im Pingpongspiel zu messen. Das Tischtennisfieber war in mir ausgebrochen und hält bis heute unvermindert an. Über den katholischen Tischtennisjugendheimtreff landete ich dann schon kurz darauf in meinem ersten Tischtennisverein.
Mit 13 Jahren bestritt ich 1971 mein erstes Meisterschaftsspiel in der ersten Schülermannschaft des TTV GW Schultendorf in Gladbeck. Zum Profi hat’s bei mir allerdings nicht gereicht. Im höherklassigen Amateurbereich habe ich mit größtem Vergnügen lange Jahre gespielt, bis mich dann eine Schulterverletzung dazu zwang, meine aktive Laufbahn – zumindest auf dem Niveau – doch recht früh mit 23 Jahren abzubrechen. Das musste ich erst einmal „verdauen“. Darüber hinweggeholfen hat mir aber meine seinerzeit schon nebenbei ausgeübte Trainertätigkeit im Jugendbereich. Nicht mehr selbst aktiv, konnte ich mich nun diesem Bereich intensiver widmen. Mit wachsender Begeisterung und immer größerem Fieber. Und ob ich nun heute selbst zum Schläger greife oder andere ihn „schwingen“ sehe, gleich steigt in mir das Fieber, denn Tischtennis ist so vielseitig und abwechslungsreich, ob vom Anfänger oder vom Profi gespielt, dass es mich unendlich fasziniert und das seit nunmehr 44 Jahren. Aber da bin ich wohl nicht der Einzige. Blicken wir doch mal auf die Anfänge des Tischtennisspiels zurück.
In den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelten Tennisspieler in England, die vom englischen Regen in ihr Klubheim vertrieben wurden, sozusagen als Ersatz ein Miniaturtennisspiel, das auf einem Tisch mit tennisähnlichen Schlägern und Gummibällchen gespielt wurde. Schnell fand dieses Spiel auch Eingang in die Wohnzimmer und Küchen gehobener Gesellschaftsschichten, wo es als Freizeitspiel großen Anklang fand.
Foto 7: Tischtennis gestern – ein Salonspiel Ende des 19. Jahrhunderts (aus: FRIEDRICH, Bonn 1989, S. 79)
Schon 1878 dokumentiert eine Postkarte dieses moderne Freizeitvergnügen (s. Foto 7). Den weltweiten Durchbruch des Sportspiels Tischtennis leitete aber vor über 120 Jahren der Engländer James Gibb ein, als er 1891 auf einer Geschäftsreise in den USA kleine bunte Bälle aus Zelluloid entdeckte, die sich fürs Tischtennisspiel hervorragend eigneten. Diese revolutionäre Verbesserung des Spiels löste nicht nur weltweit das erste große Tischtennisfieber aus, sondern sorgte auch für den typischen Klang des Spiels: ping-pong.
Im Jahre 1900 wurde bereits der erste Pingpongklub in Berlin gegründet. 1907 fanden schon die ersten deutschen Meisterschaften im Tischtennis statt. In dieser Zeit eroberte das Spiel auch Asien, insbesondere Japan, China und Korea. Nach einer durch den Ersten Weltkrieg bedingten Ruhezeit erlebte Tischtennis in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts einen großen Aufschwung. 1925 wurde in Berlin der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) gegründet. 1926, ebenfalls in Berlin, riefen neun Nationen den Tischtennis-Weltverband (International Table Tennis Federation – ITTF) ins Leben. Die ersten Weltmeisterschaften wurden noch im gleichen Jahr in London ausgetragen. Natürlich war das damalige Spiel nicht so schnell wie das heutige Spitzentischtennis. Es überwog noch das kontrollierte Schupfspiel. Der längste, je gespielte Ballwechsel dauerte 2 h 12 min (!) und wurde 1936 vom Polen Alex Ehrlich und dem Rumänen Jiri Paneth gespielt.
Foto 8: Heute ist Tischtennis ein beliebter Schul- und Freizeitsport, besonders das Rundlaufspiel.Das Foto zeigt das seit 1999 stattfindende Landesfinale des Milchcup Mannschaftsrundlaufturniers in Düsseldorf: Tischtennis Spaß pur!
Ein Match konnte sich damals über mehrere Stunden hinziehen. Die Schläger waren mit dem heute kaum noch benutzten Noppengummi belegt, allerdings ohne Schwammunterlage (s. Kap. 6). Auch Kork und Sandpapier fanden als Beläge Verwendung. Die Hölzer haben sich viele Spieler selbst gebaut. Regeländerungen sorgten noch Ende der 1930er-Jahre für eine Spielzeitverkürzung. War ein Satz nach 15 Minuten noch nicht beendet, so trat die „Zeitregel“ in Kraft, die dem Spieler genau 13 Schläge erlaubt, um einen Punkt zu erzielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in den 1950er-Jahren zur ersten Materialrevolution im Tischtennis. Die Japaner benutzten ein oder mehrere Zentimeter dicke Schwämme als Beläge. Neue Angriffsschlagtechniken entstanden, das Spiel wurde dynamischer und athletischer. Vollends „revolutioniert“ wurde das Spiel aber mit der Entwicklung der Noppen-innen-Beläge, Seine mit einem elastischen und 1-2 mm dicken Schwamm unterlegte griffige Naturkautschuk-Oberfläche ermöglichte es nunmehr, einen Schlag auszuführen, den heute jeder beherrschen muss, den Topspin. Von da an nahm die technisch-taktische Entwicklung des Spiels einen rasanten Verlauf, bei der die Spielvariablen Rotation und Tempo immer mehr an Bedeutung gewannen.
Die Machtverhältnisse im Tischtennis wechselten mit schöner Regelmäßigkeit zwischen Europa und Asien. Zunächst waren es die Europäer, die das Tischtennis zu Beginn der 1950er-Jahre beherrschten. Ab 1955 gewannen die Asiaten die Vormachtstellung. Bis 1971 stellten Japan und China im Wechsel die Team- und Einzelweltmeister bei den Herren. 1973 avancierte Schweden zur Tischtennis-Weltmacht und wechselte dann bis zum Jahre 2000 mit den Chinesen ständig die Führungsrolle. Im neuen Jahrtausend ist China mit Abstand die weltweit führende Tischtennisnation, sowohl bei den Herren, als auch bei den Damen. Deutschland ist mit Führungsspieler Timo Boll seit 10 Jahren bei den Herren Europas stärkste und weltweit die zweitstärkste Nation hinter China. Sowohl im Amateur- als auch im Profibereich geht der Trend eindeutig zu einer offensiven Spielanlage, bei dem der Topspin eine zentrale Rolle spielt. Defensivspieler gibt es, auch an der Weltspitze, nur noch ganz selten. Im Bereich der Schlägerhaltung gewinnt die Shakehand-Schlägerhaltung, in Europa von Beginn an dominierend, auch in Asien immer mehr an Bedeutung.
Die Tischtennisbegeisterung hat im Laufe ihrer Entwicklung ungeahnte Ausmaße angenommen. Schätzungsweise 250 Millionen Menschen spielen regelmäßig in ihrer Freizeit Tischtennis. Damit gehört Tischtennis zu den beliebtesten Sportarten auf der Welt. Aber auch im organisierten Wettkampfsport ist Tischtennis eine der weltweit führenden Sportarten. In der ITTF (International Table Tennis Federation) sind 220 Nationen zusammengeschlossen (Stand: April 2014), denen über 30 Millionen Spieler angehören. Jährlich finden Weltmeisterschaften statt, die zu den größten globalen Hallensportveranstaltungen gehören. Im gleichen Zeitabstand werden die Kontinentalmeisterschaften ausgetragen. Seit 1988 ist Tischtennis auch olympisch. In die Weltspitze können heute nur noch Profispieler kommen, die täglich 2 x trainieren und ihr Leben ganz auf den Sport konzentrieren. Natürlich können diese Spieler auch mit Tischtennis ihren Lebensunterhalt verdienen. In China sind die Topspieler so bekannt wie Fußballstars in Europa und verdienen Millionengehälter.
In Deutschland spielen etwa fünf Millionen Menschen regelmäßig Tischtennis. Davon sind ca. 700.000 im Deutschen Tischtennis-Bund, der in Frankfurt seinen Sitz hat, organisiert. Tischtennis wird in allen Lebensbereichen gespielt, ob zu Hause, in Freizeit- und Jugendheimen, in öffentlichen Parks und Freibädern, in Schulen und Betrieben, oder eben in Vereinen. Das Tischtennisfieber kennt keine Grenzen. Aber auch ältere Menschen spielen zunehmend Tischtennis. Gerade in den letzten Jahren boomt der Seniorensport (40-95 Jahre). Bei den alle zwei Jahre ausgetragenen Seniorenweltmeisterschaften sind regelmäßig über 3.000 Spieler am Start. Ein Bereich, der leider häufig übersehen wird, aber in dem Tischtennis auch eine große Rolle spielt, ist der Behindertensport. In fast allen Schadensklassen mit und ohne Rollstuhl, zählt Tischtennis zu den am häufigsten ausgeübten Sportarten.
Unterstützt wird dieses Tischtennisfieber in Deutschland sicher auch dadurch, dass das deutsche Tischtennis zur Weltspitze gehört. Nach dem legendären Eberhard Schöler (Vizeweltmeister 1969 in München) und den Doppelweltmeistern (Dortmund 1989), Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner, der Europameisterin Nicole Struse von 1996 ist Timo Boll das Zugpferd des deutschen Tischtennis seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Er gewann sechs Europameistertitel im Einzel, bei den Weltmeisterschaften 2011 Bronze und war zeitweise die Nummer eins der Weltrangliste. Sein Ziel ist es nach wie vor, Einzelsieger bei den Weltmeisterschaften oder bei den Olympischen Spielen zu werden. Mit Dimitrij Ovtcharov hat sich ein weiterer Deutscher in der Welt ganz nach vorne unter die Top 10 der Weltrangliste gespielt: Die deutsche Herren-Nationalmannschaft ist 2004, 2010, 2012 und 2014 Vizeweltmeister hinter China geworden. Bei den Olympischen Spielen 2008 und 2012 holten Deutschlands Herren die Silbermedaille im Team-Wettbewerb, wiederum hinter China. Aber auch international bedeutsame Turniere und Meisterschaften werden häufig in...