Einleitung
Der Papst im Dialog über Jesu Tod und Auferstehung
Thomas Söding
Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. hat sein Jesusbuch, den ersten wie den zweiten Teil, im Dialog mit der Theologie geschrieben, der patristischen wie der aktuellen, der evangelischen wie der katholischen, der Exegese wie der Fundamentaltheologie und Dogmatik: immer im Blick auf die aktuelle Bedeutung und die praktische Dimension des Christusglaubens, immer im Blick auf die Gottesfrage, die Jesus so beantwortet, dass sie zur Glaubensfrage an die Menschen wird.
Dieser dialogische Ansatz ist eine Einladung an die Theologie, die nicht ausgeschlagen werden sollte. Es ist eine große Chance, das Gespräch mit diesem Autor und diesem Buch über dieses Thema zu suchen: Tod und Auferstehung Jesu, das „Geheimnis des Glaubens“. Die Theologie ist aufgefordert, die Schriftauslegung und die Theologie des Papstes einzuordnen, die Möglichkeiten anderer Sichtweisen zur Diskussion zu stellen und Kritik zu üben, aber auch Impulse aufzunehmen; sie ist herausgefordert, die historischen Probleme zu diskutieren, die berührt werden, wenn der Prozess und das Versagen der Jünger, der Kreuzweg und das Sterben, die Erscheinungen und die Sendung Jesu behandelt werden; sie ist als Instanz der Kritik gefragt, die das Buch des Papstes differenziert beurteilt; sie sollte sich aber auch Rechenschaft darüber ablegen, wie ihr bisheriges Vorgehen vom Autor, von seinem Konzept und seiner Leitthese, so kritisiert wird, dass ein wissenschaftlicher Fortschritt und eine geistliche Vertiefung möglich werden.
Speziell die Theologinnen und Theologen in Deutschland dürfen im Papst immer auch noch ihren Kollegen sehen, der gerne am Schreibtisch sitzt und wissenschaftlich arbeitet, um sein großes Projekt voranzutreiben: die Gestalt und Botschaft, das Geschick und das Geheimnis Jesu darzustellen.
Dass er nicht nur an den Fachdiskursen interessiert ist, sondern an der geistlichen Dimension der Theologie, versteht sich; die Theologie muss Rechenschaft ablegen, ob sie dieses Interesse als unwissenschaftlich abtun will oder einen eigenen Zugang zur Spiritualität zu öffnen und den des Papstes zu würdigen vermag.
Dass Benedikt mit theologischem Anspruch schreibt, ist unübersehbar; die Theologie darf sich herausfordern lassen, das Gewicht, die Stärken, aber auch die Grenzen seines hermeneutisch profilierten Versuches zu ermessen, die Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu als Gottesgeschichte zu lesen.
Dass der Papst es mit schwierigsten historischen Fragen zu tun hat, gehört zur Aufgabe, die er sich gestellt hat; die Theologie ist aufgefordert, ihre Urteile in die Debatte einzubringen und dadurch eine kritische Einschätzung zu ermöglichen.
Im Zentrum des Gespräches stehen nicht Detailfragen der historischen Rekonstruktion, der philologischen Analyse und der exegetischen Interpretation; die werden strittig bleiben. Im Zentrum stehen vielmehr die großen Fragen des Glaubens, die mit der Suche nach der historischen Wahrheit und der theologischen Bedeutung Jesu verbunden sind:
Wer war schuld am Tode Jesu? Wer hat politische und moralische Verantwortung für die Kreuzigung eines Unschuldigen zu übernehmen? Welche theologischen Konsequenzen haben die Antworten auf diese Fragen?
Wie ist Jesus in diesen Tod hineingegangen? Wie hat er ihn durchlitten? Welche Bedeutung hat er ihm gegeben? Welchen Sinn haben seine Jünger in ihm zu erblicken vermocht?
Welche Rolle spielt Gott, der Vater, in der Passionsgeschichte Jesu? Wie hat Jesus ihn gesehen? Wie kann von Ostern her das Verhältnis Gottes zum Leiden des Sohnes und zum Leid aller Menschen gesehen werden?
Wie ist der Glaube an die Auferstehung Jesu entstanden? Welchen Realitätsbezug hat er? Welche Beziehung erkennt er zum Leben und zum Sterben Jesu?
Viele andere Fragen sind mit diesen christologischen eng verbunden, so dass sie nicht unabhängig diskutiert werden können: das Verhältnis zwischen Jesus und dem Judentum, die Beziehungen zwischen der Kirche und Israel, die Kontingenz des Geschehens und die Provenienz Gottes, die Einzigkeit Jesu und die Universalität seiner Heilsbedeutung.
Mit der Antwort auf diese Fragen gewinnt das zweite Jesusbuch des Papstes Format. Joseph Ratzinger beantwortet die Fragen nicht, indem er die theologischen Theorien betrachtet, die im Laufe der Theologiegeschichte ersonnen worden sind, sondern indem er die Texte der Passions- und Ostergeschichten im Neuen Testament auslegt, die vom Geschehen künden und es dadurch deuten. Benedikt XVI. bringt diese Erzählungen ins Gespräch mit den frühesten Zeugnissen des Glaubens und mit großen Stimmen aus der theologischen Tradition, aber auch mit politischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Diskussionen; es geht ihm darum, in diesem wissenschaftlichen Gespräch die Gestalt und das Geschick, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft Jesu genauer zu erkennen und mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche zu vermitteln.
Damit das Gespräch weitergeht, kommen in diesem Band deutschsprachige Stimmen der Theologie zu Wort, aus verschiedenen Konfessionen und aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, in einem breiten, aber repräsentativen Spektrum an Methoden und Schulen. Sie alle haben unterschiedliche Zugänge zum Buch des Papstes; sie alle haben ihr eigenes Bild von Jesus; sie alle haben den Band mit ihren eigenen Augen gelesen; sie alle haben charakteristische Eindrücke und Rückfragen; sie alle wollen einer interessierten Öffentlichkeit helfen, besser einschätzen zu können, was der Papst geschrieben – und was er nicht geschrieben – hat und wie er von theologischen Profis gelesen und gesehen, beurteilt und bewertet wird.
Wie immer die Kritik im Einzelnen ausfällt: Die Debatte lohnt. Denn die Passionsgeschichte ist die ganz große Erzählung der Menschheit, in der mit äußerstem Mut, größter Ehrlichkeit und festestem Glauben erzählt wird, was passiert, wenn sich Gott so rückhaltlos in die Geschichte der Menschen hineinziehen lässt, wie Jesus das verkündet; und das Osterevangelium gibt das große Hoffnungssignal für alle, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern besiegt wird, damit ewiges Leben werden kann.
Der erste Band, der Verkündigung Jesu während seines öffentlichen Wirkens gewidmet, hat nicht nur die Dogmatik, sondern auch die Exegese an die Christologie des Lebens Jesu erinnert. Diese Christologie ist ein Postulat der Moderne. Sie kann die traditionelle Fixierung westlicher Theologie auf das Kreuz aufbrechen; sie kann den Ansatz beim Osterkerygma, den Rudolf Bultmann für allein theologisch tragfähig hielt1, mit der Erinnerung an die Botschaft Jesu von der Gottesherrschaft und seiner Verheißung ewigen Lebens verbinden, die durch seine Auferstehung ja nicht überholt, sondern aktualisiert wird. Sie geht in den exegetischen Konkretionen und geschichtlichen Anschauungen weit über das hinaus, was üblicherweise in den Christologien von Dogmatikern mit dem Wirken Jesu selbst verbunden wird. Sie hat einen starken Impuls gegeben, die Grundsatzfragen der Schriftauslegung zu diskutieren, die im Spannungsfeld zwischen einer Hermeneutik der Kritik und einer Hermeneutik des Glaubens Profil gewinnt.
Der zweite Band ist den zentralen, aber höchst problematischen Ereignissen und Überlieferungen aus Jerusalem gewidmet. Hier ist der Ernstfall der Theologie gegeben. Hier stehen die heißen Eisen der Sühne und der Stellvertretung, des Opfers und der Erlösung zur Debatte. Hier geht es um die noch viel schwierigeren Fragen, weshalb Jesus gelitten hat, weshalb er sterben „musste“, wenn er doch Gottes Sohn ist, und wie Jesus auferweckt werden konnte, wenn er doch tot und begraben war. An der Antwort auf diese Fragen hängen die Glaubwürdigkeit der Christologie, die Wahrheit des Geschicks Jesu und die Identität seiner Person, am Ende auch die Gültigkeit seiner Verheißung und die Wirklichkeit seines Heilsdienstes.
Die Antworten, die in diesem Band als Antwort auf die Antworten des Papstes gesammelt sind, bilden ein breites Spektrum an Disziplinen und Überzeugungen ab. Die Exegese kommt zu Wort, die Dogmatik und Fundamentaltheologie, aber auch die Religionspädagogik.
Alle theologischen Disziplinen müssen, wenn irgendwo, dann bei der Deutung, der Rekonstruktion und Aktualisierung der Jesusgeschichte an der Zusammenarbeit interessiert sein. Der Papst schreibt unverkennbar als Dogmatiker, der aber aus theologischen Gründen Schriftauslegung treibt. Er liefert eine textnahe Exegese, die aber aus philologischen und historischen Gründen zur Theologie wird. Damit stellt er die Systematische Theologie wie die Bibelwissenschaft vor die Aufgabe einer komplementären Methodenreflexion. Er selbst ist dem Postulat des Zweiten Vatikanischen Konzils verpflichtet, die „Schriftauslegung“ sei „gleichsam die Seele der gesamten Theologie“ (Dei Verbum 24); in seinem säkularen Kommentar hat er darin für „die Systemgestalt der katholischen Theologie eine geradezu revolutionierende Bedeutung“2 gesehen. Diese Revolution hat er mit den beiden Jesusbüchern selbst ausgeführt und damit ein unübersehbares Zeichen der Ökumene gesetzt, das der Modernität seiner Theologie das denkbar beste Zeugnis ausstellt. Er stellt damit die Exegese, wenigstens die katholische, vor die Frage, wie sie sich als Theologie ausarbeiten will – was geschehen muss, wenn sie ihr Leben nicht im Vorhof der Heiden fristen will; er stellt gleichermaßen die Dogmatik vor die Frage, wie sie schriftgemäß sein will – was...