Einleitung
»Guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding, wenn man mit ihm umzugehen weiß.«
William Shakespeare
Vor einem Jahr nahm ich ein Probeabo einer großen deutschen Wochenzeitung in Anspruch. Als Kundin nahm ich damit gleichzeitig in Kauf, dass meine persönlichen Daten im CRM-System (Customer-Relationship-Management-System) dieses Verlages landeten. Wie von mir vorausgeahnt, erreichen mich nun seit einiger Zeit in unregelmäßigen Abständen Verkaufsanrufe. Aus Verkäufersicht ist das absolut legitim und aus unternehmerischer Sicht ein Muss. Für mich als potenzielle Abonnementkundin wäre es dann angenehm, wenn die Anrufer in ihrem Verkaufsprozess kultiviert vorgingen; wenn sie die Verkaufsbeziehung also von Beginn an fürsorglich pflegen würden. Leider vermisste ich diese Sorgfalt bei allen Anrufen, die ich bisher erhielt.
Jedem dieser Anrufer nannte ich die gleichen Gründe, weshalb ich die Zeitung nicht abonnieren möchte, und bat darum, diese Gründe im CRM-System so zu hinterlegen. Außerdem fügte ich noch an, dass ich bitte nicht mehr angerufen werden möchte. Bedauerlicherweise hat das bisher nicht funktioniert.
Erst neulich rief mich wieder ein freundlicher Verlagsmitarbeiter an. Er hätte ein neues Abo-Angebot, das nach dem Ende des Bezugszeitraumes automatisch abläuft. Ich bräuchte also nichts Weiteres zu unternehmen. Ob ich daran Interesse hätte, wollte er von mir wissen. Auch ihm erklärte ich wieder, dass ich die Zeitung sehr gerne regelmäßig lesen würde, es mir aber leider, zumindest im Moment, an der Zeit dazu mangelt. Ich meine das übrigens genauso, wie ich es sage. Deshalb kaufe ich mir die Zeitung ab und zu im Zeitschriftenhandel, wenn ich absehen kann, dass ich es zeitlich schaffe sie zu lesen. Auf das Argument der fehlenden Zeit war er gut vorbereitet, denn er antwortete mir: »Genau darum geht es, um Zeit. Bei uns lesen Sie nur das, was wirklich wichtig ist. Sie brauchen keine weiteren Zeitungen zu lesen. Sie erfahren alles Wichtige aus einer Hand. Damit sparen Sie sich Zeit. Was halten Sie davon, dieses Angebot zu testen?« Spätestens jetzt wurde mir klar, dass auch er nicht aktiv zugehört hatte. Er nahm nur mein Argument der fehlenden Zeit wahr, und schon lief in seinem Kopf das einstudierte Verkaufsprogramm ab. Deswegen versuchte er meinen vermeintlichen Einwand gekonnt zu beseitigen, um an den ersehnten Abschluss zu gelangen. Was er überhört hatte, war meine Aussage: »Ich meine es genauso, wie ich es sage.« Vielleicht hatte er es aber auch einfach ignoriert. Ich weiß es nicht.
Jedenfalls antwortete ich ihm: »Nochmal, ich meine das genauso, wie ich es eben gesagt habe. Ich habe einen Vierzehn-Stunden-Tag und einfach keine Zeit dafür, die Zeitung regelmäßig zu lesen. Es bereitet mir ein schlechtes Gefühl, wenn die Zeitung ungelesen in meinem Büro liegt und ich weiß, dass ich auch in absehbarer Zeit keine Möglichkeit finde, sie in Ruhe zu lesen. Und dieses Gefühl möchte ich nicht. Bitte haben Sie Verständnis dafür und notieren Sie das so in Ihrem System. Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass ich keine weiteren Anrufe erhalte. Das habe ich auch schon ihren Kollegen so mitgeteilt, leider scheint das niemand wirklich zu interessieren.«
Es folgten drei Sekunden betroffenes Schweigen und dann kam die Antwort: »Ja das tut mir natürlich leid, dass Sie keine Zeit haben, die Zeitung zu lesen. Also gut, ich werde das dann so in meinem System hinterlegen und hoffe, dass Sie nicht mehr angerufen werden. Garantieren kann ich Ihnen das allerdings nicht.«
Zum ersten Mal in diesem Telefonat war er wahrhaftig. Ich spürte seine Betroffenheit und sein ehrlich gemeintes Verständnis für mein Argument. In diesem Moment hatte er mir sozusagen reinen Wein eingeschenkt. Diese Redewendung, die im deutschen Sprachgebrauch für »jemandem den wahren Sachverhalt mitteilen« steht, hatte eine starke Bedeutung für mich als Kundin. Ich erwarte von einem Verkäufer, der mit mir eine Verkaufsbeziehung eingehen möchte, dass er meine Aussagen ernst nimmt. Wenn er mir aber antwortet, dass ich ja Zeit spare, wenn ich diese Wochenzeitung lese, dann fühle ich mich – harmlos ausgedrückt – nicht ganz ernst genommen. Wer diese Wochenzeitung kennt, der weiß, dass sie gut recherchierte und ausführlich dargestellte Artikel enthält, die man nicht mal eben im Vorbeigehen liest.
Zu Beginn des Gesprächs hatte mir der Verkäufer, um beim Thema zu bleiben, eine Menge Wein eingeschenkt: argumentativ billigen Fusel. Jetzt hatte sich die Qualität des Gesprächs verändert – zum ersten Mal schenkte er mir sozusagen reinen Wein ein. Das Wörtchen »rein« ist es, das den Unterschied in der Qualität des Weines und genauso in der Qualität der Verkaufsbeziehung ausmacht. »Rein« wird im heutigen Sprachgebrauch gerne mit sauber oder frisch gewaschen assoziiert. Ursprünglich kommt es aber vom althochdeutschen Wort »(h)reini«. Dieses wiederum ist verwandt mit dem althochdeutschen Wort »(h)ritara«, welches »Sieb« bedeutet. Und hier ist er, der Qualitätsunterschied: Verkäufer, die reinen Wein einschenken, sieben in ihrer Art zu kommunizieren alles Überflüssige aus und begegnen dem Kunden ehrlich, aufrichtig, wahrhaftig und natürlich – eben kultiviert. Mit den Informationen Ihrer Kunden gehen sie ebenfalls »siebend« um und lassen sich auf deren ehrliche Bedürfnisse ein. Sie vertrauen auf ihre Fähigkeit, den Unterschied zu hören und zu spüren. Kurz: Sie verlassen sich auf ihre Empathie.
Und genau darum geht es in diesem Buch, das Sie jetzt in der Hand halten:
- Wie kann ich mit Empathie Kundenerlebnisse schaffen, die Vertrauen aufbauen?
- Was bedeutet kultiviertes Verkaufen?
- Warum ist es so wichtig, den Kunden reinen Wein einzuschenken?
- Wie kommuniziere ich empathisch?
- In welcher Beziehung steht meine Motivation mit meinem Verkaufserfolg?
- Was haben Humor, Emotionen und Freundschaften damit zu tun?
- Wie können uns unsere grauen Zellen dabei hilfreich zur Seite stehen?
- Welche unterstützenden Maßnahmen kann ich als Unternehmer, Führungskraft und Verkäufer nutzen, damit ich langanhaltende und gute Beziehungen zu meinen Kunden aufbaue?
Auf all diese Fragen werden Sie schnell umsetzbare Antworten in den einzelnen Kapiteln finden.
So wie William Shakespeare in seinem Zitat zum Schluss kommt, dass der Wein ein geselliges Ding ist, wenn man mit ihm umgehen kann, so bin ich nach dreißig Jahren Ein- und Verkaufserfahrung zu dem Schluss gekommen, dass Verkaufsbeziehungen immer dann erfolgreich sind und lange halten, wenn man mit ihnen umzugehen weiß. Die Gemeinsamkeit im Umgang mit gutem Wein und einem erfolgreichen Verkaufsgespräch ist eindeutig das Kultivieren. Deshalb habe ich meine Denkansätze, Inspirationen und Impulse in eine Weinanalogie eingebettet. Ganz unabhängig davon, ob Sie als Leser ein Weingenießer, -kenner oder -liebhaber sind oder aber bisher noch keine oder wenig Berührung mit der Weinwelt hatten, es erwarten Sie spannende Verkaufsgeschichten. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mal aus Sicht des Kunden und mal aus der des Verkäufers, lesen Sie in anschaulichen Beispielen, wie Sie schnell und einfach aus Interessenten und Kunden begeisterte Stammkunden machen: mit Empathie.
Apropos Geschichten: Die Telefonverkäufer der Wochenzeitung sind dabei, in meinem Gehirn Geschichte zu schreiben. Je öfter ich angerufen werde und je öfter ich verschiedenen Anrufern das Gleiche erzählen muss, desto negativer manifestiert sich die gemachte Erfahrung in meinen grauen Zellen. Das Ergebnis dieser Strategie wird dann am Ende sein, dass sich bei mir ein negatives Gefühl einstellt, wann immer ich den Namen dieser Wochenzeitung lese oder höre.
Diesen natürlichen Vorgang in unserem Gehirn können Sie aber ebenso zu Ihrem Vorteil nutzen, wenn Ihnen bewusst ist, dass alle gemachten Erfahrungen dauerhaft abgespeichert werden. Deswegen: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Kunden ein gutes Gefühl haben und positive Erfahrungen mit Ihnen machen.
Kunden, Kundenerfahrungen und Kundenbedürfnisse sind so vielfältig wie die Aromen in einem Wein. Wenn Sie eine Flasche Wein öffnen, dann ist das immer wieder eine spannende Angelegenheit. Welchen Duft werden Sie wahrnehmen? Wie entfaltet er sich im Glas und an Ihrem Gaumen? Passt der Wein zu einem guten Buch oder kommt er besser zur Geltung mit einer Scheibe Wildschweinsalami? Welchen Käse kann ich dazu genießen? Sollte ich ihn noch ein wenig atmen lassen, damit er sein volles Aroma entwickelt? So spannend die einzelnen Weine sind, die es zu entdecken gilt, so spannend ist jeder einzelne Kunde, mit dem Sie sich in ein Verkaufsgespräch begeben. Entdecken Sie Ihre Kunden mit der gleichen Hingabe, Aufmerksamkeit, Gelassenheit und Begeisterung, mit der Sie einen neuen Wein entdecken. Bleiben Sie immer neugierig. Dann werden Sie ganz lange ganz viel Freude und Spaß an der wunderschönen Tätigkeit des Verkaufens haben.
Noch ein Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text nur die männliche Form verwendet. Gemeint ist stets sowohl die...